Puuuh, einmal tief durchatmen. Oder vielleicht auch zweimal. Stehst du das erste Mal vor der Ducati Streetfighter V4, raubt sie dir den Atem. Und wenn du wieder zu Luft kommst, packt dich die Ehrfurcht vor so viel maschineller Inbrunst, nein, Vollkommenheit. Alles an diesem Bike ist ... tja, seien wir ehrlich: eine einzige nackte Versuchung. Oder seien wir noch ehrlicher: der pure Motorrad gewordene Sex.
Fahrtest: Ducati Streetfighter V4 S – unfassbar! Was in Zeiten von #MeToo natürlich gar nicht geht, schon klar. Und dann noch dieser Sound: 106 dB Standgeräusch. Gute Güte. Das ist. Index-verdächtiger Hardcore-Pressluft-Porno. Aber – sorry – auch dementsprechend heiß. So völlig losgelöst von Political Correctness und Vernunft und Zeitgeist. Oder um ein Zitat zu bemühen: „Freiiiheiiit!!!“ Wer schrie es heraus? Genau, Mel Gibson aka William Wallace, als ihm in „Braveheart“ das letzte Stündlein schlug.
Ein Bild von einem Motor: Desmosedici Stradale mit 208 PS
Ein bisschen Scham muss sein
Okay, ein bisschen Scham ist schon dabei, wenn du die Streetfighter startest. Was aus dem bulligen Auspufftopf unter dem Motor herausbollert, ist geradezu obszön. Boxengasse to go. Mehr Schlachtruf als V4-Sound. Ein Bellen, das nachts ganze Wohnblöcke aus dem Bett holt. Und auf dem platten Land im Umkreis von drei Kilometern jede Nachttischlampe angehen lässt. Heidewitzka. Schon verstanden, Ducati: Die Streetfighter will, dass du sie nicht vergisst.
Motorradlust PUR - Motorräder 02/2021 mit folgendem Inhalt:
Motorräder: Vergleichstest: BMW S 1000 XR vs. KTM 1290 Super Duke GT, Aprilia RX 125 und SX 125, Vergleichstest: Kawasaki Ninja 1000SX vs. Yamaha MT-10 SP, Ducati Monster, Vergleichstest: Royal Enfield Interceptor 650 vs. Continental GT, Ducati Panigale V2, Ducati Streetfighter V4 S, Harley-Davidsonmehr Pan America 1250, Honda CB350RS, Honda Gold Wing DCT, KTM 1290 Super Duke RR, Motron Modellpalette, MV Agusta Brutale, MV Agusta
Motorräder: Vergleichstest: BMW S 1000 XR vs. KTM 1290 Super Duke GT, Aprilia RX 125 und SX 125, Vergleichstest: Kawasaki Ninja 1000SX vs. Yamaha MT-10 SP, Ducati Monster, Vergleichstest: Royal Enfield Interceptor 650 vs. Continental GT, Ducati Panigale V2, Ducati Streetfighter V4 S, Harley-Davidson Pan America 1250, Honda CB350RS, Honda Gold Wing DCT, KTM 1290 Super Duke RR,mehr Motron Modellpalette, MV Agusta Brutale, MV Agusta Dragster, MV Agusta Superveloce, Triumph Scrambler 1200, Triumph Street Scrambler, Triumph TE-1
Preis: 5,90 €
Liedermacher Stephan Sulke hauchte einst: „Ich bin mancher Frau schon unterlegen/ Hab in manchem Bett gelegen/ Hab gestöhnt und mich gewunden/ dich nicht mehr gefunden.“ So dürfte es den meisten gehen, die nach ein paar Tagen Streetfighter wieder auf andere Motorräder steigen. Es ist einfach nicht dasselbe. Verschwindet die 20.000-Euro-Schönheit (V4 S: ab 23.490,-- Euro) aus deinem Leben, ist alles andere fad. Und schal. Und austauschbar. Ein müder Abklatsch. Den großen Gefühlen, die da waren, nicht ansatzweise würdig.
Lenkungsdämpfer: Öhlins für die V4 S, Sachs für die V4
Schabernack mit Einspurfahrzeugen
Schlimm so etwas. Oder nein: tragisch. Motorräder wie die Streetfighter V4/V4 S prägen dich für alle Zeiten. Auch wenn du eigentlich ein vernünftiger, umgänglicher Geselle bist, der an seinem Führerschein hängt und jeglichen Schabernack mit Einspurfahrzeugen weit von sich weist. Eigentlich. Warum? Weil es vermutlich nie wieder so sein wird wie mit ihr. So berauschend. So unfassbar. So über alle Maßen grandios. So völlig losgelöst. Ein Beispiel: Direkt hinter meiner Autobahnabfahrt endet das Tempolimit. Bedeutet: Wer zur richtigen Zeit ein paar Meter weiter auffährt, kann und darf durchstarten. Freies Blasen für die nächsten keine-Ahnung-wie-viel Kilometer. Das ist an trockenen Tagen mit den meisten Bikes schon schön, aber mit der Ducati Streetfighter V4 ein Erweckungserlebnis.
Winglets wie die Panigale V4
Keine drei Sekunden bis Tempo 100, schätzungsweise 6,5 Sekunden bis 200 – und dann weiter, immer weiter, bis dir der Fahrtwind den Helm ums Gesicht wringt und es dich fast aus der Sitzbank bläst. Bei 270 km/h erzeugen die seitlichen Winglets, die Ducati der Panigale V4 und der Streetfighter V4 verordnet hat, 28 Kilogramm Abtrieb – 20 kg am Vorderrad, 8 kg am Hinterrad. Die leitwerkartigen Flügel tragen außerdem dazu bei, dem feurigen Vierzylinder-Treibsatz Wärme zu entziehen, indem sie die Durchflussgeschwindigkeiten von Wasser- und Ölkühler um zwei Prozent beziehungsweise zehn Prozent erhöhen. Wieder was gelernt. Und ja: Irrwitzig, solch eine Beschleunigungsorgie, ich weiß. Aber hey, wenn es grad passt und der Gesetzgeber es erlaubt, dann muss das auch mal drin sein. Piano kann Ducatis Streetfighter auch. Butterweich und geschmeidig wie Bhagwans Jünger reagiert sie in jedem der sechs Gänge auf Gasbefehle. Smooth und groovy gleitet sie durchs Normalsterblichen-Verkehrsgewusel, wissend, dass sie alles und jeden binnen Millisekunden zu einem Fliegenschiss auf den Rückspiegeln schrumpfen könnte. Famos, dieses Gefühl der Gelassenheit, die im Alltag damit einhergeht.
Voll-LED-Scheinwerfer serienmäßig. Die Winglets erzeugen Abtrieb am Vorder- und Hinterrad.
2020 meistverkauftes Modell von Ducati in Deutschland
Technisch ist die Streetfighter V4 bekanntlich der Zwilling der Panigale V4, bloß ohne Verkleidung und mit leicht verändertem Stammbuch. 208 statt 214 PS, 123 Nm bei 11.500 U/min statt 124 Nm bei 10.000 U/min, 845 statt 835 mm Sitzhöhe, 180 statt 175 Kilogramm trocken (V4 S: 178 statt 174 kg), Lenker breiter und höher. Die „Fight Formula“ – so nennt Ducati die Ausrichtung des Bikes – kommt an: 2020 war die Streetfighter das bestverkaufte Motorrad der Italiener in Deutschland. Mit 1007 Neuzulassungen landete sie auf Platz 35 der Verkaufshitliste. Für 2021 hat Ducati der Streetfighter V4 S eine weitere Farbe spendiert: Dark Stealth ist hier jetzt die Alternative zu Ducati Red, der bislang einzigen Farbe der beiden Straßenkämpferinnen. Technisch bleibt es bei der üblichen Aufwertung der S-Variante: Vorn stützt sie sich auf eine voll einstellbare Öhlins-NIX30-Upside-down-Gabel mit güldener TiN-Behandlung, hinten auf einen voll einstellbaren Öhlins-TTX36-Stoßdämpfer. Der V4 reichen hier eine Showa-BPF-Upside-down-Gabel aus verchromtem Stahl, ebenfalls 43 mm stark und voll einstellbar, und ein Sachs-Stoßdämpfer hinten. Die fahrbereit 199 kg schwere V4 S rollt auf geschmiedeten Marchesini-Aluminium-Rädern, die 201 kg schwere V4 auf Leichtmetallrädern.
Fahrdynamik hoch zehn: Ducati-Düsentrieb mit Euro 5
Elektronik mit MotoGP-Genen
Das Elektronikpaket ist vollständig, wie es sich in dieser Preis- und Leistungsklasse gehört. Herzstück ist die sechsachsige Inertial Measurement Unit (6D IMU), die permanent die Roll-, Gier- und Neigungswinkel des Motorrads erfasst. Analog zur Panigale V4 sind sämtliche Assistenzsysteme an Bord, die Ducati derzeit zu bieten hat: Kurven-ABS, Traction Control, Slide Control, Wheelie Control, Power Launch, Quick Shift Up/Down, Engine Brake Control, Electronic Suspenison – alles mit dem Zusatz EVO oder EVO 2 und mehrfach einstellbar, also neuester Stand der Technik, feingetunt von der Rennabteilung Ducati Corse. Alle Einstellungen der drei Fahrmodi Race, Sport und Street können individualisiert werden. Zurück zu den Standardwerten geht es jederzeit per Knopfdruck. Im Race Mode kann der Fahrer die ABS-Stufe 1 aktivieren, um auf der Rennstrecke die maximale Bremsleistung zu erreichen. Das Kurven-ABS und die Hinterrad-Abhebeerkennung sind hier ausgeschaltet. Im Street Mode wird die Leistung auf 155 PS gedrosselt. Die Gasannahme ist weicher, das elektronische Fahrwerk der S-Version komfortabler abgestimmt, die Assistenzsysteme regeln frühzeitiger – für mehr Sicherheit, Stabilität und Haftung auf krumpeligen Straßen oder bei fragwürdigen Wetterbedingungen. Die Brembo-Bremsanlage ist auch dann über jeden Zweifel erhaben.
Geschmiedete Marchesini-Räder an der V4 S Der 5“-TFT-Farbbildschirm feierte in der Panigale V4 Einstand. Hübscher Gag: Die Drehzahl des Desmosedici Stradale wird mit einer hinterleuchteten „Nadel“ angezeigt. Bewegt sie sich, zieht sie einen weißen Schweif hinter sich her, der gleichzeitig als Schaltblitz dient: Ist das Drehzahllimit erreicht, wechselt er von Weiß auf Orange und schließlich auf Rot. Es sind bekanntlich die kleinen Dinge, die große Lieben prägen. Womit wir wieder bei Stephan Sulke wären und seinem wunderbaren Drei-Minuten-Song: „Ich hab’ dich tausendmal gesucht/ Wie oft hab’ ich dich schon verflucht/ Ich bin dir hinterhergerannt/ Hab dich aus meinem Hirn verbannt/ Und immer wieder, und immer wieder/ Hab’ ich dich bloß geliebt.“ Noch einmal tief durchatmen.