
All diese Leckereien hat die Neue beibehalten, nur intensiv auf den aktuellen Stand der Technik gebracht. Die meiste Arbeit war dabei dem Antrieb vergönnt, der sich grundlegend renoviert zeigt: Der V-Mann erhielt eine neue Kurbelwelle mit mehr Hub für nun 896 ccm Hubraum, die Kolben gerieten leichter und bekamen eine reibungsmindernde Beschichtung spendiert, dazu werkelt eine Semi-Trockenschmierung, die Panschverluste und innere Reibung minimiert. So viel Aufwand sollte sich doch in den technischen Daten gewaltig niederschlagen, doch die angegebenen 95 PS bei 8.750 U/min entsprechen denen der Vorgängerin, allerdings bei sattsam gestärktem Drehmoment von 90 Nm bei 6.500 U/min. Mehr Leistung erschien den Verantwortlichen in Noale nicht sinnvoll, denn nur so kann Aprilia auch eine 48-PS-Version für Führerschein-A2-Inhaber anbieten, die nach Beendigung der Stufenführerschein-Frist mit geringen Kosten entdrosselt werden kann.

Auf den Fahrspaß hat das keine nachteiligen Auswirkungen, im Gegenteil: Die neue, drehmomentoptimierte Leistungscharakteristik steht der Shiver ausgezeichnet. Der flüssigkeitsgekühlte Vierventiler geht schon ab 2.500 Touren angenehm ans Gas, hat seine stärksten Momente im mittleren Drehzahlbereich zwischen 4.000 und 7.000 Umdrehungen, wo man den Drehmomentzuwachs förmlich spürt, und rollt nach oben hin ein wenig aus. Das tut er zwar nicht unwillig, doch am meisten Spaß macht der Aprilia-V eben in der Mitte. Angesichts der Motorcharakteristik kann, wer möchte, die Shiver mit vergleichsweise wenigen Schaltvorgängen im ordentlich schaltbaren Sechsganggetriebe bewegt werden.

Elektronikpaket auf den aktuellen Stand gebracht
Rundum neu und auf den aktuellsten Stand gebracht zeigt sich das umfangreiche Elektronikpaket, wie es nach der Vorreiterrolle der ersten Shiver mittlerweile in der Mittelklasse Standard ist. So bietet die Shiver drei Fahrmodi an, mit denen sich der Charakter des Triebwerks spürbar ändert: Bei Sport und Tour gibt es das volle Programm mit unterschiedlicher Aggressivität, bei Rain wird die Spitzenleistung auf etwa 70 PS gekappt bei sehr zurückhaltender Kraftentfaltung. Enger ist die Abstufung der dreistufigen Traktionskontrolle, die sich auch abschalten lässt. Traktionskontrolle und Fahrmodi lassen sich während der Fahrt leicht und einfach umschalten. All das funktioniert wie gewünscht, einzig das kernigere Ansprechverhalten im Sport-Modus könnte man monieren. Unterm Strich darf man den Motorenentwicklern aber zu ihrem Gesamtwerk gratulieren – gut gemacht! Ein ähnliches Lob bekommt die Sitzposition ab: In nicht allzu luftigen 810 Millimetern Höhe ergibt sich eine gemäßigt sportliche Sitzposition mit nicht zu engen Kniewinkeln, die Ausbuchtungen am Tank erlauben einen guten Knieschluss.
Und wie ist es um das Fahrwerk bestellt? Beim Anschauen hat der modular aufgebaute Rahmen aus Stahlrohren und Leichtmetallprofilen nichts von seiner Faszination eingebüßt, er ist wie das direkt angelenkte Federbein auf der rechten Fahrzeugseite ein optischer Leckerbissen. Trotz der kompakten Anmutung ist die Shiver aber kein Kurvenflitzer par excellence. Bei ihr dominiert neutrale Stabilität, sie verlangt zum Einlenken eine sichere Hand, dann eilt sie sauber durch die Ecke und vermittelt auch in satter Schräglage ein gutes Gefühl bester Stabilität. Sie reagiert nur etwas unwirsch auf Asphaltunebenheiten, denn der auf die (über-)breite Sechszoll-Felge hinten gezwungene 180/55er-Heckpneu vermittelt der 218 Kilo leichten Fuhre immer eine Tendenz zum Aufrichten.

Beim Fahrkomfort verdienen sich die beiden in Zugstufe und Vorspannung einstellbaren Federelemente die Note gut, besonders sensibel spricht das Federbein aber nicht gerade an. Klassenüblich, könnte man auch sagen. Das gilt im Großen und Ganzen auch für die Stopporgane, die sich exakt dosieren lassen und effektiv, aber nicht ausgesprochen glasklar zu Werke gehen. Beim ABS zeigt sich der Sportsgeist Aprilias, denn das System greift vergleichsweise spät ein.