Als Yamaha 2019 die lang erwartete und emotional gut propagierte Enduro Ténéré 700 vorstellte, war die Szene begeistert. Endlich eine Zweizylinder-Enduro im mittleren Hubraumsegment mit wenig elektronischen Helfern für damals unter 10.000,-- Euro. Schnell fand sie, gerade wegen des technischen Understatements, viele Freunde in der Szene und entwickelte sich zum Bestseller. 2019 war auch das Jahr, in dem Aprilia auf der EICMA eine weitere Studie vorstellte. Von der Tuono 660 war bereits die Rede, doch eine echte Tuareg sollte folgen. Auf dieser „Vor-Corona-EICMA“ stand in Mailand eine fast unkenntliche Tuareg in einem überrankten Glasterrarium. Sie sollte neugierig machen, wie und wann Aprilia an die Paris-Dakar-Geschichte der Einzylinder Tuareg Wind 600 aus den 80er-Jahren anknüpfen will. Konzeptionell sind starke Parallelen zwischen der Aprilia Tuareg und der Yamaha Ténéré 700 zu erkennen. Letztere wurde unter Zugabe des bekannten japanischen MT-07 (CP-2 Motor mit Crossplane Kurbelwelle) von einem französisch-italienischen Entwicklerteam für den europäischen Markt gestylt. Ihre Produktion findet im südfranzösischen Nîmes statt, Aprilia baut in Noale und Scorzè, unweit von Venedig.
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Touren & Reisen: Oberösterreich & Salzkammergut: Reise zum Mittelpunkt der Alpen; Historische Festungen & Städte von Malta: Am Set von Jurassic World: Ein neues Zeitalter; Affe auf Bike in Island: Vulkane, heiße Quellen & Polarlichter
Tests: Dometic Boracay FTC 301 TC, Modeka Brandon, High Peak Kingfisher 2 LW, Acht Endurostiefel im Vergleich, Marushin M-410
Magazin: Unter Freunden: Intermot 2022, Goodwood Revival, BMW Motorrad International GS Trophy 2022
Preis: 5,90 €
Designt für das westliche Publikum
Designt wurde die Tuareg 660 nach Vorbildern von Rally-Raid-Veranstaltungen speziell für das westliche, europäische Publikum, das Gelände- als auch Straßenkomfort und Sicherheit zu schätzen weiß. Anders als die Ténéré 700 setzt Aprilia auf elektronische Unterstützungssysteme auf dem aktuellen Stand der Technik. Zum Beispiel wohnen dem Tuareg-Steuergerät MIA viele Features inne, auf die Yamaha zunächst bewusst und aus Preisgründen verzichtet hat. Aktuell zeigt Yamaha mit der World Raid Ténéré 700, dass Yamaha bereit ist, elektronisch upzudaten: Die World Raid hat ein verbessertes Fahrwerk, ein neues Dashboard, mehr Tankvolumen und Federweg. Damit schließt sie technisch ein Stück zur Aprilia Tuareg auf. Elektronische Assistenz, Fahrmodi (konfigurierbar), Tempomat, Ride-by-Wire, Schleppmomentregelung, ABS-Konfigurationen (offroad) und eine Traktionskontrolle sowie diverse Verknüpfungsmöglichkeiten mit kabellosen Geräten bietet zunächst nur die aktuelle Tuareg.
Die Ergonomie passt
Für Fahrer um 180 cm passt alles. Tuareg und Ténéré 700 stehen auf dem Hänger und man sieht, dass viele Maße identisch sind. Vielleicht ist der Lenker der Ténéré 700 eine Nuance höher, selbst die Federungselemente und die Bodenfreiheit sind nahezu gleich. Die Ergonomie passt auf Anhieb, doch die Formen sind unterschiedlich. Die Aprilia kommt eckiger daher, hat einen ordentlichen Knick im Tank (mit unrühmlich hervorstehendem Tankdeckel), die Ténéré 700 ist runder, was durch das 4-fach-Scheinwerfer-Layout unterstrichen wird. Auch bei Yamaha steht der Tankdeckel unschön hervor. Selbst die Federungselemente von Kayaba könnten derselben Fertigungsstraße entstammen. Aprilia bietet jedoch mehr Federwegs-Reserven. Auch Brembo-Zangen sind bei beiden Motorrädern mit dabei. So sind es die inneren Werte, die die beiden unterscheiden: Der Aprilia-Antrieb läuft geringfügig rauer, was mit den schmeichelhaften Ansauggeräuschen zu tun haben könnte. Der Co-Tester und Ténéré 700-Fahrer attestiert der Aprilia spontan eine geringfügig längere Übersetzung und eine härtere Schaltung. Sie erreicht dank ihrer 80 PS locker eine Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h.
Je nach Fahrmodus ist die Tuareg 600 die agilere und das Motorrad, das besser an die persönlichen Anforderungen angepasst werden kann. Die Fahrmodi sind auch mit ABS- und Traktionsmodi verknüpft; der Modus „Individual“ ist frei konfigurierbar. „Explore“ bietet einen guten Kompromiss. Regnet es oder will man den Schlupf des Hinterrades sanfter antreten lassen, ist „Urban“ eine gute Wahl. Geht es stumpf geradeaus, übernimmt der Tempomat. Die Bedienung der Features erfolgt über einen 4-fach-Lenkerschalter. Der Tempomatschalter erlaubt auch Schnelleingriffe in die Traktionsregelung. Der Mode-Schalter auf der rechten Lenkerseite bedient ausschließlich die Riding-Modes. Zu den Besonderheiten der Elektronik gehört die mögliche Kalibrierungsfahrt, beispielsweise falls ein anderes Reifenfabrikat aufgezogen oder die Übersetzung geändert wurde. Die Sensoren des sogenannten APRC-Systems (Aprilia Performance Ride Control) können so neu kalibriert werden. Gegen Aufpreis gibt es das Steuergerät Aprilia Mia: Das erlaubt eine einfache GPS-Navigation mit Piktogrammen und Höchstgeschwindigkeits-Anzeige, Gegensprechanlage, Audioübertragung mit Smartphone, alles über die im Cockpit angezeigte Aprilia Multimedia Plattform (AMP). All das geht bei der Ténéré 700 nicht. Sie setzt dafür auf eine ausgewogene Gesamtabstimmung. Die Kupplungen werden per Seilzug betätigt, Antihopping gibt es bei beiden nicht. Die Tuareg verfügt über eine Motorbremsmoment-Regelung, die aber bei dieser Hubraum-Zylinder-Kombination kaum Auswirkungen auf den Fahrbetrieb zeigt.
Aprilia Konfigurations-Möglichkeiten
Einzeln im Mapping individuell einstellbar: Das APRC-System mit 5 Funktionen:
AEM: Motormapping
AEB: Motorbremse
ABS: Antiblockiersystem
ATC: Traktionskontrolle
AQS: Aprilia Quickshift (falls vorhanden)
Je nach Mapping läuft die Tuareg ab 2.000 U/min, unter Last besser ab knappen 3.000 U/min rund und geht mit dem Vorschub eines modernen Einspritzers ans Werk. Das maximale Drehmoment liegt wie bei der Yamaha bei 6.500 U/min an. Lebendig wird der Twin mit Hubzapfenversatz ab 5.000 U/min – untermalt mit einem Stakkato aus der Airbox bis etwa 10.000 U/min. Die Ténéré 700 blubbert etwas konformer, treckerartiger und gutmütiger. Beide Sounds wirken nie störend auf Umwelt und Gehör. Der Schall entweicht beiden Motorrädern über rechtsseitig angebrachte schräge Edelstahlauspuffe: 2 in 1. Der Schalldämpfer der Aprilia ist voluminöser und leider auch etwas höher angebracht, was die Kofferbefestigung erschwert. Auf den Messen konnte man an der Aprilia die eng sitzenden Alukoffer vom OEM-Lieferanten Givi sehen, auf die auch Yamaha werksseitig setzt. Der jeweils rechte Koffer ist für den Auspuff ausgeklinkt und fasst somit weniger Inhalt. Das Gepäckträger-Zubehörangebot ist für die Tuareg kleiner. Bis Mitte 2022 wurden erst 400 Aprilia Tuareg in Deutschland zugelassen. Der Bestand an Yamaha Ténéré 700 ist wesentlich größer. Ab Werk gibt es derzeit nur einen passenden Tankrucksack mit Tankdeckel-Adapter. Unbedingt ordern sollte man eine Gepäckbrücke. Am Rahmenheck sitzen unter Abdeckungen Gewindebohrungen (M6), an die man Behelfsschrauben zur Gepäckbefestigung eindrehen kann. Die Ténéré 700 hat serienmäßig, Einhängepunkte für Gurte und Haken. Seitendeckel im klassischen Sinne sind an der Tuareg gar nicht erst vorhanden. Vorbildlich sind die Aluminiumseitenständer und die Soziusfußrasten an beiden Motorrädern.
Während der Yamaha-Rahmen noch einen geschraubten Unterzug besitzt, baut Aprilia auf eine Gitterrohr-Konstruktion mit dem Motor als tragendes Element. Aprilia erlaubt auch bei der Beleuchtung eine Auswahl zwischen Tagfahrlicht und Abblendlicht. Ein großes Plus des Fahrwerks sind die Kreuzspeichenfelgen, die zum einen sehr stabil sind und zum anderen Schlauchlosreifen erlauben. Technisch gut fügt sich gegen Aufpreis der elektromechanische Quickshifter/Blipper in das agile Fahrverhalten ein. Alle Schaltvorgänge gehen dabei auch unter Last schneller vonstatten. Die Schaltvorgänge am CP-2 Motor der Yamaha laufen dagegen eine Nuance weicher ab. Im direkten Vergleich ist die Aprilia Tuareg 660 den preislichen Aufschlag wert. Sie bietet neben fortschrittlichem Motormanagement auch echte Hardware als Plus: Kreuzspeichenfelgen, ein Dashboard, das den Namen auch verdient, Tempomat, LED-Ausstattung, einen größeren Tank und längere Federwege bei geringerem Gewicht. Teurer ist das Aprilia Originalzubehör. Die Aprilia wirkt sportlicher und bringt bei weniger Hubraum mehr Leistung auf die Straße. Die Yamaha fährt sich dagegen etwas gutmütiger. Bei der Kurvenhatz geben sich die beiden nichts. Aufgrund der besseren elektronischen Einstellbarkeit hat die Aprilia bei Highspeed und widrigen Verhältnissen die Nase geringfügig vorn. Auf der Straße legen beide Motorräder einen ausgewogen, sauberen Strich hin. Pendeln und Fahrwerksschwächen kommen praktisch nicht vor. Aufgrund der Zubehörsituation stehen bei der Yamaha bessere Optimierungsmöglichkeiten zur Wahl. Der Tempomat auf der Autobahn und ein guter Windschutz sprechen für die Aprilia. Auf der Yamaha sitzt man allerdings auch wie in Abrahams Schoß. Unser Testverbrauch lag bei beiden Bikes inklusive Gepäck und einem Fahrer bei 4,6 Litern auf einer Strecke ohne Autobahn. Aprilia ist ein eigenständiger Zwilling der erfolgreichen Yamaha Ténéré 700 gelungen. Bei den elektronischen Features beginnt Aprilia dort, wo Yamaha aufhört. Beide Motorräder sind hervorragende Reiseenduros im mittleren Hubraum- und Preissegment.