Matteo Cavadi, Alessio Barbanti, Scott Toepfer
Eine Harley-Tour durchs Hinterland von Málaga. Und das kurz nach meinen ausgiebigen Runden mit der Honda Fireblade auf dem MotoGP-Kurs von Katar. Krasser können fahrphysikalische Gegensätze wohl kaum sein, wenn man von einer Fahrpräsentation zur nächsten tobt. Vom Präzisionswerkzeug mit 217 PS und gerade einmal 200 Kilogramm Fahrgewicht auf zwei echte Heavy-Metal-Brocken – 317 kg und 330 kg schwer. Das kann ja was werden, kichert mein Unterbewusstsein, als wir das Hotel des „Triple S“-Events erreichen.
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Ausgabe 97/2020 von Motorrad & Reisen als PDF mit folgendem Inhalt:
Motorräder: Triumph Tiger 900, Vergleichstest: BMW F 900 XR & S 1000 XR, BMW F 900 R, Harley-Davidson Sport Glide & Heritage Classic 114, Kawasaki Ninja 1000XS, Kawasaki Z650 , KTM 390 Adventure
Touren: Von Nantes nach Saint-Malo – Bretagne, Deutschland Tour: Von Lohne nach Bregenz, mehr Kurvig vorbei am Juragestein: Schwäbische Alb
Zuletzt aktualisiert: 26.02.2020
8 Seiten Fahrtest als PDF
Zuletzt aktualisiert: 26.02.2020
Motorräder: Triumph Tiger 900, Vergleichstest: BMW F 900 XR & S 1000 XR, BMW F 900 R, Harley-Davidson Sport Glide & Heritage Classic 114, Kawasaki Ninja 1000XS, Kawasaki Z650 , KTM 390 Adventure
Touren: Von Nantes nach Saint-Malo – Bretagne, Deutschland Tour: Von Lohne nach Bregenz, Kurvig vorbei am Juragestein: Schwäbische A mehrlb „Softail Sportster Scramble“ – so lautet das Motto der Testveranstaltung, zu der Harley-Davidson nach Spanien geladen hat. Ziel ist es, die Big Twins des Modelljahrgangs 2020 in freier Wildbahn zu entdecken. Nackte Softail-Heros wie Fat Bob, Street Bob und die neue Low Rider S (siehe
MOTORRÄDER PUR 01/2020), dazu die bekofferten Touren-Softails Sport Glide und Heritage Classic sowie – als Schmankerl für eine abendliche Tour – ein halbes Dutzend veredelte Sportster, die Harley-Customer Sykes mit einem Sound gesegnet hat, der sämtliche Bewohner des Friedhofs von Antequera um die verdiente Totenruhe bringen dürfte.
Die ganze Weite Amerikas
Unser spezielles Interesse auf diesem US-Ibero-Ride gilt der saulässigen Sport Glide und der urwüchsigen Heritage Classic. Zwei Bikes, die einen schon beim ersten Aufsitzen die Weite Amerikas spüren lassen. Mit nudelholzdicken Griffen, fettem Schalthebel und unverkennbarem V-Twin-Bollern.
Die Neuerungen, die Harley seiner Softail-Baureihe angedeihen lässt im Launch-Jahr der medialen Knallerbikes LiveWire, Pan America und Bronx, sind übersichtlich: Alle Modelle verfügen jetzt über einen Kühlerrahmen „aus einem besonders robusten Kompositmaterial“. Das war es laut Pressemappe auch schon, sieht man von der neu aufgelegten Low Rider S mal ab.
Umfangreiche Update-Maßnahmen, so viel sei hier verraten, werden dafür den Touring-Modellen zuteil, die noch einmal eine Gewichts-, Preis- und Ausstattungsklasse höher antreten als die urwüchsige Softail-Familie. Road King Special, Street Glide Special, Road Glide Special, Ultra Limited und die neue Road Glide Limited haben jetzt das Reflex Defensive Rider Systems (RDRS) an Bord. Das Assistenzpaket beschert ihnen ein Kurven-ABS, das mit der elektronischen Bremskraftverteilung arbeitet. Außerdem verfügen alle Touring-Modelle mit Infotainmentsystem künftig übers Connectivity-Modul H-D Connect und über ein paar neue Farbfacetten – aber das nur am Rande.
Nahezu unverändert ins neue Modelljahr
All das gibt es für die 2018 gestartete, dritte Generation der Softail-Baureihe nämlich nicht. Hier geht es um pures „Riden“ im Hardtail-Style. Weniger ist mehr. Denn: Echte Kerle brauchen kein Schischi, das war schon die Devise von Willie G. Davidson, Enkel eines der Firmengründer und Schöpfer der Softail. Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen mit verstecktem Zentralfederbein (von Hand einstellbar), je eine Bremsscheibe vorn und hinten, die Optik ist schlicht „rough“. Die Sport Glide stützt sich vorn auf eine Upside-Down-Telegabel (43 mm), so wie auch Fat Bob, FXDR 114 und die neue Low Rider S. Die Heritage Classic begnügt sich mit einer verkleideten Telegabel. Die stattlichen Standrohre bringen es auf einen Durchmesser von 49 mm.
Befeuert werden die Softails von einem Milwaukee-Eight 107 (1.745 ccm) beziehungsweise 114 (1.868 ccm). Womit Harley-affine Kürzelkenner wissen: 84 PS und potente 145 Nm bei 3.000 Touren leistet der „kleine“ V-Twin in der Sport Glide, 94 PS und mächtige 155 Nm der „große“ in der Heritage Classic, ebenfalls bei charakteristischen 3.000 Touren, also kurz überm Drehzahlkeller. Die Höchstgeschwindigkeiten gibt Harley-Davidson mit 190 km/h und 175 km/h an. Theoretische Werte in einer Region, die vor allem aus Kurven besteht und stellenweise mit tückischem, gripfreiem Asphalt zu überraschen weiß.
Auf den Spuren der Highway-Cops
Steigen wir also auf. Erstes Rendezvous mit der Heritage Classic 114. Hoher gebogener Lenker, Solo-Instrument auf dem Tank, zwei verchromte Tankdeckel, wobei nur der rechte echt ist. Links montiert Harley einen Blender, der symmetrischen Optik wegen. Der riesige Plexiglas-Windschild könnte auch als Duschverkleidung dienen, mit blickdichtem, schwarz eingefärbtem Intimbereich. Was für ein cooles Teil. Jetzt noch ein Blaurotlicht und ich käme mir vor wie ein Exponat im Highway-Cop-Museum.
680 mm Sitzhöhe sind auf so einem Chrom- und Echtmetall-Trumm eine feine Sache. Beide Füße stehen vollflächig auf dem Boden. Das Rangieren fällt deutlich leichter, als ich es erwartet hatte. Einmal in Bewegung, erweist sich die Haudegen-Softail als überraschend handlich und fahraktiv. Der 150er-Hinterreifen beschert ihr von allen Softails das sicherste Gefühl und die beste Rückmeldung in Kurven. Modelle wie die Fat Boy sind auf einem kantigen 240er-Schlappen unterwegs. Sport Glide und Low Rider S liegen mit dem Format 180/70 dazwischen und lassen ebenfalls hohe Kurventempi zu. Vorausgesetzt natürlich, das kratzende Geräusch von Ständer, Fußraste oder Trittbrett – im Falle der Heritage Classic – stört einen nicht im persönlichen Linksrum-Rechtsrum-Flow.
LED-Licht meets Nieten & Leder
Ein sehr sinnvolles Zugeständnis an die Neuzeit ist der LED-Hauptscheinwerfer. Ihm zur Seite stehen zwei Nebelscheinwerfer, ebenfalls in LED-Ausführung. Sitzbank und Kofferset sind mit schwarzen Nieten verziert. Der Öffnungsmechanismus ist nach wie vor der coolste überhaupt: Die Deckel klappen Harley-typisch nach außen auf. Ähnlich lässig öffnen nur die hinten angeschlagenen Türen von Rolls-Royce.
Gangwechsel quittiert das 6-Gang-Getriebe mit einem unüberhörbaren PLOCK. Dumpf, schwer, vertrauenserweckend wie das Schließgeräusch eines begehbaren Tresors. Verschalten scheint ausgeschlossen bei den langen Schaltwegen. Zum Raufschalten muss man den ganzen Fuß vom Trittbrett lösen. Runterschalten vor engen Kurven sollte man nur mit Bedacht: Die Softails haben keine Anti-Hopping-Kupplung. Ein Gruß vom Hinterrad kann also nicht ausgeschlossen werden, wenn man flott nach unten durchwechselt.
Die Bremsen erledigen ihren Job am besten gemeinsam. Die Vorderradbremse allein hat ansonsten ihre liebe Mühe, die Fuhre mit Nachdruck zum Stehen zu bringen. Aber das sind Harley-Fahrer ja gewohnt. Es drückt halt reichlich Gewicht nach vorn. Der Verbrauch hält sich trotz der Gewichtsklasse 300+ erfreulich in Grenzen: 5,6 Liter auf 100 Kilometer gibt Harley an. Das kommt selbst bei flotter Fahrt ganz gut hin. Drehzahlorgien sind naturgemäß Tinnef auf einer Softail. Immer schön im Zielkorridor des maximalen Drehmoments bleiben, dann macht das Harleyfahren echt Spaß.
Sport Glide zielt auf Macker
Das gilt auch für die Sport Glide. 13 Kilo leichter als die Heritage Classic 114, macht sie mit ihren weit nach vorn verlagerten Fußrasten im besten Sinne auf Macker-Bock. Der Motorblock ist großflächig verchromt, ein kohlefaserverstärkter Sekundärzahnriemen überträgt die Kräfte aufs 16 Zoll große Hinterrad. Lenker, Gabelbrücke und die Instrumenteneinfassung sind ebenfalls voll verchromt. Die Cockpitverkleidung krönt ein klitzekleiner Windschild, der erstaunlich gute Arbeit leistet, so man nicht die 1,90-Meter-Marke knackt.
Der Milwaukee-Eight verrichtet in beiden Maschinen im besten Harley-Davidson’schen Sinne seine Arbeit. Der Punch im unteren Drehzahlbereich ist immer wieder eine Freude. Schaltfaules Cruisen dürfte auf kaum einem anderen Bike so entspannt und akustisch beeindruckend vonstatten gehen. Man darf sehr gespannt sein, wie viel davon bei den neuen, vor allem auf den europäischen Markt zielenden Baureihen ankommt.
Im Herbst 2020 sollen der Mittelklasse-Roadster Bronx und die GS-Herausforderin Pan America auf die V-Twin-Gemeinde losgelassen werden. Die klassischen, ur-amerikanischen Modelle bekommen dann hausintern echt spannende Konkurrenz. Verstecken müssen sie sich keineswegs.