Meine mittlere Tochter hat jüngst ihren A1-Führerschein bestanden. Sie darf also Motorräder mit bis zu 15 PS (11 kW) fahren. Ihre Fahrstunden absolvierte sie auf einer Brixton Cromwell. 134 Kilogramm schwer, Sitzhöhe gut 770 mm, überschaubare 11 PS und nicht mal 10 Newtonmeter Bums. Als ich ihr die frisch gelieferte Zero DS präsentierte, kippte sie fast hintenüber: „Die darf ich fahren?!“, fragte sie ungläubig. „Ja, mein Kind“, sprach ich, „diesen ausgewachsenen Adventure Tourer mit bis zu 61 PS (45 kW), bis zu 132 Nm Drehmoment, gut 830 mm Sitzhöhe und 239 kg Leergewicht darfst du fahren. Hier ist der Schlüssel.“ Sie zeigte mir einen Vogel und machte auf dem Absatz kehrt. Na gut, dann muss halt ich ran auf der 125er mal 4, so rein PS-mäßig betrachtet.
Das will sie
Maximalen Fahrspaß liefern mit der Führerscheinklasse A1 oder der B196-Erweiterung. Ganz ehrlich: Das tut sie. Wobei man sich ehrlich fragen muss, ob diese schiere E-Power manche nicht eher verschreckt, als maximal begeistert. Bleibt die Grundsatzdiskussion: Darf man Fahranfängern ruhigen Gewissens so ein Motorrad an die Hand geben? Die Zero DS beschleunigt pfeilschnell und ungewöhnlich leise – speziell für die Ohren von Fahrnovizen, die in der Regel auf Verbrennern ihre ersten Fahr(schul)erfahrungen sammeln. Mit Ausnahme des Fahrtwinds ist antriebsbedingt kaum etwas zu hören, wenn man den elektronischen „Gasgriff“ aufreißt. Ein durch und durch faszinierendes Fahrerlebnis.
Das kann sie
Richtig viel Gepäck zuladen. 260 Kilogramm sind erlaubt. Voll ausgeschöpft, wiegt die Zero DS abfahrbereit für die große Reise also ziemlich genau eine halbe Tonne. Das dürfte einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde rechtfertigen in der Kategorie „Stärkster Lastenträger in der 125/L3e-Klasse“. Zum Vergleich: Eine BMW R 1300 GS wiegt offiziell 237 kg und darf 228 kg zuladen. Laut Zero Motorcycles ermöglicht der 14,4 kWh große Akku (nominale Leistungsfähigkeit: 12,6 kWh) eine Reichweite von bis zu 232 km in der Stadt. Im gemischten Fahrbetrieb Stadt/Autobahn sind es je nach Geschwindigkeit 173 km (bei Durchschnittstempo 89 km/h) bis 157 km (113 km/h) – offiziell. Wir erinnern uns: Je höher das Tempo (und je kälter es ist), desto schneller ist der Akku leer. Wer mehrmals volle Lotte beschleunigt (was diebischen Spaß macht) und maximal lange die 139 km/h Spitze zu halten versucht (auch durchaus Spaß fördernd), der sollte die Reichweitenanzeige sehr genau im Auge behalten. Sie sinkt rasant unter 100 Kilometer, die Batteriepower hüpft parallel in großen Schritten einstelligen Prozentzahlen entgegen. Aber: Das kann sich alles wieder (leicht) erholen – durch eine defensivere Fahrweise und konsequentes Rekuperieren.
Das bietet sie
Tolle Bremsen mit radial montierten Vier-Kolben-Bremssätteln vorn und Bosch-Motorrad-Stabilitätskontrolle, fünf Fahrmodi (Rain, Eco, Standard, Sport, Canyon), umfassende Vernetzung mit „Over-the-Air“-Systemupdates, ein großes Staufach in der Tankattrappe und akzeptable Ladezeiten. Standardmäßig saugt die Zero DS Strom mit einer Ladeleistung von 3 kW in den Akku (optional 6 kW). Innerhalb von 4,5 Stunden ist die Batterie voll geladen, für 95 Prozent reichen vier Stunden. Mit dem zusätzlichen Rapid Charger (optional) sinken die Ladezeiten auf 1,8 beziehungsweise 1,3 Stunden. Auf Akku und Motor gewährt Zero Motorcycles jeweils fünf Jahre Garantie. Aktuell gibt es die DS nur in „Quicksand“, einer Art Desert-Beige. Auf der EICMA 2024 dürften weitere Farben präsentiert werden. Die aktuelle DS-Line von Zero Motorcycles umfasst drei Modelle: Neben der A1-Variante (ab 18.400,-- Euro) gibt es die DSR (72 PS, 150 km/h Spitze, maximal 249 km Reichweite, ab 19.400,-- Euro) und die DSR/X (100 PS, 180 km/h, 288 km, ab 23.500,-- Euro). Hinzu kommen die S-Line (vier Modelle) und die FX-Line (zwei), macht neun Modelle insgesamt. Mehr E-Motorräder hat kein anderer Hersteller im Programm.
Die gut kontrollierbare Leistungsabgabe – und die spürbaren Unterschiede zwischen den einzelnen Fahrmodi. Im Eco-Modus ist die DS geradezu lammfromm, im Canyon-Modus rekuperiert sie sehr stark und fegt druckvoll aus Ecken heraus, im Sportmodus lässt sie es erwartungsgemäß fliegen und hält sich bei der Bremsenergierückgewinnung zurück. Zero lässt dem Nutzer hier zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten. Mehr und mehr Spaß macht mit der Zeit das Beobachten und Beeinflussen des Energieverbrauchs. Es kommt vor, dass man nach zehn oder 20 Kilometern mit mehr Restreichweite nach Hause kommt, als man beim Start auf dem großen TFT-Display stehen hatte. Verrückt.
Fazit
Die Zero DS ist in ihrer Leistungsklasse nicht zu toppen. Was Optik, Zuladung und Performance betrifft, spielt sie in ihrer eigenen Liga. Fahranfänger wie meine Tochter sollten sich im deutlich eingebremsten Eco-Modus an die Leistungsfähigkeit dieses Bikes herantasten. Pendlern, die es sich leisten können und wollen, liefert Zero mit der DS einen triftigen Grund, sich jeden Tag auf die Fahrt ins Büro zu freuen.
Die Idee, dass Anfänger ein so leistungsstarkes E-Bike fahren dürfen, finde ich bedenklich. Sicher, die Technik ist beeindruckend, und dass man mit einer 125er so viel Power unter dem Sitz hat, ist faszinierend. Aber ich frage mich, ob das wirklich eine gute Idee ist. Die Beschleunigung und das fast geräuschlose Dahingleiten könnten Neulinge leicht überfordern. Ich weiß, es gibt Modi wie den Eco-Modus, aber die Versuchung, auf Sport zu schalten, ist doch bestimmt groß. Meiner Meinung nach sollte es eine gewisse Lernkurve geben, bevor man auf solche Geschosse steigt.