So ein Test-Jahr kann ganz schön lang sein. 2019 war ich 112 Tage unterwegs, meist auf Motorrad-Touren oder -Präsentationen. 2020 ging es Schlag auf Schlag bis Mitte Februar, dann schlug Corona im Testzirkus zu: Von jetzt auf gleich fielen alle Veranstaltungen flach. 2021 war so gesehen ein Segen: Die Hersteller haben nahezu alle ihre Neuheiten wieder live auf die Straße geschickt, um sie „in echt“ testen zu lassen. Hier der Rückblick, welche Motorräder mich dabei am stärksten beeindruckt haben – und der Ausblick, auf welche Neuheiten ich mich am meisten freue für die Mopedsaison 2022.
2021: Aprilia Tuono 660
Mitte Februar 2021 lud Piaggio zur Doppel-Präsentation nach Italien: Die Neuauflage der Moto Guzzi V7 und die komplett neue Aprilia Tuono 660 wollten erstmals gefahren werden. Beide überzeugten –aber den bleibenden Eindruck hinterließ die Tuono 660. Die halbnackte Schwester der Aprilia RS 660 begeistert als zweites neues Mittelklassemodell von Aprilia, Anfang 2022 kommt die Tuareg 660 hinzu, als Nummer drei im Bunde. Kerniger Motor mit 95 PS, Winglets in der knapp geschnittenen seitlichen Verkleidung, nur 183 kg schwer – die Midsize-Tuono ist eine echte Fahrmaschine. Rassig, wertig, italienisch. Der Sound stimmt auch: kehlig, präsent, obenrum fanfarig, aber nie nervig laut oder zu sehr auf dicke Hose machend. Perfetto!
2021: Harley-Davidson Pan America
Mitte April war es soweit: Harley-Davidson präsentierte sein Adventure-Bike Pan America 1250 & 1250 Special. Die nicht für möglich geglaubte Maschine. Eine Harley fürs Gelände. Mit 152 PS. Hammer. Das Wetter im Westerwald war eine Katastrophe (kalt, Regen, Schnee), das Bike eine Wucht. Amerikas Antwort auf die BMW R 1250 GS tobte mühelos durch den Industrie-Erlebnispark Stöffel in Enspel, wo einst Basalt abgebaut wurde. Technik-Highlight bei der ersten Begegnung: die absenkbare Sitzbank. Ein Novum auf dem Markt. Mittlerweile wummert der großartige Revolution-Motor auch in der neuen
Sportster S. Mit einem T im Namen für Torque. Drehmoment. Mehr brauchste nicht zum Glücklichsein.
2021: Honda CMX1100 Rebel
Mitte Juni stand sie vor meiner Tür: die neue „große“ Honda Rebel. Angetrieben vom Africa-Twin-Zweizylinder, auf Wunsch mit DCT-Getriebe (1.000,-- Euro Aufpreis). Was für eine geniale Kombination für einen Low Rider! 18-Zoll-Vorderrad im Bobber-Style, supertiefe Sitzposition (700 mm), 87 PS bei 1.700 Touren, bumsfidele 98 Nm bei 4.750 Touren. Die CMX1100 holt alle ab, die Bock haben auf unbeschwertes Cruisen, dafür aber kein Heavy Metal zwischen den Beinen haben müssen. Alternativ zum genialen 6-Stufen-Doppelkupplungsgetriebe gibt es eine 6-Gang-Schaltung. Spart 10 kg Gewicht (macht 223 kg fahrbereit), schmälert hier aber das Fahrerlebnis, wenn ihr mich fragt.
2021: BMW R 18 B
BMW hat im September die neuen Mitglieder seiner R-18-Familie vorgestellt. Das voll bekofferte Dickschiff R 18 Transcontinental (427 kg fahrbereit) und die lässige R 18 B; B wie Bagger. Lenkerfeste Batwing-Verkleidung, flaches Windschild, abfallende Flyline über den großen Tank, lang getreckte Sitzbank bis zu den fest installierten Aerodynamik-Koffern. Eine Stilikone. Über dem Voll-LED-Scheinwerfer taxiert auf Wunsch ein Radarauge den Vordermann und hält den Abstand via Tempomat konstant. Das riesige Display zeigt im Stile eines Programmkinos die Route an. Voll connected, klar, so etwas gehört in dieser Preis- und Wohlfühlklasse zum guten Big-Boxer-Ton.
2021: Ducati Multistrada V4 S
Es musste Oktober werden, bis ich es auf die neue Multistrada V4 geschafft habe. Dainese lud zu seinen
„Expedition Masters“ nach Sardinien. (
M&R Ausgabe 108) Sparringspartner bei der exklusiven Rundtour durch die Mittelmeer-Sandkiste: die neue Multi mit Vierzylinder-Granturismo-Motor. Geschmeidige 170 PS, mächtige 125 Nm Drehmoment, perfekte Fahrer-Ergonomie. Ein Rauf-und-los-und-immer-weiter-Bike par excellence. Komplettes Safety-Ornat mit Kurven-ABS und -Traktionskontrolle, herausragende Straßenlage, hohe Offroad-Kompetenz, riesiges 6,5-Zoll-Display, dazu Voll-LED-Scheinwerfer und Kurvenlicht. Für Grip allerorten sorgen die famosen Pirelli Scorpion Rally STR. Fazit nach 1.200 km in fünf Tagen: Bravissimo!
2022: Triumph Speed Triple 1200 RR
Wie schön bitte kann ein Motorrad sein? Gleich im Januar 2022 kommt die neue Speed Triple 1200 RR. Ein Bike zum Niederknien und Huldigen. Triumph bezeichnet sie als „Café Racer des 21. Jahrhunderts“ und als „schärfste Speedy aller Zeiten“. Das kann man wohl sagen. 180 PS sind echt eine Ansage. Damit kann die frontverkleidete Triumph auf der Rennstrecke räubern und auf der Landstraße zaubern. Für bestmögliche Performance sorgt die 6-Achsen-IMU, die alle Assistenzsysteme orchestriert. Wheelie Control, Kurven-ABS und –DTC, elektronisch verstellbares, semi-aktives Öhlins Smart EC 2.0 Fahrwerk und mehr. Betörend: der Brit-Triple-Sound. 245 km/h Spitze stehen im Kfz-Schein. Ein echte Racer für echte Gentlemen Rider.
2022: Triumph Tiger Sport 660
Bleiben wir bei Triumph. Die Briten starten fulminant ins neue Jahr: Gleich neben der Speed Triple 1200 RR steht die neue Tiger Sport 660. Jede Wette: Die Adventure-Variante der
Trident 660 wird Triumph den nächsten Absatzrekord bescheren. Die Mittelklasse boomt eh, zahlreiche neue Bikes buhlen hier um Aufmerksamkeit. Die Tiger Sport 660 hat im Gegensatz zur Tiger 900 und zur ebenfalls 2022 startenden neuen Tiger 1200 nichts mit Offroad-Abenteuern am Hut. Muss sie auch nicht. Ihr Revier ist die Straße. Und da ist sie bestens aufgehoben. 81 PS sind Benchmark im Segment. Großer Fahrspaß, perfekte Verarbeitung, wir sehen uns.
2022: Yamaha R7
Anfang des Jahres kommt endlich die lang erwartete Yamaha R7 offiziell auf die Straße. Erste Testrunden konnten wir bereits Ende September 2021 drehen, im sonnigen Andalusien. Nicht nur dort weiß der leichte Renner (188 kg fahrbereit) zu überzeugen. So direkt, so agil, so fahrspaßbetont ist kaum ein anderes Mittelklasse-Motorrad mit Rennstrecken-Ambitionen, schon gar nicht für diesen Preis (9.449,-- Euro inklusive Liefernebenkosten). Der Motor begeistert bereits in MT-07, Ténéré 700, Tracer 7 und XSR700. Hier macht der Twin am meisten Tempo. Aufwendige Technik verkneift sich Yamaha aus Preisgründen. Gut so. Hier geht es ums pure Erleben. Und das bockt!
2022: Honda NT1100
Na sowas, ein klassischer Tourer, in diesen Zeiten, wo scheinbar alle nur Adventure-Bikes im Sinn haben?! Genau deshalb bringt Honda ja die NT1100. Als eleganten Gegenentwurf für alle, die Spaß an Komfort und ausgereifter Technik haben. Organspender ist die Honda CRF1100L Africa Twin. Rahmen, Tank, Bedienelemente sind weitgehend identisch. Der Motor leistet hier 102 PS und 104 Nm. Auf Wunsch gibt es DCT. Wer die NT1100 ohne ordert, ist selbst schuld – die „Dual Clutch Transmission“ passt perfekt zum Temperament des modernen Reisebikes. Zwei-Kanal-ABS, fünf elektronische Fahrprogramme (zwei davon konfigurierbar), riesiges Display mit großflächiger Routenführung, 200 km/h Spitze, bis zu 110 Liter Stauraum mit Topcase. Ich bin dann mal weg.
2022: Ducati DesertX
„Dream wilder. Go further.“ Die Werbeheadlines auf der Ducati-Webseite sagen eigentlich schon alles: 2022 geht es richtig ab bei den Italienern – in der Wüste. Die neue DesertX reiht sich ein in die wilde Riege der 21-Zoll-Vorderrad-Haudegen, die in neuem Jahr mächtig Staub aufwirbeln will und sicher wird. Aprilia Tuono 660, Husqvarna Norden 901, MV Agusta Lucky Explorer 9.5, Triumph Tiger 1200 Rally – da prescht was auf uns zu im Gelände! Ducati klemmt der DesertX den bewährten 937-ccm-Testastretta-Zweizylinder zwischen die Räder und spendiert ihr ein „stehendes“ Display. 110 PS, 82 Nm, 223 kg fahrbereit. Wer Spaß hat am modernisierten Look alter Dakar-Maschinen und seliger Gelände-Ikonen, der wird sicher sein Herz verlieren im Frühjahr 2022. Ich gehöre dazu.