Auf der neuen BMW R 12 G/S stellt sich beim ersten Fahrtest sofort das Ur-Gefühl des GS-Fahrens mit großem Fahrspaß auf kleinen Straßen und Wegen wieder ein.
Es wird am 1. September dieses Jahres genau 45 Jahre her sein, dass BMW der internationalen Motorradpresse in Avignon/Südfrankreich die R 80 G/S vorgestellt hat. Sie wurde im September 1980 freundlich aufgenommen, erwies sich aber nicht schlagartig als Erfolgsmodell. Knapp sieben Jahre lang war die 50 PS leistende 800er im Programm; gut 21.000 Einheiten konnten die Bayern von ihr verkaufen, plus knapp 3.000 der nachgeschobenen Paris-Dakar-Version mit dem großen Tank. 1987 dann der Modellwechsel mit Ersatz des Monolevers durch die Paraleverschwinge: Aus der R 80 G/S wurde die R 80 GS und auf Anhieb spielte diese hinter dem etwas stärkeren Schwestermodell R 100 GS mit einem Liter Hubraum nur noch die zweite Geige.
An die glücklichen Zeiten der R 80 G/S, aber auch der ihr nachfolgenden R 100 GS, fühlt man sich als alter Fahrensmann erinnert, wenn man die nagelneue BMW R 12 G/S vor sich stehen sieht. Egal, ob man auf die stark ans Original erinnernde Variante in Lightwhite uni mit blauem Tankdekor und roter Sitzbank schaut oder die in mattem Sandfarbton lackierte, vielfach veredelte Version namens Option 719 ins Visier nimmt: Der Wiedererkennungswert ist extrem hoch. Das gilt aber nicht nur beim Hinschauen, sondern ebenso beim Aufsteigen: Das „Willkommen daheim!“-Gefühl ist auf Anhieb da. Auch wenn die aktuelle G/S natürlich aufgrund der technischen Weiterentwicklung während der vergangenen 45 Jahre so gut wie alles besser kann als das heute zierlich wirkende Original.
Der Fahreindruck relativiert das hohe Gewicht
Die Sitzposition auf der R 12 G/S ist bequem, der Kniewinkel entspannt Natürlich ist die 109 PS starke R 12 G/S ein famoses Landstraßenmotorrad: Mit einem Gewicht von 229 Kilogramm ist sie zwar, absolut gesehen, kein Leichtgewicht; berücksichtigt man aber die Komponenten, insbesondere den schwergewichtigen Boxermotor und die kräftig dimensionierte Schwinge, dann erscheinen die 229 Kilo angemessen. Sehr erfreulich ist, dass sich die G/S beim Fahren noch deutlich leichter anfühlt: Die ausgezeichnete Ergonomie mit breitem Lenker, angenehmem Sitz und ideal montierten Fußrasten scheint die Waage bei der 200-Kilo-Marke auszubremsen. Es ist unfassbar, wie leicht sich diese BMW auf holprigem Untergrund beim Stehend-Fahren manövrieren lässt! Fast so, als handle es sich um die G/S von 1980 mit ihren läppischen 186 Kilo! Und zwar gleichermaßen auf geschotterten Wegen, auf Single Trails, bei Wasserdurchfahrten oder bei steilen Bergaufpassagen.
Offroadtest im Enduropark
Zwei G/S-Versionen abseits der Straße: Links die Variante Option 719, rechts die Version Lightwhite uni Bei einer ausgiebigen Tour im Außenbereich des BMW-Enduroparks in Hechlingen/Mittelfranken demonstrierte die BMW R 12 G/S, wie perfekt sie kleine Asphaltsträßchen, aber auch holprige Feldwege, steinige Fahrspuren oder auch schmierige Waldwege absolviert. Je nach den fahrerischen Qualitäten könnte sie das natürlich auch im verschärften Rallyestil, doch besonders viel Spaß kommt bei eher beschaulichem Tempo auf: Die Schaltung funktioniert präzise, die Kupplung ebenso (so man auf den am Testfahrzeug vorhandenen, sehr gut arbeitenden Quickshifter verzichtet). Das Fahrgefühl ist satt, ohne aber ins Behäbige abzugleiten. Die 45er-USD-Gabel, in allen Parametern einstellbar, überzeugt unter allen Umständen und auch das schräg montierte Zentralfederbein, ebenfalls komplett individualisierbar, macht seine Sache bestens.
Zum Enduro Pro-Paket gehören auch breite, gezackte Fußrasten für besseres Stehen Mit Stollenreifen (vorne 90/90-21, hinten 150/70-18) und einem Luftdruck von 1,5 bar gibt es kein Halten: Es liegt alleine an den fahrerischen Qualitäten, das gesteckte Ziel zu erreichen – egal ob in tückischem Sand, grobem Schotter oder bei Steilauffahrten. Die 210 mm Federweg vorne und 200 mm hinten reichen voll aus, nur absolute Extrem-Sprünge dürften sie an ihre Grenzen oder auch darüber hinaus bringen. Beruhigend ist, dass die stollenbereiften Testfahrzeuge sämtlich nicht nur mit dem Enduro Pro-Paket (18-Zoll-Hinterrad, Zusatzfahrmodus „Enduro Pro“ fürs Fahren mit Stollenreifen zusätzlich zu „Enduro“, hohe Sitzbank, breite Fußrasten, Lenkererhöhung) ausgerüstet sind, sondern auch auf jeder Seite einen stählernden Schutzbügel im Bereich des Zylinders tragen. Beim Sturz eines Kollegen auf einer Steilabfahrt in zerklüftetem Gelände zeigen diese Stahlbügel eindrucksvoll, wozu sie gut sind.
Motor, Verbrauch und Assistenzsysteme
Gefräste Zylinderhauben gehören zur Version Option 719; bei ihr ist der Stahlrahmen rot lackiert Der luftgekühlte Boxermotor mit 1.170 ccm Hubraum, bekannt aus der R 12 und der R 12 nineT, erfüllt die Norm Euro 5+. Er schiebt druckvoll an, und zwar aus so gut wie jeder Drehzahl. Mit einem WMTC-Verbrauch von 5,1 Litern pro 100 Kilometern ist er in der G/S zwar nicht der sparsamste aller Boxer, doch ermöglicht der 15,5-Liter-Tank eine sichere Reichweite von gut 250 Kilometern. Dass die Bayerische die 200-km/h-Marke knackt, ist ein eher theoretischer Wert, denn der Schutz des kleinen Windschilds ist klarerweise bescheiden. Zudem limitieren Stollenreifen das zulässige Tempo auf 160 km/h. Mit dem Standardreifen, dem Karoo Street auf dem 17-Zoll-Rad, legt die R 12 G/S eine verblüffende Kurven-Performance auf den Asphalt. Die 310er-Doppelscheibenbremse mit Zweikolben-Schwimmsätteln ist primär auf gute Dosierbarkeit im Gelände ausgelegt; ihre Verzögerungsleistungen auf Asphalt sind dennoch tadellos. Dass das ABS schräglagenoptimiert ist, sei der Vollständigkeit halber erwähnt; dasselbe gilt übrigens für die Traktionskontrolle. Letztere ist im Enduro Pro-Modus deaktiviert.
Wer die Normal-Sitzhöhe von 860 mm liest, wird möglicherweise erschrecken; dazu besteht aber kein Grund, denn die Sitzbank ist so geschickt geformt, dass der Autor, gerade mal 1,75 Meter gewachsen, keinerlei Problem mit dem Bodenkontakt hatte. Auch die um 15 mm höhere Version mit dem Enduro Pro-Paket (18- statt 17-Zoll-Hinterrad und geänderte Gabelklemmung vorne) ließ sich mühelos im Zaum halten.
Preise und Aufpreise
Das Digitaldisplay statt des hübschen Rundinstruments erfordert 125,-- Euro Aufpreis Mit einem Ab-Preis von 16.990,-- Euro ist die R 12 G/S kein Schnäppchen; sie wäre freilich auch das erste Motorrad aus München der jüngeren Markengeschichte, das man als solches bezeichnen könnte. Bei den 17 Mille wird es in den meisten Fällen nicht bleiben. Vornehmlich alleine schon deshalb, weil das Schwarz der Basisausführung doch etwas sparsam aussieht. Die Lackierung in Lightwhite uni (mit blauen Dekors und roter Sitzbank) erfordert 300,-- Euro Zuzahlung. Keinen Fehler stellt die Bestellung des Komfort-Pakets mit Quickshifter, Heizgriffen, Tempomat und Berganfahrhilfe (1.100,-- Euro) dar; wer Offroad-Ambitionen hat, wird sicherlich zum Enduro Paket-Pro (750,-- Euro) greifen. Neben dem 18-Zöller hinten werden die Enduro-Fußrastenanlage, eine Lenkererhöhung, Handprotektoren und ein Alu-Motorschutz geliefert. Auch eine verlängerte Seitenstütze gehört zum Paket.
Zudem bietet BMW getreu seiner Marketingtradition zahlreiche „Nice-to-haves“ von der gewichtsreduzierten Lithium-Ionen-Batterie bis hin zum Digital-Instrumentarium und zum adaptiven Kurvenlicht. Immerhin: Das optisch sehr gelungene Tagfahrlicht in Form eines X – ähnlich dem bei der R 1300 GS – ist serienmäßig; auch die schlüssellose Zündungs- und Startbetätigung wird aufpreisfrei geliefert. Fürs Versperren des Lenkers und das Öffnen des Tanks muss allerdings der Fahrzeugschlüssel aus der Tasche gekramt werden.
Fazit: BMW R 12 G/S – Purismus anstatt Opulenz
Wir resümieren: Mit der R 12 G/S hat BMW – endlich – wieder den Weg zurück zur „echten“ GS gefunden; der Irrweg über die 2017 auf den Markt gekommene „Urban GS“ ist offensichtlich zu Ende. Denn die „neue alte GS“ kann nicht nur (verdammt gut) Straße, sondern beherrscht auch das Fahren im leichten wie auch mittelschweren Gelände. Die Durchzugskraft des luft-/ölgekühlten 1170er-Boxermotors sorgt für mehr als nur genug Power in jeder Lebenslage, das sehr leistungsfähige Fahrwerk für genügend Bodenfreiheit und Reserven. Unterlegen ist die G/S ihrer Halbschwester R 1300 GS natürlich unter den Gesichtspunkten Komfort und Reisen sowie Gepäckmitnahme; auch den Zweipersonentransport beherrscht die 1300er besser. Denn die G/S steht tendenziell für Purismus, nicht für Opulenz, also für einen Gepäckträger und nicht für eine Zentralverriegelung. Bei ihr steht technische Seriosität im Vordergrund und nicht technologisches „Über-Drüber“ (mit radarbasierten Assistenzsystemen und semiaktiver Fahrwerksregelung beispielsweise).
Wobei festzuhalten ist, dass die BMW R 12 G/S kein altertümliches, sondern ein unter technischen Gesichtspunkten topmodernes Motorrad ist: Mit optionalem Quickshifter, perfekt einstellbaren Federelementen, prächtiger ABS-Bremse und schräglagenfähiger Traktionskontrolle wird alles substanziell Wichtige geboten. Vor allem aber liefert sie ein grundsysmpathisches Wesen: Kraft ohne Ende, Laufkultur und ein breites Nutzungsspektrum. Trotz übersichtlicher Technologie ist die BMW R 12 G/S in meinen Augen eines der auf- und anregendsten Motorräder nicht nur dieses Jahres, sondern dieses Jahrzehnts.
Abweichende technische Daten mit Enduro-Paket Pro: Nachlauf: 121,3 mm Radstand: 1.585 mm Lenkkopfwinkel: 63,2° Reifen hinten: 150/70 R 18 Sitzhöhe: 875 mm
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Kommentare (1)
deichselhirsch
01.06.2025 15:51
Daß Tank und Lenkerschloss mit Schlüssel funktionieren ist ein Segen, kein Nachteil!
Beides funktioniert an der 1250GS ohne Schlüssel leider nicht zuverlässig.