Lange wurde die BMW R 1300 GS erwartet und viel wurde bereits im Vorfeld geschrieben. „Sie bekommt Flügel“, „Sie wird schwerer“, „Sie wird leichter“ und so weiter.
Sie wurde dann tatsächlich etwas leichter und wiegt nun nur noch 237 Kilogramm. Sie hat wirklich Flügel bekommen, wenn auch nur an der Front zum Windschutz. Als vor einigen Wochen eine
BMW R 1300 GS für einen ausführlichen Pressetest geliefert wurde, war zumindest bei mir die Spannung größer als gewöhnlich, denn bisher fällt das Fazit gemischt positiv aus. Einige meiner bereiften Mitstreiter betonen das sportlichere Gefühl mit stärkerem Motor und dem geringeren Gewicht, andere nehmen die elektronischen Features wie Radartechnik, das absenkbare Fahrwerk oder den programmierbaren Wippschalter in den Blick. So viel sei bereits verraten: Ich konnte meine kindliche Freude über die von innen beleuchteten Koffer nicht verbergen.
Einmal Vollausstattung, bitte schön
Wer schon mal auf einer GS, speziell der
R 1200 GS oder der
R 1250 GS, Platz genommen hat, wird wissen, weshalb sich das Motorrad so großer Beliebtheit erfreut und mehr als eine Million Mal verkauft wurde. Das Zusammenspiel von Motor, Ergonomie und Fahrgefühl passt von der ersten Sekunde an. Hinzu kommt die Eigenschaft, dass eine GS ein Urvertrauen in das Motorrad und die eigenen fahrerischen Fähigkeiten vermittelt, wie kaum ein anderes Motorrad. Auch die Bandbreite, in der sich der Motor zwischen bedächtigem und manchmal etwas spöttisch als „treckern“ bezeichnetem Fahren und der sehr sportlichen Jagd nach der nächsten Serpentine wohlfühlt, macht einfach Spaß. Und genau diesen Eindruck vermittelt auch die Motorrad & Reisen zur Verfügung gestellte R 1300 GS. Die in der Farbe „Lightwhite uni“ lackierte Maschine ist vollausgestattet. Heißt: Touren-Paket, Komfort-Paket, Dynamik-Paket und Innovations-Paket. Hinzu kommen Zusatzscheinwerfer, ein Satz Variokoffer und der BMW ConnectedRide-Navigator. Macht summa summarum 25.759,-- Euro.
Ab auf die Straße, Tourentest!
Und ohne auch nur eine Einstellung am Motorrad verändert zu haben, rolle ich für den Test vom Hof und lasse mich vom Navigator kurvenreich in Richtung Rheinland navigieren. Der erste Eindruck: Es ist zweifellos eine GS, aber irgendwas fühlt sich anders an. Ist es das Fahrwerk? Sitze ich anders? Ist es der überarbeitete Boxer-Motor oder das geringere Gewicht? Ich bin noch unschlüssig, aber zwei Dinge fallen sofort auf: Der Wind- und Wetterschutz ist bei elektrisch ausgefahrenem Windschild exzellent und das Fahrwerk fühlt sich straffer an. Nicht nur lässt sich der Windschild elektrisch hochfahren, die größere Tourenscheibe wird an den Seiten um kleinere, durchsichtige Windabweiser ergänzt, die den Luftstrom weitestgehend um den Fahrer herum manövrieren. Die von BMW Flaps genannten Windabweiser fahren dabei nicht mit dem Windschild hoch, sondern schließen aerodynamisch die Lücke, die der nach oben fahrende Windschild hinterlässt. Durch die Handschützer sind auch die Hände weitestgehend von Wind und Wetter abgeschirmt und wen es dann noch fröstelt, kann die dreistufige Griffheizung um Wärme bitten.
Steifer, präziser, besser – Fahrwerk und Rahmen
Gut abgeschirmt von störenden Wettereinflüssen, kann man sich trefflich aufs Fahren und das Fahrwerk konzentrieren. Das fühlt sich straffer an, als man das von den Vorgängern gewohnt war, und gibt einen Hinweis auf die hinzugewonnene Sportlichkeit der R 1300 GS. Verantwortlich dafür ist hauptsächlich der neue Telelever, der am Vorderrad für mehr Präzision und Stabilität sorgt. Der Wegfall des mitunter sänftenartigen Gefühls des GS-Fahrens und eine spürbare Reduzierung des Nickens bei starken Bremsmanövern sind die Folge. Dazu passt, dass das neue Rahmenkonzept, das den Motor als tragendes Teil in den Blechschalen-Hauptrahmen aus Stahl integriert und auch am Heck aus Aluminium-Druckguss statt aus Stahlrohr besteht, die Steifigkeit des Motorrads deutlich erhöht. Straffer, steifer und insgesamt deutlich agiler – das wird nicht jedem bisherigen GS-Fahrer gefallen. Aus rein objektiver Sicht tut die Auffrischung dem Modell jedoch gut und sorgt für ein deutlich neutraleres und fähigeres Motorrad auf der Straße. Bravo!
Elektronik im Übermaß
Wirklich alles, was die GS kann, lässt sich nun elektronisch einstellen und regeln. Bei unserer Testmaschine fängt das beim bereits erwähnten Windschild an, geht bei dem programmierbaren Multi-Taster samt Multi-Knopf weiter und findet in der verbauten Radartechnik seinen Höhepunkt. Alles kann auf dem bereits bekannten 6,5-Zoll-TFT-Farbdisplay und mittels Drehrad eingesehen, gesteuert und angepasst werden. Doch der Reihe nach.
Downloads & Produkte zum Thema
Fahrtests: Moto Guzzi Stelvio, Triumph Daytona 660, Honda CB650R & CBR650R – E-Clutch, BMW R 1300 GS, Yamaha Ténéré Extreme, Moto Guzzi V85, Kawasaki Z500 & Ninja 500 SE, Suzuki V-Strom 1050DE
Touren/Reisen: Smoky Mountains, Hohe Tauern, Westschweden, 15 Mittelgebirgs-Tagestouren
Motorräder: KTM 1390 Super Duke GT, CFMoto 450CL-C, Triumph Trident-Triple-Tribute, GasGas Prototyp, Indian Scout
mehrTests: NEXX X.WST3, Metzeler Roadtec 02, Michelin Power 6, Michelin Power GP2, Michelin Anakee Road, Spidi Frontier, Modeka Valyant, HJC F31, Spidi Hoodie II H2Out, Touratech Discovery2, Touratech Guardo Ultimate GTX, Schuberth S3
Magazin: Schweizer Bußgelder, Absatzprobleme – E-Motorrad, Tilsberk mit neuen Funktionen
Zuletzt aktualisiert: 19.04.2024
Fahrtests: Moto Guzzi Stelvio, Triumph Daytona 660, Honda CB650R & CBR650R – E-Clutch, BMW R 1300 GS, Yamaha Ténéré Extreme, Moto Guzzi V85, Kawasaki Z500 & Ninja 500 SE, Suzuki V-Strom 1050DE
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Magazin: Schweizer Bußgelder, Absatzprobleme – E-Motorrad, Tilsberk mit neuen Funktionen Multifunktionstaste und Wippschalter
Mit dem Multitaster, einem zusätzlichen Wippschalter auf der linken Armatur, können unter anderem Griffheizung, Abstandshalter, Windschild und Fahrwerkseinstellungen während der Fahrt verändert werden. Dazu muss diese Funktion jedoch vorher durch Druck und Einstellung des Auswahlknopfes, ebenfalls links platziert, ausgewählt werden. Danach verrichtet der Wippschalter seine Arbeit an zugewiesener Stelle, bis man ihn mit einer anderen Funktion betraut. Klingt kompliziert? Ist es eigentlich nicht. BMW wollte damit die Bedienung der vielen Funktionen vereinfachen, ohne dass der Fahrer dazu ins Hauptmenü des Displays gehen muss. Im schlimmsten Falle während der Fahrt. Das ist grundsätzlich auch gelungen, der Weisheit letzter Schluss wird diese Lösung jedoch sicherlich nicht sein.
Active Cruise Control und Radar
Die Funktion der einzelnen Ausstattungselemente, die sich so bedienen lassen, ist jedoch tadellos. Die von BMW Active Cruise Control genannte Symbiose von Tempomat und Abstandsradar funktioniert zuverlässig und sicher. Gerade lange Strecken über die Autobahn lassen sich so komfortabel und ohne Weiteres Zutun bewältigen. Der Abstand zum Vordermann lässt sich dabei dreistufig einstellen und ist abhängig von der gefahrenen Geschwindigkeit. Fährt man zu dicht auf, bremst das Motorrad automatisch und gleichmäßig ab, hält den Abstand und beschleunigt danach zügig wieder auf die vorher eingestellte Geschwindigkeit. Auf knapp 700 Kilometern Autobahnfahrt, davon ca. 300 Kilometer mit Adaptive Cruise Control, musste ich exakt viermal eingreifen. Zweimal, weil der Verkehr einen Gangwechsel erforderte, zweimal, weil die Verkehrssituation zu unübersichtlich war und ich lieber selbst die Kontrolle über Gas, Bremse und Abstand haben wollte. That’s it, ansonsten vermitteln das System und auch der Totwinkelassistent enorm viel Vertrauen. Auch die Frontkollisionswarnung funktioniert tadellos. Wer in Wohngebieten unterwegs ist, weiß natürlich, dass solche Straßen und die dort geparkten Autos häufig eher einer Slalomstrecke ähneln. Die BMW R 1300 GS, ausgestattet mit einer Frontkollisionswarnung, schreckt dabei regelmäßig auf, steuert man auf ein geparktes Auto zu und lenkt nach Meinung der Regelanlage zu spät um das Hindernis herum. Grundsätzlich ist das sicherlich ein nützliches Feature, das die Sicherheit bei Stau und stockendem Verkehr erhöht, für Situationen, in denen man jedoch bewusst dicht um parkende Autos fährt, empfehle ich dringend, der BMW den automatischen Bremseingriff, zu dem sie fähig ist, zu untersagen.
Entschuldigung, könnten Sie mir die Uhrzeit sagen?
Nicht so gut: Über fast den gesamten Testzeitraum zeigte die Uhr im Display kaum die richtige Uhrzeit. Häufig zeigte sie beim Starten die Uhrzeit an, zu der das Bike zuletzt abgestellt wurde, oder lief einige Minuten nach. Kein Grund, eine große Welle zu machen, aber nervig und unter Kinderkrankheit zu verbuchen.
Bremsanlage – Wirf den Anker
Apropos Bremsen – die stammen bei unserem Bike aus dem Hause Nissin und verfügen über das BMW Motorrad Vollintegral ABS Pro. Um es kurz zu machen: Die Bremsleistung ist auf trockenen und nassen Straßen unerreicht gut. Zusammen mit dem Metzeler Tourance Next 2 ankert die GS zügig und mühelos, bei Bedarf auch heftig. Kommt man in den ABS-Regelbereich, wird automatisch die Warnblinkanlage in Betrieb genommen.
Neues LED-Licht im Matrix-Design setzt Maßstäbe
Die optisch auch für Laien größte Änderung war sicherlich die Rückkehr zu einem symmetrischen Antlitz. BMW hat mit den gekreuzten LED-Leuchten überrascht und mich im Tourentest restlos überzeugt. Die Ausleuchtung der Straße und Umgebung bei Nacht ist auch ohne Zusatzscheinwerfer enorm und weitreichend. Auch links und rechts der Straße werden die Gräben noch beleuchtet. Die Straße ist rund 200 Meter komplett ausgeleuchtet. Es ist erstaunlich, wie viele Tieraugen einen bei nächtlichen Fahrten durch den Harz aus dem Unterholz beobachten, von denen man vorher nichts wusste. Auch das Kurvenlicht ist vorbildlich. Abhängig von der Schräglage werden die Bereiche in Fahrtrichtung weiter ausgeleuchtet und auch hier ist man ähnlich gute Beleuchtung bisher nur von Oberklasse-SUVs gewohnt.
Koffer nun elektrifiziert
Doch nicht nur die Außenbeleuchtung war ein, Achtung Wortwitz, Highlight, auch die Innenbeleuchtung kann sich sehen lassen. Die Variokoffer von BMW sind nun elektrifiziert und haben eine äußerst praktische Innenbeleuchtung. Zudem verfügen sie über einen innen liegenden USB-Anschluss, mit dem sich elektronische Geräte während der Fahrt aufladen lassen. Sehr praktisch für Leute, die mit ihrer R 1300 GS auf Zeltreise gehen. Kleiner Wermutstropfen: Die Koffer werden seitlich geöffnet und ohne passende Innentaschen kommen einem die beförderten Gegenstände schnell entgegen und rufen „siehe unten“.
Fazit
Zu Recht darf an die BMW R 1300 GS der sehr hohe Maßstab der Vorgänger angelegt werden und sie enttäuscht nicht, sondern legt die Latte in Bezug auf Fahrwerk und Komfort noch ein bisschen höher. Der Motor ist etwas kräftiger und durchzugsstärker, insgesamt zeigt sich die GS etwas sportlicher. Herausragend sind Licht und Bremsen, auf die Elektronik und deren konkrete Einstellung muss man sich einlassen und für sich das richtige Maß an Helferlein finden.
Pro - exzellente Bremsen
- sehr gutes Fahrwerk
- herausragende Beleuchtung
- überzeugender Motor
Contra - Elektronik mit Kinderkrankheiten