Fahrtest: KTM 1290 Super Adventure – vom Lamm zum reißenden Wolf

Nach ausführlichem Probefahren, nehmen wir die KTM 1290 Super Adventure genauer unter die Lupe.
06.11.2015
| Lesezeit ca. 8 Min.
Nachdem wir die KTM 1190 Adventure über mittlerweile 35.000 Kilometer gefahren haben und in zwei Artikeln über unsere durchweg guten Erfahrungen mit dieser leistungsstarken Reiseenduro berichteten, hatten wir Gelegenheit, die neue 1290er Super Adventure während einer fünftägigen Tour ausführlich unter die Lupe zu nehmen und sie einem Praxistest zu unterziehen. War schon die 1190er ein Meilenstein hinsichtlich Leistung, Assistenzsystemen und Fahrbarkeit einer Reiseenduro, so setzt KTM bei der Super Adventure noch einiges drauf.

160 PS katapultieren die Super Adventure gewaltig nach vorne

Der Motor stammt aus der Super Duke, wo er schon seine Qualitäten hinsichtlich enormer Leistung bei ausgezeichneter Fahrbarkeit unter Beweis stellen konnte. Für die Super Adventure wurde die Leistung ein wenig zurückgenommen. 160 Pferdestärken sind aber immer noch genug, um Maßstäbe in dieser Fahrzeugkategorie zu setzen. Der Motor der Super Duke erhielt eine größere Schwungmasse, engere Ansaugkanäle und auch die vier Motormappings wurden entsprechend angepasst, um dem Motor eine etwas zivilere Note zu verleihen. Es stellt sich natürlich die Frage: Wozu braucht man in einer Reiseenduro derart viel Leistung? 160 PS, dazu 140 Newtonmeter Drehmoment –ist die Super Adventure im Alltagsbetrieb überhaupt noch fahrbar? Die Frage hat unser Testfahrer nach fast 2.000 Kilometern während einer Tour im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet.
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KTM 1290 Super Adventure Static

Ob im Stadtverkehr von Berlin oder Breslau oder auf einem Stück Autobahn, ob auf topfebenem Asphalt oder holprigen Single-Tracks im Riesengebirge, der Motor stellt seine Leistung genau in dem Umfang zur Verfügung, wie sie gerade gebraucht wird. Aus dem Drehzahlkeller, 2.000 U/min, lässt sich der Motor bis in den Drehzahlbegrenzer nutzen und mutiert dabei von einem sanften Lämmchen zu einem reißenden Wolf. Für das Tourenfahren und Cruisen reichen die ersten beiden Drittel des verfügbaren Drehzahlbereichs aber vollkommen aus. Die Traktionskontrolle begrenzt zudem den Schlupf des Hinterrades so, dass der Hinterreifen nicht vorzeitig seine Lauffläche einbüßt. Zum Antrieb gehört natürlich auch das gut abgestufte Getriebe mit einem langen sechsten Gang, der das Drehzahlniveau insbesondere auf Autobahnfahrten und damit auch den Verbrauch senkt. Besonderes Augenmerk gilt selbstverständlich dem Lastwechselverhalten des Antriebstranges und auch hier verdient sich die Super Adventure dank eines Dämpferelements im Primärantrieb gute Noten. Dazu ist das Getriebe mit seinen kurzen Schaltwegen leichtgängig zu bedienen. Unser Testfahrer hatte lediglich manchmal Schwierigkeiten, den Leerlauf einzulegen.
KTM 1290 Super Adventure Motor

Das höchst unterschiedliche Geläuf während unserer Testtour macht eine realistische Aussage zu den Eigenschaften und Fähigkeiten des Fahrwerks der Super Adventure möglich. Mit der Schräglagensensorik des „Kurven-ABS“ ist nun eine semiaktive Federung von WP verknüpft, die mithilfe von Beschleunigungssensoren am Steuerkopf und im Fahrzeugheck, sowie Wegsensoren an der Leichtmetallschwinge und in einem der beiden Gabelholme die notwendigen Daten im Millisekundenbereich erhält.
Das Fahrwerk wird also permanent in den verschiedenen Modi an die Fahrbahnbeschaffenheit angepasst, ohne dass der Fahrer dies bewusst wahrnimmt. Weder garstige Buckelpisten oder Straßen ohne die oberste Asphaltschicht, noch enge oder schnelle Kurvenpassagen brachten das Fahrwerk an seine Grenzen. Lediglich die Autobahnetappe ließ auch ohne ausladendes Gepäck Unruhe ins Fahrwerk kommen. Hier hat KTM noch Nachbesserungsbedarf.
KTM 1290 Super Adventure Cockpit

Erstklassige Bremse!

Die Bremsanlage hingegen ist über jeden Zweifel erhaben und bringt die, gegenüber der 1190er um 12 kg schwerere, Super Adventure aus allen gefahrenen Geschwindigkeiten sicher zum Stehen. Zum guten Gefühl beim Bremsen trägt auch die integrierte Anti-Dive-Funktion bei.

Das Handling hat sich im Vergleich zur kleineren 1050 Adventure noch einmal verbessert!

Auch in Sachen Ergonomie hat sich ein bisschen was getan. Der Lenker ist geringfügig breiter geworden und so lässt sich die ohnehin leicht zu dirigierende Super Adventure noch besser händeln. Der auf 30 Liter Inhalt angewachsene Tank baut naturgemäß etwas breiter auf und vergrößert somit die Reichweite deutlich. Das Gestühl, ist der gesteigerten Reichweite angepasst etwas bequemer geworden. Die Sitzposition ist gewohnt gut. Lediglich der Tank drückt die Knie weiter nach außen. Alle Hebel und Bedienelemente sind gut erreichbar. Der Bordcomputer ist mit der linken Hand leicht bedienbar und liefert alle notwendigen Informationen für den Fahrer. Das Display ist – außer bei direkter Sonneneinstrahlung – gut ablesbar. Die verstellbare Scheibe liefert dazu einen guten Windschutz. Hinzu kommen weitere serienmäßige Ausstattungen wie Reifendruckkontrolle, Tempomat, Sitz- und Griffheizung, selbstrückstellende Blinker und sogar ein dreistufiges, durch die Schräglagensensoren gesteuertes Kurvenlicht. Aber nicht nur in Sachen Technik und Umsetzung derselben in Bewegung ist die 1290er Super Adventurespitze, auch der Preis mit 17.895 Euro verursacht bei manchem Interessenten Herzklopfen. Allerdings erhält er dafür auch ein Motorrad, das hinsichtlich Ausstattung und Fahrkultur seinesgleichen sucht. Kurzum, eine Reiseenduro der Spitzenklasse. Auf meine Frage nach einem Fazit nach fast 2.000 Kilometern auf unterschiedlichsten Straßenbelägen und -zuständen gab es für unseren Testfahrer nur eine Antwort: Die Super Adventure macht einfach nur Spaß!
KTM 1290 Super Adventure Fahrbild

Es gibt nicht viele Fahrzeugsegmente, die durch ein spezielles Modell geprägt sind. Bei den Autos ist es der VW Golf und bei den Motorrädern zweifellos die GS von BMW. Wer also hier resümieren will, kommt am Marktführer nicht vorbei. Es kann aber durchaus sein, dass diese Kategorie demnächst die „Adventure-Klasse“ heißt, denn die KTM 1290 mit der Typenbezeichnung Adventure dahinter, hat durchaus das Zeug dazu, das Maß aller Dinge zu werden. Das Motorrad hatte mit uns sozusagen ein Heimspiel, wir fuhren es nämlich im Süden Österreichs und rund um Berchtesgaden – glücklicherweise außerhalb der Ferienzeit. Die einzigen Fahrzeuge, die uns im Vorwärtsdrang behinderten, waren Heerscharen von Can-Am Spydern, die wohl auf dem Weg zu einem „Klassentreffen“ waren. Die Fahrer arbeiteten sich dabei in den engen Alpenkurven tüchtig ab. Aber mit der 1290er zogen wir natürlich mühelos an den Dreirädern vorbei. Wir wollen es mal gleich vorwegnehmen: Das Motorrad hat einen überragenden Motor und ein ebenso tadelloses Fahrwerk. Der bullige Motor ist von den tüchtigen österreichischen Ingenieuren noch einer Stärkungskur unterzogen worden. Wie ernst das KTM-Management die Aufgaben genommen hat, zeigt sich unter anderem daran, dass man zur Entwicklung der 1290er rund hundert Mitarbeiter zusätzlich eingestellt hat.
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KTM 1290 Super Adventure Reifen

Überarbeitete Zylinderköpfe und angepasste Drosselklappen machen die 1290er noch agiler!

Den Zylinderköpfen der Neuen wurden engere Kanäle verpasst und eine neue Kurbelwelle bringt deutlich mehr Schwungmasse ein. Außerdem wurde das Motormanagement überarbeitet und dem Primärantrieb ein Ruckdämpfer spendiert. Der sechste Gang ist jetzt länger übersetzt als in der „Super Duke“.
Bei unseren Bergtouren haben wir vor allem das breit nutzbare Drehzahlband sehr genossen. Auch wenn wir in engen Kurven mal etwas schaltfaul waren, blieben wir immer Herr der Lage. 105 Newtonmeter Drehmoment liegen schon ab 2.500 Kurbelwellenrotationen an. Das Drehmomentmaximum liegt bei 140 Newtonmetern. Das ganze geht dann bei einer beeindruckend ruhigen Laufkultur vor sich. Um die GS aus Bayern anzugreifen, haben die „Ösis“ praktisch nichts ausgelassen, was technisch machbar ist.
Über ein sogenanntes Ride-by-Wire-System sind vier unterschiedliche Fahrmodi einstellbar. Das Ansprechverhalten ist in allen Fahrstufen vorbildlich und vor allem ruckfrei. Wir fühlten uns immer gut motorisiert, hatten aber trotzdem den Eindruck, mit etwas Fingerspitzengefühl vorgehen zu müssen.
An der Super Adventure wimmelt es nur so von Sensoren und technischen Helferlein. Da wird die Geschwindigkeit von Vorder- und Hinterrad separat geregelt, das Motorrad dem Fahrbahnbelag angepasst, die maximale Motorkraft entwickelt, die die Räder gerade noch verkraften können. Dass das ABS auch in Schräglage tadellos funktioniert, ist dabei natürlich eine Selbstverständlichkeit.
KTM 1290 Super Adventure Federweg
Überschrift
Reifendruck, Kraftstoffverbrauch, oder die verschiedenen Temperaturen in der Luft oder im Hochleistungsmotor – alles ist unter Kontrolle. Ihr besonderes Augenmerk haben die KTM-Techniker natürlich auf das Fahrwerk gerichtet. So ist ein elektronisch gesteuertes Dämpfersystem serienmäßig an Bord. Das ist äußerst praktisch, da die Maschine bei harten Bremsmanövern nicht mehr so tief in die Gabel einsinkt, was im Notfall bei Ausweichmanövern lebensrettend sein kann. Die Abstimmung der Dämpfer ist am Lenker über die selbe Kommandoeinheit wie die der Fahrmodi zu steuern und zwar in den Abstufungen „Komfort“, „Street”, „Sport” und „Offroad“.
Dass mit diesem elektronischen Helferlein die Straßenunebenheit fast glatt gebügelt werden, versteht sich wohl von selbst. Der Federweg beträgt vorne wie hinten 200 Millimeter. Grundlage für die quasi Allround-Eigenschaften ist ein extrem leichter Stahl-Gitterrohrrahmen von knapp zehn Kilogramm. Wer dann doch mit dieser famosen Reisemaschine unbedingt ins Gelände will, ist natürlich auch noch nicht gleich aufgeschmissen. Das ABS und die Traktionskontrolle lassen sich einerseits ausschalten, andererseits bietet ein spezieller Offroad-Modus ein ordentliches Maß an Geländetauglichkeit.
KTM 1290 Super Adventure Aufsicht

Auf Strecken wie denen in den Alpen ist natürlich ein Höchstmaß an Agilität nützlich. Und davon hat der, sagen wir mal, „Koloss aus Mattighofen“ erstaunlich viel. 229 Kilogramm Trockengewicht sind natürlich kein Pappenstiel aber trotzdem ist die 1290er Adventure, die bei KTM als Luxus-Travel-Enduro geführt wird, ein wahrer Kurvenflitzer. Das Motorrad dürfte trotz seiner Größe vielen Fahrern passen. Die Sitzbank ist zweifach in der Höhe verstellbar. Der Tank fasst immerhin 30 Liter, was ziemlich lange Distanzen zwischen den Tankstellen möglich macht. Gut, dass das Sitzmöbel gut gepolstert ist. Der große Tank schränkt den Komfort allerdings zwangsläufig etwas ein. Man kann eben auch bei so einem Motorrad nicht alles haben.
Serienmäßig ist auch ein wirkungsvoller, höhenverstellbarer Windschild. Das funktioniert auch während der Fahrt problemlos. Im Grundpreis inbegriffen sind zudem eine Reifendruckkontrolle, ein Hauptständer und ein, für so eine Reiseenduro sehr nützlicher, Tempomat. Sehr gut und kaum sichtbar ist das Haltesystem für die Koffer, das ebenfalls serienmäßig geliefert wird. Sehr positiv aufgefallen sind uns außerdem die selbstständig zurückstellenden Blinker, sowie die Griff- und Sitzheizung.
Die KTM 1290 Adventure ist ein hervorragendes Motorrad! Es gibt eigentlich nicht einen Kritikpunkt, sieht man mal von der enormen Leistung ab, die manchem zu viel ist. Wer oft mit dem Bike auf lange Reisen geht und/oder viel mit Sozia oder Sozius unterwegs ist, kommt mit dem Flaggschiff des KTM-Enduro-Portfolios voll auf seine Kosten. Auch für große Fahrer ist sie bestens geeignet. Knapp 18.000 Euro sind zwar nicht gerade ein Schnäppchen, aber der Preis ist durch das tolle Gesamtpaket mit seinem vielen serienmäßigen Zubehör durchaus gerechtfertigt. Außerdem darf man mit einem hohen Wiederverkaufswert rechnen.
#Enduro#KTM#Test#WP
Technische Daten KTM 1290 Super Adventure 2014-2018
Motor
Bohrung x Hub 108 x 71 mm
Hubraum 1.301 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Zweizylinder, flüssigkeitsgekühlt, 4 Ventile pro Zylinder
Abgasreinigung/-norm Euro 3
Leistung 160 PS (118 kW) bei 8750 U/min
Drehmoment 140 Nm
Verdichtung 13,1:1
Kraftübertragung
Kupplung Anti-Hopping-Kupplung
Schaltung 6-Gang
Antrieb Kette
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Stahl-Gitterrohrrahmen
Federelemente vorn Upside-Down-Gabel
Federelemente hinten Zentralfederbein
Federweg v/h 200 mm/200 mm
Räder Speichenräder
Reifen vorn 120/70 R 17
Reifen hinten 170/60 R 17
Bremse vorn 320 mm Doppelscheibenbremse, Vierkolben-Schwimmsattel
Bremse hinten 267 mm Einscheibenbremse, Zweikolben-Festsattel
Maße & Gewicht
Gewicht 229 kg
Sitzhöhe 860 mm
Tankinhalt 30 Liter
Fahrzeugpreis ab 17895 €
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