Hanspeter Küffer
James Wright & Ula Serra
Rückblende: Zu Beginn der 1970er-Jahre war das Wettrüsten um das stärkste und schnellste Motorrad in vollem Gange. Den mit modernen Maschinen auf den Markt drängenden japanischen Marken hatten die europäischen Hersteller wenig Konkurrenzfähiges entgegenzustellen. Mit ihren sagenhaften 67 PS rang die Honda CB 750 1969 als erstes Vierzylinder-Superbike alle Mitbewerber gnadenlos nieder. Diese überlegene Vorherrschaft dauerte allerdings lediglich knapp drei Jahre, bis Kawasaki mit der Z1 nachdoppelte und sogar noch einen drauflegte.
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Die komplette Ausgabe 84/2018 von Motorrad & Reisen als PDF
Inhalt:
- PDF-e-Paper-Ausgabe - 100 Seiten
Zuletzt aktualisiert: 21.12.2017
Motorräder: Harley-Davidson Sport Glide, Indian Scout Bobber, Ducati Multistrada 1260 S, KTM 1290 Super Adventure S, Kawasaki Z900RS (Cafe)
Touren: Jakobsweg, Australien, Zollernalb, Portugal
Der erste Reihenvierer von Kawasaki drückte damals aus 903 ccm Hubraum satte 82 PS auf die Kurbelwelle. Mit über 210 km/h Spitze und 4,5 Sekunden von 0 auf 100 riss die Z1 die Krone des schnellsten und spurtstärksten Superbikes an sich. Leider vermochten die filigranen japanischen Rahmenkonstruktionen dem für damalige Verhältnisse enormen Leistungspotenzial in keiner Weise gerecht zu werden. Insbesondere bei hohen Geschwindigkeiten entwickelten die Fuhren zuweilen eine nicht ganz ungefährliche Eigendynamik. Ähnliches trifft auf die Bremsen zu. Die als jüngste Errungenschaft lancierten ungelochten Singlescheiben mit Einkolben-Bremssätteln verzögerten zwar besser als die bis dahin von den Mitbewerbern als Standard eingesetzten Trommelbremsen, unter Berücksichtigung der hohen Geschwindigkeiten jedoch viel zu schwach.
Zeitsprung: Da steht sie nun, die Neue, und sie sieht ihrer Urahnin zum Verwechseln ähnlich. Das hat das Design-Team von Kawasaki wirklich ganz hervorragend hingekriegt – großes Kompliment. Die Linienführung vom Rundscheinwerfer über den tropfenförmigen Tank, die nahezu flache Sitzbank bis hin zum Heckabschluss mit keckem Entenbürzel ist meisterhaft nachgezogen. Dazu kommt die ikonische braun-orange Lackierung unseres Testfahrzeugs, ganz im Stil des Originals der Seventies. Obwohl die Z1 keine Kopie sein will, ist die Ähnlichkeit verblüffend und als Gesamtkonzept sehr gut gelungen.
Klassik verbunden mit der Moderne
Es sind jedoch auch die vielen Details, die Klassik und Moderne harmonisch miteinander verbinden. Speziell hübsch gemacht sind beispielsweise die Rundinstrumente von Tacho und Drehzahlmesser, deren Zifferblätter in identischer Skalierung und Typo von einst ausgeführt sind. Ergänzende Infos wie Uhrzeit, Motortemperatur, Tankanzeige, Kilometer- und zwei Tripzähler, Verbrauch, Reichweite und Ganganzeige gibt's im gut ablesbaren und diskret zwischen den beiden großen Analoginstrumenten eingebetteten LC-Display. Der klassische Rundscheinwerfer leuchtet mit LED, das ovale Rücklicht ebenfalls. Dass der Tank deutlich breiter und bauchiger ausfällt, ist der modernen Rahmenkonstruktion geschuldet. Die schwarz lackierten Gussräder mit seitlich abwechselnd polierten filigranen Speichenpaaren und ebenso bearbeiteten Felgenborden sind ein durchaus akzeptabler Kompromiss zu den Stahlspeichenrädern von einst. Und weil es heute aufgrund der aktuellen Lärm- und Abgasvorschriften schlicht und einfach nicht mehr möglich ist, einen ähnlich feinen Doppelauspuff zu konstruieren, hat sich Kawasaki für die optisch schlanker wirkende 4-in-1-Anlage entschieden. Ähnliches gilt für die Blinker, die im aktuell gewählten modernen Kleinformat weniger stark auffallen als allfällig authentischere orange Rundleuchten.
Retro, aber dennoch gut ausgestattet
Technisch basiert die neue Z900RS auf der vor Jahresfrist lancierten Z900, und erstaunlicherweise sind die Unterschiede wesentlich geringer als erwartet. Doch was noch mehr überrascht: Die RS ist trotz Retro-Look insgesamt das modernere und besser ausgestattete Motorrad im Vergleich zur Z900 im kantig gezeichneten Sugomi-Design. Im Gegensatz zu Letzterer sind die Vierkolben-Festsattelzangen der vorderen 300-mm-Scheibenbremse radial montiert. Dazu steckt in der RS eine zweistufige Traktionskontrolle, die bei Bedarf auch komplett deaktiviert werden kann. Ein komplett neuer Rahmen verhalf bereits der Z900 zu einer enormen Gewichtsreduktion. Für die RS soll sich das weitgehend identische filigrane Stahlgestänge nun noch ein wenig enger um den mittragenden Motor schmiegen. Dazu kommt ein neuer, geringfügig längerer Heckrahmen. Die vordere, voll einstellbare 41-mm-Upside-down-Gabel und die horizontale Back-Link-Hinterradfederung mit einstellbarer Federrate und Druckstufe sind identisch. Durch die flache und 40 Millimeter höhere Sitzbank sowie den stärker nach oben gekröpften Lenker ergibt sich eine weniger stark nach vorne geneigte und dem Retro-Charakter des Bikes entsprechende Sitzposition. Auch die Charakteristik des 948-ccm-Reihenvierers wurde dem Klassikkonzept angepasst. Die geringe Einbuße von 15 PS ist verschmerzbar, zumal er die maximale Leistung von nun 111 PS bereits rund 1.000 U/min früher bei 8.500 U/min erreicht. Und für das unveränderte maximale Drehmoment von 98,5 Nm genügen bereits 6.500 statt 7.700 U/min. Insbesondere im tiefen Drehzahlbereich wirkt die RS druckvoller. Ab 2.000 beschleunigt sie kraftvoll und linear bis in den Begrenzer bei circa 10.500 U/min. Kritikpunkte sind die etwas harte Gasannahme und das besonders beim Gasanlegen spürbare relativ große Spiel im Antriebsstrang.
Toll gelungen ist indes der Auspuffsound. Das tiefe Grollen im Leerlauf und bei niedrigen Geschwindigkeiten passt ausgezeichnet zum klassischen Auftritt.
Bei entspannter Gangart zeigt die RS ihre wahren Stärken
Witterungsbedingt war es auf unserer Testfahrt südlich von Barcelona leider nicht möglich, das volle Potenzial der Z900RS auszutesten. Bereits bei der Abfahrt in Küstennähe signalisierte das Display mit dem blinkenden Schriftzug „ICE”, dass die Temperatur nahe dem Gefrierpunkt liegen muss. Und als wir wenig später im kurvigen Hinterland auf einen Salz streuenden Lkw aufliefen, wussten wir, dass insbesondere in den teilweise noch feuchten oder eben möglicherweise vereisten Passagen höchste Vorsicht geboten war. Nun, diese gezwungenermaßen eher zurückhaltende und nicht sehr sportliche Gangart passt perfekt zum Bike und offenbart zudem die wahren Stärken der RS. Ohne hektisch zu beschleunigen und ohne harte Bremsmanöver lediglich auf der großen Drehmomentwelle mit rhythmischer Gas-auf-Gas-zu-Steuerung in moderater Schräglage durch Wechselkurven zu surfen, macht zuweilen richtig Freude. Die Bremsen funktionieren bestens, progressiv mit geringem Kraftaufwand am Handgriff und guter Dosierbarkeit. Doch eines wissen wir nach unserer winterlichen Testfahrt ganz genau: Mit der neuen Z900RS gelingt Kawasaki der Spagat zwischen gestern und heute in jeder Hinsicht absolut perfekt.