Schlagartige Leistungsentfaltung, vehemente Gasannahme, durchwachsenes Vertrauen ins Vorderrad bei sehr starkem Bremsen und eine unbändige Tendenz zum Wheelie beim Beschleunigen – bei aller Grandezza und Begehrlichkeit machten derlei Eigenarten die Panigale V4 wahrlich nicht für jeden ambitionierten Fahrer zur idealen Wahl. Das dürfte sich jetzt ändern: „Leichter zu fahren, weniger fordernd, auch mit Nichtprofis schneller auf der Rennstrecke“ – das sind laut Ducatis Produkt-Kommunikator Giulio Fabbri die drei wichtigsten neuen Eigenschaften der 2020er V4 und V4 S.

Umgänglicher und mehr Tempo
Auf dem Formel-1-Kurs von Bahrain konnten wir exklusiv die ersten Runden drehen mit der neuen Modellgeneration. Und in der Tat, so das einhellige Urteil der anwesenden Tester: Das Bike ist jetzt viel umgänglicher. „Viele, viele kleine Änderungen, die zusammen einen großen Effekt haben“, fasst Cheftester Alessandro Valia die Komplettüberarbeitung zusammen: mehr Speed dank besserer Beherrschbarkeit in allen Lebenslagen!Einen großen Anteil an den Verbesserungen hat das neue Aerodynamikpaket. Es stammt im Wesentlichen von der V4 R (221 bis 234 PS, ab 39.900,-- Euro). Die neue Plexiglasscheibe ragt höher auf und steht schräger. „Dadurch bietet sie einen besseren Windschutz für den Fahrer, insbesondere im Helm- und Schulterbereich“, sagt Carlo Ricci Maccarini, Leiter Ducati Superbike Performance Development. Auch die neue Bugverkleidung ist höher und zudem breiter (+15 mm) in der Armschutzzone, die seitlichen Verkleidungen legen in der Breite sogar um jeweils 38 mm zu. All das reduziert den arm- und schulterbedingten Widerstand auf der Geraden. Wobei natürlich nach wie vor gilt: Mach dich so klein wie nur irgend möglich auf dem Bock, sonst reißt dir der Fahrtwind die Birne nach hinten. Und schmeißt dich vom Bike.

Winglets von der Panigale V4 R
Maßgeblichen Anteil am verbesserten Fahrverhalten haben die neuen seitlichen Flügel vorn an der Verkleidung, Winglets getauft, die auf der Straße bislang der exklusiven Panigale V4 R vorbehalten waren. Sie erhöhen beispielsweise den Gesamtabtrieb bei 270 km/h um 30 (!) kg. Das bringt spürbar mehr Ruhe ins Vorderrad. Das „Schweben“ bei hoher Geschwindigkeit wird deutlich reduziert, die Stabilität beim Bremsen am Einlenkpunkt und in der Kurve legt zu. Der abtriebsbedingte leichte Anstieg des Lenkmoments zahlt vertrauensvoll aufs Feeling fürs Bike ein. Die Folge: Du bleibst instinktiv länger am Gas und steigst später in die Eisen. Ein elementarer Schritt zu schnelleren Rundenzeiten.„Das Gros der Fahrwerks-Modifikationen hängt mit dem neuen Vorderrahmen zusammen. Es ist jetzt einfacher, das Bike in die Kurve zu legen, wenn man die Bremsen löst. Dadurch erreicht man den Scheitelpunkt schneller, zudem kann das Fahrwerk Bodenwellen effektiver aufnehmen und verhält sich neutraler beim Beschleunigen aus der Kurve heraus“, erklärt Valia. Vorgaben, die Ducati Corse ersonnen hat. In enger Anlehnung an die extrem schnellen MotoGP-Bikes der Italiener; mit 356,7 km/h hält Ducati-Pilot Andrea Dovizioso seit 2018 den Highspeed-Rekord der Königsklasse.

Volles Vertrauen ins Vorderrad
Die Front der feingetunten Panigale ist 4 Millimeter höher als beim Vorgängermodell, der Motor wanderte 5 mm nach oben, der Heckstoßdämpfer ist 2 mm länger. „Die vorgenommenen Änderungen an Fahrwerksabstimmung, Schwerpunkthöhe und Kettenzugwinkel verbessern die Balance des Motorrads in allen Phasen der Fahrt“, verspricht Maccarini.Abgeschwächte Wheelie-Tendenz, geänderte Kennzeiten fürs Ride-by-Wire-System, weniger „Floating“ und verbesserte Bremswirkung durch die Winglets – all das und einige Feinheiten mehr steigern das Vertrauen ins Vorderrad, sorgen für bessere Rundenzeiten und lassen den Fahrer – so argumentiert Ducati – folglich länger durchhalten beim Bestzeitenschrubben, weil er ermüdungsfreier auf seinem Rennkissen kauert. Und weil er sich schon nach kurzer Eingewöhnung seeehr viel zutraut auf der neuen Panigale V4 S – was die Maschine auch klaglos mitmacht.

Radikale Bremskräfte
Aber neue Ergonomie hin oder her: Ich war nach vier Stints à 15 Minuten plus zehn Minuten Warm-up restlos im Eimer. Weil es für nicht Supersportler einfach wahnsinnig anstrengend ist, sich aus fast 300 km/h runterzubremsen am Ende der Start/Ziel auf dem Bahrain International Circuit, um dann im zweiten Gang die anschließende Rechtskurve zu erwischen. Weil man selbst auf den kürzeren Geradeaus-Geläufen ruckzuck über 230 km/h und mehr auf der Uhr hat, die ebenfalls teils radikal abgebaut werden wollen, bevor es mit einer Schräglage von 50 Grad und mehr rechts oder links in die nächste der insgesamt 15 Kurven des 5,4 Kilometer langen Kurses geht. Machst du das vier Runden hintereinander, japst du nach Sauerstoff und brauchst drei Liter Wasser. Mindestens.Aber, und darum geht es: Auch ohne Motorsport-Vergangenheit oder regelmäßige Rundstreckenausflüge bekommst du das auf der Ducati Panigale V4 S jetzt hin. Ein derartiges Gottvertrauen ins Bike und in die Technik bescherten halbwegs couragierten Racetrack-Fahrern bislang nur die BMW S 1000 RR und die Honda Fireblade. Jetzt gehört auch die Panigale in diesen erlauchten Kreis der Superbikes, die einem das Gefühl geben, ihre Fahrer auf Dauer immer besser und schneller zu machen.
Wer moderne elektronische Helfer wie das Ducati Safety Pack nicht schätzt und lieber auf sein eigenes, unverfälschtes, fahrerisches Können setzt, der kann das vorbildliche Rund-um-sorglos-Fahrdynamikpaket übers Bordmenü auf Eis legen. Selbst schuld, wer dann 22.790,-- Euro (Panigale V4) oder 28.890,-- Euro (Panigale V4 S) wegschmeißt. Denn der Schub der Panigale ist gewaltig.
