Yamaha XSR700 XTribute: Wacker durch den Winter (1)

Lesezeit ca. 5 Min.
M&R-Autor Ralf Bielefeldt tut es wieder: Er fährt den Winter durch, dieses Mal auf einer Yamaha. Nackig und ohne Griffheizung durch die Kälte. Das kann ja was werden.
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436 Kilometer. Bei null bis drei Grad. Ohne Verkleidung. Ohne Griffheizung. Ist das wirklich eine gute Idee? "Du spinnst doch", meint meine Frau. Ein besorgter Unterton schwingt mit, immerhin. Hm, ja, nun, vielleicht, aber abgemacht ist abgemacht. Der nächste Wintertest für Mensch und Maschine steht an. Und dafür muss ich jetzt los. Erst mal mit dem Zug. Von Hamburg nach Neuss. Zu Yamaha Deutschland. Marvin Eckert treffen, den Pressesprecher. Schlüsselübergabe für mein Winter-Baby, die Yamaha XSR700 XTribute. Und dann auf zwei Rädern zurück. Wie sich das gehört.

Leicht, pur, cool

Aber erst mal eine kurze Einweisung. Irgendwas zu beachten, Marvin? "Nö, alles wie gehabt: Zweizylinder-Crossplane-Motor, 689 ccm, 75 PS, 68 Nm." Warum ausgerechnet eine XSR700 für den Winter? "Weil sie leicht ist. Vollgetankt wiegt sie gerade einmal 188 Kilogramm. Außerdem kriegst du bei 815 mm Sitzhöhe locker beide Füße auf den Boden, was im Winter ja nicht ganz unerheblich ist. Dazu haben ihre Pirellis ein leichtes Enduro-Profil. Und sie ist natürlich ein cooles Bike, vor allem als XTribute." Tank im Alu-Look, roter Zierstreifen, mattgoldene Räder – Vorbild für die Optik ist unverkennbar die selige Yamaha XT 500, die Mutter aller leichten Enduros.
Yamaha XSR 700 Bremsen

Kein technischer Schnickschnack

Auch technisch ähnelt die XSR700 XTribute dem unsterblichen Vorbild: Außer ABS ist kein Schnickschnack an Bord. Darin gleicht sie all ihren Geschwistern: MT-07, Ténéré 700, Tracer 7 und R7 – alle CP2-Modelle punkten als unkomplizierte, "ehrliche" Maschinen. Beherrschbarkeit, Fahrdynamik, Motor – alles erste Sahne bei Yamahas Mittelklasse-Baureihe, viel und oft gelobt von der gesamten Fachpresse. Dann mal los. Tschö, Marvin, wir sehen uns im März!
Yamaha XSR 700 Auspuff

Strecke machen ist angesagt

Kaum vom Hof gerollt, biege ich auf die A46 ab. Drei Grad zeigt das Rundinstrument an. Das schreit nicht nach ausgedehnter Überlandtour. Strecke machen ist angesagt. Mittlerweile ist es kurz nach 15 Uhr, in spätestens zwei Stunden wird es zappenduster sein und noch etwas kälter. Also ranhalten. Der Motor hängt motiviert am Gas, die Gänge rasten präzise ein, leichter Zug am Kupplungshebel reicht. Fühlt sich gut an. Wir werden Freunde, wir zwei beiden, das merke ich gleich. Der Akrapovic ist daran nicht ganz unschuldig: Der Sound macht an. Kernige 89 dB(A) Standgeräusch, sanfte 73 db(A) Fahrgeräusch, rockige Beschleunigungshymne. Der Endtopf schmiegt sich an den Heckrahmen. So viel Scrambler-Attitüde muss sein.
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Yamaha XSR700

Handschuhwechsel nach 80 Kilometern

Es dämmert. Zeit für den ersten Stopp, Handschuhwechsel. Die Fingerkuppen meutern bereits, geben wir also dem nächsten Paar eine Chance. Losgefahren bin ich mit dem Winterhandschuh Dainese Thunder Gore-Tex. Gut 80 km hat er der Kälte getrotzt. Jetzt greifen frostige Tentakel nach den Fingerspitzen. So ist das mit der Kälte: Die äußersten Extremitäten sind zuerst dran. Also rein in die Tanke, Käffchen, kurz aufwärmen, weiter geht es mit Rukka 2-in-1 an den Händen. Griffheizung wäre schon fein gewesen, aber nun, dann halt Tatzengriff: Fingerkuppen einklappen, Handfläche drauffalten, vollflächig den Gasgriff drehen. Sieht vermutlich schwer bekloppt aus, aber schützt die Griffelspitzen einigermaßen vorm Auskühlen. 4 Grad zeigt das Thermometer. Kann das sein? Gefühlt sind es -2° C. Vielleicht ein bisschen Tempo rausnehmen? Wobei: 130 bis 140 km/h sind nun wirklich nicht die Welt. Außerdem ist es noch weit. Über 300 Kilometer.
Yamaha XSR 700

Zeit für die vierte Lage

Am Körper kommt die Kälte bislang kaum an, zum Glück. Multifunktionsunterwäsche, lange Socken, leichtes Thermofutter mit Gore-Tex-Beschichtung, darüber die Dainese-Kombi D-Explorer 2. Drei Lagen machen sich gut auf den ersten 170 Kilometern. Eigentlich ist der "Vier Jahreszeiten"-taugliche Adventure-Touring-Anzug mit seinen zahlreichen Lüftungsklappen und großen Mesh-Einsätzen eher was für wärmere Gefilde. Das wasserabweisende Außengewebe hält dem Fahrtwind aber gut Stand. Die beiden Brustprotektoren dämmen zusätzlich. Beim Tankstopp im Großraum Lotte krame ich dennoch das separate Regenzeug raus. Noch eine Lage mehr, das bringt es, zeigt sich nach kurzer Fast-Food-Pause.

Hitzewelle im Elbtunnel

Die nächsten 100 Kilometer ballere ich einigermaßen beschwingt und luftdicht verpackt durch. Dann wieder aufwärmen. Den ziemlich langen Nackenwärmer ziehe ich mittlerweile bis zu den Ohren hoch. Den Kragen der Jacke friemele ich akribisch unter den Helmrand. Jede denkbare Lufteintrittsmöglichkeit will fröstelsicher abgedichtet sein. Am X-Lite X-1005 sind natürlich alle Klappen zu. Auch die TCX Drifter Boots lassen keine Kälte rein. Erst kurz vorm Elbtunnel, nach rund 400 km Fahrt, fangen die doppelt bestrumpften Zehen langsam an zu zwirbeln. Blick auf die Uhr – 20:37. Wird auch mal Zeit. Das Thermometer wechselt zwischen zwei und drei Grad, im Elbtunnel steigt es auf 5° C. Fühlt sich an wie im Hammam.
Yamaha XSR 700 Rundinstrument

Das Instrument leuchtet wie ein Suchscheinwerfer

Wieder raus aus der beleuchteten Röhre, fällt im neuerlichen Dunkel so richtig auf, wie hell das Rundinstrument leuchtet. Drehzahlkranz und Geschwindigkeitsanzeige strahlen in die Nacht wie ein Suchscheinwerfer. Kann man das dimmen? Jedenfalls nicht beim Fahren. Muss ich mir mal anschauen, die Tage. Erst mal nach Hause, heiß duschen. 23 Kilometer noch, geht doch, gar nicht so schlimm, letztlich, so eine Mensch-Maschine-Kennenlerntour durch die Finsternis.
Yamaha XSR 700

Am Ende zählt das gute Gefühl

Okay, die kleinen Nervenzusammenbrüche zwischendurch, wenn du realisierst, dass die Entfernung bis zum Ziel einfach nicht zweistellig werden will; das laute Singen unterm Helm gegen die Einsamkeit auf der BAB A1; die Schwermut an der Raststätten-Zapfsäule, wenn du für einen Liter Super 1,93 Euro hinlegen sollst. All das kann die Moral bei Winterlangstreckenfahrten untergraben. Mag sein. Aber am Ende zählt das gute Gefühl: Motorradfahren geht immer. Mehr dazu in Teil 2. Und in Ausgabe 109 von Motorrad & Reisen.
Technische Daten
Yamaha XSR700
2020
Motor
Bohrung x Hub 80 x 68,6 mm
Hubraum 689 ccm
Zylinder, Kühlung, Ventile Zweizylindermotor, flüssigkeitsgekühlt, 4 Ventile pro Zylinder
Abgasreinigung/-norm Euro 4
Leistung 75 PS (55 kW) bei 9000 U/min
Drehmoment 68 Nm bei 6500 U/min
Verdichtung 11,5:1
Wartungsintervalle Erstinspektion nach 1000 km, danach alle 10000 km oder jährlich
Kraftübertragung
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung
Schaltung 6-Gang
Antrieb Kette
Fahrwerk & Bremsen
Rahmen Brückenrohrrahmen
Federelemente vorn Teleskopgabel
Federelemente hinten Schwinge, über Hebelsystem angelenktes Federbein
Federweg v/h 130 mm/130 mm
Radstand 1405 mm
Nachlauf 90 mm
Lenkkopfwinkel 24°
Räder Gussfelgen
Reifen vorn 120/70 ZR 17
Reifen hinten 180/55 ZR 17
Bremse vorn 282-mm-Doppelscheibenbremse
Bremse hinten 245-mm-Scheibenbremse
Maße & Gewicht
Länge 2075 mm
Breite 820 mm
Höhe 1130 mm
Gewicht 186 kg
Maximale Zuladung 168 kg
Sitzhöhe 835 mm
Standgeräusch 89 db(A)
Fahrgeräusch 73 dB(A)
Tankinhalt 14 Liter
Weitere Baujahre 2021-2023,
2024
Fahrerassistenzsysteme
ABS
Fahrzeugpreis ab 8174 €
Text: Ralf Bielefeldt, Fotos: Till Gruschka, Yamaha


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Letzte Aktualisierung: 03.02.2022
Wintertest der Yamaha XSR700 XTribute
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Letzte Aktualisierung: 07.02.2022

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