Die Farben der neuen Aprilia Tuareg 660 sind bekannt: ein ziemlich gelbes „Acid Gold“, ein kräftiges „Martian Red“ und das aufpreispflichtige „Indigo Tagelmust“, das seinen Namen und sein prägnantes Blau der traditionellen Wickel-Kopfbedeckung der Tuareg verdankt. Warum erzähle ich das? Kennt man die Farbskala eines neuen Bikes vor Antritt seiner Pressereise, lässt sich die Fahrerbekleidung darauf abstimmen und idealerweise hat man gleich noch etwas Passendes für einen Produkttest dabei. Blöd nur, wenn dann der Koffer am Flughafen hängen bleibt und man sich mit geliehener Ausstattung behelfen muss.
Jugendtraum der 1980er- & 1990er-Jahre
An dieser Stelle daher „Danke, Aprilia“ fürs zusammengeklaubte Equipment. Aber ich schweife ab. Die Aprilia Tuareg verdankt nicht nur ihre neue Farbe, sondern auch ihren Namen dem zu den Berbern zählenden Wüstenvolk. 1985 erstmals auf die Räder gestellt, war sie der Jugendtraum ungezählter Heranwachsender, die was von der großen weiten Welt sehen wollten. Mitte der Neunziger verschwand die Abenteurer-Aprilia, die es als 50er, 125er, 350er und 600er gab, aus dem Programm. Jetzt ist sie wieder da: toller als je zuvor. Rein optisch, technisch natürlich und auch in puncto Fahrvergnügen.
Berber-Bike auf Stelzen
Voll-LED-Scheinwerfer im Aprilia-Family-Look, 5-Zoll-TFT-Display, steil aufragender, transparenter Windschild, superschmale Sitzbank und damit eine wirklich sexy Taille für ein Motorrad dieser Art. Durchtrainiert wie eine Hürdenläuferin. Das ist der erste Eindruck, der sich aufdrängt. Und ganz schön imposant. Das ist der zweite Eindruck. „Nur“ eine 660er? Nee, nee, die Tuareg sieht nach mehr aus. Das liegt zum einen an der fast planen Tankgestaltung, die sie optisch in der Höhe in die Länge zieht, zum anderen natürlich an den Stelzen: mächtige 240 mm Federweg vorn und hinten, dazu ein 21-Zoll-Rad vorn und 850 mm Sitzhöhe. Das macht was her. Genau wie die opulente, sehr gut dosierbare Brembo-M50-Bremsanlage.
Besseres Drehmoment als die 660er-Geschwister
Der Zweizylindermotor ist Aprilia-Kennern bekannt: Er werkelt auch in der sportlichen RS 660 und in der halbnackten Tuono 660. Dort leistet er 100 PS beziehungsweise 95 PS. In der Adventure-Variante begnügt er sich mit 80 PS bei 9.250 Touren und 70 Nm bei 6.500 Touren. Der erste Gang ist kürzer übersetzt als bei den Geschwistern, damit es im Gelände zügig vorangeht. Zudem ist der Motor unter anderem um knapp zehn Grad weiter nach hinten geneigt. 75 Prozent des maximalen Drehmoments liegen bereits ab 3.000 Umdrehungen pro Minute an, 90 Prozent sind es ab 5.000 U/min. Damit kommt die Tuareg deutlich früher in die Pötte als das Asphalt-Duo, was trefflich auf den Fahrspaß einzahlt.
20 bzw. 15 PS weniger Leistung klingt viel? Mag sein, fällt hier aber nicht weiter auf. Die Aprilia Tuareg 660 hat bereits früh schön viel Bums und kommt leichtfüßig in die Gänge. Bei unseren Testmaschinen konnten die per Blipper gewechselt werden; rauf wie runter also ohne das Betätigen der Kupplung. Das klappt ganz famos und macht den aufpreispflichtigen Quickshifter zu einer klaren Kaufempfehlung. Eine Überlegung wert ist auch der optionale Tourenwindschild. Nicht, dass der serienmäßige Windschutz nicht ausreichend wäre. Die große Scheibe sieht einfach top aus mit ihren „durchgesteckten“ Blinkern und bietet selbstverständlich noch mehr Wetterschutz.
Vier Fahrmodi und elektronische Feinabstimmung
Top gelöst hat Aprilia das Aktivieren der vier Fahrprogramme. Ein Tastendruck an der rechten Lenkerarmatur reicht (plus Gasgriff ganz kurz schließen), dann ist der jeweilige Fahrmodus ausgewählt. Im englischsprachigen Menü tragen die Modi die Namen „Explore“ (farblich grün animiert), „Urban“ (blau), „Offroad“ (schlammfarben) und „Individual“ (petrol). Die Unterschiede sind spür- und konfigurierbar. Im Urban-Modus zum Beispiel ist werkseitig die vierfach regelbare Traktionskontrolle abgeschaltet, im Offroad-Modus das ABS am Hinterrad. Über die Menütasten links lassen sich unter anderem Motorbremse und Leistungsentfaltung dreistufig konfigurieren.
Ausgezeichnetes Handling
Das Handling überzeugt komplett. Im Sitzen wie im Stehen reagiert die Tuareg 660 bereits auf leichten Druck auf die Fußrasten. Kurze Lenkbefehle beim Kurventanz setzt sie sehr zuverlässig um. Saubere Linien über den sardischen Asphalt zu ziehen, fällt ausgesprochen leicht. Die Fahrposition ist top: schön breiter Lenker, guter Knieschluss trotz der schmalen Taille. Die kernige, aber nicht zu harte Sitzbank polstert große Bereiche des 18-Liter-Tanks ab. Der Testverbrauch liegt bei 4,4 l/100 km. Das ist gemessen am Fahrspaß top – und auch ansonsten ein sehr guter Wert für ein 80-PS-Bike. Aprilia verspricht bis zu 450 Kilometer Reichweite mit einer Tankfüllung.
Start bereits im Dezember 2021
Noch vor Weihnachten soll die Ténéré-Konkurrentin in den Handel kommen. 11.990 Euro begehrt Aprilia für die gelbe und rote Tuareg, 12.690 Euro sind es für die blaue Version mit alufarbenen statt schwarzen Speichenrädern. Das ist deutlich mehr Geld, als Yamaha verlangt (ab 10.374 Euro). Dafür gibt es mehr Exklusivität und mehr Elektronik. Schade nur, dass Aprilia der Tuareg 660 kein Kurven-ABS mit auf den Weg gibt. Haben die Geschwister schließlich auch – und sei es als Option (Tuono 660).