Fahrbericht: Royal Enfield Interceptor 650 – Klassik pur

Royal Enfield ist im Umbruch: Mit Hochdruck werden neue Modelle entwickelt. Es gibt aber noch Traditionelles, zum Beispiel die Interceptor 650.
Fahrbericht: Royal Enfield Interceptor 650 – Klassik pur Seit 2018 bietet Royal Enfield die Interceptor 650, die mit ansprechenden Fahrleistungen, stimmiger Verarbeitungsqualität und einer gelungenen Optik gefällt
Fahrbericht: Royal Enfield Interceptor 650 – Klassik pur Auch Details wie die Blinker versprühen den Charme längst vergangener Zeiten
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01.05.2024
| Lesezeit ca. 4 Min.
Ulf Böhringer/SP-X
fbn/Royal Enfield
Das „Gestern“ ist bei Motorradfahrern nach wie vor beliebt; ein Ende der schon seit Jahren andauernden Retro-Welle ist nach wie vor nicht in Sicht. Doch wirklich klassische Motorräder als Neufahrzeuge sind eine Seltenheit. Royal Enfield aus Indien, zugleich ältester noch produzierender Motorradhersteller wie auch ein Großer der Szene, kultiviert diese Nische. Seit 2018 im Programm bietet die auch für den Führerschein A2 taugliche Interceptor 650 ansprechende Fahrleistungen bei einer sehr stimmigen Verarbeitungsqualität und einer gelungenen Optik. Mit 6.990,-- Euro liegt ihr aktueller Preis auf einem angemessenen Niveau und sogar unter dem der Vorjahre.

Seidenweiches Triebwerk

Wer lediglich die einzylindrigen 350er-Bikes von Royal Enfield kennt, ist von der zweizylindrigen Interceptor 650 beeindruckt: Das öl-/luftgekühlte Triebwerk läuft seidenweich und nimmt sehr gesittet Gas an, der Sound aus den beiden verchromten Endschalldämpfern klingt dank 270 Grad Hubzapfenversatz der Kurbelwelle genau so, wie es sich für ein Klassikmotorrad gehört. Schwierigkeiten wegen der Lärmentwicklung in irgendwelchen Alpengegenden sollte es dank lediglich 89 dB(A) Schalldruck nicht geben. Trotz ihres Namens „Abfangjäger“ stellt die Interceptor 650 ganz und gar keine Waffe dar; vielmehr ist sie ein harmonisch fahrbares, unaufgeregtes, aber dabei überhaupt nicht langweiliges oder gar lahmes Motorrad. Beim Höchsttempo von 170 km/h dreht der Motor mit knapp über 7.000 U/min. voll aus, ohne dass üble Vibrationen spürbar sind. Im Normalbetrieb hält man sich zumeist in mittleren und niedrigen Drehzahlbereichen auf, in denen der Paralleltwin eine überaus angenehme Motorisierung darstellt.

Landstraße ist Domäne

Wenn’s mal wirklich auf der Autobahn pressiert, ist auch schnelles Fahren möglich: 170 km/h sind drin, die Fahrstabilität ist auch bei Tempi jenseits der 140 km/h gut. Domäne der unverkleideten Interceptor sind aber nicht Autobahnen, sondern Landstraßen. Diese dürfen gerne auch kurvig sein, denn die 650er gehört zu den handlichen Motorrädern, lässt sich leicht in Schräglage bringen und hält diese im Kurvenverlauf auch stabil. Getrübt wird das Fahrvergnügen lediglich dann, wenn die Straßen nicht nur kurvig, sondern von schlechter Asphaltbeschaffenheit sind, denn dann wird die Fuhre unruhig, die Fahrstabilität ist dahin. In solchen Situationen hilft das erprobte Rezept „Tempo raus“, ganz so, wie man’s auch früher hielt. Die einzelne Bremsscheibe an der Front ist gut dosierbar, zusammen mit der Scheibenbremse hinten ergibt sich eine gute Bremswirkung, wobei sich das Bosch-ABS im Notfall als Sicherheitsfallschirm bewährt.

Elektronisch minimalistisch

Wie für ein bodenständiges Motorrad nicht anders zu erwarten, ist die Zahl der elektronischen Bauteile so gering, wie es die Zulassungsvorschriften eben noch erlauben: Benzineinspritzung, ABS – das war’s auch schon. Ein ganz konventionelles Zünd- und Lenkschloss, Blinkerrückstellung per Knöpfchen, keinerlei Anzeigen für Spritverbrauch (4 bis 4,2 Liter pro 100 Kilometer), Durchschnittstempo oder auch die Uhrzeit. Die Interceptor ist, so gesehen, eine Fahrmaschine, ein absolut pures Motorrad. Dazu passen auch die zwei Rundinstrumente im Cockpit; Anzeigen für Geschwindigkeit und Drehzahl sowie für den Spritvorrat und die gefahrenen Kilometer müssen genügen. Einzig eine USB-Buchse als Tribut an die Jetzt-Zeit findet sich im Cockpit. Mit 217 Kilogramm ist die Interceptor aufgrund ihres robusten Rahmens und ihres kräftigen Motorgehäuses kein Leichtgewicht, aber die Pfunde sind gut austariert, sie stören auch beim Rangieren nicht wirklich.
infotainment

Angenehme Sitzposition

Die maßvolle Sitzbankhöhe und die großzügigen Sitzbankmaße bieten in Verbindung mit den gut platzierten Fußrasten eine für Durchschnittsmenschen als angenehm empfundene Sitzposition, zumal auch die Lenkerbreite und -höhe passen. Die Polsterung des Sitzes wird allerdings von manchem als zu hart empfunden. Keinerlei Kritik gibt es dagegen bei den Rückspiegeln.

Höherwertige Komponenten aus dem Zubehörprogramm

Viele Händler bieten inzwischen alternativ höherwertige Komponenten an und offerieren auch reichlich Zubehör. Denn selbstredend sind viele der Royal-Enfield-Besitzer nicht nur Alltags- und Freizeit-, sondern auch Urlaubsfahrer. Da können ein Windschild, ein Alu-Ölwannenschutz oder ein stählerner Motorschutzbügel sehr sinnvolle Accessoires sein. 25 Zubehörpositionen weist die deutsche Website der Inder für die Interceptor auf. Auch wenn sie höchst traditionelle im besten Sinne klassische Motorräder bauen: Hinter dem Mond leben die indischen Motorradbauer schon lange nicht mehr.
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Motor
Bohrung x Hub 78 x 67 mm
Hubraum 648 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Zweizylinder, luft-/ölgekühlt, vier Ventile pro Zylinder
Abgasreinigung/-norm Euro 5
Leistung 48 PS (35 kW) bei 7150 U/min
Drehmoment 52 Nm bei 5.150 U/min
Verdichtung 9,5:1
Höchstgeschwindigkeit 164 km/h
Wartungsintervalle Erstinspektion nach 500 km, danach alle 5.000 km oder 6 Monate
Kraftübertragung
Kupplung Mehrscheiben-Nasskupplung (Antihopping)
Schaltung 6-Gang
Sekundärantrieb Kette
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Stahlrohrrahmen mit geschraubten Unterzügen
Federelemente vorn hydraulische 41-mm-Teleskopgabel
Federelemente hinten Stereofederbein, fünffach einstellbare Federvorspannung
Federweg v/h 110 mm / 88 mm
Radstand 1.398 mm
Nachlauf 107 mm
Lenkkopfwinkel 66 °
Räder Speichenräder
Reifen vorn 100/90 - 18
Reifen hinten 130/70 - 18
Bremse vorn schwimmende 320-mm-Scheibenbremse
Bremse hinten 240-mm-Scheibenbremse
Maße & Gewicht
Länge 2.119 mm
Breite 788 mm
Höhe 1.120 mm
Gewicht 217 kg
Maximale Zuladung 200 kg
Sitzhöhe 804 mm
Standgeräusch 92 dB(A)
Fahrgeräusch 75 dB(A)
Tankinhalt 13 Liter
Fahrerassistenzsysteme ABS
Fahrzeugpreis ab 7.490 €
Sonstiges Preis ab 2022: ab 7.090,-- Euro

ab 2022 als Jubiläumsversionen erhältlich

Preis ab 2023: ab Werk 7.490,-- Euro

Preis ab 2024: ab Werk ab 6.990,-- Euro
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Kommentare (4)
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ewi
22.05.2024 00:50


Die Fahrqualität auf schlechten Landstraßen hängt nicht unwesentlich von den Reifen ab. Meine Interceptor (Bj. 2020) hatte als Erstbereifung Pirelli Phantom, die in schnellen Kurven auf welligen Untergrund, evtl. auch schon geflickten Asphalt; schnell unruhig wurden. Die nachfolgende Bereifung wurde Bridgestone BT46 (ich fahre sie vorne mit 2,6 bar, hinten mit 2,8 bar), die in denselben Fahrsituationen deutlich ruhiger liegen, wenn auch nicht wie ein Brett. Spurrillen machen ihnen nicht viel aus. Die Pirelli waren auch bei Nässe nicht sehr vertrauenserweckend. Die heutige Erstausrüstung (Ceat) dürfte nicht besser sein als die Pirelli. In Royal-Enfield-Foren werden für die Interceptor neben den BT46 auch noch die Michelin Road Classic, die GontiGo und die Avon Roadrider Mk2 gelobt.

Ferner sind auch die hinteren Dämpfer nur optisch gut. Sie sollten selbst bei Fahrten ohne Sozia mind. auf Stufe 3 eingestellt werden. Die Stufen 1 und 2 sind einfach zu soft.
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TobiK
13.05.2024 08:26


finds cool das die so auf tradition setzen aber trotzdem moderne features wie usb buchse nich vergessen. klassik mit n bisschen heute gemixt find ich top.
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TwinBob66
02.05.2024 14:55


Kein Schnickschnack und trotzdem ne USB-Buchse? Wie passt das in die Retro-Welt? Sind wir nicht bisschen zu modern hier?
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RetroRider84
02.05.2024 14:54


Die minimalistische Ausstattung der Interceptor bringt das wahre Motorraderlebnis zurück, finde ich. Es ist wie eine Zeitreise auf zwei Rädern ohne unnötigen Schnickschnack. Hat schon jemand Langstrecken damit bestritten und kann berichten, wie sich das „traditionelle“ Fahren auf den modernen Straßen schlägt?