Dirk Bertram
Milagro/Aprilia
Aprilia gilt seit den ersten Tagen als besonders innovativer Motorradhersteller, der sich technischen Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen gibt und seine Modelle gerne damit ausrüstet. Zu diesem Ruf hat die zuvor erwähnte Shiver SL 750 ihren Teil beigetragen, denn als sie 2007 vorgestellt wurde, war sie ein durch und durch bemerkenswertes Motorrad: Die Shiver führte als erstes Motorrad ein Ride-by-Wire in der Mittelklasse ein, zeigte dazu einen attraktiven Modulrahmen aus stählernen Gitterrohren und Leichtmetallprofilen und war mit einem aufwendigen 90-Grad-V-Motor mit der entsprechenden Charakteristik versehen.
All diese Leckereien hat die Neue beibehalten, nur intensiv auf den aktuellen Stand der Technik gebracht. Die meiste Arbeit war dabei dem Antrieb vergönnt, der sich grundlegend renoviert zeigt: Der V-Mann erhielt eine neue Kurbelwelle mit mehr Hub für nun 896 ccm Hubraum, die Kolben gerieten leichter und bekamen eine reibungsmindernde Beschichtung spendiert, dazu werkelt eine Semi-Trockenschmierung, die Panschverluste und innere Reibung minimiert. So viel Aufwand sollte sich doch in den technischen Daten gewaltig niederschlagen, doch die angegebenen 95 PS bei 8.750 U/min entsprechen denen der Vorgängerin, allerdings bei sattsam gestärktem Drehmoment von 90 Nm bei 6.500 U/min. Mehr Leistung erschien den Verantwortlichen in Noale nicht sinnvoll, denn nur so kann Aprilia auch eine 48-PS-Version für Führerschein-A2-Inhaber anbieten, die nach Beendigung der Stufenführerschein-Frist mit geringen Kosten entdrosselt werden kann.
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Die komplette Ausgabe 82/2017 von Motorrad & Reisen als PDF
Inhalt:
- PDF-e-Paper-Ausgabe - 116 Seiten
Zuletzt aktualisiert: 01.09.2017
Motorräder: BMW R nineT, Aprilia Shiver 900, Honda CB & CBR650F, BMW R 1200 RT, Yamaha SCR950, Kawasaki Z900
Touren: Kurven, Burgen und Wein - Mosel, Drumherum statt mittendurch - Harz, Dolomiten, Donnersbergrunde Pfälzer Wald, Ostseeküste und Hinterland: Fischland – Darß
Auf den Fahrspaß hat das keine nachteiligen Auswirkungen, im Gegenteil: Die neue, drehmomentoptimierte Leistungscharakteristik steht der Shiver ausgezeichnet. Der flüssigkeitsgekühlte Vierventiler geht schon ab 2.500 Touren angenehm ans Gas, hat seine stärksten Momente im mittleren Drehzahlbereich zwischen 4.000 und 7.000 Umdrehungen, wo man den Drehmomentzuwachs förmlich spürt, und rollt nach oben hin ein wenig aus. Das tut er zwar nicht unwillig, doch am meisten Spaß macht der Aprilia-V eben in der Mitte. Angesichts der Motorcharakteristik kann, wer möchte, die Shiver mit vergleichsweise wenigen Schaltvorgängen im ordentlich schaltbaren Sechsganggetriebe bewegt werden.
Elektronikpaket auf den aktuellen Stand gebracht
Rundum neu und auf den aktuellsten Stand gebracht zeigt sich das umfangreiche Elektronikpaket, wie es nach der Vorreiterrolle der ersten Shiver mittlerweile in der Mittelklasse Standard ist. So bietet die Shiver drei Fahrmodi an, mit denen sich der Charakter des Triebwerks spürbar ändert: Bei Sport und Tour gibt es das volle Programm mit unterschiedlicher Aggressivität, bei Rain wird die Spitzenleistung auf etwa 70 PS gekappt bei sehr zurückhaltender Kraftentfaltung. Enger ist die Abstufung der dreistufigen Traktionskontrolle, die sich auch abschalten lässt. Traktionskontrolle und Fahrmodi lassen sich während der Fahrt leicht und einfach umschalten. All das funktioniert wie gewünscht, einzig das kernigere Ansprechverhalten im Sport-Modus könnte man monieren. Unterm Strich darf man den Motorenentwicklern aber zu ihrem Gesamtwerk gratulieren – gut gemacht! Ein ähnliches Lob bekommt die Sitzposition ab: In nicht allzu luftigen 810 Millimetern Höhe ergibt sich eine gemäßigt sportliche Sitzposition mit nicht zu engen Kniewinkeln, die Ausbuchtungen am Tank erlauben einen guten Knieschluss.
Und wie ist es um das Fahrwerk bestellt? Beim Anschauen hat der modular aufgebaute Rahmen aus Stahlrohren und Leichtmetallprofilen nichts von seiner Faszination eingebüßt, er ist wie das direkt angelenkte Federbein auf der rechten Fahrzeugseite ein optischer Leckerbissen. Trotz der kompakten Anmutung ist die Shiver aber kein Kurvenflitzer par excellence. Bei ihr dominiert neutrale Stabilität, sie verlangt zum Einlenken eine sichere Hand, dann eilt sie sauber durch die Ecke und vermittelt auch in satter Schräglage ein gutes Gefühl bester Stabilität. Sie reagiert nur etwas unwirsch auf Asphaltunebenheiten, denn der auf die (über-)breite Sechszoll-Felge hinten gezwungene 180/55er-Heckpneu vermittelt der 218 Kilo leichten Fuhre immer eine Tendenz zum Aufrichten.
Beim Fahrkomfort verdienen sich die beiden in Zugstufe und Vorspannung einstellbaren Federelemente die Note gut, besonders sensibel spricht das Federbein aber nicht gerade an. Klassenüblich, könnte man auch sagen. Das gilt im Großen und Ganzen auch für die Stopporgane, die sich exakt dosieren lassen und effektiv, aber nicht ausgesprochen glasklar zu Werke gehen. Beim ABS zeigt sich der Sportsgeist Aprilias, denn das System greift vergleichsweise spät ein.
Mehr Elektronik bei der Ausstattung
Entsprechend der auch bei der Neuauflage technisch anmutenden Ausstrahlung hat bei der Ausstattung erwartungsgemäß deutlich mehr Elektronik Einzug gehalten als bei der „alten“ Shiver. Als Sinnbild darf das neue TFT-Display gelten: Das selbsttätig vom Taglicht- in den Nachtmodus wechselnde Display stellt den jeweiligen Fahrmodus und den eingelegten Gang sehr gut ablesbar dar, nur der schmale Balken-Drehzahlmesser verlangt einen schärferen Blick. Wer mag, kann sich hier auch den Durchschnittsverbrauch anzeigen lassen – mit ihren 15 Litern Sprit im Tank sollte die Shiver jedenfalls immer weiter als 250 Kilometer kommen. Vergleichsweise zurückhaltend fällt dagegen die Preisgestaltung aus: 8.990 Euro für die Shiver sind eingedenk des souveränen Motorenupgrades und der größeren Vielseitigkeit nicht zu viel verlangt.