Benelli ist wieder da. In China produziert die italienische Traditionsmarke die TRK 502. Eine preiswerte Reiseenduro mit interessanten Argumenten und viel Verbesserungspotenzial.
Was ist bloß aus der einst so erfolgreichen italienischen Motorradmarke Benelli geworden? In den 70er-Jahren mischte das kleine, aber feine Unternehmen aus Pesaro an der Adria mit den Sechszylinder-Sei-Modellen die japanischen Mitbewerber ganz gehörig auf. Und in den Anfangsjahren des neuen Jahrtausends überraschten die Italiener mit attraktiven und leistungsstarken Dreizylindermodellen die Branche erneut. 2005 übernahm der chinesische Roller- und Motorradhersteller QJ (Qianjiang; 1,2 Mio. FZ/Jahr) die Traditionsmarke. Doch seit diesem Zeitpunkt gab es wenig wirklich Neues. Mit der Mittelklasse-Reiseenduro TRK 502 rollt nun die erste unter chinesischer Führung entwickelte Benelli nach Europa. Ist das nun eine neue Ducati Multistrada, oder was? Ähnlichkeiten mit dem erfolgreichen Reisedampfer sind nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere die Front mit Windschild, Doppelscheinwerfer und dem langen Schnabel mit integrierten Nüstern erinnert stark an das Multitool aus Bologna. Auch das Layout der Seitenansicht – die sogenannte Flyline – ist mit dem hohen Tank und Heck sowie dem dazwischen tief eingebetteten Fahrersitz ganz ähnlich gestaltet. Da liegt doch der Verdacht nahe, dass die neuen Benelli-Eigner wie so viele andere chinesische Unternehmen skrupellos abgekupfert haben. Selbst die stattlichen Dimensionen entsprechen weitgehend dem vermeintlichen Vorbild.
Bezüglich Motorisierung und Verarbeitungsqualität enden jedoch die Gemeinsamkeiten. Beim genaueren Betrachten offenbaren sich relativ große Unterschiede. Das Gestänge zur Aufnahme des großen nicht verstellbaren Windschilds wirkt ebenso grobschlächtig wie die ebenfalls aus schlichtem Stahlrohr gefertigte Gepäckbrücke und die Halterungen für die Seitenkoffer. Die Schweißnähte sind nicht sehr sorgfältig gezogen und auch die Lackierung dieser Konstruktionen entspricht nicht dem hierzulande gewohnten Qualitätsstandard. Dazu kommt, dass an unserem nahezu neuen Testfahrzeug an exponierten Stellen bereits erste Rostansätze zu bemängeln waren.
Gute Grundausstattung
Im Gegensatz dazu überrascht die Benelli TRK 502 mit einer für ein Fahrzeug dieser Klasse guten Grundausstattung. Der große Frontschild bietet in Kombination mit den beidseitig angeflanschten Windabweisern, den Handschützern am Lenker sowie den seitlichen Verkleidungsteilen einen insgesamt einwandfreien Wetterschutz. An langen Auslegern montierte Rückspiegel gewährleisten gute Sicht auf den rückwärtigen Verkehr. Und bis auf die beiden Scheinwerfer ist die gesamte Beleuchtung in zeitgemäßer LED-Technik ausgeführt. Das schlichte Cockpit mit Analog-Tourenzähler und Digitaltacho mit Ganganzeige ist übersichtlich, wobei die Umschaltung auf die einzelnen Anzeigen leider nicht am Lenker möglich ist. Zwei USB-Anschlüsse für Handy und/oder Navi sowie einstellbare Handhebel sind weitere Ausstattungsdetails. Ein Zentralständer fehlt zwar, doch zumindest gibt es zwei Pfropfen an der Schwinge, welche das Aufbocken mit einem Montageständer ermöglichen – zum Beispiel zum Schmieren der Antriebskette.
Souveräne Leistung trotz weniger PS
Mit 235 Kilogramm ist die Benelli TRK 502 exakt gleich schwer wie die 950er-Multi von Ducati. Allerdings wird das italo-chinesische „Plagiat“ von einem lediglich halb so großen und halb so starken Motor befeuert wie dieses kleinste und schwächste Modell der Roten. Der moderne 500-ccm-Reihentwin passt mit 48 PS genau zum Anforderungsprofil der Führerscheinklasse A2. Er mag zwar keine Stricke zu zerreißen, doch aufgrund der drehmomentorientierten Auslegung und der kurzen Übersetzung erledigt er seine Aufgabe überraschend souverän. Bereits ab rund 2.000 U/min steht ordentlich Leistung an, und die wird bis circa 7.000 U/min linear gesteigert. Oberhalb dieser Marke trüben trotz gegenläufiger Ausgleichswelle feine Vibrationen in Lenker und Rasten den Fahrspaß. Die weich einsetzende Kupplung und das flüssig zu schaltende Getriebe stärken den positiven Eindruck. Wählbare Motor-Modi und eine Traktionskontrolle gibt es zwar nicht, doch die haben wir auf unseren Testfahrten bei unterschiedlichsten Witterungsbedingungen auch nie wirklich vermisst. Im Gegensatz zum Motor überzeugt das Fahrwerk nicht wirklich. Die mit 50 Millimetern Durchmesser ordentlich stramm ausgelegte, nicht einstellbare Upside-down-Gabel ist wie das meiste an diesem Motorrad ein Eigenbau von QJ. Die für ein Motorrad dieser Klasse eher überdimensioniert wirkende Vorderradaufhängung spricht hart an, das hintere, direkt angelenkte und in Vorspannung und Zugstufe einstellbare Monofederbein dagegen eher weich. Solchermaßen unausgewogen abgestimmt, leidet sowohl der Fahrkomfort als auch die Stabilität in Kurven mit Bodenunebenheiten. Dazu kommt, dass aufgrund der tiefen und hecklastigen Sitzposition wenig Druck aufs Vorderrad kommt, was weder klare Rückmeldungen noch die Lenkpräzision fördert. Auf gut asphaltierten Straßen und bei nicht allzu forscher Gangart funktioniert die TRK 502 ordentlich. Das gilt auch für die Schräglagenfreiheit, die für das anvisierte Zielpublikum mehr als ausreichend ist.
320er-Doppelscheibe und radial montierte Vierkolbenzangen – wie die Gabel ist auch die Vorderbremse eher überdimensioniert. Allerdings hinterlassen die ebenfalls in Eigenregie von QJ gebauten Stopper einen äußerst zweifelhaften Eindruck. Da ist einerseits der lange Weg am Bremshebel und andererseits der schwammige Druckpunkt. Fahrer mit kurzen Fingern ziehen den Handhebel bei einer Vollbremsung bis zum Handgriff durch. Gefühlvolles Bremsen mit einem oder zwei Fingern ist nicht möglich, weil die übrigen Finger zwischen Bremsgriff und Lenker eingeklemmt werden. Der Druckpunkt ist dermaßen diffus und unklar, dass es ratsam ist, stets ausreichend Bremsweg einzukalkulieren. Im Gegensatz dazu funktioniert das in China gebaute ABS von Bosch tadellos. Für Fahrten abseits befestigter Straßen ist es per Knopfdruck abstellbar. Aufgrund der kleinen 17-Zoll-Räder, der relativ kurzen Federwege (vorne 135 mm, hinten 145 mm) und nicht zuletzt auch wegen des stattlichen Gewichts dürfte die neue Benelli TRK 502 wahrscheinlich vorwiegend auf asphaltierten Straßen eingesetzt werden. Hier passt die Bereifung mit Pirelli Angel ST ausgezeichnet und das sowohl bei trockener als auch nasser Fahrbahn. Mehr Geländetauglichkeit verspricht das im November letzten Jahres anlässlich der EICMA in Mailand vorgestellte Schwestermodell TRK 502S mit 19 Zoll großem Drahtspeichen-Vorderrad.
Fazit
Geringe Sitzhöhe, gut kontrollierbare Leistung, solide Grundausstattung, toller Look und ein interessanter Preis von 5.999 Euro,-- – nicht bloß für Motorradeinsteiger ist die Benelli TRK 502 ein prüfenswertes Angebot. Die Verarbeitungsqualität entspricht allerdings derzeit (noch) nicht europäischen Ansprüchen. Und auch bezüglich Fahrwerkabstimmung und Bremsen besteht noch Optimierungspotenzial. Dass sie für mehr Leistung und höhere Geschwindigkeiten konzipiert wurde, zeigt die Ankündigung des weitgehend baugleichen Schwestermodells Benelli TRK 752 mit dem 754 ccm großen und 82 PS starken Reihen-Twin, wie er 2018 erstmals im Schwestermodell 752S zum Einsatz kommt. Die Chinesen lernen schnell und geben Gas. Wir sind zuversichtlich, dass die erwähnten Mängel rasch behoben werden, und bleiben dran.