Ducati als DIE italienische Kultmarke schlechthin pflegt einen eindeutigen Markenkern: Die in Bologna beheimatete Marke wird allgemein mit Hochleistung, Hightech und der Farbe Rot assoziiert. Doch seit gut zwei Jahren erfinden sich die Italiener – zum Teil jedenfalls – neu: Mit dem neuen Motorrad-Lifestyle-Label Scrambler gehen die Bologneser einen völlig anderen Weg, der sie zurück in die siebziger Jahre führt – ins „Land of Joy“, wie sie sagen. Hier herrschen andere Werte: Statt des aggressiven Rots dominiert die entspannte Farbe Gelb, statt Hightech und Performance steht genussvolles Motorradfahren ohne Stressfaktor im Mittelpunkt – Motorradfahren als Erlebnis.
Doch so ganz kann man seine Herkunft nicht verleugnen – deshalb findet sich in der Scrambler-Palette neuerdings ein Café Racer getauftes Modell, das die legendären „Roaring Sixties“ der damaligen Zeit in England wachrufen soll. In dieser Epoche haben Wagemutige ihre Serienmodelle umgebaut, um Rennen von einem Café zum nächsten auszutragen – der Café Racer. Wie damals verkörpert die Scrambler mit dem gleichen Namen den puristischen Ansatz mit kleiner Lampenmaske, edler Höckersitzbank und Startnummerntafeln auf der Seite, auf denen die für Ducati bedeutsame Nummer 54 prangt: Mit dieser Startnummer gewann Bruno Spaggiari 1968 auf einer Ducati die renommierte Mototemporada Romagnola, deren Motor vom 350er-Scrambler-Einzylindermotor abgeleitet war.
Angelehnt an die Vorbilder trägt die Ducati besonders knappe Radabdeckungen im typischen „Race Look“ und sportliche Zehnspeichen-Gussfelgen, den authentischen Look vervollständigen Stummellenker aus Aluminium mit Rückspiegeln an den Enden, in denen man erstaunlich viel erkennt. Doch anders als bei den Rückgrat-mordenden Ahnen bietet die Ducati ein angenehmes Sitzplatzambiente, das den Fahrer ein wenig nach vorn an die moderat gekröpften Lenkerstummel greifen lässt und ihm gleichzeitig vergleichsweise entspannte Kniewinkel ermöglicht. Im Dreieck aus Sitzbank, Rasten und Lenker fühlen sich Fahrer nahezu aller Staturen wohl. Einzig die nach vorn abfallende Kontur der Sitzbank lässt den Piloten beim Bremsen immer ein wenig zum Tank hin rutschen. Für den Vortrieb ist bei allen Scrambler-Modellen der kultivierte Zweiventil-Desmo-V mit 803 ccm zuständig, der in seinen Grundzügen aus der ehrwürdigen Monster 796 stammt. Unverändert in der gesamten Palette verbaut, mobilisiert der luft-ölgekühlte Zweiventiler auch in dem Café Racer durchaus vernünftige 73 PS. Diese werden von 67 Nm Drehmoment unterstützt, die durchzugsfreudig serviert für einen breiten nutzbaren Drehzahlbereich sorgen. Beim Anfahren geht der Desmo-Twin sanft zur Sache und bleibt bis in hohe Drehzahlregionen vibrationsarm. Ab 2.000 Touren nimmt die Leistung gleichmäßig und gut beherrschbar zu, von der Lebendigkeit der klassischen Vorbilder ist das Aggregat aber vor allem im ersten Drittel der Gasgrifföffnung ziemlich weit entfernt.
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Zuletzt aktualisiert: 29.06.2017
DVD: Fototour in den Dolomiten
Motorräder: KTM 1290 Super Adventure R, Ducati Scrambler Café Racer, Harley-Davidson Road King Special, Honda X-ADV, Suzuki V-Strom 1000XT
Touren: Grenzgänger: Ostsee-Schwarzwald-Tour, Unter südlicher Sonne: Spanien-Rundfahrt, Zwei Tagestouren: Kärnten und Friaul, Reiseguide: mehr Sehenswert in Luxemburg, Reisetagebuch, letzter Teil: 21.000 km Amerika Das zahme Gemüt des Motors ist einfach zu kontrollieren
Immerhin sorgt diese zurückhaltende Art für einen jederzeit handzahmen und gut kontrollierbaren Charakter, der für viel Vertrauen auch bei weniger versierten Motorradfahrern sorgt. Nur das knochige Sechsganggetriebe will nicht zu dem geschliffenen Charakter passen.
Um die Motorbasis haben die Scrambler-Produktmanager maßgeschneiderte Modelle kreiert, bei dem Café Racer sogar mit einem auf Handlichkeit getrimmten Fahrwerk. Auf sanft geschwungenen Landstraßen fühlen sich die Ducati und ihr Pilot besonders wohl, mühelos durcheilt sie knifflige Passagen und gibt sich äußerst folgsam. Der brave Charakter schlägt jedoch schnell in Richtung pubertierenden Teenager um, sobald der Untergrund Falten und Buckel bekommt. Dann zeigt der Café Racer eine deutliche Aufstelltendenz und will auf Kurs gehalten werden, man geht automatisch ein wenig vom Gas. Einer derart gemäßigten Fahrweise zeigt sich die Einscheibenbremse im Vorderrad locker gewachsen, die mit einer spektakulären Vierkolben-Radialzange bewehrt nach viel mehr Biss aussieht, als sie tatsächlich bietet. Zudem leidet die Dosierbarkeit unter dem weichen Druckpunkt, doch das ABS ist so gut abgestimmt, dass man es nur sehr selten zum Regeln bringt.
Als Stadtflitzer mehr als geeignet
In der Stadt gefällt der Café Racer nicht nur mit seiner waschechten Optik, vielmehr erstaunt der Ducati-untypisch große Lenkeinschlag, dank dessen die Italienerin durch jede Lücke flutscht. Auch der angenehm satte Sound aus dem Termignoni-Doppelrohr steht ihr gut, allerdings wird’s im Stand auf dieser Fahrzeugseite auch ziemlich warm. Ansonsten orientiert sich die Ausstattung am Purismus der historischen Vorbilder, der heutzutage jedoch fehl am Platz erscheint – beispielsweise bietet das kleine Rundinstrument nur das Nötigste, eine Ganganzeige fehlt. Insofern erscheinen die 10.990 Euro trotz der attraktiv-authentischen Aufmachung vergleichsweise hoch gegriffen.