Die weltweit erste Testfahrt – Motorrad & Reisen war dabei
Ausgereift wirkt das erste Adventure Bike aus dem Hause Harley-Davidson, das auf den Namen Pan America hört. Während seiner Weltpremiere in Deutschland kann man ihn vermutlich bis Milwaukee hören, den Stein, der den Verantwortlichen am Ende des ersten Testtags vom Herzen fällt. Wie passend, dass ein Industriedenkmal inmitten eines stillgelegten Steinbruchs als Kulisse für die Freiluftveranstaltung dient. Noch vor den Kollegen aus den USA dürfen wir die neue Pan America testen – als Erste weltweit. Nicht nur auf der Straße, sondern auch im weitläufigen Offroad-Park. Der April zeigt sich dabei von seiner besten Seite. Im Minutentakt wechselt das Wetter: Sonne, Regen, Graupel, Hagel, Schnee und Windböen – mit zugefrorenen Wasserleitungen in der Nacht und frühlingshaften zwölf Grad Celsius am Nachmittag. Wetterbedingungen, wie gemalt für ein hemdsärmeliges Adventure Bike. Doch wird die Pan America mitspielen?
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Motorradlust PUR - Motorräder 02/2021 mit folgendem Inhalt:
Motorräder: Vergleichstest: BMW S 1000 XR vs. KTM 1290 Super Duke GT, Aprilia RX 125 und SX 125, Vergleichstest: Kawasaki Ninja 1000SX vs. Yamaha MT-10 SP, Ducati Monster, Vergleichstest: Royal Enfield Interceptor 650 vs. Continental GT, Ducati Panigale V2, Ducati Streetfighter V4 S, Harley-Davidson mehr Pan America 1250, Honda CB350RS, Honda Gold Wing DCT, KTM 1290 Super Duke RR, Motron Modellpalette, MV Agusta Brutale, MV Agusta Zuletzt aktualisiert: 29.04.2021
16 Seiten Fahrtest als PDF
Zuletzt aktualisiert: 26.05.2023
Motorräder: Vergleichstest: BMW S 1000 XR vs. KTM 1290 Super Duke GT, Aprilia RX 125 und SX 125, Vergleichstest: Kawasaki Ninja 1000SX vs. Yamaha MT-10 SP, Ducati Monster, Vergleichstest: Royal Enfield Interceptor 650 vs. Continental GT, Ducati Panigale V2, Ducati Streetfighter V4 S, Harley-Davidson Pan America 1250, Honda CB350RS, Honda Gold Wing DCT, KTM 1290 Super Duke RR, mehr Motron Modellpalette, MV Agusta Brutale, MV Agusta Dragster, MV Agusta Superveloce, Triumph Scrambler 1200, Triumph Street Scrambler, Triumph TE-1 Function first
Anspannung liegt in der Luft. Natürlich ist allen Verantwortlichen bewusst, dass die Augen der Motorradwelt in diesen Tagen auf Harley-Davidson gerichtet sind. Sich keinen Patzer zu leisten, ist deshalb bereits seit den Anfängen des Pan-America-Projekts oberstes Gebot. So ungewöhnlich ihr Design auf den ersten Blick wirkt, Experimente sind tabu. Unter dem Motto „Function first” wird jedes Bauteil des Motorrads entwickelt. Unterhalb der Lackteile wirkt der Antriebsstrang schmal, beinahe zierlich. Mit dem Twin als zentralem Element prägt eine schnurgerade horizontale Linie die Seitenansicht. Alutank drauf, verstellbare Scheibe ran, fertig ist das Bike. Selbst der breite LED-Scheinwerfer, bei der Pan America Special von einem Kurvenlicht unterstützt, dient in erster Linie der maximalen Ausleuchtung der Fahrbahn. Als eines der wenigen Gestaltungselemente zitiert er das Design der Harley-Davidson Road Glide. Ich gebe zu, dass ich kein großer Fan der ersten Pan-America-Studie war. Jetzt, wo ich vor der fertigen Maschine stehe, wirkt die Front erfrischend eigenständig. Auch ohne Rallye-Flair oder Schnabel über dem Vorderrad ist sie zweifellos als Adventure Bike zu identifizieren. Unterhalb des Scheinwerfers steigert ein massiver Haltegriff, an dem man die Fuhre bei Bedarf aus dem Dreck zerren kann, die Erwartungshaltung. Sturzbügel schützen die vorderen Blinker und den Wasserkühler, sollte die Pan America unsanft zu Boden gehen – tun sie wirklich! Aber mehr dazu später …
Wassergekühlter Revolution-Max-Motor
An dieser Stelle über einen Wasserkühler zu schreiben, ist bereits eine kleine Sensation. Jahrzehntelang zelebrierte Harley-Davidson den luftgekühlten V-Twin als zentrales Element der Marke. Flüssigkeitsgekühlte Modelle à la V-Rod und Buell 1125 R/CR blieben jeweils ohne Nachfolger. Dass im Falle des Adventure Bikes kein luftgekühlter Antrieb in Frage kam, stand dennoch von Anfang an fest. Eine Leistung von rund 150 PS zu erreichen, galt als eine der ehrgeizigen Zielvorgaben des Projekts. An einem modernen Hochleistungstriebwerk führte daher kein Weg vorbei. Dass die Pan America ihre Weltpremiere nun in Deutschland feiert, ist ebenfalls kein Zufall und darf als klares Signal verstanden werden, was den Stellenwert Europas im Segment der Reiseenduros angeht. „Deutschland ist für uns der zweitwichtigste Markt gleich hinter den USA”, erklärt Dr. Kolja Rebstock, neuer Europa-Chef von Harley-Davidson. Klar ist damit auch, wer die Spielregeln hierzulande bestimmt: Marktführer BMW mit der R 1250 GS.
Variable Valve Timing (VVT)
Wir werfen einen Blick auf die technischen Daten der Pan America und zücken die Adventure-Checkliste: rund 250 Kilo, zwei Zylinder, 1.250 Kubik, 152 PS, variable Ventilsteuerung – Check! Die Shiftcam-Boxer von BMW bekommen also Gesellschaft. An den vier obenliegenden Nockenwellen des Pan-America-Motors sitzen vier computergesteuerte Stellmotoren. Damit lassen sich Ein- und Auslassnockenwelle unabhängig voneinander um bis zu vierzig Grad verdrehen. Und das geschieht nicht bei einer festgelegten Drehzahl, sondern kontinuierlich, wodurch der Fahrer kein Umschalten erspüren kann. Der Revolution-Max-Motor verdichtet im Verhältnis von 13:1, ist mit natriumgefüllten Auslassventilen, Doppelzündung, Kolbenbodenkühlung, hydraulischem Ventilspielausgleich, Motordeckeln aus leichtem Magnesium und einer Trockensumpfschmierung mit drei Ölpumpen ausgestattet. Sie ersparen dem Motor nicht nur die Panschverluste in der Ölwanne, das System erzeugt zudem einen Unterdruck im Kurbelgehäuse, der die innere Reibung reduziert. Zwei Ausgleichswellen lassen gerade noch so viele Vibrationen übrig, dass sich der Motor lebendig anfühlt. Ein Kompromiss, der sich während der Fahrt sehr angenehm anfühlt. Etwas irritierend ist dafür, zumindest im ersten Moment, der Sound der Pan America. Der Klang der Edelstahl-Serienauspuffanlage unterscheidet sich dabei kaum vom etwas schlankeren Screamin'-Eagle-Titanauspuff aus dem Zubehörprogramm. Insgesamt hält sich der Revolution Max mit 90 dB(A) Standgeräusch vornehm zurück. Mit seinem Kurbelwellenversatz von 30 Grad zündet er aber wie ein 90-Grad-V2. Und so klingt er auch. Insbesondere im Gelände soll diese 90-Grad-Charakteristik gewisse Vorteile bieten.
Adaptive Ride Height (ARH)
Das wollen wir natürlich genauer wissen und satteln auf. Für unseren Offroad-Ausritt ist die Pan America mit den optional erhältlichen Speichenfelgen ausgestattet. Für den harten Geländeeinsatz sind sie so konstruiert, dass sich gebrochene Speichen ersetzen lassen, ohne dafür das Rad ausbauen oder den Reifen abziehen zu müssen. Zudem ermöglicht ihr Design die Verwendung schlauchloser Pneus – in unserem Fall Michelin Anakee Wild. Obwohl der Boden durch das nasskalte Wetter der letzten Tage regelrecht mit Wasser vollgesogen ist, sorgt ihr grobes Profil für reichlich Grip. Das schafft Vertrauen, was aber nicht allein den Reifen zuzuschreiben ist. Die Pan America trägt maßgeblich zum sorglosen Fahrspaß bei. Zum einen ist sie wunderbar ausbalanciert, zum anderen geht sie auch noch in die Hocke, sobald man stoppt. Adaptive Ride Height (ARH) nennt sich das aufpreispflichtige System für das automatische Absenken des Fahrzeughecks. So erreichen selbst die Füße kleiner Fahrer zu jeder Zeit sicher den Boden. Wie schnell abgesenkt wird, kann in drei Stufen eingestellt werden. Im Automatik-Modus ist der Spuk bereits vorbei, sobald die Räder zum Stillstand kommen. Alternativ wird die Pan America erst mit kurzer oder langer Gedenksekunde abgelassen, um bis zuletzt volle Bodenfreiheit zu gewährleisten. Beim Losfahren hebt sich das Heck unbemerkt wieder an. Eine faszinierende Erfahrung. Zusätzlich kann das Fahrerpolster auf 850 mm oder 875 mm Sitzhöhe eingehängt werden, ohne dafür Werkzeug zu benötigen. Einen Torxschlüssel leihe ich mir aus einem anderen Grund aus: Für das Fahren im Stehen können große Fahrer den Lenker etwas nach oben schwenken – schon passt die Ergonomie.
Ab ins Gelände
An diesem Tag testen wir die Pan America Special mit semiaktivem Fahrwerk, dessen automatische Dämpfungseinstellungen an die Fahrmodi gekoppelt sind. So genügt ein einziger Tastendruck, um Motorcharakteristik, Traktionskontrolle, ABS und Federelemente für den Ritt durch den Dreck zu rüsten. Wer mit den voreingestellten Modi nicht glücklich wird, hat zusätzlich zwei freie Speicherplätze, um eigene Einstellungen zu programmieren. Dazu wird einfach ein vorhandener Fahrmodus kopiert und anschließend abgeändert. Für den Abstecher in den alten Steinbruch ist der Offroad-Modus jedoch wie gemacht. Mit sanftem Ansprechverhalten und kräftigem Anfahrdrehmoment präsentiert sich der Motor von seiner gutmütigen Seite. Selbst langsame, technisch anspruchsvolle Passagen zirkelt die Pan America herrlich gelassen entlang. Die servounterstützte Anti-Hopping-Kupplung benötigt wenig Handkraft und rückt ohne zu rupfen ein. Widerstandsfrei lassen sich die Gänge wechseln und die Leerlaufsuche ist ein Kinderspiel. Nicht nur auf der Autobahn, auch im Gelände sorgt der verbaute Lenkungsdämpfer für Stabilität und beruhigt spürbar die Front. Von Wurzelwerk oder rutschigen Steinen unter dem Vorderrad zeigt sich die Pan America wenig beeindruckt. In schnellen Passagen darf dann das semiaktive Fahrwerk mit seinem breiten Spektrum glänzen. Elegant schluckt es Waschbrettpisten oder harte Kanten und bietet beachtliche Reserven. Selbst Sprünge am Ende von Auffahrten meistert die Pan America Special mit ihren 190 Millimetern ohne durchzuschlagen. Nach einem übergewichtigen Straßenkreuzer fühlt sich das definitiv nicht an. Ganz im Gegenteil! Entsprechend unerschrocken wird das US-Adventure Bike durchs Gelände gescheucht. Je länger die Offroad-Partie dauert, umso anspruchsvoller werden die Sektionen, umso tiefer die Wasserdurchfahrten. Geht die Pan America dabei gelegentlich zu Boden und wird auf ihren Sturzbügel ablegt, nimmt sie das zum Glück nicht übel. Zwar leidet die schwarze Beschichtung der Rohre, dafür tragen Verkleidung, Kühler und Blinker keine Spuren davon. Sogar die Handprotektoren sind lediglich an die Lenkerenden gesteckt und lassen sich nach einem Sturz wieder einclipsen, statt an der Verschraubung zu brechen. Ganz schön clever. Wer regelmäßig ins Gelände will, sollte dem Alutank die im Zubehör erhältlichen seitlichen Tankpads gönnen. Auf den Rasten stehend sind an den Stellen, an denen die Knie des Fahrers den Kontakt zum Fahrzeug suchen, bereits nach kurzer Zeit Spuren im Lack zu sehen.
Mit Gussfelgen auf die Straße
Vermutlich wird der Großteil aller Pan America niemals den Asphalt verlassen. Am Motorrad würde dieses Vorhaben jedoch nicht scheitern, so viel ist jetzt sicher. Für den Einsatz auf der Straße sind die Gussfelgen mit Michelin-Scorcher-Erstbereifung die bessere Wahl. Selbst bei Nässe und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt weckt die Gummimischung ab dem ersten Meter Vertrauen und lässt uns im wechselhaften Aprilwetter nie im Stich. Waren wir bisher nur im Offroad-Modus unterwegs, haben wir jetzt die Wahl zwischen den vorprogrammierten Modi Regen, Straße und Sport. Die volle Performance steht dem Fahrer dabei ausschließlich im Sport-Modus zur Verfügung. Selbst im Straßensetting geht der Motor bereits weniger kräftig zu Werke, vor allem bei mittleren Drehzahlen. Dennoch ist es mein liebster Modus. Wunderbar sanft geht der Revolution Max damit ans Gas und benötigt nur etwas mehr als 2.000 Touren, um ruckfrei zu beschleunigen. So lassen sich Ortschaften im fünften Gang durchfahren und ersparen unnötige Schaltarbeit. Die wird dem Fahrer leider nicht durch einen Quickshifter erleichtert. Nicht einmal in der Aufpreisliste ist er zu finden. In Zukunft soll sich das ändern, heißt es. Wie bereits im Gelände funktionieren Getriebe und Kupplung des Revolution Max aber tadellos. Auch das Fahrwerk zeigt sich im Straßen-Modus von seiner besten Seite. Stabil und gelassen zieht die Pan America bei allen Geschwindigkeiten ihre Bahn und gibt sich dabei selbst auf zerfurchten Straßen komfortabel. Von sportlichen Schräglagen lässt sie sich ebenfalls nicht aus der Ruhe bringen, folgt im Kurvenverlauf neutral der anvisierten Linie und kennt kein Aufstellmoment beim Bremsen. Das Verzögern gerät beinahe zur Nebensache, so unauffällig arbeitet die hervorragende Bremsanlage. Die Pan America ist nicht nur mit einem Kurven-ABS ausgestattet, die Kombibremse verteilt die Bremskraft in jeder Fahrsituation automatisch auf Vorder- und Hinterrad.
Sanft regelnde Assistenzsysteme
Die Gefahrenbremsung absolviert das Adventure Bike dadurch mit stoischer Gelassenheit und feinsten Regelintervallen. Genauso sanft und unauffällig arbeitet die schräglagenabhängige Traktionskontrolle für beherztes Beschleunigen auf rutschigem Untergrund. Wer permanent am Kabel ziehen will, stellt den Modus auf Sport und entfesselt damit die versammelte Herde von 152 Pferden und ein Spitzendrehmoment von 128 Newtonmetern. Dann zerrt die Pan America mit ihrem breit nutzbaren Drehzahlband am kräftigsten an der Kette, büßt aber einen Teil ihrer guten Manieren ein. Etwas ruppig fallen im Sport-Modus die Lastwechsel aus und auch das Fahrwerk wird spürbar straffer. So informiert es den Fahrer sehr detailliert über die Versäumnisse der Straßenmeisterei. Das ohnehin sehr stabile Fahrwerk der Pan America wirkt im Sport-Modus zudem steif um den Lenkkopf herum und fordert am Kurveneingang klare Impulse vom Fahrer. Möglicherweise ist dieses Verhalten auf den nicht einstellbaren Lenkungsdämpfer zurückzuführen, der bei der Pan America Special zur Serienausstattung gehört. Das Basismodell ohne Lenkungsdämpfer wirkt im Vergleich deutlich agiler, muss allerdings auf die hochwertigeren semiaktiven Fahrwerkskomponenten verzichten, die sich zudem automatisch der Beladung mit Gepäck oder Sozia anpassen. Wer sich selbst ein Bild machen will, sollte vor dem Kauf beide Modelle im Vergleich fahren. Für die Special spricht die fast vollständige Serienausstattung. Einzig die Kreuzchen für Adaptive Ride Height und Speichenfelgen kann man bei ihr noch setzen. Das zweitausend Euro günstigere Einstiegsmodell der Pan America verzichtet unter anderem auf das semiaktive Fahrwerk, die Sturzbügel und den Hauptständer. Angesichts des Sekundärantriebs per Kette möchte man den ungern missen, auch wenn es Kraft erfordert, die Pan America darauf aufzubocken. Ein letzter Satz zu den Fahrmodi: Als angenehmer Mix stellt sich für mich im Laufe des Tests ein selbstprogrammiertes Setting heraus. Dem gefälligen Landstraßen-Modus stülpe ich das kräftige Motormapping Sport über und entschärfe anschließend das Ansprechverhalten der Drosselklappe. Schon haben wir ein komfortables und handliches Fahrwerk bei voller Leistung ohne harte Lastwechsel. Könnt ihr bei Harley gerne abschreiben und einprogrammieren. Fährt sich super.
Hohe Tourenscheibe
Apropos super: An meiner Testmaschine ist der höhere Windschild aus dem Harley-Davidson-Zubehör montiert. Damit genießen selbst Fahrer bis 1,90 Meter bis zu einem Tempo von circa 180 km/h hervorragenden Windschutz, ohne dass störende Verwirbelungen den Helm treffen. Ergonomie und Sitzkomfort sind langstreckentauglich. Vier Positionen der Scheibe, die nicht nur deren Höhe, sondern auch die Neigung beeinflussen, sorgen dafür, dass Fahrer jeder Größe eine passende Einstellung finden. Selbst bei Minusgraden ist die Brust damit gut vor dem kalten Fahrtwind geschützt. Armen und Beinen bietet die Verkleidung hingegen wenig Schutz vor Nässe und auch die Hände bleiben trotz Handprotektoren und Griffheizung – bei der Special ist beides ab Werk inklusive – nicht dauerhaft warm.
Für die Bedienung der dreistufigen Griffheizung gibt es eine separate Taste auf der linken Lenkerarmatur. Generell geizt die Pan America nicht mit Schaltern. Auch Fahrmodi und Traktionskontrolle widmet Harley-Davidson ein eigenes Knöpfchen. Für die traditionellen Blinkerschalter auf beiden Seiten des Lenkers fehlt dadurch der Platz. Die Pan America ist also die erste Harley mit einem konventionellen Blinkerschalter auf der linken Seite. Gerade der erntet allerdings Kritik, was die Rückstellfunktion anbelangt. Der mechanische Weg der Rückstelltaste ist extrem kurz und der Schalter spricht so sensibel an, dass man beim Deaktivieren aufpassen muss, den Blinker nicht erneut zu setzen. Ganz so tragisch ist das zum Glück nicht, denn die Pan America deaktiviert den Blinker nach dem Abbiegen ohnehin automatisch. Am besten rührt man den Rücksteller also gar nicht an.
Navigation per Smartphone-App
Anfassen darf und soll man hingegen das kräftige Farbdisplay des Cockpits, das im Stand wie ein Touchscreen bedient werden kann. Während der Fahrt ist die Touch-Funktion gesperrt und nur der Fadenkreuzschalter an der linken Armatur bleibt für die Steuerung. Auch unter direkter Sonneneinstrahlung sind die Instrumente klar ablesbar. Wer nachts nicht geblendet werden will, kann die automatische Helligkeitsregelung im Menü aktivieren. Einen neuen Ansatz verfolgt Harley-Davidson beim Infotainment-System der Pan America – es gibt keines. Lautsprecher sind selbst für Geld und gute Worte nicht zu haben und das Display dient lediglich als Bildschirm für die zugehörige Smartphone-App. In der Praxis ergeben sich dadurch keine Nachteile für den Fahrer. Telefonanrufe und Musik stellt in der Regel ohnehin das Mobilgerät zur Verfügung. Und selbst für die Navigation hält Harley-Davidson eine durchdachte Lösung bereit: Nutzer können das weltweit verfügbare Kartenmaterial kostenlos herunterladen und offline nutzen. Eine aktive Verbindung zum Mobilfunknetz ist nicht nötig, lediglich das GPS des Smartphones muss für die Navigation eingeschaltet sein. Die Stromversorgung des Handys stellt eine USB-C-Steckdose im Cockpit sicher.
Die Anordnung der Informationen im Display der Pan America kann der Fahrer relativ frei bestimmen. Rund um die Tacho-Drehzahlmesser-Einheit in der Mitte können vier Kacheln mit Inhalt gefüllt werden. Die Darstellung der Pfeil-Navigation ist dabei nur eine der Optionen. Wer ohne Navi fährt, lässt sich alternativ Restreichweite, Temperatur, Bordspannung und vieles mehr anzeigen. Für Puristen gibt es eine angenehm reduzierte Ansicht, die sich auf die wichtigen Infos beschränkt.
Parts & Accessories
Selbst ohne Onboard-Infotainmentsystem und mit nur noch einem Blinkerschalter am Lenker kann die Pan America ihre Abstammung nicht verleugnen. Für Motorradfahrer, die mit ihr auf Tour gehen wollen, bedeutet das einen prall gefüllten Zubehörkatalog voller „Parts & Accessories”. Neben der bereits angesprochenen hohen Tourenscheibe sind besonders die unterschiedlichen Gepäcksysteme interessant. Alternativ zu den robusten Aluminiumkoffern im kantigen Adventure-Look bietet Harley-Davidson elegantere Sportkoffer an. Beide Systeme schlucken ähnlich viel Gepäck und werden von denselben Haltepunkten aufgenommen. Darüber hinaus gibt es ein Scheinwerfergitter, Zusatzscheinwerfer, einen Protektor für den Kühler, einen Unterfahrtschutz, höhere oder niedrigere Sitzbänke, Riser für den Lenker und, und, und ...
Fazit
Ihre Feuerprobe haben Pan America und Pan America Special mit Bravour bestanden. Technisch leisten sie sich keine Schwächen, weder beim Fahrwerk noch beim bärenstarken Motor. Dass man in Milwaukee sehr genau auf die Konkurrenz schaute, eigene Traditionen über Bord warf und der anvisierten Zielgruppe ein Adventure Bike nach europäischem Vorbild auf den Leib schneiderte, war offensichtlich die richtige Entscheidung. So stellt die Pan America auf Anhieb eine ernstzunehmende Option im Segment der Reiseenduros dar und hebt sich mit ihrem ungewöhnlichen Design und dem Revolution-Max-V-Twin dennoch vom Establishment ab. Dank Adaptive Ride Height ist sie für kleinere Fahrer zudem so zugänglich wie kaum ein anderes der hochbeinigen Adventure Bikes.
Video-Fahreindrücke der Harley-Davidson Pan America im
Pro - durchzugsstarker Motor
- neutrales Fahrverhalten
- komfortables Fahrwerk
- tourentaugliche Ergonomie
- effektiver Windschutz
Contra - schwer aufzubocken
- fummelige Blinkerrückstellung