Test Ducati DesertX: Der Edel-Pick-up aus Italien – erste Eindrücke
Nach dem Premium-SUV, der Multistrada V4, haben die Künstler aus Bologna ihren Edel-Pick-up fürs Grobe nachgeliefert. Die Ducati DesertX meistert jedes Terrain.
Ducati hat zur ersten Annäherung an die neue DesertX nach Sardinien geladen, in die Region Olbia. Wer die Gegend nicht kennt: Heidewitzka, hier lässt es sich aushalten! Und jeder Motorradtester wird glücklich. Entlang der Küste schlängeln sich kurvenreiche, griffige Landstraßen von einem mondänen Badeort zum anderen, in den Buchten verbergen sich die opulenten Villen der Millionäre. Im Hinterland dagegen geht es rauer, rustikaler zu. Knorrige, unverwüstliche Korkeichen säumen staubige Schotterpisten und Knüppelpfade, auf denen alte Sarden mit ihren Traktoren unterwegs sind. Hier kann man noch am Kabel ziehen. Beide Facetten der Region, sowohl das Edle als auch das Rustikale, passen perfekt, um das Wesen der DesertX zu beschreiben: „Das ist keine bessere Multistrada Enduro. Nein, die DesertX ist von Grund auf eigenständig. Wir haben 2019 nur mit einem Motor, dem Testastretta 11° mit 937 Kubik, angefangen und alles, aber auch alles, drumherum neu entwickelt“, sagt Filippo Marri, der zuständige Projektingenieur. Die Ansprüche an Marri – und vor allem an die DesertX – waren dabei extrem hoch: Performance und brillante Fahreigenschaften auf der Straße, aber auch überragende Leistungen im noch so schweren Gelände sollten es sein. Das Ganze verpackt möglichst nah an der Studie, die 2019 bei der Vorstellung auf der Mailänder EICMA für Furore gesorgt hatte. Die eierlegende Wollmilchsau also.
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Schnelle Straße mit 21 Zoll
Also raus zum Fahrtag unter strahlend blauem Himmel; ran an das Bike. Doch die Annäherung stockt. Wenige Meter entfernt hält man intuitiv inne, schaut, glotzt, schaut wieder und denkt: Mein Gott, was für eine Schönheit! Es gibt die DesertX nur in einer Farbe, in Star White Silk. Das ist eine kluge Entscheidung. Die Farbe betont die zentralen Designelemente, den tief nach unten gezogenen 21-Liter-Tank und den in den Windschutz integrierten LED-Doppelscheinwerfer. Beides nimmt Anleihen bei den klassischen Enduros der 90er-Jahre, bei den Dakar-Cagivas. Und ist gleichzeitig brandaktuell und modern. Ich muss konstatieren: Ein stimmigeres Motorrad habe ich dieses Jahr noch nicht gesehen. Grandios. Wir fahren von der Küste ins Inland. Schon die ersten Kilometer geben Rückmeldung; die Ergonomie stimmt. Schmale Taille, guter Knieschluss. Fahrposition, Lenkerhöhe ok. Einzig der Windschutz, der fest montiert und nicht verstellbar ist, könnte für große Fahrer über 1,85 m besser sein. Dafür entschädigt das Cockpit. Super aufgeräumt, sauber verarbeitet wie der Rest des Fahrzeugs und ein hübsches 5-Zoll-Farb-TFT-Display. Im Zusammenspiel mit einem Kippschalter an der linken Griff-Armatur gibt der Bildschirm den Überblick über das ausufernde, aber in sich logische Einstellungsmenü. Zusammen mit dee Ducati-Smartphone-App kann das Display Pfeil-Navigation. Der Verkehr dünnt aus, tendiert gegen null. Zeit also, den DesertX-Motor zu prüfen. 110 PS bei 9.250 und 92 Nm bei 6.500 U/min bringt er mit; er hängt in einem Gitterrohrrahmen mit einer Aluminiumguss-Schwinge. Das Aggregat verschafft sich Gehör: 94 db (A) werden formal gemessen, man ist also noch tiroltauglich.
In Fahrt schnattert der Motor wie alle Testastrettas aus dem Werk in Borgo Panigale im Schongang lustig mit den Ventilen. Ernst wird es erst, wenn man seine unbändige Leistung abruft: Mit offener Ansauge und im Quickshifter-Powersprint schluckt der Vierventiler die Luft so lautstark wie ein röhrender Elch. Eine herzerwärmende Freude also. Die DesertX rollt auf Speichenfelgen und dem besten verfügbaren Kompromiss zwischen Straßenpneus und Geländegängigkeit: den Pirelli Scorpion Rally STR in den Größen 21 vorne und 18 hinten. Wir sind also mit der ersten Ducati unterwegs, die sich in das 21-Zoll-Segment traut. Und dabei eine überaus glänzende Figur abgibt: Die DesertX, bestückt mit voll einstellbaren Kayaba-Gabel- und Federelementen und immerhin 230 mm Federweg vorne und 220 mm hinten, haut sich wie an der Schnur gezogen in die sardischen Kurven und Serpentinen.
Schräglage, Bremslimits? Ach was. Es beschleicht mich der Verdacht, dass die DesertX mit klebrigeren Straßenreifen eine ernst zu nehmende Konkurrentin der Ducati Hypermotard wäre. Das Ding kann was und ist pfeilschnell; auf den ersten Metern sowieso und auf dem Papier hoch bis auf 240 km/h. Und wenn es dann doch mal eng wird vor der Kurve, kommt die Brembo-Anlage mit zweimal 320 mm Scheibendurchmesser vorne sowie 265 mm hinten zum Einsatz. Die beißen alles weg.
Die enormen Fähigkeiten werden unterstützt von elektronischen Systemen, die, wie von Ducati nicht anders zu erwarten, auch bei der DesertX vom Feinsten sind. Gesteuert wird die Fahrunterstützung von der zentralen Steuereinheit IMU, geliefert von Bosch. Die Traktionskontrolle ist in acht Stufen einstellbar; die Wheelie Control hat vier Levels, die Motorbremse EBC drei. Auch das Kurven-ABS kann je nach Einsatz in drei Stufen nivelliert werden.
Des Weiteren werden sechs Riding Modes (Sport, Touring, Urban, Wet, Enduro, Rally) angeboten, die sich frei mit vier Power-Mappings Full, High, Medium und Low mit jeweils 3 Leistungsstufen kombinieren lassen. Im Enduro- und im Rally-Modus kann das ABS komplett ausgeschaltet werden. Mit anderen Worten: Einstellung und Feinjustierung werden eine neue Kunstform; aber gut zu wissen, dass die DesertX sich auch brillant schlägt, wenn man einfach aufsteigt und losfährt. Mit einer Tankfüllung kommt man realistisch bis zu 380 km weit; weil man gut sitzt, ist die DesertX eine weitere Kandidatin für Kilometer fressende Tourenfahrer.
In Dust we trust
Kommen wir zurück zum sardischen blauen Himmel. Der hat auch Nachteile. Wenn es nicht regnet, sind die Pisten im Inneren der Insel und speziell die Strecken um Loell, wo regelmäßig eine Special Stage der World Rally Championship WRC ausgefahren wird, heiß, hart und vor allem staubig. Also genau das richtige Geläuf, um die Geländegängigkeit der DesertX zu erkunden. Die beiden Gelände-Modi Enduro und Rally unterscheiden sich u. a. in der Motorleistung. Enduro bringt nur 75 PS ans Hinterrad, reagiert softer, ist quasi die Wahl für technische Etappen, trial-artige Passagen. Rally dagegen liefert vollen Stoff und 110 PS: Hier ist die Gasannahme linear und direkt; ein Gasstoß genügt und die 223 kg leichte Fuhre (vollgetankt) geht steil. Gleichwohl kann der erste echte Ducati-Offroader auch diffizile Schleichfahrt; technische Tracks werden durch den niedrigen Schwerpunkt und die exzellente Stehposition erleichtert.
Im Staub bei Loell hat sich die DesertX jedenfalls von ihrer besten Seite gezeigt. Man merkt sofort, dass die Testastretta 11°-Version im Fahrzeug auf den speziellen Dual-Use-Einsatz auf Straße und Schotter zugeschnitten ist. Auch das Getriebe spielt mit: Für die DesertX wurde es mit einem kurzen ersten und zweiten Gang bestückt. Im Vergleich zur Multistrada V2 etwa ist der erste Gang 14,3 Prozent kürzer. Hier haben die Italiener die Balance optimal getroffen. Der einzige (subjektive) Kritikpunkt sind die Bremsen: Weil sie auf Asphalt scharf und bissig ansprechen, sind sie im Gelände vor allem hinten schwer dosierbar und gehen für mein Empfinden zu schnell in den ABS-Stottermodus bzw. zu schnell auf Block.
Die Modifikationen bei Motorsteuerung und Getriebe, fügt man sie dem hervorragenden Fahrwerk und Federverhalten hinzu, machen die DesertX zu einem gierigen Tier, wenn es richtig dreckig, uneben und herausfordernd wird. Ich bin gespannt auf die ersten Vergleichstests mit den Platzhirschen in dieser speziellen 21-Zoll- und Kubik-Klasse. Meine Prognose: Es ist Zeit für eine Ablösung auf dem Thron, denn so viel gefühlte Power, eigenen Charakter und Charme hat weder die kleine GS, die Tiger 900 noch die Africa Twin. Ducati hat mal wieder die Nase vorne, diesmal mit einer reisetauglichen Hardenduro ganz ohne Chichi, aber jeder Menge Charakterstärke.
Am Ende wird’s halt teuer
Die Auswahl an DesertX ist wie bereits erwähnt extrem überschaubar: Es gibt sie nur in Weiß und sie kostet in der Grundausführung 15.990,-- Euro. Lieferbar ist sie ab Juni auch als auf 48 PS gedrosselte Version für den Führerschein A2. Unübersichtlich ist dagegen das Zubehör: Ducati bietet mehrere Performance-, Sport-, Enduro- und Rally-Pakete an, ebenso die obligatorischen Sport-Auspuffanlagen und Touring-Ausstattung wie Sturzbügel, verstärkter Unterfahrschutz sowie Koffer und Topcase. Interessant ist vor allem der 8-Liter-Zusatztank, der am Heck angebracht wird, und mit einer eigenen kleinen Benzinpumpe den vorderen Tank per Menübefehl nachfüllt. Kann man dann auch noch dazupacken … Ich habe am Ducati-Konfigurator online den Preis meiner Wunsch-DesertX schnell auf finale 25.000,-- Euro hochgetrieben. So ist es halt mit den guten Dingen: Sie kosten.