
Die Ansprüche an Marri – und vor allem an die DesertX – waren dabei extrem hoch: Performance und brillante Fahreigenschaften auf der Straße, aber auch überragende Leistungen im noch so schweren Gelände sollten es sein. Das Ganze verpackt möglichst nah an der Studie, die 2019 bei der Vorstellung auf der Mailänder EICMA für Furore gesorgt hatte. Die eierlegende Wollmilchsau also.
Schnelle Straße mit 21 Zoll

Es gibt die DesertX nur in einer Farbe, in Star White Silk. Das ist eine kluge Entscheidung. Die Farbe betont die zentralen Designelemente, den tief nach unten gezogenen 21-Liter-Tank und den in den Windschutz integrierten LED-Doppelscheinwerfer. Beides nimmt Anleihen bei den klassischen Enduros der 90er-Jahre, bei den Dakar-Cagivas. Und ist gleichzeitig brandaktuell und modern. Ich muss konstatieren: Ein stimmigeres Motorrad habe ich dieses Jahr noch nicht gesehen. Grandios.
Wir fahren von der Küste ins Inland. Schon die ersten Kilometer geben Rückmeldung; die Ergonomie stimmt. Schmale Taille, guter Knieschluss. Fahrposition, Lenkerhöhe ok. Einzig der Windschutz, der fest montiert und nicht verstellbar ist, könnte für große Fahrer über 1,85 m besser sein. Dafür entschädigt das Cockpit. Super aufgeräumt, sauber verarbeitet wie der Rest des Fahrzeugs und ein hübsches 5-Zoll-Farb-TFT-Display. Im Zusammenspiel mit einem Kippschalter an der linken Griff-Armatur gibt der Bildschirm den Überblick über das ausufernde, aber in sich logische Einstellungsmenü. Zusammen mit dee Ducati-Smartphone-App kann das Display Pfeil-Navigation. Der Verkehr dünnt aus, tendiert gegen null. Zeit also, den DesertX-Motor zu prüfen. 110 PS bei 9.250 und 92 Nm bei 6.500 U/min bringt er mit; er hängt in einem Gitterrohrrahmen mit einer Aluminiumguss-Schwinge. Das Aggregat verschafft sich Gehör: 94 db (A) werden formal gemessen, man ist also noch tiroltauglich.

Schräglage, Bremslimits? Ach was. Es beschleicht mich der Verdacht, dass die DesertX mit klebrigeren Straßenreifen eine ernst zu nehmende Konkurrentin der Ducati Hypermotard wäre. Das Ding kann was und ist pfeilschnell; auf den ersten Metern sowieso und auf dem Papier hoch bis auf 240 km/h. Und wenn es dann doch mal eng wird vor der Kurve, kommt die Brembo-Anlage mit zweimal 320 mm Scheibendurchmesser vorne sowie 265 mm hinten zum Einsatz. Die beißen alles weg.

Des Weiteren werden sechs Riding Modes (Sport, Touring, Urban, Wet, Enduro, Rally) angeboten, die sich frei mit vier Power-Mappings Full, High, Medium und Low mit jeweils 3 Leistungsstufen kombinieren lassen. Im Enduro- und im Rally-Modus kann das ABS komplett ausgeschaltet werden. Mit anderen Worten: Einstellung und Feinjustierung werden eine neue Kunstform; aber gut zu wissen, dass die DesertX sich auch brillant schlägt, wenn man einfach aufsteigt und losfährt. Mit einer Tankfüllung kommt man realistisch bis zu 380 km weit; weil man gut sitzt, ist die DesertX eine weitere Kandidatin für Kilometer fressende Tourenfahrer.
In Dust we trust

Die beiden Gelände-Modi Enduro und Rally unterscheiden sich u. a. in der Motorleistung. Enduro bringt nur 75 PS ans Hinterrad, reagiert softer, ist quasi die Wahl für technische Etappen, trial-artige Passagen. Rally dagegen liefert vollen Stoff und 110 PS: Hier ist die Gasannahme linear und direkt; ein Gasstoß genügt und die 223 kg leichte Fuhre (vollgetankt) geht steil. Gleichwohl kann der erste echte Ducati-Offroader auch diffizile Schleichfahrt; technische Tracks werden durch den niedrigen Schwerpunkt und die exzellente Stehposition erleichtert.
Im Staub bei Loell hat sich die DesertX jedenfalls von ihrer besten Seite gezeigt. Man merkt sofort, dass die Testastretta 11°-Version im Fahrzeug auf den speziellen Dual-Use-Einsatz auf Straße und Schotter zugeschnitten ist. Auch das Getriebe spielt mit: Für die DesertX wurde es mit einem kurzen ersten und zweiten Gang bestückt. Im Vergleich zur Multistrada V2 etwa ist der erste Gang 14,3 Prozent kürzer. Hier haben die Italiener die Balance optimal getroffen. Der einzige (subjektive) Kritikpunkt sind die Bremsen: Weil sie auf Asphalt scharf und bissig ansprechen, sind sie im Gelände vor allem hinten schwer dosierbar und gehen für mein Empfinden zu schnell in den ABS-Stottermodus bzw. zu schnell auf Block.

Ducati hat mal wieder die Nase vorne, diesmal mit einer reisetauglichen Hardenduro ganz ohne Chichi, aber jeder Menge Charakterstärke.
Am Ende wird’s halt teuer

Unübersichtlich ist dagegen das Zubehör: Ducati bietet mehrere Performance-, Sport-, Enduro- und Rally-Pakete an, ebenso die obligatorischen Sport-Auspuffanlagen und Touring-Ausstattung wie Sturzbügel, verstärkter Unterfahrschutz sowie Koffer und Topcase. Interessant ist vor allem der 8-Liter-Zusatztank, der am Heck angebracht wird, und mit einer eigenen kleinen Benzinpumpe den vorderen Tank per Menübefehl nachfüllt. Kann man dann auch noch dazupacken … Ich habe am Ducati-Konfigurator online den Preis meiner Wunsch-DesertX schnell auf finale 25.000,-- Euro hochgetrieben. So ist es halt mit den guten Dingen: Sie kosten.
- eigenständiges Design
- kann Straße und Gelände
- Ventilkontrolle alle 30.000 km
- fester Windschutz
- Bremsen mit Beißreflex
- hoher Endpreis