Hanspeter Küffer
Felix Romero
Es scheint fast so, als ob sich Indian von den zahlreichen Umbauten kreativer Customizer hat inspirieren lassen. Reduziert aufs Wesentliche modelliert die älteste amerikanische Motorradmarke den vor drei Jahren lancierten Powercruiser Scout zum trendigen Bobber um. Mit überarbeitetem Fahrwerk, sportlicher Sitzposition und griffigen Stollenreifen präsentiert sich die neue Indian Scout Bobber als cooles Bike mit überraschend guten Fahreigenschaften.
Hommage an die 1940er-Jahre
Im Grunde genommen ist das jüngste Modell von Indian eine Hommage an die sportlichen Umbauten der späten 1940er-Jahre. Mit reduziertem Design, kraftvollem Antrieb und sportlichem Charakter sorgten bereits damals die solchermaßen modifizierten Bikes für puristischen Fahrspaß. Heute sind es nebst den stark gekürzten Schutzblechen insbesondere die zahlreichen schwarz lackierten Teile wie Tacho, Räder, Scheinwerfergehäuse und Doppelauspuffanlage, welche den minimalistischen Look bewirken. Selbst der mächtige V-Twin ist fast gänzlich in düsteres Schwarz gehüllt.
Handschrift früherer Modelle
An die Handschrift früherer Modelle erinnert auch die klassische Linienführung, allerdings lediglich ansatzweise. Das bogenförmige Layout vom Lenkkopf über den Tank, den Rahmen und die Federbeine bis hin zur Hinterachse ist unverkennbar. Auch der traditionelle Solosattel, der Rundscheinwerfer sowie der nach hinten spitz geformte Tank sind noch da. Und selbst die schicken 16-Zoll-Räder mit filigranen Gussspeichen und der fetten Bereifung sind optisch an die Modelle von einst angelehnt. Die lange und tief gehaltene Silhouette wirkt ausgewogen, klassisch und modern zugleich
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Die komplette Ausgabe 84/2018 von Motorrad & Reisen als PDF
Inhalt:
- PDF-e-Paper-Ausgabe - 100 Seiten
Zuletzt aktualisiert: 21.12.2017
Motorräder: Harley-Davidson Sport Glide, Indian Scout Bobber, Ducati Multistrada 1260 S, KTM 1290 Super Adventure S, Kawasaki Z900RS (Cafe)
Touren: Jakobsweg, Australien, Zollernalb, Portugal
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Brechen der Tradition
Konstruktiv und technisch bricht die Scout jedoch mit der Tradition. Der von der Schweizer Firma Swissauto in Burgdorf entwickelte Motor ist zwar weiterhin ein V2, allerdings eine durch und durch zeitgemäße Konstruktion. Das 1.133 ccm große Aggregat mit kurzhubiger Auslegung von 99 Millimetern Bohrung und 73,6 Millimetern Hub ist wassergekühlt, es hat vier Ventile pro Zylinder, zwei oben liegende Nockenwellen, ein elektronisches Motormanagement sowie ein Sechsganggetriebe und einen Zahnriemen-Sekundärantrieb. Das Leistungspotenzial von 95 PS und 97 Nm Drehmoment ist eine klare Ansage an die engsten Mitbewerber dieses Segments.
Einzigartige Fahrwerkskonstruktion
Auch das Fahrwerk zeigt sich insbesondere aufgrund des unkonventionellen Rahmenlayouts von der modernen Seite. Die im Motorradbau bisher einzigartige Konstruktion basiert auf einem vorderen und einem hinteren Alu-Gussteil, welche oberhalb des Motors mit zwei Stahlrohren miteinander verschraubt sind. Während das hintere Gussteil die Schwingenlagerung und das Rahmenheck aufnimmt, umschließt das vordere Teil den Wasserkühler, welcher dadurch in der Seitenansicht verborgen bleibt. Der Motor ist mit drei durchgehenden Bolzen als mittragendes Teil in diese Konstruktion integriert.
Tiefe Silhouette ohne Beifahrersitz – nie ging es einfacher, das Bein übers Hinterrad zu schwingen und aufzusitzen. Obwohl die Scout mit 1.562 Millimetern Radstand ein stattliches Motorrad ist, passt die Ergonomie für über 185 Zentimeter große Fahrer nur bedingt. Kleinere Piloten fühlen sich dagegen im bequemen Solosattel in lediglich 649 Millimetern Höhe richtig wohl. Für sie passen Rasten- und Lenker-Positionierungen sehr gut. Rund vier Zentimeter weiter hinten positionierte Fußrasten und ein neuer Tracker-Lenker bewirken eine insgesamt sportlichere und fahraktivere Sitzposition als auf dem Basismodell. Der tiefe Schwerpunkt erleichtert das Manövrieren im Stand und begünstigt Handling und Agilität im Verkehr.
Gutes und sicheres Fahrgefühl
Bereits kurz nach dem Start stellt sich ein gutes und sicheres Fahrgefühl ein. Der Motor läuft kultiviert und vibrationsarm. Er hängt sauber am Gas und beschleunigt ab rund 2.000 U/min souverän und kraftvoll, um ab rund 3.500 U/min so richtig loszulegen. Wer sportlich unterwegs sein will, fährt zwischen 4.000 und 5.000 Touren. Mehr geht auch, ist jedoch nicht wirklich nötig, zumal der Druck im obersten Bereich spürbar nachlässt. Dazu kommt, dass die Gangwechsel mit kurzen Schaltwegen exakt funktionieren und selbst der Leerlauf im Stand problemlos eingelegt werden kann. In leicht geduckter und nach vorn geneigter Haltung durchs Kurvenlabyrinth zu flitzen, macht gleichermaßen Freude, wie genussvoll durch die Landschaft zu cruisen, zumal das Fahrwerk auf gut asphaltierten Straßen kaum Wünsche offenlässt. Gröbere Unebenheit quittiert die mit lediglich 50 Millimetern doch eher knapp bemessene Hinterradfederung zuweilen jedoch recht unwirsch mit harten Schlägen in den Rücken des Fahrers. Trotz langem Radstand und relativ breiten Reifen lässt sich die 255 Kilogramm schwere Scout Bobber einfach und zielgenau steuern.
Getrübt werden die ansonsten souveränen Fahreigenschaften einzig durch die eher knapp bemessene Schräglagenfreiheit. Bei etwas beherzterer Gangart werden in Kurven zuerst die Fußrasten und wenig später auf der rechten Seite auch der Auspuffkrümmer vom Asphalt abgeschliffen. Sehr gut funktionieren dagegen die beiden Scheibenbremsen, welche trotz einfacher Konstruktion mit klarem Druckpunkt überzeugen und ansprechend verzögern. Und wer die wirklich speziellen Fahrfreuden der coolen Indian Scout Bobber gerne mit einer netten Hinterbänklerin teilen möchte, kann mit wenig Aufwand über dem Rearfender ein passendes, aber, so wie's aussieht, sicherlich nicht sonderlich bequemes Sozius-Brötchen aus dem reichhaltigen Sortiment an Originalzubehör montieren.