Jost G. Martin
Jost G. Martin, KTM, M&R
Nach einer problemlosen Einfahrphase und der vorgeschriebenen Werkstattdurchsicht konnte der richtige Fahrtest endlich starten. Über vier Monate sollte Jost G. Martin, unser Testfahrer, auf den unterschiedlichsten Straßen zehntausend Kilometer in Deutschland, Österreich und Italien zusammenbekommen. Die hierbei gemachten Erfahrungen kann man nur mit einem Lächeln kommentieren. Es macht Spaß, mit einer so sportlich ausgelegten Reise-Enduro auf Tour zu gehen und man kann tatsächlich jeden Kilometer genießen. Das Kraftwerk – abgeleitet aus dem Triebwerk des Supersportlers KTM RC8 – besitzt mit 150 PS reichlich Leistung. Ein bisschen am Gasgriff gedreht, und der starke Motor spricht dank des Drive-by-wire-Systems spontan an. Präsentierten sich die bisherigen Zweizylinder von KTM gerade im Drehzahlkeller eher als raue Zeitgenossen, so zeichnet sich der 1190er-Motor einerseits durch eine erstaunliche Sanftmut, andererseits durch Kraft und Emotionen ohne Ende aus.
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Die komplette Ausgabe 11/2013 von Motorrad & Reisen inklusive aller Tourdaten für alle Reisereportagen aus dem Heft.
Inhalt:
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Zuletzt aktualisiert: 17.10.2013
Motorräder: 10.000 km KTM 1190 Adventure, Indian Chief Classic, Indian Chief Vintage, Indian Chieftain, Liberta Motorcycles, 30 Jahre Yamaha Ténéré, Ducati 899 Panigale, Suzuki V-Strom 1000 ABS
Reisen: Traumpässe gespickt mit Insiderstrecken - Panoramatour Arlberg, Der Weg wird zum Ziel - Von Berlin nach Südtirol, Tourenspecial mehr Süd-Schwarzwald In den unteren vier Gängen schwimmt man so ohne lästiges Kettenschlagen oder Konstantfahrruckeln im Stadtverkehr mit. Bereits ab 2.000 U/min nimmt das Triebwerk ohne Murren Gas an und stellt genügend Leistung zur Verfügung. Erst im fünften und sechsten Gang verlangt der Motor dann nach mehr Drehzahl und reagiert unterhalb von 3.000 U/min etwas träge.
Geht man in den Drehzahlen weiter in Richtung der 10.000er-Marke spürt man mehr als deutlich die Gene des Motors. Eben Emotion pur. Allerdings bremst in den ersten beiden Gängen die Traktionskontrolle den Vorwärtsdrang aus Sicherheitsgründen und hält das Vorderrad stets am Boden. Zusätzlich verhindert ein leider nicht einstellbarer Lenkungsdämpfer ein gefährliches Lenkerschlagen. Die Traktionskontrolle lässt sich zwar ebenso wie das ABS per Knopfdruck abschalten, was jedoch in anbetracht der zur Verfügung stehenden Leistung eigentlich nur dem Offroadbetrieb vorbehalten sein sollte. Zur Sicherheit schalten sich aber beide Systeme bei jedem Neustart des Triebwerks wieder ein. Alles in allem muss man vor den Technikern des orangefarbenen Herstellers den Hut ziehen und zu einem wirklich gelungenen Triebwerk gratulieren. Je nach Stimmung kann man mit der KTM ruhig auf Sparflamme touren,auch mal richtig die Pferde von der Leine lassen oder sich beim Endurowandern austoben.
Alle Varianten dürften ihre Anhänger finden. Apropos Sparflamme: Verbrauchten die bisherigen 990er Adventure regelmäßig deutlich mehr als sieben Liter auf hundert Kilometer, so begnügt sich das neue Modell mit Verbrauchswerten zwischen fünf und sechs Litern. Mit 23 Litern Tankinhalt ergibt sich also eine Reichweite von rund 400 Kilometern. Damit kann man leben, denn die BMW R 1200 GS schafft es trotz besserem Verbrauchswert auf nur rund 300 Kilometer, bedingt durch den kleineren Tank. Wie auch immer, nach 7.000 Kilometern folgte dann ein außerplanmäßiger Werkstattaufenthalt: Eine Dichtung der Motorgehäuseentlüftung verabschiedete sich unplanmäßig und blies einen leichten Nebel in Richtung Federbein. Gott sei Dank schützte eine Kunststoffabdeckung das Hinterrad samt der Bremsscheibe vor dem Öl. Der schaden wurde dann schnell und unkompliziert von der nächsten KTM-Werkstatt behoben und seitdem läuft der bullige Motor wieder ohne Probleme.
Das elektronische Fahrwerk der Adventure, dass KTM zwischenzeitlich serienmäßig verbaut, trägt zum weiteren positiven Gesamteindruck bei. Weder die oft ruppigen Straßen in Brandenburg noch die hin und wieder holprigen Strecken in den Südtiroler Dolomiten bringen das Fahrwerk an seine Grenzen. Die KTM lässt sich mit Leichtigkeit durch das Kurvenlabyrinth der Alpenpässe steuern und verwöhnt den Fahrer gleichzeitig mit hervorragenden Geradeauslaufeigenschaften bei hohen Geschwindigkeiten. Mit den vier Tasten des Bedienelementes auf der linken Lenkerseite kann man problemlos das Fahrwerk und das Motormapping an die jeweilige Situation anpassen. Auch das dazugehörige Display lässt sich leicht ablesen.
Allerdings verliert das Fahrwerk auch im Komfort-Modus nicht seinen sportlichen Charakter. Hierzu passt sehr gut auch die Combined-ABS-Bremsanlage. Die Brembos packen kraftvoll, aber nicht bissig zu und verzögern den Vorwärtsdrang der Adventure gut kontrollierbar. Angenehm fällt auf, dass die Front auch bei heftigen Bremsmanövern dank der 48er Upside-down-Gabel nicht in die Knie geht und so eine optimale Stabilität gewährleistet. Auf kurzen Etappen mag das Thema Ergonomie keine so große Rolle spielen wie auf bis zu 500 Kilometer langen Tagestouren. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Ingenieure von KTM auch hier ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Die Sitzposition passt, der Kniewinkel stellt sich trotz relativ langer Beine als eine angenehme Mischung aus sportlich und komfortabel dar, so dass auch längere Etappen problemlos und ermüdungsfrei absolviert werden können. Zudem lassen sich sowohl die Sitzhöhe - zweifach - als auch die Fußrasten mit wenigen Handgriffen verstellen.
Der Blick nach vorne auf die gut ablesbaren Rundinstrumente liefert alle notwendigen Daten über Drehzahl, Geschwindigkeit, Tankinhalt und Wassertemperatur. Das Windschild lässt sich ebenso leicht an die Bedürfnisse des Fahrers anpassen. Besonders angenehm fällt die Bedienung des Kupplungshebels auf, die vergleichsweise wenig Handkraft erfordert. Trotz so viel Positivem gilt es ein wirklich gravierendes Problem festzuhalten. Die Haltegriffe des zweiten Sitzplatzes wurden so ungünstig gestaltet, dass sich dieser Platz nur für Sozias eignet, deren Konfektionsgröße nicht über 38 liegt. Bekanntlich denkt man bei KTM sportlich und dazu passen nun mal am besten schlanke Mädels. Außerdem lässt sich diese für einen Zweisitzer schmale Konstruktion auf die integrierten Halterung der Tourenkoffer zurückführen.
Einen echte Schwachpunkt bildet dagegen das optionale Tourenkoffersystem. Das Anbringen und Abnehmen der Koffer gestaltet sich anfangs etwas hakelig, aber durch Übung gelingt es von Mal zu Mal besser. Problematischer dagegen stellt sich der Schließmechanismus der Koffer selbst dar. Auch hier stellen Fehlversuche unsere Geduld auf eine harte Probe.
Die Koffer selbst besitzen zwar ordentlich Staumöglichkeiten, aber was nützt es, wenn sie nicht vernünftig auf- oder zugehen oder sich schwierig ab- oder anbauen lassen. Das nervt und so erwarten potentielle Käufer sicherlich noch Nacharbeit seitens der Ingenieure. Eine echte Alternative bietet der Hersteller allerdings mit den für die Adventure R vorgesehenen Alukoffern oder man schaut sich bei Zubehörherstellern um. Was die Bereifung betrifft, geht das übrigens nicht: Hier kann man zwischen Conti und Conti wählen - ein echter Nachteil im Wettbewerb mit anderen Motorrädern dieser Kategorie.
Zwar verrichten die speziell für die KTM 1190 Adventure entwickelten Conti Trail Attack 2 in der ZR-Konfiguration ihren Dienst recht ordentlich, aber ein Blick in unsere Reifenbestenliste zeigt, dass es durchaus bessere Reise-Enduro-Reifen gibt. Zumal der Conti für Offroad-Fahrten einfach nicht zu gebrauchen ist.
Fazit: Die KTM 1190 Adventure ist eigentlich ein tolles Motorrad. Für die bemängelten Koffer gibt es Alternativen. Allerdings wertet die momentane Reifenbindung das ganze Bild gehörig ab und wird potentielle Käufer abschrecken. Erwerben kann man die KTM übrigens ab 13.995,-- Euro. M&R