Fahrtest: Ducati Panigale V2 – Ohren zu und durch!

Red Essence - Viele internationale Tester halten die 955-ccm-V2-Variante für die bessere Panigale.
Fahrtest: Ducati Panigale V2 – Ohren zu und durch!
Fahrtest: Ducati Panigale V2 – Ohren zu und durch!
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09.06.2020
| Lesezeit ca. 4 Min.
Till Gruschka

Bereit, wenn Sie es sind. Wer hat es gesagt? Genau, Hannibal Lecter, der Bösewicht aus „Das Schweigen der Lämmer“. Im Film nahm der Satz kein gutes Ende für den armen Sergeant Pembry, der dem Psycho-Doc auf diese legendären Worte hin das Essen kredenzte und, nun ja, selbst auf dem Speiseplan des höflichen Kannibalen landete.

Tarantella mit der Fahrphysik

Bereit, wenn du es bist – weniger förmlich, aber nicht minder verbindlich lädt dich auch die Panigale V2 ein, bitte näherzukommen. Die LED-Scheinwerfer des Mittelklasse-Superbikes von Ducati fixieren den Betrachter unter ihren Tagfahrlicht-Brauen ähnlich durchdringend wie der lauernde Blick Lecters. Viele internationale Tester halten die 955-ccm-Variante für die bessere Panigale. Weil sie optisch (fast) genauso viel hermacht wie die große Schwester V4 (1.103 ccm), aber netterweise mehr Demut an den Tag legt beim wahnwitzigen Tarantella-Tanz mit der Fahrphysik.

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Deutlich günstiger als die Panigale V4

Die Ducati Panigale V4 S durfte ich auf der Formel-1-Strecke in Bahrain bewegen. Ein Erweckungserlebnis in puncto Handling und Performance. Schlagartige Leistungsentfaltung, grandiose Bremsen, perfekte Assistenzsysteme. Ein Superbike-Traum, der – seien wir ehrlich – außerhalb der Rennstrecke wenig bis nichts verloren hat. Und der richtig ins Geld geht. 28.890,-- Euro begehrt Ducati für die Panigale V4 S, 22.790,-- Euro kostet die bodenständigere Panigale V4. Dagegen nimmt sich die Panigale V2 geradezu moderat aus, mit ihren 17.990,-- Euro. Es gibt sie nur in Ducati Red. Und ohne „S“-Option. Ducatis V2-Claim „Red Essence“ trifft so gesehen voll ins Schwarze.

Zack biste den Lappen los

155 PS bei 10.750 U/min, 104 Nm bei 9.000 U/min. Macht auf dem Datenblatt 59 Pferdestärken und 20 Newtonmeter weniger als bei der La Mamma aller Superbikes. Aber auf der Straße? Verschwinden die Unterschiede, weil du sie ohnehin nicht ausfahren kannst im Verkehrsalltag. Skeptikern sei versichert: Auch die Panigale V2 beschleunigt wie ein Lichtstrahl. Einmal schalten und du fährst über 100. Aus dem Handgelenk geht es also direkt auf einen freien Sitzplatz im ÖPNV, sollte bei diesem kleinen Husarenstreich ein staatliches Messgerät zugegen sein. Daher: Contenance, Ducatisti. Auch und erst recht in Hinblick auf die Lärmemission, die emotional hohe Wellen schlägt.

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Wie Moleküle im Teilchenbeschleuniger

Die Kurven des Nordens sind bekanntlich die Autobahnauffahrten. Kurzer Blick nach links, durchbeschleunigen! Der frisch überarbeitete Superquadro-Motor schießt die 200 Kilo Lebendgewicht der V2 durch Raum und Zeit wie Moleküle in einem Teilchenbeschleuniger. Laut Datenblatt bringt der rote Designkracher trocken 176 kg auf die Waage – zwei mehr als die V4 S, eins mehr als die V4. Geschenkt. Genau wie die 5 mm mehr Sitzhöhe. Überhaupt: Je länger man mit der V2 unterwegs ist, desto eher beschleicht einen das Gefühl, Superbikes seien eigentlich fürs Reisen gemacht. Hinter dem Mini-Wildschild bleibt es erstaunlich zugfrei, sobald die Kinnspitze knapp über dem Tank schwebt. Ab gefühlt 120 km/h trägt dich der Wind. Das hebt die Stimmung. Und entlastet die Handgelenke ungemein.

Moderater Verbrauch

Der famose Twin-Zylinder löscht seinen Durst nach Superbenzin erstaunlich diszipliniert. Durchschnittlich 4,7 l/100 km bescheinigt das Borddisplay für knapp 700 Kilometer Zweisamkeit. Ein exzellenter Wert. Der neue Euro-5-Kraftprotz hat fünf PS mehr unter dem Tank als sein Vorgänger, das Drehmoment legte um kosmetische 2 Nm zu. Laut Ducati resultiert die Leistungssteigerung im Wesentlichen aus den neuen Injektoren (zwei pro Zylinder) und den neuen Einlasskanälen mit höherer Ansaugleistung.

Gefragt: Fahrtwind und Nervenstärke

Der neue Abgasschalldämpfer kauert unter der Maschine. Armdick windet sich das Rohr vom Motorblock aus einmal unter dem Sitz durch. Nennen wir es eine serienmäßige Sitzheizung. Abwärme und Ducati ist ja ohnehin ein Kapitel für sich. Im City-Stop-and-Go klettert die Temperaturanzeige nach wenigen Ampeln auf 102 Grad und mehr. Der Italo-Hotpot verlangt nach Fahrtwind, andernfalls grillt er dich. Nervenstärke kann im Umkreis von Personen ohne ausgewiesene Motorsportaffinität auch nichts schaden. Alle drehen sich nach der Red Beauty um. Anerkennend die einen, kopfschüttelnd die anderen. Lärmbedingte Fahrverbote wie aktuell in Österreich gibt es nicht zuletzt, weil Ducati bei Superbike-Fahrern hoch im Kurs steht.

„Leicht reduzierte“ Lärmspitzen

Der Sound der V2 ist laut, wirklich laut. 2-1-2-1 lautet die mechanische Gleichung der Auspuffanlage. Die Abmessungen der ovalen Drosselklappe hat Ducati bei der neuen Euro 5-Anlage nicht verändert. Die Lärmspitzen würden jetzt „leicht reduziert“, heißt es aus Italien. Aber seien wir ehrlich: Längere Strecken ohne Ohrstöpsel zermürben selbst die hartgesottensten Drehzahlenthusiasten. Sozialunverträgliche 102 dB(A) eingetragenes Standgeräusch – macht in Tirol vom 10. Juni bis 31. Oktober 2020 schlappe 220 Euro Bußgeld beim Ignorieren der Zufahrtsverweigerung für Maschinen, die einen Wert von 95 dB(A) überschreiten. Zudem darf man augenblicklich die Rückfahrt antreten.

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Volles Programm für die Rennstrecke

Aber nun. Die Heimat einer Panigale ist die Rennstrecke, egal ob V2 oder V4. Artgerechte Assistenzsysteme haben beide an Bord: Bosch Kurven-ABS EVO (dreistufig), drei Fahrmodi (Race, Sport, Straße), Ducati Traction Control EVO (achtstufig), Ducati Wheelie Control EVO, Ducati Power Launch, Ducati Slide Control, Ducati Quick Shift up/down EVO und Engine Brake Control EVO. Das volle Programm. Das sechsachsige Bosch-Superhirn „6D IMU“ erfasst und analysiert in Millisekundenschnelle jede Fahrsituation. Roll-, Gier- und Neigungswinkel des Bikes: Übertreibt es der Fahrer, greift die Inertial Measurement Unit ein. Wie ein Schutzengel. Den hätte Sgt. Pembry auch gebraucht.

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Technische Daten Ducati Panigale V2 2021
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Ducati
Motor
Bohrung x Hub 100 x 60 mm
Hubraum 955 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Zweizylinder, flüssigkeitsgekühlt, 4 Ventile pro Zylinder
Abgasreinigung/-norm Euro 5
CO2 Emissionen 139,2 g CO2/km
Leistung 155 PS (114 kW) bei 10750 U/min
Drehmoment 104 Nm bei 9.000 U/min
Verdichtung 12,5:1
Höchstgeschwindigkeit 270 km/h
Wartungsintervalle alle 12.000 km oder jährlich
Verbrauch pro 100 km 6 Liter
Kraftübertragung
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung mit Servo-Unterstützung und Anti-Hopping Funktion, hydraulisch betätigt
Schaltung 6-Gang
Sekundärantrieb Kette
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Monocoque Aluminium
Federelemente vorn 43-mm-Big-Piston-Gabel
Federelemente hinten Sachs Federbein, Aluminium-Einarmschwinge
Federweg v/h 120 mm / 130 mm
Radstand 1.436 mm
Nachlauf 94 mm
Lenkkopfwinkel 66 °
Räder Leichtmetall-Speichenräder
Reifen vorn 120/70 ZR 17
Reifen hinten 180/60 ZR 17
Bremse vorn 320-mm-Doppelscheibenbremse, radial montierte Monoblock Bremssättel, 4-Kolben Bremszangen
Bremse hinten 245-mm-Bremsscheibe, 2-Kolben Bremssattel
Maße & Gewicht
Länge 2.090 mm
Breite 760 mm
Höhe 1.130 mm
Gewicht 176 kg (Leergewicht)
zul. Gesamtgewicht 395 kg
Maximale Zuladung 195 kg
Sitzhöhe 840 mm
Standgeräusch 102 dB(A)
Fahrgeräusch 77 dB(A)
Tankinhalt 17 Liter
Fahrerassistenzsysteme Kurven-ABS, Wheelie-Kontrolle, Traktionskontrolle
Fahrzeugpreis ab 17.990 €
Sonstiges Preis ab 2022: ab 19.390,-- Euro

 
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