Vergleichstest: BMW F 850 GS Adventure vs. Ducati Multistrada 950 S

M&R-PlusVergleichstest: BMW F 850 GS Adventure vs. Ducati Multistrada 950 S

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Gehobene Mittelklasse für Globetrotter – auf über 1.200 km stellen sich die beiden Reise-Enduros dem Vergleichstest.
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Gehobene Mittelklasse für Globetrotter: Die Reise-Enduros BMW F 850 GS Adventure und Ducati Multistrada 950 S brauchen sich hinter ihren „großen Geschwistern“ R 1250 GS und Multistrada 1260 nicht zu verstecken. 
Treibt dich Heimweh an, spielen Entfernungen keine Rolle. Nehmen wir die Fahrt von der wild-­romantischen Atlantikküste Frankreichs in den betulichen Nordwesten Hamburgs. Google Maps weist 1.241 Kilometer als kürzeste Distanz aus. Kein Problem, wenn man Kilometerhäcksler wie die Ducati Multistrada 950 S oder die BMW F 850 GS Adventure unterm Hintern hat. Und man sich unnötige Pausen verkneift. Carpe diem, sag ich nur. Die italienische Touren-Enduro hat sich im Dunstkreis der Übermutter Multi­strada 1260 ein veritables Plätzchen in der oberen Mittelklasse erkämpft, erst recht als top ausgestattete S-Version. Temperamentvolle 113 PS schickt der Testastretta-­Motor ans 17-Zoll-Hinterrad der 950er Multi. Mit seiner desmodromischen Ventilsteuerung überzeugt der bärenstarke Italo-Zweizylinder in allen Lebenslagen. Gemütliches Cruisen, engagierte Kurvenhatz, ambitionierte Highspeed-Fahrten. Erledigt der Duc-Twin alles molto bene. Das maximale Drehmoment von 96 Nm liegt nominal bei 7.750 Touren an. Gefühlt reißt dir die „MTS“ aber schon sehr viel früher die Arme lang. 
113 PS, 96 Nm: Das Testastretta-Triebwerk mit 937 ccm ist ein Sahnestück – fettes Drehmoment, hohe Endgeschwindigkeit.

Großes Kino auf der Duc

Spätestens bei 4.000 Touren wechselt die 950 S vom rezeptfreien Dahin­gleiten in den verschreibungspflichtigen Attacke-Modus. Auch nachts lässt sich die Multistrada 950 S souverän bewegen: Die serienmäßigen LED-Scheinwerfer mit Kurvenlicht leuchten die Einflugschneise vertrauens­voll und sehr gleichmäßig aus. Das ist schon großes Kino, was die Duc da auf die Straße wirft. Der Multistrada-Fahrer thront hinter einem beflissen agierenden Windschild, der manuell verstellt werden kann. Wer mit Tankrucksack reist, kann seine Kinnspitze komfortabel auf dem lütten Langstreckenkissen betten und über das digitale Kombiinstrument hinweg die Ideallinie anpeilen. Das senkt den Fahrtwindpegel am Helm ungemein. 820 bis 860 Millimeter Sitzhöhe gibt Ducati an, je nach Sitzbank und Beladungszustand: Nur Fahrer, Fahrer und Gepäck, Fahrer und Sozius mit und ohne Gepäck – all das lässt sich bei der serien­mäßigen Ducati Skyhook Suspension EVO übers Bedienmenü einstellen. Das „am Himmel aufgehängte“ (deutsche Bedeutung für „Skyhook“) semi­aktive Fahrwerk regelt dann elektronisch die Vorspannung des progressiv angelenkten Federbeins. 
Kein Weg zu weit: Aufsteigen, losfahren, Spaß haben ist die Devise bei der BWM F 850 GS Adventure.

Gleichstellungs-Tool Dynamic ESA

Beim bajuwarischen Wettbewerber BMW F 850 GS Adventure sorgt die aufpreispflichtige semiaktive Fahrwerksregelung Dynamic ESA (390,-- Euro) für derlei Kunststücke. Das Anheben und Absenken des Hecks beim Justieren des Beladungszustands spürt man hier deutlich. 
Mit zwei vollen Alukoffern plus Gepäckrolle vergrößert die BMW den Abstand zwischen Asphalt und Oberkante Sitzfläche spürbar. 
815 bis 890 mm beträgt die Spannweite je nach gewählter Sitzbank. Die Zuladung bei Serienausstattung gibt BMW Motorrad mit 211 Kilogramm an, bei der Ducati Multistrada 950 S sind es 235 kg. Vollgetankt bringt die BMW 244 kg auf die Waage, die Ducati 230 kg. 
23 Liter Kraftstoff bescheren der Mittelklasse-Adventure eine rechnerische Reichweite von rund 560 Kilometern, die durstigere Multistrada schafft mit ihren 20 Litern Sprit rund 360 km. Was natürlich blanke Theorie ist.
Das vollfarbige TFT-Display der BMW lässt sich super ablesen. Bedient wird es über den bekannten Multi-Controller links am Lenker.  

Reichweite geht klar an die BMW

Bei unserem Vergleichstest lagen beide Maschinen erwartungsgemäß über den offiziell angegebenen Verbrauchswerten: Die Ducati gönnte sich bei flotter Fahrt im Schnitt 6,4 l/100 km, die kleine GS Adventure landete bei respektablen 4,8 l/100 km. Offiziell angegeben sind die beiden mit 5,5 l/100 km beziehungsweise 4,1 l/100 km. So gesehen alles im Rahmen. Erst recht, wenn man es ordentlich fliegen lässt auf französischen Landstraßen und deutschen Autobahnen. Setzt man den Verbrauch in Relation zu Leistung und Hubraum, passt das eh: Die BMW F 850 GS Adventure wirft 95 PS, 92 Nm und 197 km/h Vmax in die Waagschale, die Ducati Multistrada 950 S eingangs erwähnte 113 PS, dazu 96 Nm und offiziell 215 km/h Spitze. Im direkten Vergleich zieht die Ducati mit mehr Leistung bei weniger Gewicht natürlich auf und davon. Dafür winkt der 850er-Fahrer lässig an der Abfahrt zur nächsten Tanke und lässt problemlos noch zwei, drei Zapfsäulen rechts liegen, bevor er flüssige Energie nachladen muss. Gleicht sich alles aus im Leben. 
Übers Bordmenü kann man bei den Fahrmodi dreistufig die Leistungsentfaltung voreinstellen. Eine Navi-Integration per Smartphone à la BMW und Triumph fehlt.

Weiter, immer weiter

Konzeptionell hat die GS allein schon vom Namen her einen Globetrotter-­Vorsprung. Dazu noch der Zusatz Adventure, damit sind alle Fragen zur Ausrichtung des Bikes „eigentlich“ beantwortet. Es geht um komfortables Streckemachen, auch abseits befestigter Wege. BMW Motorrad nennt es eine „starke Synthese aus Agilität sowie Touren- und Geländetauglichkeit“. Ducati spricht der 950er Multi „das Maximum an Technik, Leistung und Komfort“ zu. Beides lassen wir mal so stehen. Und empfehlen F-GS-Fahrern bei der Gelegen­heit den optional erhältlichen großen Windschild (ab 123,-- Euro). Der Witterungs- und Fahrtwindschutz ist deutlich besser als beim Serienschirm.
In puncto moderner Technologie markieren Ducati und BMW Motorrad klar das obere Ende der Fahnenstange. Ducati begehrt für die 950 S aktuell 2.100,-- Euro mehr als fürs Basismodell (ab 13.690,-- Euro). Dafür hat die S-Vari­ante serienmäßig feinste Hard- und Software an Bord: Ducati Quick Shift up/down, 5-Zoll-TFT-­Display, Hands-free-System, hinterleuchtete Lenkerarma­turen, Cruise Control, Full-LED-Scheinwerfer, Ducati Cornering Lights, dazu die semiaktive Skyhook-Luftfederung. 
Performance-Künstler: Die kleine Multistrada hängt formidabel am elektronischen Gasgriff.

Gleiche Ausstattung, gleicher Preis

Vergleichbar ausgestattet, kommt die von uns gefahrene BMW F 850 GS Adventure Rallye auf einen nahezu identischen Preis: Zum Basis-Obolus von 13.050,-- Euro gesellen sich hier der Zuschlag fürs Rallye-­Paket (u. a. Windschild Sport, Rallye-­Sitzbank, 305,-- Euro), Touren-Paket (Dynamic ESA, Temporegelung, Kofferhalter, 840,-- Euro), Dynamik-Paket (Fahrmodi Pro, Schaltassistent Pro, 640,-- Euro), Licht-Paket (u. a. Voll-LED-Scheinwerfer, 520,-- Euro) und Connectivity mit 6,5-Zoll-TFT-Display (150,-- Euro). Macht auf dem Papier 15.505,-- Euro versus 15.790,-- Euro für die Multistrada 950 S. Für welche man sich letztlich entscheidet, ist wohl am ehesten eine Typfrage. Die auffälligere Ducati sieht blendend aus in ihrem stylischen „Glossy Grey“ mit rotem Rahmen und gelbem Federbein. Bei den zahlreichen Tankstopps gab es immer wieder anerkennende Blicke.
„Tolles Motorrad“, „schöne Maschine“, raunten uns Reisende jeden Alters anerkennend zu, wenn sie mit erhobenem Daumen an der extravaganten Multi­strada 950 S vorbeimarschierten. Auch die kleine GS macht einen schlanken Fuß – trotz des recht ausladenden Tanks und der massiven Alu-Koffer. Speziell in Lupin­blau metallic sieht sie im Globetrotter-­Trimm edel und sportlich aus. 
Elektronisches Fahrwerk, fünf Fahrmodi, Voll-LED-Scheinwerfer, großes TFT-Display mit Navi-Integration: All das gibt es für die Mittelklasse-Adventure – gegen Aufpreis.

Ducati punktet mit Kurven-ABS

Gute Geländeeigenschaften verstehen sich bei der GS von selbst. Vorn spendiert BMW Motorrad artgerecht ein schmales 21-Zoll-Rad, hinten sind es 17 Zoll. Die Ducati rollt vorn auf 19 Zoll und hinten ebenfalls auf 17 Zoll. Beide Maschinen bauen mit der Serienbereifung hervorragenden Kurvengrip auf. 
Die GS hat ab Werk Stabilitätskontrolle (ASC), ABS und zwei Fahrmodi (Rain/Road); drei weitere samt regelbarem ABS Pro und einstellbarer Traktionskontrolle gibt es gegen Aufpreis mit der Sonderausstattung Fahrmodi Pro (350,-- Euro einzeln oder im Dynamik-Paket). 
Ducati spendiert der 950 S aufpreisfrei ein dreistufiges Kurven-ABS von Bosch, eine achtstufige Traktionskontrolle (DTS), Berganfahrhilfe und vier Fahrmodi (Sport, Touring, Enduro und Urban). Dieser Punkt geht dank 6-achsiger Bosch-IMU (Inertial Measurement Unit) nach Italien. 
Tempomat gibt es bei Ducati serienmäßig, bei der BMW kostet die Tempo­regelung extra (290,-- Euro). 
Bei den Blinkern herrscht dafür Einigkeit: Nach dem Abbiegen schalten sie automatisch ab, abhängig von Weg­strecke und Schräglage. 
Letztere erlauben beide Bikes in ganz erheblichem Maße: Breite Lenker, hohe Bodenfreiheit, ausgezeichnete, voll einstellbare Fahrwerke – die BMW F 850 GS Adventure und die Ducati Multistrada 950 S sind ausgesprochen dynamisch unterwegs, die Ducati noch ein bisschen mehr. 
Schneller kommt man kaum nach Hause. Oder in die Ferne. Je nachdem, wo einen das Heimweh hintreibt.
Packesel: Für beide Maschinen gibt es jede Menge Reisezubehör. Die BMW-GS-Modelle sind traditionell mit Alukoffern unterwegs.  Ducati setzt bei der Multistrada auf elegante Seitenkoffer. Regenfeste, farblich perfekte Alternative: der SW-Motech 700 Dryback (70 L)
Vergleich BMW F 850 GS Adventure 2018-2020 und Ducati Multistrada 950 S 2020-2021
BMW F 850 GS Adventure
2018-2020
Ducati Multistrada 950 S
2020-2021
Motor
Bohrung x Hub 84 x 77 mm 94 x 67,5 mm
Hubraum 853 ccm 937 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Zweizylinder, wassergekühlt, 4 Ventile pro Zylinder Zweizylinder, flüssigkeitsgekühlt, 4 Ventile pro Zylinder
Abgasreinigung/-norm geregelter 3-Wege-Katalysator, Abgasnorm EU-4 Euro 5
Leistung 95 PS (70 kW) bei 8250 U/min 113 PS (83 kW) bei 9000 U/min
Drehmoment 92 Nm bei 6250 U/min 96 Nm bei 7.750 U/min
Verdichtung 12,7:1 12,6:1
Höchstgeschwindigkeit 197 km/h 215 Km/h
Wartungsintervalle Jährlich oder alle 10000 km Erstinspektion bei 1000 km, danach alle 15000 km oder jährlich
Kraftübertragung
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung mit Anti-Hopping-Funktion Mehrscheiben-Ölbadkupplung mit Servo-Unterstützung und Anti-Hopping-Funktion, hydraulisch betätigt
Schaltung 6-Gang 6-Gang klauengeschaltet
Antrieb Kette Kette
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Stahlrohr-Brückenrahmen Stahl-Gitterrohrrahmen
Federelemente vorn 43-mm-Upside-Down-Gabel Ø48 mm Upside-Down-Gabel
Federelemente hinten Zentralfederbein, Federbasis hydraulisch einstellbar, Zugstufendämpfung einstellbar Progressiv angelenktes, voll einstellbares Federbein mit externem Federvorspannungseinsteller, Aluminium-Zweiarmschwinge
Federweg v/h 230 mm/215 mm 170 mm/170 mm
Radstand 1593 mm 1594 mm
Nachlauf 124,6 mm 106 mm
Lenkkopfwinkel 28° 25 °
Räder Speichenräder Aluminium-Gussränder
Reifen vorn 90/90 R 21 120/70 R 19
Reifen hinten 150/70 R 17 170/60 R 17
Bremse vorn Schwimmend gelagerte 305-mm-Doppelscheibenbremse, Zweikolben-Bremssattel Ø320 mm Doppelscheibenbremse, halbschwimmend gelagert, radial verschraubte Monoblock 4-Kolben-Sättel
Bremse hinten 265-mm-Scheibenbremse, Einkolben-Bremssattel Ø265 mm Bremsscheibe, 2-Kolben-Schwimmsattel
Maße & Gewicht
Länge 2300 mm 2280 mm
Breite 939 mm 995 mm
Höhe 1437 mm 1483 mm
Gewicht 244 kg 228 kg
Maximale Zuladung 211 kg 238 kg
Sitzhöhe 815 mm - 890 mm 840 mm
Standgeräusch 90 dB(A) 95 dB(A)
Fahrgeräusch 80 dB(A) k. A.
Tankinhalt 23 Liter 20 Liter
Weitere Baujahre 2021-2023
Fahrerassistenzsysteme
ABS
Traktionskontrolle
Fahrzeugpreis ab 13050 € 15990 €
Text: Ralf Bielefeldt, Fotos: Peter Musch, Jesus Robledo Blanco, Markus Jahn, Joerg Kuenstle


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Letzte Aktualisierung: 06.01.2020

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