Nun haben wir uns einen ausgiebigen Fahrtest auf die Fahnen geschrieben, um zu sehen, wie langstreckentauglich die Luxusmaschine ist und wie sie sich in verschiedenen Umgebungen präsentiert. Als geeignete Umgebung für die unterschiedlichen Testbedingungen haben wir uns den Chiemgau ausgewählt.
Der erste Eindruck ist vielversprechend
Zuerst jedoch ein klein wenig graue Theorie. Motor – Sechszylinder Reihe, 1.649 Kubik, 160 PS, 175 Newtonmeter. Sollte ausreichen. Weiter im Text: ausladende Karosserie – ja, bei der großen BMW heißt das so – riesiges Windschild, Bordcomputer mit allem möglichen Firlefanz, Soundanlage, Koffer und Topcase, das sogar mit Innenbeleuchtung und Gasdrucklift. Beheizbare Griffe und Sitze muss ich in diesem Zusammenhang, glaube ich, nicht noch extra erwähnen.
Das integrierte Navi im Cockpit der K 1600 GTL ist ein klares Plus Nun heißt es also: Bitte Platz nehmen! Ich setzte mich ins Motorrad und drücke aufs Knöpfchen ... ja, richtig gelesen: ins Motorrad. Anders vermag ich es nicht zu beschreiben. Der Sitzplatz ist, mit Verlaub gesagt, schweinegeil! Der Popo findet eine Sitzmulde vor, deren hintere Fläche weit hinauf in den Rücken reicht. Eine perfekte Abstützung und auf Anhieb das bequemste Motorrad, auf dem ich je Platz nehmen durfte. Captain Kirk wäre begeistert von diesem Chefsessel! Dieselbe Meinung kommt umgehend von der charmanten Beifahrerin. Auch sie sitzt bequemer als jemals zuvor. Donnerwetter, derartige Aussagen hört man nicht so oft. Aber ich sagte, ich drücke aufs Knöpfchen – natürlich schlüssellos – und die Maschine erwacht zum Leben. Das kombinierte Analog-/Digital-Cockpit erinnert eher an einen PKW als an ein Motorrad. Auch hier drängt sich der Vergleich zu einem Dashboard auf der Enterprise geradezu auf. Cool! Sogar ein Navi ist integriert. Das hätte ich mir allerdings etwas größer gewünscht. Da man schon recht weit von der „Windschutzscheibe“ entfernt sitzt, würde ich die Ablesbarkeit lediglich als ausreichend beschreiben. Aber dafür lässt es sich leicht entfernen und mit auf das Hotelzimmer nehmen, um beispielsweise die nächste Tour zu planen.
Die Bremsen funktionieren in zufriedenstellenden Parametern
Der Bordcomputer lässt keine Wünsche offen
Das 5,7” große Farbdisplay der eigentlichen Kommandozentrale (mit automatischer Helligkeitsregelung) kann verschiedene Untermenüs darstellen. Griff- und Gesäßheizung gehören ebenso dazu wie Audioeinstellungen, alle möglichen Motordaten, Reichweite und so weiter und so fort. Ein kompletter Bordcomputer also, der keine Wünsche offenlässt. Bedient wird das ganze am linken Lenkerende per Drehrad, das man kippen und drücken kann. Nur kurz ist die Eingewöhnungszeit, die Informationen werden umgehend und gut ablesbar angezeigt. Nur wenn die Sonne ungünstig steht, spiegelt die Oberfläche so, dass die Lesbarkeit sehr stark beeinträchtigt wird.
Zwei kleine Fächer in der Karosserie bieten zusätzlichen Stauraum
Triebwerksstart und Zerstörung jeglicher Illusion
Zurück zum Triebwerksstart. Das Aggregat im Maschinenraum verdient einfach keine andere Bezeichnung. Der passende Sound wird von den sechs Zylindern gleich mitgeliefert. Die Geräuschkulisse entspricht eher der der „USS Enterprise“ als einem Verbrennungsmotor. Die „Turbine“ säuselt absolut ruhig vor sich hin, eine sagenhafte Laufruhe! Keinerlei Vibrationen sind zu spüren, eine Art Energie durchströmt die Maschine und wartet geradezu darauf, jederzeit abgerufen zu werden. Also los, auf zur ersten Etappe: die Autobahn, um schnell zur Testroute zu gelangen. „Warp 1, Mister Sulu!“ Klonk! Die Illusion der Enterprise wird jäh zerstört von einem gar nicht passenden Geräusch. Es hört sich an, als ob im Maschinenraum vorsintflutliche Zahnräder in einen Schacht aus Stahl geworfen werden, um irgendwann den Kraftschluss herzustellen. Das habe ich ganz anders erwartet. Nun gut – die Maschine hat erst wenige Flugstunden hinter sich. Wir verlassen nun die Basis und nähern uns der Transitstrecke, das Triebwerk wird hochgefahren, die Geschwindigkeit steigt. Wie an einem imaginären Gummiband gezogen, geht es mit spürbarer Kraft linear vorwärts. Die Geschwindigkeit nimmt weiter zu, während aus dem Maschinenraum die Fahrstufenwechsel weiterhin unüberhörbar erfolgen. Elektrisch verstelle ich den Windschild, fahre ihn in eine höhere Position und augenblicklich herrscht Ruhe. Fantastisch! Geradezu automobiler Komfort. Lediglich der Winddruck kommt nun durch die Strömung quasi von hinten. Dies ist gewöhnungsbedürftig, aber eigentlich nicht der Rede wert.
Seitenkoffer und Topcase mit formschönen Bordtaschen
Jegliches Tempogefühl geht verloren
Dummerweise geht dabei aber auch der physische Eindruck der Geschwindigkeit flöten. Erst der Blick auf den gut ablesbaren Geschwindigkeitsmesser offenbart erschreckenderweise, dass wir schon mit über 200 km/h unterwegs sind. Gefühlt würde ich von gerade einmal 120 Stundenkilometern sprechen. Alle Achtung und Hut ab! Oder, wie Mister Spock sagen würde: „Faszinierend!“ Dass sich dabei keinerlei Unruhe im Fahrwerk bemerkbar macht, sei nur am Rande erwähnt. Unbeirrbar zieht die K ihre Bahn. So kann man Lichtjahre, ähm Kilometer um Kilometer abspulen. Dass die Verzögerung der Bremsanlage dem Gesamtkonzept angepasst reagiert, kann man von BMW eigentlich erwarten. Wir werden auch nicht enttäuscht: Die Energieumwandler funktionieren in zufriedenstellenden Parametern. Die Verzögerung drückt mich fulminant nach vorne, gerade in dieser Gewichtsklasse nicht immer selbstverständlich. Die Dosierbarkeit entspricht dem Einsatzzweck und den Erwartungen, Sportler beispielsweise vermitteln da mehr Rückmeldung, bremsen aber bisweilen nicht so homogen. Die Bremse passt dennoch – oder gerade deshalb – sehr gut zum Gesamtkonzept. Transitwegtest mit Bravour bestanden, aber das war ja bei dieser Grundkonfiguration auch nicht anders zu erwarten. Viel interessanter aber ist die Frage: Wie macht sich die große BMW, wenn es kurvig, bergig und verwinkelt wird? Also, auf geht’s!
Das Topcase der K 1600 GTL dürfte auch ein paar Zentimeter größer ausfallen, um alles Notwendige darin verstauen zu können
Beladungskonzept nicht voll überzeugend
Mit Sozia und kompletter Zuladung ab in die Berge. Beim Beladen der Frachträume fallen einige Eigenschaften auf – sowohl positiv als auch negativ. Fangen wir mit den guten Dingen an. Stauraum ist reichlich vorhanden, sowohl die Seitenkoffer als auch das Topcase verfügen über viel Platz. Zwei kleine, ebenfalls abschließbare Fächer in der Karosserie ergänzen den praktischen Nutzwert. Zwar sind diese etwas tief angeordnet, aber das stört eigentlich kaum. Im Topcase und auch in den seitlichen Kunststoffboxen befinden sich jeweils formschöne Bordtaschen. Einerseits praktisch, um die Reiseutensilien sauber und ordentlich verstaut in die neue Unterkunft zu bringen (sogar Umhängegurte sind vorhanden), andererseits verschwendet man dadurch nicht nur wertvollen Platz, sondern auch das Beladungskonzept will nicht so richtig gefallen. Geht es beim hinteren Kofferraum noch ganz in Ordnung – lediglich die Klappe öffnet uns nicht weit genug – sind bei den seitlichen Boxen Defizite zu verzeichnen. Die Innentaschen lassen sich nämlich von oben öffnen, wohingegen die Koffer seitlich aufschwenken. Möchte man unterwegs also schnell etwas aus den Innentaschen holen, kann das möglicherweise ein wenig mehr Zeit beanspruchen. Einfacher wäre es, die Koffer von oben zu öffnen. Die Victory Cross Country Tour, die uns über einige tausend Kilometer begleiten durfte, war da wesentlich einfacher zu be- und entladen. Das Topcase der K dürfte auch ein paar Zentimeter größer ausfallen, damit die Reisenden bei einem Außeneinsatz die Ausrüstung, speziell die Helme, bequem darin verstauen können. In unserem Fall haben wir damit nicht unerhebliche Probleme. Erst nach mehreren Minuten „Puzzlespiel“ schaffen wir es, die Kopfbedeckung (HJC RPHA MAX EVO und SHARK EVO-ONE) halbwegs zu platzieren. Selbst dann muss der Kofferraumdeckel mit etwas Nachdruck geschlossen werden. Das geht nicht immer ohne Kratzer ab.
Motorräder: Yamaha MT-09, 19 neue Motorräder 2017, Indian Springfield, Kawasaki Z650, BMW K 1600 GTL, Zündapp Imperator
Touren: Winterflucht? Abenteuer Teneriffa, Singleroads-Tour Lüneburger Heide, Motorradparadies Sardinien, Panoramatour: Schwarzwald – Allgäu, Reisetagebuch 21.000 km Amerika
Preis: 3,90 €
Auch hier war die Victory der BMW um einiges voraus. Zwar ohne Innenbeleuchtung und Gasdruckdämpfer, dafür konnte man die Helme einfach hineinlegen und den Deckel zuklappen – fertig. Demzufolge lassen wir die Innentasche vom Topcase in der Unterkunft, auch damit die Kameraausrüstung schnell griffbereit ihren Platz findet, und machen uns auf den Weg. Der Beladungszustand wird einfach per Bordcomputer eingestellt, das Fahrwerk bekommt die Vorwahl „Komfort“ verpasst und es kann losgehen.
Sahnetriebwerk für besonders Schaltfaule
Das Triebwerk beeindruckt durch sattes Drehmoment und lässt sich besonders schaltfaul fahren. Außerdem wollen wir dem Getriebe nicht zu oft die lautstarken Gangwechsel zumuten, die Geräuschkulisse will einfach nicht recht zur edlen BMW passen. Außerdem habe ich jedes Mal das Gefühl, als ob da gleich irgendwas unten herausfallen würde. Möglicherweise liegt es aber auch an dem besonders niedrigen Geräuschniveau hinter der hohen Scheibe, dass man mechanische Geräusche intensiver als sonst wahrnimmt?
Sei es wie es sei, die Schaltwege sind kurz und auch die einzelnen Gänge rasten sauber ein, die Ganganzeige erweist sich als hilfreich. Denn selbst im Sechsten liegt so viel Power am Regler an, dass ich mich mehr als einmal vergewissern muss, ob es sich nicht um die dritte oder fünfte Fahrstufe handelt. Drei Gänge würden bei der Maschine auch völlig ausreichen, denn schon ab 40 km/h zieht der Motor sauber im sechsten Gang durch. Der sänftenartige Federungskomfort lässt keine Unebenheiten zu uns durchdringen, beinahe etwas weich bügelt die BMW fast alle Straßenschäden weg. Der Normalmodus gefällt mir persönlich da schon etwas besser. Die sportliche Einstellung verhärtet die Federung nochmals ein wenig, der direktere Kontakt zum Untergrund kommt mir bei flotter Fahrweise sehr entgegen. Wir belassen die Einstellung vorerst im Normalmodus und genießen die folgenden Kurven. Erstaunlich leicht lässt sich das Schlachtschiff auch um enge Ecken dirigieren. Natürlich bedarf es schon etwas Nachdruck, das Gewicht kann nun einmal nicht wegdiskutiert werden. Aber doch recht handlich und zielgenau zirkeln wir mit der BMW die Berge hinauf. Erstaunlich agil bereitet die BMW mit der richtigen Blickführung und dem nötigen Selbstbewusstsein auch im engsten Kurvengeschlängel eine Menge Spaß. Erst der mahnende Schenkeldruck der Sozia fordert eine nicht mehr ganz so flotte Gangart. Überraschung gelungen, möchte ich sagen. Genussvoll durch die Lande gleiten, die Umgebung genießen und sich gar nicht mit dem Motorrad beschäftigen, das kann die K 1600 GTL wie kaum eine zweite. Vielleicht noch die Lieblingsmusik dabei genießen? Lieutenant Uhura wäre von der Klangqualität begeistert.
Die bequeme Sitzposition kann indes auch in den kurvigen Alpen überzeugen, wünschenswert wäre eine Lenkerverstellung. Sowohl in der Breite als auch in der Höhe würde das absolut maximalen Komfort bedeuten. Die Spiegel bieten, trotz der nicht unerheblichen Entfernung zum Piloten, einen guten Rückblick und sind gut positioniert, im Gegensatz zu den modernen LED-Blinkern. Die sehen zwar schick aus, sind aber vorne zu tief und zu unauffällig an der Karosserie positioniert.
Ansonsten gibt es nicht mehr viel zu dem (T)raumschiff zu sagen. Lediglich bei der Parkplatzsuche sollte der BMW-Treiber etwas umsichtiger zu Werke gehen. Der Brocken verfügt über keinen Rückwärtsgang, daher scheint es angebracht, die K rückwärts – möglichst in Fahrtrichtung – zu platzieren, da sonst schon einmal eine helfende Hand beim Ausparken in Anspruch genommen werden muss.
Fazit: Fünf Jahre BMW K 1600 GTL, der opulente Luxusgleiter verwöhnt die Besatzung mit einem sagenhaft geschmeidigen Triebwerk, einem ausgewogenen Fahrwerk, dem grandiosen Captains Chair und einem superbequemen Reiseplatz für Mitfahrer. Reisen im Universum der Einspurfahrzeuge, die auf keinen Luxus verzichten wollen, war noch nie so komfortabel. Eine überaus komplette Technikausstattung rundet das Gesamtbild ab, versehen mit Dingen, die keiner braucht, aber alle haben wollen. Egal, ob Warpgeschwindigkeit oder Erkundungseinsatz in fremden Gefilden – die USS ... Pardon! – die BMW K 1600 GTL eignet sich für Weiten, die nie zuvor das Auge des Reiselustigen gesehen hat! Übrigens: Die Serie „Raumschiff Enterprise“ feierte kürzlich fünfzigjähriges Jubiläum ...