Es fühlt sich immer gut an, reist man auf eine Fahrpräsentation und weiß: Da lauern keine bösen Überraschungen. Die Einladung zur Aprilia Tuono 660 in Rom war so gesehen ein Selbstgänger. Schon die neue Aprilia RS 660 begeisterte bei ihrer Vorstellung in Venetien auf ganzer Linie. Insoweit weckte der Trip zur kleinen Tuono schiere Vorfreude statt „nur“ professionelle Neugierde.
Technisch verwandt mit der Aprilia RS 660
Technisch und optisch ist die „halbnackte“ Schwester der zweieiige Zwilling der RS 660. Halbnackt, denn für einen Naked-Ableger im weitesten Sinne ist die Tuono 660 einfach zu sehr angezogen: Seitlich und unterhalb des Motors ist sie streng verhüllt. Wer nicht wirklich vom Fach ist, dem dürfte es schwerfallen, auf den ersten Blick wesentliche Unterschiede zur RS 660 auszumachen. Erfreulicherweise teilen sie dafür auch ihr Leichtgewicht von 183 Kilogramm fahrbereit.
Hoher Anteil von Gleichteilen bei RS 660 und Tuono 660
Sitzbank, Tank, Schwinge, Räder, Rahmen, TFT-Display, Voll-LED-Scheinwerfer und Lichtsignatur – alles identisch. Nur die Windschilde ragen unterschiedlich hoch auf – und natürlich ist die RS 660 etwas umfassender verkleidet. Wie es sich für ein kleines Superbike gehört. Auch die Farbgebung der 660-Twins ähnelt einander sehr: Beide gibt es in dem auffälligen Acid Gold (ein Limette-Neongelb-Mix) und in Schwarz mit Rot. Hinzu kommen die RS in „Lava Red“ und die Tuono in Grau-Iridium. Macht drei Farben für jede. Geschwister halt.
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„Eine Tuono ist eine Tuono, sie ist kein klassisches Naked Bike“, pflegt Miguel Galluzzi zu predigen, Aprilias oberster Stilberater. Und ergänzt: „Ich bin mir sicher, die Tuono 660 wird die nächsten Jahre eine wichtige Rolle spielen für Aprilia.“ Damit dürfte er Recht haben. Der kleine Donner – so heißt das Wort Tuono auf Deutsch – fährt sich wirklich ausgesprochen gut. Statt 100 PS hat Aprilia hier „nur“ 95 PS implementiert. Das macht die Maschine 48-PS-tauglich. Und damit für Inhaber der Führerscheinklasse A2 interessant.
Auch in der Tuono 660 begeistert der neue Aprilia-Motor
Auf die fünf Pferdchen on top kann die Aprilia Tuono 660 getrost verzichten. Das Drehmoment bleibt gleich: 67 Nm bei 8.500 Umdrehungen pro Minute. Bei 11.500 Touren schlägt der Begrenzer zu. Bis dahin entfacht der Parallel-Twin in jedem Gang ein kleines Donnerwetter: Mit famosem Sound eilt die Tuono 660 durch ihre sechs Gänge. Anders als bei der RS 660 (ab 11.050 Euro) gehören der sehr gute Blipper für kupplungsfreie Gangwechsel rauf und runter sowie die unbedingt empfehlenswerte 6-Achsen IMU bei der Tuono 660 nicht zum Serienumfang. Die rund 500 Euro Aufpreis für beides sollte man aus Komfort- und Sicherheitssicht unbedingt investieren. Das wird sich Aprilia bei der Preisgestaltung auch gedacht haben.
Entspannte Ergonomie und tourentaugliche Gepäckoptionen
Die 320er-Doppelscheibe vorn verzögert vorzüglich. Die Ergonomie ist Tuono-typisch entspannter als auf dem RS-Pendant. Sitzkomfort und Knieschluss sind ausgezeichnet, der Kniewinkel ist für Fahrer mit Durchschnittsgröße entspannt. Das empfiehlt die Tuono 660 auch als schnelles Reisebike. Im Zubehör gibt es unter anderem einen Tankrucksack, Seitenkoffer, einen höheren Windschild und einen Komfortsitz. Serienmäßig kann das Soziuskissen entfernt werden. Das schafft auf dem darunter verborgenen Gepäckträger Platz für ein flexibles Topcase oder sonstige Gepäckstücke.
Steilerer Lenkkopf und kürzerer Radstand
Der Radstand der Halbnackten wurde gegenüber dem Straßenrenner minimal verkürzt auf 1.379 mm statt 1.383 mm, dafür ist der Lenkkopfwinkel mit 23,9 Grad (24,3°) etwas steiler. In Habachtstellung ist der Fahrer gleichwohl. Auf langen Etappen kann das ganz schön auf die Handgelenke gehen. Vielleicht lag das aber auch nur am Pflaster in Lazio. Die Straßen sind teils erbärmlich. Aufgerissen, aufgeplatzt, schlecht geflickt und gespickt mit üblen Absätzen, die erst der Schlag ins Kreuz meldet. In vielen Kurven lauerten Berge von Streusalzresten. Ihr volles Potenzial konnte die sehr fahrdynamisch ausgelegte Tuono 660 beim Testride so gesehen nicht unter Beweis stellen. Aber sie hat wahrlich das Beste daraus gemacht. Ein beeindruckendes Bike, für das Aprilia 10.550 Euro begehrt. Ein ausführlicher Fahrbericht erscheint in der nächsten Ausgabe von MOTORRÄDER PUR.