Nicht nur rund um Bad Ischl in Österreich bitten Anwohner auf Plakaten Motorradfahrer um Rücksichtnahme und möglichst wenig Lärm. Wir können das getrost ignorieren und trotzdem ruhigen Gewissens den rechten Griff bis zum Anschlag drehen: Ein Elektromotorrad ist nun einmal sehr leise und geht dennoch ab wie die berühmte Katze. Da machen auch die Can-Am Pulse und ihre Enduroschwester Origin keine Ausnahme.
Can-Am steigt wieder in den Motorradmarkt ein
Can-Am, das steht hierzulande vor allem für ATV- und SSV-Fahrzeuge sowie die dreirädrigen Modelle Spyder und Ryker. Nun kehrt die Marke nach über 50 Jahren auf den Motorradmarkt zurück – mit ehrgeizigen Plänen. Erklärtes Ziel ist nichts mehr und nichts weniger als die Marktführerschaft in diesem Bereich. Los geht es mit der Roadster Pulse und der Reiseenduro Origin. Beide setzen auf einen Magnetmotor, den das österreichische Unternehmen Rotax neu entwickelt hat. Er liefert 35 kW (48 PS) und 72 Newtonmeter Drehmoment. Zudem gibt es eine 11-kW-Variante für den A1/B196-Führerschein. Damit sind beide Motorräder in Europa optimal positioniert. Anders als andere versucht Can-Am gar nicht erst, das E-Motorrad möglichst wie eines mit Benzinmotor aussehen zu lassen. Im Gegenteil. Ein Teil des Batteriegehäuses ist in leuchtendem Gelb ganz bewusst herausgestellt.
Sticht ins Auge: Batteriegehäuses in Gelb Sowohl Can-Am als auch Rotax gehören zu BRP. Die Abkürzung steht für Bombardier Recreational Products, was soviel wie Bombardier Freizeitfahrzeuge bedeutet. Der Power-Products-Konzern, zu dem auch Jetskis und Schneemobile gehören, wurde vor 22 Jahren als eigenständiges Unternehmen aus dem kanadischen Bombardier-Konzern, seit 1979 auch Besitzer von Rotax, herausgelöst. Die Antriebseinheit ist als einarmige Triebsatzschwinge ausgeführt. Der e-Power-Motor bewegt sich mit und reduziert so die ungefederten Massen. Die Kette läuft in einem komplett geschlossenen und geölten Kettenkasten. Eine Technik, die BRP von seinen Ski-Doos übernommen hat. Ein automatischer Spanner hält alles auf die richtige Länge. Bis auf den Ölwechsel steht das bei der Kette für ein langes wartungsfreies Leben. Da sie gekapselt ist, läuft sie außerdem absolut geräuschfrei. In Kombination mit der hervorragend abgestimmten Motorsoftware ergibt sich ein extrem ruhiger Antrieb.
Reichweite, Laden und Alltagstauglichkeit
Die 8,9 Kilowattstunden große Batterie steht für Normreichweiten von bis zu 130 Kilometern. Bei der etwas höheren und zehn Kilo schwereren sowie grober besohlten Origin sind es 115 Kilometer. Da hätte man sich jeweils mehr gewünscht. Für die Entwickler stand hingegen eine vertretbare Kombination aus Fahrzeuggewicht, Batteriegröße und Reichweite im Lastenheft. Can-Am stellt ebenso klar, dass das Motorrad nicht für den „Highway“, sondern vor allem als Pendlerfahrzeug gedacht ist. So gibt es auch zwei Dutzend entsprechende Zubehöroptionen. Dabei ist das „Click and fix“-System der hauseigenen Marke Linq im doppelten Sinn einfach genial. Leider lassen die bewusst kompakt gehaltenen Motorräder das gleichzeitige Tragen von Seitentaschen und Topcase nicht zu. Es geht immer nur eins von beiden. Die Modelle bringen außerdem ein kleines Handschuhfach samt USB-Anschluss für das Smartphone mit, das bei der ergonomisch anderen Origin etwas kleiner ausfällt. Es fehlt allerdings eine Griffmulde, so dass das Öffnen im wahrsten Sinne des Wortes Fingerspitzengefühl erfordert.
Can-Am Pulse: Beschleunigung und Ladezeit
„Click and fix“-System montiert an der Can-Am Pulse Vor allem die handliche und angenehm vorderradorientierte Pulse macht ihrem Namen alle Ehre. In 3,8 Sekunden schafft sie es im Idealfall aus dem Stand auf Tempo 100 (die Origin braucht nur eine halbe Sekunde länger). Die Leistungsabgabe erfolgt verlässlich linear und die vier Fahrstufen Eco, Rain, Normal und Sport sind ausreichend differenziert. Lastwechselreaktionen sind dem Antrieb fremd. In 50 Minuten soll die Batterie von 20 wieder auf 80 Prozent ihrer Kapazität aufgeladen werden können.
Rekuperation, Bremse und Handling
Bei Can-Am Pulse möglich: Energierückgewinnung beim Bremsen Die Rekuperation splittet Can-Am in einen „passiven“ und „aktiven“ Part. Zum einen gibt es die gewohnte Energierückgewinnung beim Bremsen oder im Schiebebetrieb in den Stufen Off, Min. und Max. Ihr Wirkungsgrad ist aber eher bescheiden. Zusätzlich bietet die Can-Am aber die Möglichkeit eines bewusst gesteuerten Regenerierens von Bremsenergie in ebenfalls zwei einstellbaren Stärken. Es wird aktiv, wenn der Beschleunigungshebel über die Nullstellung hinaus nach vorne gedreht wird. Dann bremst der Motor wie beim Herunterschalten ab und gewinnt Strom. Nach kurzer Eingewöhnungsphase funktioniert das so gut, dass weitgehend auf die mechanischen Bremsen verzichtet werden kann. Es macht direkt Spaß, die Maschine allein über den rechten Griff zu fahren. Aber aufgepasst: Wer das bis zum Stillstand treibt, sollte daran denken, beim Anhalten an einer abschüssigen Stelle das Motorrad wieder mit der klassischen Bremse festzuhalten und am Wegrollen zu hindern.
Die Vorderradbremse an sich – der Handhebel kann mühe- und gefahrlos mit einem Finger bedient werden – an sich kann allerdings nicht so ganz überzeugen. Gleiches gilt für die Federung. Die Standardware von J.Juan sowie KYB lässt es in dem einen Fall etwas an Biss, im anderen an Dämpfung vermissen. Die Enduro verfügt immerhin über ein in Zug- und Druckstufe verstellbares Zentralfederbein. Das Handling ist spielerisch, die Vorderradführung zielgenau und die 177 Kilo Fahrzeuggewicht tun ihr übriges zum leichten und entspannten Umgang mit der Pulse. Lediglich bei größerer Schräglage zeigt das Vorderrad eine kleine Kipptendenz. Die Origin will mit ihrem 21-Zoll-Vorderrad in Kurven naturgemäß etwas nachhaltiger in der Spur gehalten werden, erweist sich aber ebenfalls als problemlose Landstraßenräuberin. Die Offroad-Qualitäten konnten bei der Präsentation in Österreich noch nicht überprüft werden. Über 27 Zentimeter Bodenfreiheit, 25,5 Zentimeter Federweg und zwei zusätzliche Offroad-Fahrmodi mit Abschaltung von ABS und Traktionskontrolle signalisieren aber schon einmal ernste Absichten. Und die Kette ist bei alldem vor Staub, Matsch, Steinschlag und Wasser geschützt.
Ausgestattet für Offroad-Abenteuer: 27 Zentimeter Bodenfreiheit, 25,5 Zentimeter Federweg und zwei zusätzliche Offroad-Fahrmodi
Display und Konnektivität
In Sachen Konnektivität sind Pulse und Origin auf der Höhe der Zeit. Wer ein iPhone besitzt, kann zum Beispiel Apple Carplay nutzen (Android verweigert Motorradherstellern bislang sein Auto-System). Mit der entsprechenden App lassen sich außerdem diverse Fahrzeugdaten abrufen. Über die Größe des touchfähigen Cockpitbildschirms lässt sich streiten. Die 10,25 Zoll sind für unseren Geschmack bei der Pulse viel zu groß, auf der Origin wirken sie etwas harmonischer.
Der 10,25-Zoll-Bildschirm lässt sich auch via Apple Carplay bedienen
A1-Versionen, Spitzengeschwindigkeit und Einstiegspreis
Beide Can-Am-Modelle gibt es auch als A1-Variante mit elf kW (15 PS) Dauerleistung. Dank 23 kW (31 PS) Spitzenleistung hinkt ihre Performance nur im oberen Geschwindigkeitsbereich wegen des geringeren Drehmoments leicht hinter den stärkeren Versionen hinterher. Der Sport-Modus entfällt hier. Am Ende steht aber auch bei ihnen 129 km/h auf dem Tacho, ehe ohnehin bei den Can-Am-Motorrädern abgeregelt wird. Apropos Sport-Modus: Warum der bei der Pulse Sport+ heißt und bei der Origin nur Sport bleibt rätselhaft.
Neben der Reichweite schreckt nach wie vor der hohe Preis von Elektromotorrädern potenzielle Kunden ab. Bei Can-Am geht es bei 15.899,-- Euro los. Dafür kann man sich anderswo gleich zwei Mittelklassemaschinen kaufen. Ein-Drei-Jahres-Leasing mit Monatsraten von knapp 190,-- Euro bei 3.500,-- Euro Anzahlung soll die Hemmschwelle senken.
KYB HPG-Dämpfer mit einstellbarer Druck- und Zugstufenvorspannung
Sachs Twin-Tube-Gewindefederbein mit Vorspannungseinstellung
Federweg v/h
255 mm / 255 mm
140 mm / 140 mm
Radstand
1.503 mm
1.412 mm
Nachlauf
118 mm
101 mm
Lenkkopfwinkel
60 °
63 °
Räder
21 x 1,85 vorn, 18 x 2,5 hinten
17 x 3,5 vorn, 17 x 4,5 hinten
Reifen vorn
90/90 R21
110/70 R17
Reifen hinten
120/80 R18
150/60 R17
Bremse vorn
2-Kolben-Schwimmsattel, 320 mm Scheibe
2-Kolben-Schwimmsattel, 320 mm Scheibe
Bremse hinten
1-Kolben-Schwimmsattel, 240 mm Scheibe
1-Kolben-Schwimmsattel, 240 mm Scheibe
Maße & Gewicht
Länge
2.204 mm
2.030 mm
Breite
861 mm
947 mm
Höhe
1.414 mm
1.171 mm
Gewicht fahrfertig
187 kg
177 kg
zul. Gesamtgewicht
338 kg
328 kg
Maximale Zuladung
151 kg
151 kg
Sitzhöhe
865 mm
784 mm
Fahrerassistenzsysteme
ABS, Traktionskontrolle, Fahrmodi
ABS, Traktionskontrolle, Fahrmodi
Fahrzeugpreis ab
16.499 € zzgl. Nebenkosten
15.899 € zzgl. Nebenkosten
Sonstiges
Auch als Origin '73 Variante erhältlich, mit einzigartigen Farben, exklusiven Zierleisten und Emblemen, einem Windabweiser sowie markanten LED-Leuchten. Dieses Modell ist eine Hommage an das ursprüngliche Can-Am Motorrad von 1973. Preis: ab 18.599,-- Euro.
Auch als Pulse '73 Variante erhältlich, eine Hommage an das erste Can-Am Motorrad, das 1973 auf den Markt kam – mit einzigartiger Farbgebung, einem Spoiler, exklusiven Zierteilen und Emblemen sowie den charakteristischen LED-Leuchten. Preis ab 18.199,-- Euro.