Bereit, wenn Sie es sind. Wer hat es gesagt? Genau, Hannibal Lecter, der Bösewicht aus „Das Schweigen der Lämmer“. Im Film nahm der Satz kein gutes Ende für den armen Sergeant Pembry, der dem Psycho-Doc auf diese legendären Worte hin das Essen kredenzte und, nun ja, selbst auf dem Speiseplan des höflichen Kannibalen landete.
Bereit, wenn du es bist – weniger förmlich, aber nicht minder verbindlich lädt dich auch die Panigale V2 ein, bitte näherzukommen. Die LED-Scheinwerfer des Mittelklasse-Superbikes von Ducati fixieren den Betrachter unter ihren Tagfahrlicht-Brauen ähnlich durchdringend wie der lauernde Blick Lecters. Viele internationale Tester halten die 955-ccm-Variante für die bessere Panigale. Weil sie optisch (fast) genauso viel hermacht wie die große Schwester V4 (1.103 ccm), aber netterweise mehr Demut an den Tag legt beim wahnwitzigen Tarantella-Tanz mit der Fahrphysik.
Die Ducati Panigale V4 S durfte ich auf der Formel-1-Strecke in Bahrain bewegen. Ein Erweckungserlebnis in puncto Handling und Performance. Schlagartige Leistungsentfaltung, grandiose Bremsen, perfekte Assistenzsysteme. Ein Superbike-Traum, der – seien wir ehrlich – außerhalb der Rennstrecke wenig bis nichts verloren hat. Und der richtig ins Geld geht. 28.890,-- Euro begehrt Ducati für die Panigale V4 S, 22.790,-- Euro kostet die bodenständigere Panigale V4. Dagegen nimmt sich die Panigale V2 geradezu moderat aus, mit ihren 17.990,-- Euro. Es gibt sie nur in Ducati Red. Und ohne „S“-Option. Ducatis V2-Claim „Red Essence“ trifft so gesehen voll ins Schwarze.
155 PS bei 10.750 U/min, 104 Nm bei 9.000 U/min. Macht auf dem Datenblatt 59 Pferdestärken und 20 Newtonmeter weniger als bei der La Mamma aller Superbikes. Aber auf der Straße? Verschwinden die Unterschiede, weil du sie ohnehin nicht ausfahren kannst im Verkehrsalltag. Skeptikern sei versichert: Auch die Panigale V2 beschleunigt wie ein Lichtstrahl. Einmal schalten und du fährst über 100. Aus dem Handgelenk geht es also direkt auf einen freien Sitzplatz im ÖPNV, sollte bei diesem kleinen Husarenstreich ein staatliches Messgerät zugegen sein. Daher: Contenance, Ducatisti. Auch und erst recht in Hinblick auf die Lärmemission, die emotional hohe Wellen schlägt.
Die Kurven des Nordens sind bekanntlich die Autobahnauffahrten. Kurzer Blick nach links, durchbeschleunigen! Der frisch überarbeitete Superquadro-Motor schießt die 200 Kilo Lebendgewicht der V2 durch Raum und Zeit wie Moleküle in einem Teilchenbeschleuniger. Laut Datenblatt bringt der rote Designkracher trocken 176 kg auf die Waage – zwei mehr als die V4 S, eins mehr als die V4. Geschenkt. Genau wie die 5 mm mehr Sitzhöhe. Überhaupt: Je länger man mit der V2 unterwegs ist, desto eher beschleicht einen das Gefühl, Superbikes seien eigentlich fürs Reisen gemacht. Hinter dem Mini-Wildschild bleibt es erstaunlich zugfrei, sobald die Kinnspitze knapp über dem Tank schwebt. Ab gefühlt 120 km/h trägt dich der Wind. Das hebt die Stimmung. Und entlastet die Handgelenke ungemein.
Der famose Twin-Zylinder löscht seinen Durst nach Superbenzin erstaunlich diszipliniert. Durchschnittlich 4,7 l/100 km bescheinigt das Borddisplay für knapp 700 Kilometer Zweisamkeit. Ein exzellenter Wert. Der neue Euro-5-Kraftprotz hat fünf PS mehr unter dem Tank als sein Vorgänger, das Drehmoment legte um kosmetische 2 Nm zu. Laut Ducati resultiert die Leistungssteigerung im Wesentlichen aus den neuen Injektoren (zwei pro Zylinder) und den neuen Einlasskanälen mit höherer Ansaugleistung.
Der neue Abgasschalldämpfer kauert unter der Maschine. Armdick windet sich das Rohr vom Motorblock aus einmal unter dem Sitz durch. Nennen wir es eine serienmäßige Sitzheizung. Abwärme und Ducati ist ja ohnehin ein Kapitel für sich. Im City-Stop-and-Go klettert die Temperaturanzeige nach wenigen Ampeln auf 102 Grad und mehr. Der Italo-Hotpot verlangt nach Fahrtwind, andernfalls grillt er dich. Nervenstärke kann im Umkreis von Personen ohne ausgewiesene Motorsportaffinität auch nichts schaden. Alle drehen sich nach der Red Beauty um. Anerkennend die einen, kopfschüttelnd die anderen. Lärmbedingte Fahrverbote wie aktuell in Österreich gibt es nicht zuletzt, weil Ducati bei Superbike-Fahrern hoch im Kurs steht.
Der Sound der V2 ist laut, wirklich laut. 2-1-2-1 lautet die mechanische Gleichung der Auspuffanlage. Die Abmessungen der ovalen Drosselklappe hat Ducati bei der neuen Euro 5-Anlage nicht verändert. Die Lärmspitzen würden jetzt „leicht reduziert“, heißt es aus Italien. Aber seien wir ehrlich: Längere Strecken ohne Ohrstöpsel zermürben selbst die hartgesottensten Drehzahlenthusiasten. Sozialunverträgliche 102 dB(A) eingetragenes Standgeräusch – macht in Tirol vom 10. Juni bis 31. Oktober 2020 schlappe 220 Euro Bußgeld beim Ignorieren der Zufahrtsverweigerung für Maschinen, die einen Wert von 95 dB(A) überschreiten. Zudem darf man augenblicklich die Rückfahrt antreten.
Aber nun. Die Heimat einer Panigale ist die Rennstrecke, egal ob V2 oder V4. Artgerechte Assistenzsysteme haben beide an Bord: Bosch Kurven-ABS EVO (dreistufig), drei Fahrmodi (Race, Sport, Straße), Ducati Traction Control EVO (achtstufig), Ducati Wheelie Control EVO, Ducati Power Launch, Ducati Slide Control, Ducati Quick Shift up/down EVO und Engine Brake Control EVO. Das volle Programm. Das sechsachsige Bosch-Superhirn „6D IMU“ erfasst und analysiert in Millisekundenschnelle jede Fahrsituation. Roll-, Gier- und Neigungswinkel des Bikes: Übertreibt es der Fahrer, greift die Inertial Measurement Unit ein. Wie ein Schutzengel. Den hätte Sgt. Pembry auch gebraucht.
Technische Daten Ducati Panigale V2 2021 | |
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Nutzerbewertungen | |
Motor | |
Bohrung x Hub | 100 x 60 mm |
Hubraum | 955 ccm |
Zylinder, Kühlung, Ventile | Zweizylinder, flüssigkeitsgekühlt, 4 Ventile pro Zylinder |
Abgasreinigung/-norm | Euro 5 |
CO2 Emissionen | 139,2 g CO2/km |
Leistung | 155 PS (114 kW) bei 10750 U/min |
Drehmoment | 104 Nm bei 9.000 U/min |
Verdichtung | 12,5:1 |
Höchstgeschwindigkeit | 270 km/h |
Wartungsintervalle | alle 12.000 km oder jährlich |
Verbrauch pro 100 km | 6 Liter |
Kraftübertragung | |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung mit Servo-Unterstützung und Anti-Hopping Funktion, hydraulisch betätigt |
Schaltung | 6-Gang |
Sekundärantrieb | Kette |
Fahrwerk & Bremsen | |
Rahmen | Monocoque Aluminium |
Federelemente vorn | 43-mm-Big-Piston-Gabel |
Federelemente hinten | Sachs Federbein, Aluminium-Einarmschwinge |
Federweg v/h | 120 mm / 130 mm |
Radstand | 1.436 mm |
Nachlauf | 94 mm |
Lenkkopfwinkel | 66 ° |
Räder | Leichtmetall-Speichenräder |
Reifen vorn | 120/70 ZR 17 |
Reifen hinten | 180/60 ZR 17 |
Bremse vorn | 320-mm-Doppelscheibenbremse, radial montierte Monoblock Bremssättel, 4-Kolben Bremszangen |
Bremse hinten | 245-mm-Bremsscheibe, 2-Kolben Bremssattel |
Maße & Gewicht | |
Länge | 2.090 mm |
Breite | 760 mm |
Höhe | 1.130 mm |
Gewicht | 176 kg (Leergewicht) |
zul. Gesamtgewicht | 395 kg |
Maximale Zuladung | 195 kg |
Sitzhöhe | 840 mm |
Standgeräusch | 102 dB(A) |
Fahrgeräusch | 77 dB(A) |
Tankinhalt | 17 Liter |
Fahrerassistenzsysteme | Kurven-ABS, Wheelie-Kontrolle, Traktionskontrolle |
Fahrzeugpreis ab | 17.990 € |
Sonstiges | Preis ab 2022: ab 19.390,-- Euro |