Damals mit mächtigem Vierzylinder-Boxermotor, Kardanantrieb und drei Scheibenbremsen als Machbarkeitsstudie auf die zwei Räder gestellt, hat sich ihr Charakter in der Folgezeit doch gewaltig geändert. Honda schuf mit der Gold Wing den Luxus-Reisedampfer par excellence. Diese Modellkontinuität hat dazu geführt, dass sich nur noch gestandene Motorradfahrer an die letzte Modellüberarbeitung erinnern können – 2001 wurde die GL1500 zur GL1800, seitdem gab es 2006 nur noch einen Airbag für die Luxusversion hinzu, doch das war’s mit Updates
Jetzt folgt der nächste große Schritt, aber ohne Namensänderung: Die GL1800 Gold Wing stellt eine von Grund auf überarbeitete Neuauflage dar, die unter den Vorgaben kompakter, leichter und agiler mehr Komfort und Sicherheit verspricht. Das sieht man sofort: Viel schlanker, mit einer eckigeren Formensprache und einem Gesicht, das aus zwei prägnanten LED-Lichtleisten zwischen schmalen Spiegeln mit integrierten LED-Blinkern nach vorne linst, zeigt die neue Gold Wing deutliche Anleihen bei DN-01 und der legendären ST 1100 Pan European. Mit der früheren Anmutung einer japanischen Schrankwand hat das moderne Äußere jedoch nichts mehr gemein.
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Die komplette Ausgabe 85/2018 von Motorrad & Reisen als PDF
Inhalt:
- PDF-e-Paper-Ausgabe - 100 Seiten
Zuletzt aktualisiert: 28.02.2018
Motorräder: Kawasaki Ninja H2 SX SE, KTM Duke 790 und RC 390 R, Harley-Davidson Sport Glide, Ducati Scrambler 1100, Triumph Tiger 800, Africa Twin Adventure Sports, Yamaha MT-09 SP, Honda GL1800 Gold Wing, Honda CB1000R
Touren: Katalonien, Elsass, Weserbergland, Passo Pasubio, Jakobsweg
Unter der Verkleidung ist fast nichts mehr, wie es war
Unter der fast sportlichen Verkleidung ist bis auf die Motorenbauweise und den Hubraum nichts mehr so, wie es war – insgesamt verbaute Honda laut eigener Aussage gleich 90 neue Patente. Der Sechszylinder-Boxer zeigt bei 1.833 ccm Hubraum ein quadratisches Hub-Bohrungsverhältnis von 73 zu 73 Millimetern, für das sämtliche Motorinnereien von den Kolben über die Pleuel bis zur Kurbelwelle neu gezeichnet wurden. In bekannter Unicam-Bauweise steuert nur noch eine oben liegende Nockenwelle die Füllung der sechs Brennräume über jeweils vier statt zwei Ventile. Statt zweier besorgt nur noch eine Drosselklappe das zündfähige Gemisch.
Natürlich wurde auch die gesamte Peripherie vom nun seitlich platzierten Kühler über die Luftfilteranlage bis zur nun komplett im Blick liegenden Auspuffanlage erneuert. Aus dem Rollerbereich stammt die Kombination von Anlasser und Lichtmaschine: Ein doppelt gewickelter bürstenloser Rotor kombiniert diese Funktionen in einem Bauteil, was die neue Start-Stopp-Automatik sanft agieren lässt. Damit zaubern die Ingenieure 126 PS bei 5.500 U/min aus der Kraftquelle, was nicht sonderlich imponiert. Viel mehr beeindruckt das Drehmoment von 170 Nm, das der Kraftprotz schon bei niedrigen 4.500 Touren produziert.
Angeboten wird die Gold Wing in drei Versionen, die sich in Ausstattung und Kraftübertragung unterscheiden. Die Basisvariante kommt im Bagger-Stil ohne Topcase und elektronisches Fahrwerk, aber mit flacher Scheibe und natürlich den fest installierten Seitenkoffern für 25.595 Euro. Die „Tour“-Edition mit Topcase und hoher Scheibe bietet darüber hinaus eine Traktionskontrolle, Sitzheizung und ein elektronisches Fahrwerk, aber keine Start-Stopp-Funktion. Bei beiden Versionen erfolgt die Kraftübertragung über ein neu entwickeltes Sechsgang-Schaltgetriebe mit Rutschkupplung. Die luxuriöseste Version „Tour“ gibt es für stolze 35.595 Euro und zeigt darüber hinaus den Airbag und die neueste Generation des Honda-Doppelkupplungsgetriebes DCT mit erstmals sieben Gängen. Diese können wahlweise automatisch oder manuell vom linken Lenkerende aus bedient werden. Neu ist dazu ein Kriechgang mit Namen „Walking Mode“, der vorwärts wie rückwärts funktioniert.
Fahrmodi: Econ, Rain, Tour und Sport
Für die Einstellung von Motorcharakter und Fahrwerk stehen vier vorkonfigurierte Fahrmodi – Econ, Rain, Tour und Sport – zur Verfügung. Diese beeinflussen die Kraftentfaltung und Maximalleistung ebenso wie die Traktionskontrolle, die Dämpfung des elektronischen Fahrwerks und die Einstellung des Kombi-Bremssystems, aber auch entsprechende Arbeitsweisen des neuen DCT sind hinterlegt – allesamt übrigens nicht veränderbar.
In Econ und Rain spürt man nicht viel von der Power des Sechszylinders, hier geht die Gold Wing sehr zurückhaltend zu Werke. Dagegen ist der Sport-Modus das andere Extrem: sehr hohe Drehzahlen bis zum Schaltpunkt. Damit verbundene spürbare Antriebsreaktionen sind nicht tourenlike.
So bleibt als beste Wahl der Tour-Modus, in dem die Honda ihre sprichwörtliche souveräne Gelassenheit ausspielt. Angenehm druckvoll kommt die Gold Wing in die Puschen und schiebt schon aus dem Leerlauf nachdrücklich voran. Fleischig gibt sich die Drehzahlmitte und selbst in höheren Regionen kann der Boxermotor ein kleines Schippchen drauflegen. Neben der reinen Motorenperformance sorgt eine geschmeidige Laufruhe und das rundherum unauffällige DCT, das früh die siebte Stufe einlegt und genüsslich voranschiebt, für viel Fahrkultur. Der kehlige unverkennbare Sechszylinder-Sound besorgt den Rest der Emotionen.
Beim ebenso neu konstruierten Fahrwerk standen Gewichtsersparnis und ein agileres Fahrverhalten im Fokus – die Basis-Gold Wing wiegt nun 365 kg vollgetankt und ist damit gleich 48 Kilo leichter als ihre Vorgängerin, die Luxusvariante kommt auf 383 kg, die reine Tour wiegt 379 kg. Statt einer Telegabel wird das Vorderrad von einer exklusiven Doppelquerlenker-Aufhängung mit Federbein geführt, die mit sagenhaftem Ansprechverhalten für Fahrkomfort sorgt. Diese Konstruktion baut kürzer, wodurch das Triebwerk, der Tank und die Besatzung weiter nach vorn wandern, was die Gewichtsverteilung optimiert. Hinten ist eine dicke 200er-Walze über eine neu konstruierte Einarmschwinge mit dem Leichtmetall-Brückenrahmen verbunden, der nur noch aus vier Teilen besteht.
Hohe Souveränität und tadelloser Geradeauslauf
In der für die meisten Gelegenheiten passenden elektronisch vorgegebenen Tour-Abstimmung verströmt die Gold Wing hohe Souveränität und tadellosen Geradeauslauf auch bei schnellerem Tempo. Etwas mehr Bewegungsfreiheit beschert die neue Fahrerpositionierung, dabei bleibt die Bettung auf Fahrer- wie Beifahrerplatz bequem genug für einen langen Tag im Sattel. Hinzu kommt der nahezu perfekte Wind- und Wetterschutz hinter der elektrisch verstellbaren hohen Scheibe. Trotz aller Diätmaßnahmen bleibt die Honda aber natürlich ein Schlachtschiff, wenngleich ein dynamisches – und allzu viel Handlichkeit steckt hier nicht drin. Den Pfunden gerecht werden die brachialen Radial-Festsattelzangen mit sechs Kolben, die die 320-mm-Scheiben in die Mangel nehmen. Durch die intelligente Bremskraftverteilung der Kombibremse, auch auf den Dreikolben-Schwimmsattel im Hinterrad, stoppt die Gold Wing knackig. Luxuriös wie gewohnt fällt die umfangreiche Ausstattung mit automatischer Blinkerrückstellung, Berganfahrhilfe, Tempomat, Heizgriffen, heizbarer Sitzbank vorn wie hinten und weiteren Elektronikfeatures bis hin zur Apple-Car-Play-Integration aus. Die mächtigen Batterie-Bedienelemente an den Lenkerenden und auf der Mittelkonsole geben davon Zeugnis. Ein Highlight ist der 7-Zoll-TFT-Farbildschirm, über den sich sämtliche Fahrwerkseinstellungen, die Telefon- und Audiofunktionen des mit vier Lautsprechern versehenen Soundsystems und die eingebaute Navigation steuern lassen. Wie gewohnt kommt alles in typisch guter Honda-Materialgüte, die von den sanft federbelastet öffnenden Deckeln von Koffer- wie Topcase symbolisiert wird. Auch wenn es dem Luxus-Flaggschiff noch an hochmoderner Technik wie semiaktiver Dämpfung und Kurven-ABS mangelt: Mit der jüngsten Generation Gold Wing spricht Honda den dynamischen Tourenfahrer an, der mit großem Geldbeutel echten Zweirad-Kult bekommt.