Tiger (Panthera tigris) gehören zur Familie der Großkatzen und zur Ordnung der Raubtiere. Es handelt sich um Einzelgänger, die aufgrund ihrer Größe so gut wie keine Feinde haben, die ihnen gefährlich werden können. Etwa zwei Meter lang ist beispielsweise ein männlicher sibirischer Tiger vom Kopf bis zum Beginn des Schwanzes, maximal bringt er 250 Kilogramm auf die Waage. Angehörige kleinerer Arten lassen es schon mit 120 Kilogramm bei 140 Zentimetern Kopf-Rumpf-Länge bewenden. Es sieht also ganz so aus, als habe Triumph für die neue Tiger 900 exakt Maß genommen …
Die Tiger 900 GT Pro flitzt flüssig durch Kurven aller Radien. Tiger ist für Triumph eine Traditions-Modellbezeichnung. Schon während des ersten Triumph-Lebens gab es eine Tiger-Baureihe, seinerzeit mit 500er-Zweizylindermotor. Und bereits drei Jahre nach der 1990 erfolgten Wiedergeburt der englischen Marke wurde erneut eine Tiger 900 ins Programm genommen; ihr Dreizylinder-Vergasermotor wies 885 Kubikzentimeter Hubraum auf und leistete 85 PS. Bis 1998 blieb die Tiger 900 im Programm; ersetzt wurde sie durch die mit Benzineinspritzung versehene Tiger 885i, die damals zwei PS Leistung verlor. Während sich die Tiger über diverse Zwischenmodelle zur Riesen-Reiseenduro Tiger Explorer (ab 2012, 1215 ccm, 135 PS) entwickelte, erinnerte man sich in Hinckley/England der Firmentradition und schuf 2010 mit der Tiger 800 (799 ccm, 95 PS, 79 Nm bei 7.850/min) eine neue Mittelklasse-Reiseenduro. Dieser folgt nun die neue Tiger 900 (888 ccm, 95 PS, 87 Nm bei 7.250/min), deren Nominalleistung zwar nicht gestiegen ist, die dafür aber ein deutlich höheres maximales Drehmoment aufweist. Sie ist in fünf verschiedenen Varianten lieferbar. Hier und heute beschäftigen wir uns mit der Tiger 900 GT Pro, der Spitzenversion der drei eher asphaltaffinen Modellvarianten mit Komplettausstattung, darunter elektrisch einstellbarem Zentralfederbein und serienmäßigem Zweiwege-Schaltassistenten.
Leichter, leistungsfähiger, agiler und dynamischer als die Tiger 800 sollte die 900er werden und dabei im Vergleich zu den Wettbewerbsmodellen (BMW F 850 GS, Honda Africa Twin 1000, mittlerweile auch KTM 790 Adventure) die Messlatte auf eine insgesamt neue Höhe legen – nicht gerade ein Ziel, das man „einfach so“ erreichen kann. Triumph hat deshalb auch viel Hirnschmalz investiert und zudem ein Design geschaffen, dem so gut wie alle Betrachter ohne Einschränkungen folgen können: „Die schaut richtig gut aus“, war der Standardkommentar, egal ob an der Tankstelle oder am derzeit meist nur schwach frequentierten Motorradtreff. Gehen wir erst einmal auf die zentralen Daten der neuen Tiger 900 GT Pro ein. Wie alle ihre Tiger-Schwestern weist sie einen neu gezeichneten Gitterrohrrahmen mit angeschraubtem Heckrahmen und ebenfalls angeschraubten Soziusfußrastenauslegern auf. Die Marzocchi-USD-Gabel misst 45 mm, Zug- und Druckstufe sind einstellbar, der Federweg beträgt 180 mm. Hinten arbeitet ein Gasdruck-Federbein desselben Herstellers mit 170 mm Federweg, bei dem Vorspannung und Zugstufe elektrisch einstellbar sind. Aus diesen Fahrwerksdaten resultiert eine Sitzhöhe von wahlweise 810 oder 830 mm (die mit 240/230 mm Federweg aufwartenden Rallye-Modelle liegen bei mindestens 850 mm Sitzhöhe). Nicht gespart hat Triumph auch bei der Dreischeiben-Radialbremsanlage: Die Vierkolben-Sättel vorne sind Monoblocks des Typs Brembo Stylema, die zwei Scheiben sind je 320 mm groß. Allerdings sind die Beläge eher von der sanften als der brutal-bissigen Sorte – für die meisten Fahrer sicherlich eine gute Wahl. Hinten arbeitet eine 255 mm kleine Scheibe mit Brembo Einkolben-Schwimmsattel; absolut ausreichend für die vollgetankt 216 Kilogramm wiegende Tiger 900 GT Pro. Hinterlegt ist ein ABS, das durch eine von Continental bezogene Sechsachsen-IMU mit Daten versorgt wird und sämtliche Spielarten (Abhebeerkennung, Schräglagenfähigkeit etc.) beherrscht. Mit 1.556 mm Radstand, 930 mm Lenkerbreite sowie einem Lenkkopfwinkel von 24,6 Grad hat Triumph mit 19-Zoll-Vorderrad und 17-Zoll-Hinterrad Werte realisiert, die ein sehr neutrales, dabei aber agiles Fahrverhalten erwarten lassen, wobei die Reifenbreiten mit 100 mm vorne und 150 mm hinten moderat ausgefallen sind. Es werden Aluminiumgussräder montiert.
Charakterstarker Dreizylinder
Der komplett neu entwickelte Triple ist selbstverständlich nach Euro 5 homologiert und damit zukunftssicher; der Triple setzt auf eine neuartige 1-3-2-Zündfolge. Dass hierdurch mehr Charakter und Feeling aufkommen, ist schon im Leerlauf spürbar. Unter Last ist ein starker Ansaug-Sound hörbar, das Auspuffgeräusch ist ebenfalls markanter, ohne deshalb aber als laut oder gar störend empfunden zu werden, und zwar weder vom Fahrer noch von der oftmals lärmgeplagten Umgebung. Das Ansprechverhalten des Motors ist ausgesprochen gelungen, die vier Fahrmodi (Regen, Straße, Sport, Offroad) unterscheiden sich wahrnehmbar; zudem gibt es die Möglichkeit, sich ein individuelles Setup zu konfigurieren. Nicht unerwähnt bleiben soll die im Gelände durchaus nützliche „Anti-Stall“-Funktion im Modus Offroad; sie hebt automatisch die Leerlaufdrehzahl an und soll damit ein Abwürgen des Motors erschweren. Im Offroad-Modus erfolgt die Gasannahme besonders weich, die Traktionskontrolle arbeitet mit reduziertem Einsatz, das ABS bleibt vorne und hinten aktiv, doch werden die Eingriffspunkte anders gewählt als auf der Straße. Für ein Motorrad mit klar unter 200 mm Federweg ist das eine absolut stimmige Auslegung.
Schraubenzähler können sich am Triumph-Triple austoben… der Motorunterschutz reicht aus.
10 Prozent mehr Drehmoment
Der Dreizylinder bietet im Vergleich zum Vorgängermotor bei fast jeder Drehzahl rund zehn Prozent mehr Drehmoment. Das führt zu einem insgesamt sehr souveränen Auftritt, zu sehr guter Elastizität und dank stimmiger Übersetzungen in den Gängen zu prima Durchzugswerten. Die Tiger 900 lässt sich schaltfaul und damit sparsam fahren, feuert aber bei Bedarf „aus allen Rohren“. Die Drehfähigkeit des Triples wird man nur selten voll ausreizen, denn schon mit mittleren Drehzahlen gehört man eindeutig zu den Schnellen im Lande.
Erwähnenswert erscheinen uns noch einige Änderungen bei der Peripherie des neuen Motors. So kommt nun ein Doppel-Kühlersystem zum Einsatz. Es benötigt weniger Kühlmittel und ist daher kleiner und leichter. Zudem verbessert es die Kühlleistung und reduziert so die vom Fahrer empfundene Motorwärme. Dank seiner Form und Abmessungen ermöglicht es zudem den Einbau des Motors weiter vorne; daraus resultiert ein optimierter Schwerpunkt, der um 40 mm nach vorne und 20 mm tiefer rückt. Das wiederum verbessert die Gewichtsverteilung und führt als Konsequenz zu einem spürbaren Plus bei Handling und Balance in niedrigem Tempo. Auch bei Ölwanne und Kühlsystem hat Triumph jetzt mehr Wert auf reichliche Bodenfreiheit gelegt, indem man diese Bereiche optimiert hat. Leichter zugänglich ist nun der Luftfilter, zudem bringt eine drehmomentunterstützte Anti-Hopping-Kupplung dank niedriger Bedienkräfte mehr Fahrkomfort. Bei der GT Pro-Version wird dieser durch den sehr leichtgängigen und selbst bei geringer Last ausnehmend gut funktionierenden Schaltassistenten weiter gesteigert.
Schnell und sparsam
Das Fahren auf Land- und Bergstraßen, auf Güterwegen wie auf Autobahnen ist mit der Tiger 900 GT Pro durchwegs erfreulich; das Motorrad lässt sich leicht einlenken, durcheilt Kurven aller Radien sehr stabil und ohne zu kippeln. Das Aufstellmoment beim Bremsen in Schr&aeglage ist gering und wird zudem durch das kurvenfähige ABS im Zaum gehalten, wenn man wirklich mal stärker in die Eisen muss. Auch technisch schwächere Fahrer mit geringerer Erfahrung tun sich mit der Tiger 900 leicht. Sie wirkt fehlerverzeihend, man wird schnell mit ihr vertraut.
Gut positioniert sind die Sozius-Haltegriffe, die mit dem etwas schmalen Gepäckträger eine Einheit bilden. Wer’s drauf anlegt, kann mit der Tiger 900 GT Pro aber auch nahezu den Asphalt aufreißen: Bei Bedarf vollzieht sich der Geschwindigkeitszuwachs so rasant, dass man an der Leistungsangabe von 95 PS zu zweifeln beginnt. Motorrädern derselben Gewichtsklasse mit Leistungen von etwa 105 PS erscheint die Tiger subjektiv jedenfalls nicht unterlegen zu sein.
Unser durchschnittlicher Verbrauch betrug während der gut 2.000 Testkilometer rund 4,8 Liter/100 km und damit fast einen halben Liter weniger als der Normwert. Dabei wurden allerdings fast ausschließlich Land- und Bergstraßen in einem Tempo befahren, das keinen Ad-hoc-Führerscheinverlust befürchten ließ. Das bedeutet, dass die Praxisreichweite einer 20-Liter-Tankfüllung an die 400 Kilometer beträgt. Wir tankten beispielsweise nach 366 Kilometern gerade 17,3 Liter nach. Die Reichweitenangabe im bestens ablesbaren Display springt bei zügig-harmonischer Fahrt sehr früh in den Warnmodus, nämlich bei noch fast 100 Kilometern Restreichweite. Womit wir bei einem weiteren wichtigen Punkt angelangt sind, nämlich der Ausstattung der Tiger 900 GT Pro. Sie ist ungewöhnlich komplett, zählen doch sogar hinterleuchtete Lenkerschalter, Reifendruckkontrolle oder eine Sitzheizung zum Serienstandard. Auch ein bestens bedienbarer Tempomat, Griffheizung, LED-Licht vorne und hinten sowie Zusatzscheinwerfer gehören dazu. Außerdem hat Triumph an die Unterbringung des Smartphones gedacht: Unterm Sitz findet sich ein sicheres Fach inklusive 5-V-USB-Anschluss. Damit können das Smartphone wie auch das My Triumph Connectivity-System auch auf langen Touren verwendet werden. An die Bedienung des sehr umfänglichen Bordcomputers mittels des Fünfwege-Joysticks links am Lenker gewöhnt man sich relativ schnell.
Die Kombination aus My Triumph Connectivity-System und App ermöglicht es, beim Fahren Telefonanrufe und Musikwiedergabe sowie eine Pfeil-Navigation als auch eine GoPro-Steuerung laufen zu lassen. Das TFT-Display ist mit 7-Zoll-Diagonale sehr groß ausgefallen; es lassen sich vier Styles wählen. Der Kontrast ist gut bis sehr gut, die Einschränkungen bei direkter Sonneneinstrahlung sind geringfügig. Nicht außer Acht lassen wollen wir die Ergonomie der Tiger 900 GT Pro. Sie nähert sich stark derjenigen von diversen BMW-Modellen an, die diesbezüglich seit Jahren vorbildlich sind. Doch Sitzposition, Rasten-Situierung, die Ausformung des Sitzes wie auch seine Polsterhärte und auch die Aerodynamik mittels des einhändig verstellbaren Windschilds sind der Spitzenklasse zuzurechnen. Da haben die englischen Ingenieure offenbar sehr exakt Maß genommen … Gut gefällt übrigens auch die edel gestaltete Scheinwerfereinheit; das integrierte Tagfahrlicht ist ebenfalls serienmäßig.
Kein Schnäppchenpreis
Dass eine solchermaßen sehr üppig ausgestattete Triumph Tiger 900 GT Pro nicht zum Schnäppchenpreis zu haben ist, liegt auf der Hand. Triumph Deutschland ruft einen „Ab-Preis“ von 14.750,-- Euro auf. Verglichen mit einer BMW F 850 GS (ab 12.120,-- Euro) schneidet die Triumph nicht schlecht ab, sind im Falle der BMW doch einige Tausender zusätzlich zu investieren, um sie in puncto Ausstattung vergleichbar zu machen. Im Vorteil erscheint diesbezüglich die KTM 790 Adventure (ab 12.795,-- Euro) mit ihrer sehr vollständigen Fahrsicherheitsausstattung. Die mittlerweile neue Honda Africa Twin 1100 ist anders platziert; ihr ist eher die Tiger 900 Rallye Pro zuzuordnen. Absolut mithalten kann die Tiger 900 GT Pro mittlerweile auch bei der Güte des Gepäcksystems: Es ist leicht bedienbar und gut nutzbar.
Fazit
So bleibt als Fazit des umfangreichen Fahrtests der Triumph Tiger 900 GT Pro nur übrig, dem Hersteller eine ausdrückliche Anerkennung für die konsequente Arbeit auszusprechen. Die Tiger 900 in der getesteten Ausführung fährt sich ausgezeichnet und lässt sich leicht bedienen; man fühlt sich als Fahrer bestens aufgehoben und bequem untergebracht (zumindest, solange man nicht ein ausgesprochenes Gardemaß aufweist). Der Fahrkomfort ist ausgezeichnet, die Triebwerks- und auch die sonstigen Antriebsqualitäten (Getriebe, Elektronik) überzeugen. Problematisch könnte die Tiger 900 allenfalls für Triumph selbst sein: Schlagende Argumente für den Kauf der mächtigen Tiger Explorer lassen sich nur noch schwerlich finden. Alles in allem lohnt der Blick auf die Tierwelt: Panthera tigris gilt nicht ohne Grund als unangreifbar …