

Großes Kino auf der Duc
Spätestens bei 4.000 Touren wechselt die 950 S vom rezeptfreien Dahingleiten in den verschreibungspflichtigen Attacke-Modus. Auch nachts lässt sich die Multistrada 950 S souverän bewegen: Die serienmäßigen LED-Scheinwerfer mit Kurvenlicht leuchten die Einflugschneise vertrauensvoll und sehr gleichmäßig aus. Das ist schon großes Kino, was die Duc da auf die Straße wirft. Der Multistrada-Fahrer thront hinter einem beflissen agierenden Windschild, der manuell verstellt werden kann. Wer mit Tankrucksack reist, kann seine Kinnspitze komfortabel auf dem lütten Langstreckenkissen betten und über das digitale Kombiinstrument hinweg die Ideallinie anpeilen. Das senkt den Fahrtwindpegel am Helm ungemein. 820 bis 860 Millimeter Sitzhöhe gibt Ducati an, je nach Sitzbank und Beladungszustand: Nur Fahrer, Fahrer und Gepäck, Fahrer und Sozius mit und ohne Gepäck – all das lässt sich bei der serienmäßigen Ducati Skyhook Suspension EVO übers Bedienmenü einstellen. Das „am Himmel aufgehängte“ (deutsche Bedeutung für „Skyhook“) semiaktive Fahrwerk regelt dann elektronisch die Vorspannung des progressiv angelenkten Federbeins.
Gleichstellungs-Tool Dynamic ESA
Beim bajuwarischen Wettbewerber BMW F 850 GS Adventure sorgt die aufpreispflichtige semiaktive Fahrwerksregelung Dynamic ESA (390,-- Euro) für derlei Kunststücke. Das Anheben und Absenken des Hecks beim Justieren des Beladungszustands spürt man hier deutlich.Mit zwei vollen Alukoffern plus Gepäckrolle vergrößert die BMW den Abstand zwischen Asphalt und Oberkante Sitzfläche spürbar.
815 bis 890 mm beträgt die Spannweite je nach gewählter Sitzbank. Die Zuladung bei Serienausstattung gibt BMW Motorrad mit 211 Kilogramm an, bei der Ducati Multistrada 950 S sind es 235 kg. Vollgetankt bringt die BMW 244 kg auf die Waage, die Ducati 230 kg.
23 Liter Kraftstoff bescheren der Mittelklasse-Adventure eine rechnerische Reichweite von rund 560 Kilometern, die durstigere Multistrada schafft mit ihren 20 Litern Sprit rund 360 km. Was natürlich blanke Theorie ist.

Reichweite geht klar an die BMW
Bei unserem Vergleichstest lagen beide Maschinen erwartungsgemäß über den offiziell angegebenen Verbrauchswerten: Die Ducati gönnte sich bei flotter Fahrt im Schnitt 6,4 l/100 km, die kleine GS Adventure landete bei respektablen 4,8 l/100 km. Offiziell angegeben sind die beiden mit 5,5 l/100 km beziehungsweise 4,1 l/100 km. So gesehen alles im Rahmen. Erst recht, wenn man es ordentlich fliegen lässt auf französischen Landstraßen und deutschen Autobahnen. Setzt man den Verbrauch in Relation zu Leistung und Hubraum, passt das eh: Die BMW F 850 GS Adventure wirft 95 PS, 92 Nm und 197 km/h Vmax in die Waagschale, die Ducati Multistrada 950 S eingangs erwähnte 113 PS, dazu 96 Nm und offiziell 215 km/h Spitze. Im direkten Vergleich zieht die Ducati mit mehr Leistung bei weniger Gewicht natürlich auf und davon. Dafür winkt der 850er-Fahrer lässig an der Abfahrt zur nächsten Tanke und lässt problemlos noch zwei, drei Zapfsäulen rechts liegen, bevor er flüssige Energie nachladen muss. Gleicht sich alles aus im Leben.
Weiter, immer weiter
Konzeptionell hat die GS allein schon vom Namen her einen Globetrotter-Vorsprung. Dazu noch der Zusatz Adventure, damit sind alle Fragen zur Ausrichtung des Bikes „eigentlich“ beantwortet. Es geht um komfortables Streckemachen, auch abseits befestigter Wege. BMW Motorrad nennt es eine „starke Synthese aus Agilität sowie Touren- und Geländetauglichkeit“. Ducati spricht der 950er Multi „das Maximum an Technik, Leistung und Komfort“ zu. Beides lassen wir mal so stehen. Und empfehlen F-GS-Fahrern bei der Gelegenheit den optional erhältlichen großen Windschild (ab 123,-- Euro). Der Witterungs- und Fahrtwindschutz ist deutlich besser als beim Serienschirm.In puncto moderner Technologie markieren Ducati und BMW Motorrad klar das obere Ende der Fahnenstange. Ducati begehrt für die 950 S aktuell 2.100,-- Euro mehr als fürs Basismodell (ab 13.690,-- Euro). Dafür hat die S-Variante serienmäßig feinste Hard- und Software an Bord: Ducati Quick Shift up/down, 5-Zoll-TFT-Display, Hands-free-System, hinterleuchtete Lenkerarmaturen, Cruise Control, Full-LED-Scheinwerfer, Ducati Cornering Lights, dazu die semiaktive Skyhook-Luftfederung.

Gleiche Ausstattung, gleicher Preis
Vergleichbar ausgestattet, kommt die von uns gefahrene BMW F 850 GS Adventure Rallye auf einen nahezu identischen Preis: Zum Basis-Obolus von 13.050,-- Euro gesellen sich hier der Zuschlag fürs Rallye-Paket (u. a. Windschild Sport, Rallye-Sitzbank, 305,-- Euro), Touren-Paket (Dynamic ESA, Temporegelung, Kofferhalter, 840,-- Euro), Dynamik-Paket (Fahrmodi Pro, Schaltassistent Pro, 640,-- Euro), Licht-Paket (u. a. Voll-LED-Scheinwerfer, 520,-- Euro) und Connectivity mit 6,5-Zoll-TFT-Display (150,-- Euro). Macht auf dem Papier 15.505,-- Euro versus 15.790,-- Euro für die Multistrada 950 S. Für welche man sich letztlich entscheidet, ist wohl am ehesten eine Typfrage. Die auffälligere Ducati sieht blendend aus in ihrem stylischen „Glossy Grey“ mit rotem Rahmen und gelbem Federbein. Bei den zahlreichen Tankstopps gab es immer wieder anerkennende Blicke.„Tolles Motorrad“, „schöne Maschine“, raunten uns Reisende jeden Alters anerkennend zu, wenn sie mit erhobenem Daumen an der extravaganten Multistrada 950 S vorbeimarschierten. Auch die kleine GS macht einen schlanken Fuß – trotz des recht ausladenden Tanks und der massiven Alu-Koffer. Speziell in Lupinblau metallic sieht sie im Globetrotter-Trimm edel und sportlich aus.

Ducati punktet mit Kurven-ABS
Gute Geländeeigenschaften verstehen sich bei der GS von selbst. Vorn spendiert BMW Motorrad artgerecht ein schmales 21-Zoll-Rad, hinten sind es 17 Zoll. Die Ducati rollt vorn auf 19 Zoll und hinten ebenfalls auf 17 Zoll. Beide Maschinen bauen mit der Serienbereifung hervorragenden Kurvengrip auf.Die GS hat ab Werk Stabilitätskontrolle (ASC), ABS und zwei Fahrmodi (Rain/Road); drei weitere samt regelbarem ABS Pro und einstellbarer Traktionskontrolle gibt es gegen Aufpreis mit der Sonderausstattung Fahrmodi Pro (350,-- Euro einzeln oder im Dynamik-Paket).
Ducati spendiert der 950 S aufpreisfrei ein dreistufiges Kurven-ABS von Bosch, eine achtstufige Traktionskontrolle (DTS), Berganfahrhilfe und vier Fahrmodi (Sport, Touring, Enduro und Urban). Dieser Punkt geht dank 6-achsiger Bosch-IMU (Inertial Measurement Unit) nach Italien.
Tempomat gibt es bei Ducati serienmäßig, bei der BMW kostet die Temporegelung extra (290,-- Euro).
Bei den Blinkern herrscht dafür Einigkeit: Nach dem Abbiegen schalten sie automatisch ab, abhängig von Wegstrecke und Schräglage.
Letztere erlauben beide Bikes in ganz erheblichem Maße: Breite Lenker, hohe Bodenfreiheit, ausgezeichnete, voll einstellbare Fahrwerke – die BMW F 850 GS Adventure und die Ducati Multistrada 950 S sind ausgesprochen dynamisch unterwegs, die Ducati noch ein bisschen mehr.
Schneller kommt man kaum nach Hause. Oder in die Ferne. Je nachdem, wo einen das Heimweh hintreibt.
