Zu Beginn der 2000er-Jahre boomte die Szene der Streetfighter. Zahlreiche Hobbyschrauber entblätterten in ihren Garagen japanische Supersportler, um ihnen ein zweites Leben als Naked Bike zu schenken.
Damit wurde zugleich eine Angebotslücke in den Reihen der Serienfahrzeuge offenbart. Statt schwerer Stahlrahmen mit eher konventionellen Fahrwerken, wie sie seinerzeit in Suzuki Bandit, Yamaha XJ und Konsorten verbaut waren, lockten die stabilen Chassis der Supersportler stets mit der neuesten Generation von Bremsen und Motoren. Entsprechend gut funktionierten die darauf basierenden Eigenbauten auf der Landstraße. Die enorme Nachfrage nach schlachtreifen Basisfahrzeugen entging auch den Herstellern nicht, sodass binnen kurzer Zeit entsprechende Serienmodelle auftauchten – entkleidete Sportler, fabrikneu vom Vertragshändler.
Runter mit den Klamotten
Kawasakis neu aufgelegte Z-Reihe, die GSR-Modelle von Suzuki und Hondas CB1000R eroberten den Markt. Auch Yamaha stellte unverkleidete Versionen des Supersportlers R1 auf die Räder. Auf die 2006 vorgestellte FZ1 folgte 2016 die nochmals kompromisslosere MT-10. Auch wenn die Produktion der spektakulären MT-01 inzwischen eingestellt wurde, mischt Yamaha gemeinsam mit MT-125, MT-03, MT-07 und MT-09 in jeder Hubraumklasse mit und hat weltweit mehr als 420.000 MTs verkauft – 290.000 Stück allein in Europa. Beinahe jedes zweite Motorrad, das die Yamaha-Händler an den Mann bringen, ist inzwischen den Hyper Naked Bikes zuzuordnen.
Tirol freut sich auf die Yamaha MT-10
Dem Topmodell der Familie, der MT-10, gönnt Yamaha nun ein Update. Angefangen beim bärenstarken Crossplanemotor, der mit Schmiedekolben, versetzten Pleueln und beschichteten Zylinderlaufbahnen der technisch fortschrittlichste CP4 aller MTs ist.
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Für den Einsatz auf der Landstraße wuchs die Schwungmasse des Kurbeltriebs. Gemeinsam mit Optimierungen an Auspuff und Ansaugtrakt begünstigen die Maßnahmen das Drehmoment im wichtigen Drehzahlbereich zwischen 4.000 und 8.000 U/min. Die komplexe Airbox verfügt nun über drei Ansaugkanäle – jeweils mit unterschiedlichen Längen und Durchmessern – und ist neben der gesteigerten Elastizität für den tief grollenden, sonoren Sound der MT-10 mitverantwortlich. Mit einem Standgeräusch von 94 dB(A) bleibt sie dabei sogar tirolkonform. Klangfetischisten genießen dennoch große Emotionen auf der Yamaha. Gitter auf der Oberseite der Lufthutzen sorgen dafür, dass der kernige Sound des Crossplane-Vierzylinders ohne Reue zum Fahrer durchdringen kann. Aus Titan bestehen Krümmer und Endtopf der neuen Abgasanlage mit nun vier statt zwei Katalysatoren, die ins harmonische Klangbild der Airbox einstimmen.
Stärker als der Supersportler R1
Mit 166 PS bei 11.500 U/min ist der neue Motor um 5,5 PS stärker als das 2021er-Modell, während gleichzeitig das Drehmoment um ein Newtonmeterchen zulegte und unverändert bei 9.000 Touren sein Maximum erreicht. Gemessen an Yamahas Supersportler R1 verzichtet der technisch verwandte CP4-Motor der MT-10 auf 34 PS Spitzenleistung zugunsten einer besonders drehmomentstarken Charakteristik. Der Vergleich der Leistungskurven zeigt: Bis 8.000 Touren bietet die MT-10 das höhere Drehmoment und die fülligere Leistungskurve. Für souveränen Vortrieb auf kurvigen Strecken ist das Naked Bike damit perfekt motorisiert. Rund 2.000 U/min genügen für souveränen Vortrieb. Zwischen 4.000 und 8.000 wirft die Yamaha mit wahren Bergen von Drehmoment um sich, was zu einem sehr schaltfaulen Fahrstil animiert und auf ausgedehnten Touren das Drehzahlniveau senkt.
Die serienmäßige Wheelie-Kontrolle, die das Vorderrad am Boden hält, hat dabei alle Hände voll zu tun, macht ihren Job aber hervorragend unauffällig. Eine 6-Achsen-IMU bringt die MT-10 ab 2022 serienmäßig mit. Dank schräglagenabhängiger Traktionskontrolle, Slide-Control und Motorschleppmomentregelung wird das potente Naked Bike auf Knopfdruck handzahm. Vier Fahrmodi stehen dafür zur Verfügung. Die Interventionsstufe jedes Assistenzsystems lässt sich darin nochmals abstufen. Das geht sogar während der Fahrt – im Gegensatz zum simplen Wechsel der Fahrmodi, der nur bei stehendem Fahrzeug vollzogen werden kann.
Ergonomie für lange Strecken
Selbstverständlich nutzt Yamaha die Modellpflege, um nicht nur die Technik, sondern auch die Optik der MT-10 aufzufrischen. Vergrößerte Lufteinlässe an den Seiten des Tanks, ein kleineres Rücklicht und neue LED-Frontscheinwerfer lassen sie kompakter wirken als zuvor. Obwohl das Naked Bike optisch schrumpfte, gewährt es dem Fahrer etwas mehr Bewegungsfreiheit als der Vorgänger. Mehr Komfort auf langen Strecken bietet außerdem das weichere Sitzpolster. Zu guter Letzt verbessert der glattere Tank den Knieschluss und die neue, nun radiale Bremspumpe von Brembo lässt sich auf den Fahrer einstellen – im Gegensatz zum Kupplungshebel, der auf eine Einstellmöglichkeit verzichtet. Damit entspricht das Setup der Vorderradbremse aus 320-mm-Scheiben und Vierkolbenbremse nun eins zu eins dem Supersportler R1. Exakt lassen sich die radial verschraubten Sättel dosieren und verzögern die MT-10 bei Bedarf vehement. Obwohl sie serienmäßig via Gummileitung unter Druck gesetzt werden, gefallen Druckpunkt und Ansprechverhalten. Stahlflexleitungen ab Werk bietet die edlere MT-10 SP. Ein fein regelndes Kurven-ABS kontrolliert bei beiden das Gripniveau an Vorder- und Hinterrad unabhängig voneinander. Umgänglich, unkompliziert, aber bei Bedarf sehr leistungsfähig, entspricht der Charakter der Bremse dem des gesamten Motorrads.
Beeindruckend einfach ist Yamahas Hyper Naked Bike zu fahren. Erstaunlich alltagstauglich gibt sie sich im Verkehrsgetümmel Valencias. Dabei hilft nicht nur die perfekt dosierbare Kupplung, auch von den 212 Kilogramm der vollgetankten Maschine ist wenig zu spüren. Flink wuselt sie durch die Kreisverkehre und verlangt dafür kaum Drehzahlen, sodass die Aufmerksamkeit voll und ganz dem Verkehrsgeschehen gilt.
In der Stadt wie auch auf Tour gefallen dabei die aufrechte Sitzposition und die nahezu perfekte Ergonomie. Ermüdungsfreies Fahren und guter Überblick sind das Ergebnis. Von den kleinen Rückspiegeln an ihren viel zu kurzen Auslegern kann man das leider nicht behaupten. Sie bilden nahezu vollflächig die Unterarme des Fahrers ab und sollten durch Exemplare mit längerem Ausleger ersetzt werden. Zum umgänglichen Auftritt der Maschine passt dafür der Blipper für kupplungsfreies Hoch- und Runterschalten, der bereits ab 2.000 Touren und 20 km/h sanfte Gangwechsel im perfekt schaltenden Getriebe ermöglicht. Ein Tempomat komplettiert die Serienausstattung.
Tourentauglich mit dem Weekend Pack
Verschiedene Zubehörpakete erlauben, die MT-10 umfangreich aufzurüsten. Neben dem Sport-Paket ab 1.649,95 Euro, bestehend aus Crash-Protektoren, Akrapovic-Auspuff, elegantem Kennzeichenhalter, griffigen Pads an den Kontaktflächen der Knie zum Tank und Hebelschützern mit integrierten Blinkern, ist vor allem für ausgedehnte Touren das Weekend Pack zu empfehlen. Dann erinnert die MT-10 mit ihrer Verkleidungsscheibe nicht nur optisch an die Tracer-Modelle, sondern schützt erstaunlich gut vor dem Fahrtwind. Neben einer 36-Liter-Hecktasche erhöht insbesondere der sehr bequeme Komfortsitz nochmals die Tourentauglichkeit, während eine USB-Steckdose Navigationsgeräte oder Smartphones mit Strom versorgt. Sie erleichtern die Routenführung, denn mit Konnektivität oder gar Navigationsanweisungen kann das farbige 4,2-Zoll-TFT-Display nicht dienen. Dafür ist es tadellos ablesbar und intuitiv bedienbar. 765,96 Euro Aufpreis berechnet Yamaha für das Weekend Pack.
Konventionelles oder semiaktives Fahrwerk?
Beim Fahrwerk wird der Kunde zukünftig die Wahl zwischen der MT-10 mit konventionellen Federelementen von KYB oder der MT-10 SP mit semiaktivem Öhlins-Fahrwerk haben. Bereits die 43-mm-Upside-down-Gabel des Basismodells lässt kaum Wünsche offen. Voll einstellbar lässt es sich über einen weiten Bereich auf die Bedürfnisse des Fahrers abstimmen, gefällt mit feinfühligem Ansprechverhalten und erlaubt mit seiner straffen Abstimmung einen flotten Fahrstil. Dabei gibt sich die MT-10 erstaunlich unkomfortabel.
MT-10 SP mit Öhlins 2.0
Die Empfehlung gilt dennoch der MT-10 SP. Für einen Aufpreis von 2.600,-- Euro ist sie das weltweit erste Motorrad, das mit dem elektronischen Öhlins-2.0-Fahrwerk ausgestattet sein wird. Zwar dämpft bereits der Supersportler R1 semiaktiv, jedoch mit der bislang verfügbaren, älteren Fahrwerksgeneration. In der MT-10 SP wird die weiterentwickelte Evolutionsstufe der elektronisch gesteuerten Federelemente verbaut, die eine neue Dämpfungstechnologie verwendet. Dadurch soll ihr Fahrwerk über das Cockpit noch umfangreichere Einstellmöglichkeiten bieten. Neben drei voreingestellten Modi können dort drei weitere Slots manuell konfiguriert werden. Die automatischen Modi werden Zug- und Druckstufe kontinuierlich an den persönlichen Fahrstil und den Zustand des Straßenbelags anpassen. A-1 ist dabei der sportlichste Modus, A-3 maximiert den Komfort, A-2 versucht sich an einem Kompromiss.
Verfügbarkeit und Preis
Bislang entschied sich rund ein Drittel aller MT-10-Kunden für die SP. Man jedoch bedenkenlos zur normalen MT-10 greifen – am besten gleich ab Werk mit Weekend Pack. Ab 15.549,-- Euro ist sie in den Farben Metallicblau, Mattschwarz und Grau-Cyan zu haben. Also ab zur Probefahrt und im Anschluss direkt nach Tirol, wenn ihr wollt.