Fahrtest: Ducati Streetfighter V4 S – unfassbar!

Fahrtest: Ducati Streetfighter V4 S – unfassbar!

Lesezeit ca. 6 Min.
208 PS. 199 kg Fahrgewicht. Die nackte Schwester der Panigale V4 ist derzeit Ducatis heißeste Versuchung. Ein Annäherungsversuch.
Ducati Streetfighter V4 S Fahrbild
Puuuh, einmal tief durchatmen. Oder vielleicht auch zweimal. Stehst du das erste Mal vor der Ducati Streetfighter V4, raubt sie dir den Atem. Und wenn du wieder zu Luft kommst, packt dich die Ehrfurcht vor so viel maschineller Inbrunst, nein, Vollkommenheit. Alles an diesem Bike ist ... tja, seien wir ehrlich: eine einzige nackte Versuchung. Oder seien wir noch ehrlicher: der pure Motorrad gewordene Sex.
Was in Zeiten von #MeToo natürlich gar nicht geht, schon klar. Und dann noch dieser Sound: 106 dB Standgeräusch. Gute Güte. Das ist Porno. Index-verdächtiger Hardcore-Pressluft-Porno. Aber – sorry – auch so fucking heiß. So völlig losgelöst von Political Correctness und Vernunft und Zeitgeist. Oder, um ein Zitat zu bemühen: „Freiiiheiiit!!!“ Wer schrie es heraus? Genau, Mel Gibson aka William Wallace, als ihm in „Brave­heart“ das letzte Stündlein schlug.
Ducati Streetfighter V4 S Motor
Ein Bild von einem Motor: Desmosedici Stradale mit 208 PS

Ein bisschen Scham muss sein

Okay, ein bisschen Scham ist schon dabei, wenn du die Streetfighter startest. Was aus dem bulligen Auspufftopf unterm Motor herausbollert, ist geradezu obszön. Boxengasse to go. Mehr Schlachtruf als V4-Sound. Ein Bellen, das nachts ganze Wohnblöcke aus dem Bett holt. Und auf dem platten Land im Umkreis von drei Kilometern jede Nachttischlampe angehen lässt. Heidewitzka. Schon verstanden, Ducati: Die Streetfighter will, dass du sie nicht vergisst.
Liedermacher Stephan Sulke hauchte einst: „Ich bin mancher Frau schon unterlegen/ Hab in manchem Bett gelegen/ Hab gestöhnt und mich gewunden/ Dich nicht mehr gefunden.“ So dürfte es den meisten gehen, die nach ein paar Tagen Streetfighter wieder auf andere Motorräder steigen. Es ist einfach nicht dasselbe. Verschwindet die 20.000-Euro-Schönheit (V4 S: ab 23.490,-- Euro) aus deinem Leben, ist alles andere fad. Und schal. Und austauschbar. Ein müder Abklatsch. Den großen Gefühlen, die da waren, nicht ansatzweise würdig.
Ducati Streetfighter V4 S Lenkungsdämpfer
Lenkungsdämpfer: Öhlins für die V4 S, Sachs für die V4

Schabernack mit Einspurfahrzeugen

Schlimm so etwas. Oder nein: tragisch. Motorräder wie die Streetfighter V4/V4 S prägen dich für alle Zeiten. Auch wenn du eigentlich ein vernünftiger, umgänglicher Geselle bist, der an seinem Führerschein hängt und jeglichen Schabernack mit Einspurfahrzeugen weit von sich weist. Eigentlich. Warum? Weil es vermutlich nie wieder so sein wird wie mit ihr. So berauschend. So unfassbar. So über alle Maßen grandios. So völlig losgelöst. Ein Beispiel: Direkt hinter meiner Autobahnabfahrt endet das Tempolimit. Bedeutet: Wer zur richtigen Zeit ein paar Meter weiter auffährt, kann und darf durchstarten. Freies Blasen für die nächsten keine-Ahnung-wie-viel Kilometer. Das ist an trockenen Tagen mit den meisten Bikes schon schön, aber mit der Ducati Streetfighter V4 ein Erweckungserlebnis.

Winglets wie die Panigale V4

Keine drei Sekunden bis Tempo 100, gefühlt 6,5 Sekunden bis 200 – und dann weiter, immer weiter, bis dir der Fahrtwind den Helm ums Gesicht wringt und es dich fast aus der Sitzbank bläst. Bei 270 km/h erzeugen die seitlichen Winglets, die Ducati der Panigale V4 und der Streetfighter V4 verordnet hat, 28 Kilogramm Abtrieb – 20 kg am Vorderrad, 8 kg am Hinterrad. Die leitwerkartigen Flügel tragen außerdem dazu bei, dem feurigen Vierzylinder-Treibsatz Wärme zu entziehen, indem sie die Durchflussgeschwindigkeiten von Wasser- und Ölkühler um zwei Prozent beziehungsweise zehn Prozent erhöhen. Wieder was gelernt. Und ja: Irrwitzig, so eine Beschleunigungsorgie, ich weiß. Aber hey, wenn es grad passt und der Gesetzgeber es erlaubt, dann muss das auch mal drin sein.
Piano kann Ducatis Streetfighter auch. Butterweich und geschmeidig wie Bhagwans Jünger reagiert sie in jedem der sechs Gänge auf Gasbefehle. Smooth und groovy gleitet sie durchs Normal­sterblichen-Verkehrsgewusel, wissend, dass sie alles und jeden binnen Millisekunden zu einem Fliegenschiss auf den Rückspiegeln schrumpfen könnte. Famos, dieses Gefühl der Gelassenheit, die im Alltag damit einhergeht.
Ducati Streetfighter V4 S Front
Voll-LED-Scheinwerfer serienmäßig. Die Winglets erzeugen Abtrieb am Vorder- und Hinterrad.

2020 meistverkauftes Modell von Ducati in Deutschland

Technisch ist die Streetfighter V4 bekanntlich der Zwilling der Panigale V4, bloß ohne Verkleidung und mit leicht verändertem Stammbuch. 208 statt 214 PS, 123 Nm bei 11.500 U/min statt 124 Nm bei 10.000 U/min, 845 statt 835 mm Sitzhöhe, 180 statt 175 Kilogramm trocken (V4 S: 178 statt 174 kg), Lenker breiter und höher. Die „Fight Formula“ – so nennt Ducati die Ausrichtung des Bikes – kommt an: 2020 war die Streetfighter das bestverkaufte Motorrad der Italiener in Deutschland. Mit 1007 Neuzulassungen landete sie auf Platz 35 der Verkaufshitliste. Für 2021 hat Ducati der Streetfighter V4 S eine weitere Farbe spendiert: Dark Stealth ist hier jetzt die Alternative zu Ducati Red, der bislang einzigen Farbe der beiden Straßenkämpferinnen. Technisch bleibt es bei der üblichen Aufwertung der S-Variante: Vorn stützt sie sich auf eine voll einstellbare Öhlins-NIX30-Upside-down-Gabel mit güldener TiN-Behandlung, hinten auf einen voll einstellbaren Öhlins-TTX36-­Stoßdämpfer. Der V4 reichen hier eine Showa-BPF-Upside-down-Gabel aus verchromtem Stahl, ebenfalls 43 mm stark und voll einstellbar, und ein Sachs-Stoßdämpfer hinten. Die fahrbereit 199 kg schwere V4 S rollt auf geschmiedeten Marchesini-Aluminium-Rädern, die 201 kg schwere V4 auf Leichtmetallrädern.
Ducati Streetfighter V4 S Fahraufnahme
Fahrdynamik hoch zehn: Ducati-Düsentrieb mit Euro 5

Elektronik mit MotoGP-Genen

Das Elektronikpaket ist vollständig, wie es sich in dieser Preis- und Leistungsklasse gehört. Herzstück ist die sechs­achsige Inertial Measurement Unit (6D IMU), die permanent die Roll-, Gier- und Neigungswinkel des Motorrads erfasst. Analog zur Panigale V4 sind sämtliche Assistenzsysteme an Bord, die Ducati derzeit zu bieten hat: Kurven-ABS, Traction Control, Slide Control, Wheelie Control, Power Launch, Quick Shift Up/Down, Engine Brake Control, Electronic Suspenison – alles mit dem Zusatz EVO oder EVO 2 und mehrfach einstellbar, also neuester Stand der Technik, feingetunt von der Rennabteilung Ducati Corse. Alle Einstellungen der drei Fahrmodi Race, Sport und Street können individualisiert werden. Zurück zu den Standardwerten geht es jederzeit per Knopfdruck. Im Race Mode kann der Fahrer die ABS-Stufe 1 aktivieren, um auf der Rennstrecke die maximale Bremsleistung zu erreichen. Das Kurven-ABS und die Hinterrad-Abhebeerkennung sind hier ausgeschaltet. Im Street Mode wird die Leistung auf 155 PS gedrosselt. Die Gasannahme ist weicher, das elektronische Fahrwerk der S-Version komfortabler abgestimmt, die Assistenzsysteme regeln frühzeitiger – für mehr Sicherheit, Stabilität und Haftung auf krumpeligen Straßen oder bei fragwürdigen Wetterbedingungen. Die Brembo-Bremsanlage ist auch dann über jeden Zweifel erhaben.
Ducati Streetfighter V4 S Hinterrad
Geschmiedete Marchesini-Räder an der V4 S
Der 5“-TFT-Farb­bildschirm feierte in der Panigale V4 Einstand. Hübscher Gag: Die Drehzahl des Desmosedici Stradale wird mit einer hinterleuchteten „Nadel“ angezeigt. Bewegt sie sich, zieht sie einen weißen Schweif hinter sich her, der gleichzeitig als Schaltblitz dient: Ist das Drehzahllimit erreicht, wechselt er von Weiß auf Orange und schließlich auf Rot. Es sind ja bekanntlich die kleinen Dinge, die große Lieben prägen. Womit wir wieder bei Stephan Sulke wären und seinem wunderbaren Drei-Minuten-Song: „Ich hab dich tausend Mal gesucht/ Wie oft hab ich dich schon verflucht/ Ich bin dir hinterhergerannt/ Hab dich aus meinem Hirn verbannt/ Und immer wieder, und immer wieder/ Hab ich dich bloß geliebt.“ Noch einmal tief durchatmen.
 Pro
  • unfassbare Leistung
  • sensationelle Bremsen
  • perfekte Elektronik
 Contra
  • hoher Preis
  • zu laut
  • kaum Platz für Gepäck
Technische Daten
Ducati Streetfighter V4 S 2020
Technische Daten
Ducati Streetfighter V4 S
2020
Motor
Bohrung x Hub 81 x 53,5 mm
Hubraum 1103 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Vierzylinder, flüssigkeitsgekühlt, vier Ventile pro Zylinder
Abgasreinigung/-norm Euro 4
Leistung 208 PS (153 kW) bei 12.750 U/min
Drehmoment 123 Nm bei 11.500 U/min
Verdichtung 14:1
Höchstgeschwindigkeit 270 km/h
Wartungsintervalle alle 12.000 km/12 Monate
Kraftübertragung
Kupplung Hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung mit Anti-Hopping-Funktion und Servo-Unterstützung
Schaltung 6-Gang
Antrieb Kette
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Aluminiumlegierter Frontrahmen
Federelemente vorn 43-mm-Upside-Down-Gabel von Öhlins, voll einstellbar, Zug- und Druckstufe elektronisch einstellbar
Federelemente hinten Öhlins-Federbein, voll einstellbar, elektronisch einstellbare Zug- und Druckstufe
Federweg v/h 120 mm/130 mm
Radstand 1488 mm
Nachlauf 100
Lenkkopfwinkel 24,5°
Räder geschmiedete Aluminiumfelgen
Reifen vorn 120/70 ZR17
Reifen hinten 200/60 ZR17
Bremse vorn 2x 330 mm Bremsscheiben, radial montierte Brembo Monoblock M4.32 Bremssättel, 4-Kolben Bremszangen
Bremse hinten 245 mm Bremsscheibe, 2-Kolben Bremszange
Maße & Gewicht
Gewicht 199 kg
Maximale Zuladung 224 kg
Sitzhöhe 845 m
Standgeräusch 106 dB(A)
Fahrgeräusch 76 dB(A)
Tankinhalt 16 Liter
Weitere Baujahre 2021-2022,
2023
Fahrerassistenzsysteme
Kurven-ABS
Wheelie-Kontrolle
schräglagenabhängige Traktionskontrolle
Traktionskontrolle
Fahrmodi
Reifendruckkontrollsystem
Fahrzeugpreis ab 23490 €
Text: Ralf Bielefeldt, Fotos: Bernd Ahrens


#Ducati#Naked Bike#Öhlins#Test

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Letzte Aktualisierung: 29.04.2021

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