Vermisst: Wo ist der Bikergruß?

14.05.2016
| Lesezeit ca. 4 Min.
Während unserer morgendlichen Redaktionskonferenz kam letztens ein Umstand zur Sprache, den auch schon andere Kollegen beobachtet haben. Besonders Mitstreiterin Mandy hat dazu so einiges zu sagen, aber ich lasse sie erst einmal zu Wort kommen, bevor ich meinen Senf auch noch dazu gebe: Die Motorradsaison ist in vollem Gang, Kilometer um Kilometer wird abgespult und viele Gleichgesinnte tummeln sich auf den Straßen. Eigentlich kann man hier auch das bekannte Phänomen beobachten: die linke Hand wird vom Lenker gehoben und dem entgegenkommenden Hobbyteiler entgegengestreckt. Doch die Betonung liegt auf „eigentlich“. In letzter Zeit musste ich leider vermehrt feststellen, dass die schon seit der Steinzeit als Geste der Freundlichkeit bestehende Tradition anscheinend immer mehr an Aktualität verliert. Immer seltener wird die Hand zum Gruß herausgestreckt. Ein kleiner Glücksmoment macht sich gar breit, wenn der erfreute Gruß überhaupt im letzten Moment erwidert wird. Etwas ursprünglich als selbstverständlich angesehenes wird somit allmählich zu einem Highlight auf der Tour.


Sicherheitsaspekte spielen eine Rolle

Natürlich darf durch das Grüßen die eigene Sicherheit nicht gefährdet werden. Diese ist schließlich oberstes Gebot und ein Nicht-Grüßen findet in diesem Fall bei jedem Verständnis. Unverständlich hingegen erscheint, dass manche Fahrer auch auf gerader Strecke, wo die Sicherheit nicht als gefährdet anzusehen ist, nicht grüßen. Hier stellt sich die Frage „Warum?“. Sicher sind Begegnungen von Zweiradfahrern keine Seltenheit mehr. Doch reicht das schon als Grund, eine jahrelange Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, einfach so unter den Tisch fallen zu lassen? An mangelnder Kenntnis kann es jedenfalls nicht liegen, da schon in der Fahrschule gelehrt wird, dass entgegenkommende Motorradfahrer als Zeichen des Zusammenhalts und der Freundlichkeit gegrüßt werden.
Ich für meinen Teil finde es jedenfalls schade, dass nur noch selten zurückgegrüßt wird. Diese langjährige Tradition sollte weitergeführt werden, zumal sie sich bereits schon über viele Jahre gehalten hat. Der Gruß verkörpert den Zusammenhalt unter Motorradfahrern und ihre Freude und den Spaß am Fahren, die jeder nachvollziehen kann. Daher sollten wir nie aus den Augen verlieren, was es für uns und all die anderen da draußen bedeutet, ein Teil dieser großen Gemeinschaft zu sein.
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Mandy scheint mir etwas betrübt zu sein, vollkommen nachvollziehbar, wenn Ihr mich fragt.

Der Bikergruß folgt einer jahrzentelangen Tradition


Ich hole sogar noch etwas weiter aus – quasi bei der Steinzeit, wie Mandy oben schon geschrieben hat. Also bei meiner Steinzeit natürlich…
Als ich mit elf oder zwölf Jahren auf dem Feldweg hinterm Dorf meine ersten Erfahrungen sammeln durfte, brauchte man niemanden zu grüßen, die Verkehrsdichte auf so einem Feldweg hält sich verständlicherweise eher in engen Grenzen, höchstens die Karnickel vom Feld fanden etwas Beachtung. Erst später, als ich zum ersten Mal Kontakt zu einem „richtigen“ Motorrad hatte (eine der sagenhaften 84er VFR1100R), erst da fiel mir der Bikergruß auf. Ich durfte dazumal mit einem, leider schon verstorbenen, sogenannten „alten Hasen“ meine erste Tour durch den Harz bis zur Weser und zurück absolvieren. Bei der erstbesten Pause fragte ich sogleich neugierig: „Menschenskind, woher kennst Du denn so viele Motorradfahrer??“ Die Antwort werde ich wohl nie mehr vergessen: „Junge“, sagte er, „Junge, wir sind eine Familie! Wir stehen zueinander, in guten und in schlechten Zeiten. Bei uns gibt es keine Unterschiede, ob arm, ob reich, ob jung oder alt – vollkommen egal! Uns vereint das beste Hobby der Welt und wir begegnen uns mit Respekt und Freude! Das zeigen wir mit der Linken zum Gruß!“ Schwer beeindruckt und mit einem wohligen Gefühl fragte ich, ab wann man denn dazu gehören würde. „Sobald Du mit einem Gerät mit zwei Rädern und einem vernünftigen Motor unterwegs bist.“ Was ein sogenannter „vernünftiger“ Motor auch immer sein mochte, ich wollte unbedingt dazu gehören.
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Irgendwann kam der Zeitpunkt, als ich ganz offiziell vom Feldweg auf die Straße wechseln durfte, ohne Gefahr zu laufen, erwischt zu werden.

Sogar Fahrschüler wurden gegrüßt


Und sogar als Fahrschüler wurde man schon gegrüßt. Die erste Runde allein über die Landstraße, durch den wunderschönen Harzwald bis zum nächsten Treffpunkt ließ meine Brust vor Stolz schwellen. Biker mit ihren schweren Maschinen streckten mir die Hand zum Gruß entgegen. Am Treffpunkt, dem Torfhaus, wurde ich sogleich mit einem freundschaftlichen Du empfangen und es wurde ohne Umschweife Benzin gequatscht. Ich war plötzlich nicht mehr allein mit meinem Spleen, ich war angekommen, in meiner neuen Familie. Wie selbstverständlich gehört man auf einmal dazu. Schöne Erlebnisse folgten in den kommenden, bewegten Jahren. Zigarettenpause am Straßenrand? Keine fünf Minuten stand man alleine da, die Familie sorgte sich eben: Ist Dir was passiert? Kann ich Dir weiter helfen? Haste Dich verfahren? Nö – ich rauche nur... und zack standen einige Mannen zusammen und der Tag war gerettet.

Stirbt der Bikergruß aus?


Aber nach und nach scheint diese schöne Tradition zu verschwinden. Immer öfter kommen mir irgendwelche kunterbunten Typen entgegen, mit mindestens sechs Kameras, zwei davon am Helm á la Teletubbie, und grinsen noch nicht mal, geschweige denn die Hand wird gehoben. Was ist denn bloß los mit Euch, möchte ich in so einem Moment rufen. Und dann fällt mir ein: vielleicht wissen diese armen Geschöpfe überhaupt nichts vom guten alten Bikergruß? Wäre das nicht traurig? Mindestens genau so traurig wie auf dem Treff von einem anderen Kradfahrer mit Sie angesprochen zu werden, oder nicht?


Weitere Infos zur Geschichte des Bikergrußes findet Ihr hier: Schwalmbiker!
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