Ich bin eigentlich kein Freund von Crossover-Motorrädern. Das Konzept hat sich mir bislang einfach nicht erschlossen. Klar, die Sitzposition ist entspannt und bietet ähnlichen Komfort wie auf einer Reiseenduro, die Bereifung mit dem klassischen 17-Zoll-Straßenformat erlaubt aber eigentlich keine Ausflüge auf nicht asphaltierte Wege. Allerdings haben wir in der Regel einen sehr leistungsstarken Antrieb, dessen Vorzüge aufgrund der Ergonomie und des komfortablen Fahrwerks aber nicht voll ausgespielt werden können. Motorräder aus dieser Kategorie sind für mich daher weder Fisch noch Fleisch. Entsprechend verhalten waren meine Erwartungen an die neue Suzuki GSX-S1000GX, mit der die Japaner ab 2024 den Sprung ins Crossover-Segment wagen.
Doch die GSX-S1000GX ist nicht nur hinsichtlich der Bauart ein großer Schritt für Suzuki. Auch technisch wartet das Motorrad mit neuen Lösungen auf. Die GX ist das erste Modell aus Hamamatsu, das über eine IMU aus dem Hause Bosch verfügt und damit ein State-of-the-Art-Elektronikpaket an Bord hat – Kurven-ABS, Wheelie Control, Stoppie Control und schräglagenabhängige Traktionskontrolle inklusive. Ebenfalls das erste Mal in einer Suzuki zu finden, ist das semiaktive Fahrwerk von Showa. Wie hoch der Stellenwert des Motorrads für Suzuki ist, zeigte sich auf der Präsentation am riesigen Stab an Suzuki-Mitarbeitern vor Ort. Gleich 17 Projektmitglieder waren aus Japan an die portugiesische Atlantikküste gereist, um das Motorrad vorzustellen und während des Tests offene Fragen zu beantworten.
Supreme Sport Crossover
Ist der Modellname GSX-S1000GX bei der Aussprache schon etwas sperrig, hat man bei Suzuki vor allem bei den Assistenzsystemen die Angewohnheit, für die elektronischen Helferlein eine eigene Nomenklatur zu entwickeln. So nennt sich die Wheelie Control bei Suzuki "Lift Limiter", das Kurven-ABS wird mit dem kryptischen Namen „Motion Track Brake System“ bezeichnet. So weit, so schwer verständlich. Sehr eindeutig geht es aber bei der Beschreibung des Charakters des Motorrads zu. Die GX ist in den Augen von Suzuki nicht nur ein Crossover, sondern ein „Supreme Sport Crossover", der Antrieb soll im Straßenbetrieb „aggressive Superbike-Performance“ liefern. Eine Ansage, die schon vor der ersten Fahrt eine eher sportliche Ausrichtung erkennen lässt.
Aufrecht-sportlich und dennoch komfortabel
Selbiges gilt für das neue Design. Die Lampengestaltung mit den beiden übereinander angeordneten Scheinwerfern gibt es bei Suzuki zwar jetzt bei einigen Modellen, die kantige Frontverkleidung mit den verschiedenen Öffnungen sieht man so aber bei der GX das erste Mal. Dabei erfüllen die Öffnungen in der Verkleidung auch aerodynamische Aufgaben und sollen bei Fahrten mit hohem Tempo für zusätzliche Stabilität sorgen. Macht die Front mit den scharfen Linien und den Tagfahrleuchten von vorn schon einen recht dynamischen Eindruck, wirkt das Motorrad in der Seitenansicht sogar noch sportlicher. Da stören auch die Koffer nicht, die sich mit dem in Motorradfarbe lackierten Deckelelement perfekt ins Gesamtbild integrieren.
Den optischen Ersteindruck bestätigt dann auch die Sitzprobe. Der Rahmen der GSX-S1000GX stammt zwar aus dem Schwestermodell GT und auch die Position der Fußrasten blieb unverändert, das Sitzdreieck fällt aber dennoch spürbar entspannter aus. Der Lenker ist im Vergleich zum Sporttourer 14 Millimeter breiter, 38 Millimeter höher und 43 Millimeter näher in Richtung Sitz gewandert. Dessen Polster ist nun 15 Millimeter dicker und platziert das Popometer in 845 Millimetern Höhe. Im Ergebnis sitzt man auf der GX entspannter, aber immer noch so vorderradorientiert und versammelt, dass auch ein sportlicher Fahrstil möglich ist.
Der sanfte Riese
Den erlaubt auch der Motor. Der Antrieb basiert auf der letzten GSX-R-Baureihe und leistet in der GX 152 PS bei 11.000 Umdrehungen. Viel Drehzahl für ein Touring-Motorrad. Deutlich wichtiger ist auf der Landstraße aber das verfügbare Drehmoment. 70 Prozent der maximal 106 Newtonmetern stehen bereits ab 3.000 Touren zur Verfügung. Genug Power, um sich auch bei niedrigen Touren souverän aus den Ecken zu katapultieren. Das ist tatsächlich auch eine der vielen herausragenden Eigenschaften der GX. Hierfür ist aber nicht nur Drehmomentverlauf verantwortlich. Auch die Leistungsentfaltung ist vorbildlich. Sprichwörtlich ab Standgasdrehzahl reagiert der Motor extrem sensibel und fein dosierbar auf Befehle des elektronischen Gasgriffs und schiebt Ross und Reiter vehement in Richtung des nächsten Bremspunkts. Legt man über den ebenfalls sehr sauber und präzise arbeitenden Schaltautomaten nicht vor 8.000 Umdrehungen die nächsthöhere Gangstufe ein, erinnert sich der sanfte Riese seiner supersportlichen Wurzeln und zündet bis zum Leistungszenit den Nachbrenner. Wichtig ist hier nur die passende Einstellung der siebenstufigen Traktionskontrolle. Will man mit maximalem Nachdruck aus den Radien beschleunigen, sollte sie nicht höher als auf Stufe drei arbeiten, da sonst in Schräglage zu viel Leistung weggekappt wird.
GSX-S1000GX – von Langstrecke bis Hausstrecke
Neben dem Motor ist die Ausrichtung aber auch sonst in der perfekten Balance zwischen Sport und Komfort. Der 19 Liter fassende Tank bietet zwar nicht den engsten Knieschluss, dank der tollen Ergonomie ist aber nicht nur entspanntes Dahinrollen auf der GX ein Genuss, Fans eines sehr sportlichen Fahrstils bietet das Motorrad auch genug Bewegungsfreiheit. Selbst Hanging-Off fühlt sich auf dem Motorrad nicht falsch oder unbequem an. Einzig die Bremsanlage könnte für die richtig zügige Gangart vielleicht einen Tick mehr Biss vertragen. Dafür entschädigt das Motorrad mit dem Standardwindschild Fahrerinnen und Fahrer bis zur Größe von eins neunzig mit gutem Windschutz.
Das Bemerkenswerteste sind aber das Handling und das Fahrwerk an der neuen GSX-S1000GX. Egal, ob flott auf der Landstraße oder bei Schrittgeschwindigkeit im Stadtverkehr, die GX lässt sich einfach dirigieren, die 232 Kilogramm Gesamtgewicht spürt man außer beim Rangieren nicht. Ansonsten verhält sich das Motorrad in jeder Situation absolut neutral. Das ist umso erstaunlicher, wenn man sich die Kombination aus dem mit 150 Millimetern recht langen Federweg und dem sportlichen Chassis der GT vor Augen führt.
Vielseitigkeit dank semiaktivem Fahrwerk
Diese positiven Eigenschaften verdankt die GSX-S1000GX ihrem semiaktiven Showa-Fahrwerk. Dieses passt sich in seinen Einstellungen der gefahrenen Geschwindigkeit sowie sich unmittelbar ändernden Straßenbedingungen an. Um bei Bremsmanövern den optimalen Lastwechsel zwischen Hinter- und Vorderrad zu erreichen, greift das System auch in dieser Situation optimierend ein und verhindert ein zu starkes Abtauchen der Front. Der Einsatz des Systems ist zwar spürbar, die GSX-S1000GX verhält sich in der Bremsphase aber wie ein normales Motorrad. Einen großen Unterschied spürt man aber dann, wenn die Fahrbahnbedingungen schlechter werden. So sportlich die GSX-S1000GX dank der automatischen Dämpferanpassung gefahren werden kann, so komfortabel ist sie auch, wenn man über Flicken, Kanten oder Gullideckel fährt. Ist man es bei sportlichen Tourenmotorrädern sonst gewöhnt, vor gröberen Absätzen und Löchern aus dem Sattel zu gehen, kann man sich diese Eigenart auf der GX in den meisten Fällen sparen. Wer in den Standardeinstellungen nicht das passende Set-up findet, kann das System auch noch anpassen. Das geht dank der einfachen Menüführung und der übersichtlichen Schaltereinheit spielend leicht und intuitiv. Zum einen sind bei den Fahrmodi A, B und C neben dem Regelverhalten von Traktionskontrolle, Gasannahme und Leistungsentfaltung auch drei verschiedene Fahrwerkssettings hinterlegt. Zum anderen können aber auch noch individuelle Anpassungen für die Dämpfung vorgenommen sowie die Federvorspannung entsprechend des Beladungszustandes geändert werden. Wer unbedingt möchte, kann das Eingreifen der Elektronik auch komplett unterbinden.
Fazit – Suzuki GSX-S1000GX
Zugegeben, ich bin mit geringen Erwartungen zur Präsentation gereist. Umso größer war die Überraschung. Wer ein langstreckentaugliches Motorrad sucht, das auch einen sportlichen Fahrstil erlaubt, ohne dabei beim Komfort Abstriche machen zu müssen, sollte sich die GSX-S1000GX unbedingt genauer anschauen. Selbst der kombinierte Verbrauch geht mit 6,4 Litern für ein 1.000-Kubik-Aggregat völlig in Ordnung und diejenigen, die auf ihren Touren auch Autobahnetappen einbauen, werden sich über den Tempomat freuen. Für 17.400,-- Euro bekommt man hier ab Januar 2024 ein Motorrad, das mit toller Ausstattung, ausgereifter Elektronik sowie einer sehr hochwertigen Verarbeitung zu überzeugen weiß und sogar mit Koffern schick aussieht. Wenn diese jetzt noch serienmäßig wären, blieben keine Wünsche offen.