1060 Kilometer an einem Tag – das erforderte Sitzfleisch. Und guten Windschutz. Sonst bimmelt die Birne bis spät in die Nacht. Egal, wie hoch der Windschild ist.
Honda baut seine Forza-Nomenklatur nach oben aus. Der Forza 750 ist die Neuauflage des Honda Integra. Wie der SUV-Scooter X-ADV basiert er auf der Mittelklasse-Baureihe NC750. Das beschert ihm große Räder und Motorrad-Fahreigenschaften. Was in Kombination eigentlich ein formidables Touren-Zweirad aus dem Forza 750 machen sollte.
Sollte. Denn der Windschild des neuen Maxi-Scooters ist nichts für Fahrer mit einer Körpergröße von 1,80 Meter. Oder, wie meine Frau richtigstellen würde: 1,78 Meter. Aber das tut hier nichts zur Sache. Der Reihe nach. Erst einmal die wichtigen Fakten.
Hamburg-Frankfurt und zurück an einem Tag
168 km/h Spitze, laut Tacho mit ein bisschen Rückenwind sogar über 180 Sachen – das kann sich sehen lassen, um Strecke zu machen. Dieses Geschwindigkeitsfenster gilt sowohl für den Honda X-ADV, Baujahr 2020, den ich nach überzeugend bestandenem Winterdauertest zurück nach Frankfurt in die Deutschland-Zentrale von Honda brachte, als auch für den neuen Honda Forza 750, der zum ersten Alltagstest antritt.
Das klitzekleine Problem daran: Das Durchtauschen muss aus Zeitgründen an einem Tag passieren. Also: runter aus dem Homeoffice-Kaff hinter Hamburg ins hessische Frankfurt und zurück an einem Tag. Macht 1060 Kilometer. „Du spinnst“, meint meine Frau. Hase, is' Arbeit, antworte ich. Außerdem scheint grad die Sonne über Deutschland. Also ab dafür!
Langstrecke mit dem Honda X-ADV kein Problem
Wir erinnern uns: Der Honda X-ADV kann optional mit Fußrasten bestückt werden. Das macht ihn standtauglich für leichte Offroad-Passagen und Schotter. Auf der Autobahn – der schnellsten und einzig denkbaren Nord-Süd-Achse, wenn es an einem Tag hin und her gehen soll – bedeutet das entspannende Bewegungsfreiheit. Aufrecht fahren in Baustellen oder bis Tempo 120, sitzend bei Vmax, sei es in Scooter-Haltung oder Motorradfahrposition. Diese Bandbreite macht den Honda X-ADV einzigartig und zu einem hervorragenden Langstrecken-Begleiter. Selbst für Bandscheibenpatienten.
Der Windschild ist zudem mehrfach verstellbar. Als ideale Position für schnelles Fahren entpuppt sich (bei 1,78 m Körpergröße) die unterste Position, für entspanntes, nahezu komplett (!) windgeräuschfreies Fahren im Stehen die oberste Windschildrasterung. Bilanz nach 529 Kilometern im Boxenstoppmodus (nur tanken und E-Mails checken): keine Rücken- oder Pöterschmerzen, kein Ohrensausen. Uhrenvergleich: keine fünf Stunden Fahrzeit dank Fast-Lockdown-freier BAB. Gotcha!
Der Honda Forza 750 überzeugt auf Anhieb
Fahrzeugtausch, kräftiger Schluck aus der Wasserpulle, Klamotten-Downgrade bei 24 Grad, zurück auf die Autobahn-Achse A661/A5/A7/A23. Der Forza 750 gefällt im Vergleich auf Anhieb: leichtfüßiger, Lenker flacher und dünner, sehr bequeme Sitzbank, sehr flott an der Ampel, hervorragende Bremsen. Allerdings: Sitzen ist angesagt. Durchgehend. Stehen auf den Trittbrettern beim Fahren? No way. Weit vorn in der Verkleidung gibt es eine spezielle Aussparung für die Füße. Insoweit kann man seine Stelzen gaaanz lang ausstrecken. Immerhin.
Ein paar Daten und Fakten zwischendurch. Das Staufach unter der Sitzbank fasst 22 Liter. Damit passen die meisten Integralhelme hinein oder jede Menge kleineres Reisezubehör wie Ersatzhandschuhe, Proviant oder ähnliches. Zudem gibt es einen USB-Anschluss (Typ C), der sich vor allem für Nutzer von Smartphones mit Android-Betriebssystem als höchst tauglich erweist: Sie können ihr Handy mit dem neuen 5-Zoll-Farbdisplay koppeln. Wer mag, bekommt dann während der Fahrt Bescheid über eingehende Nachrichten oder Anrufe.
Honda RoadSync App koppelt Smartphone und Scooter
Die nötige Hardware ist beim Forza 750 bereits installiert. Per Bluetooth kann die kostenlose "Honda RoadSync App" gekoppelt werden. Headset-Träger können dann via Smartphone per Sprachsteuerung mit ihrem TFT-Borddisplay kommunizieren, heißt es. Zentrale Bedieneinheit für alle Funktionen und die Navigation ist das neue Rauf/Runter/Links/Rechts-Joystick-Kreuz in der linken Lenkerarmatur.
Mich als Apple-Nutzer interessiert eher die Taste daneben: Über den Mode-Drücker lassen sich die neuen Fahrmodi des Honda 750 Forza wechseln und konfigurieren. Standard, Sport und Rain (Regen) hat Honda die drei voreingestellten Fahrprogramme getauft. Modus Nummer vier – "Benutzer" – kann gänzlich frei komponiert werden. Über das Joystick-Kreuz können die vier Parameter P (Motorleistung), EB (Motorbremse), T (Drehmomentkontrollstufe) und D (DCT-Modus) feinjustiert werden. Auch der Schaltzeitpunkt kann definiert werden in einem Bereich von 4000 bis 7000 Touren.
Beruhigend detaillierte Anzeige der Reserve-Modalitäten
Sehr praktisch ist die Anzeige der bereits zurückgelegten Kilometer seit Aufleuchten der Reserve-Warnung. Auch die bereits verbrauchte Menge des Nottropfens wird angezeigt. Das beruhigt die Nerven. Nach 28 Kilometern moderater Fahrt und 0,9 Litern Super 95 bietet sich (endlich) die Gelegenheit zum Nachtanken. Wirklich nervös war ich nicht. Der Forza 750 erweckt nicht den Eindruck, als würde er seinen Fahrer hängenlassen. Oder zu einem Spaziergang auf dem Standstreifen zwingen.
13,2 Liter fasst der Tank durch den Stutzen zwischen den Beinen des Fahrers. Das ermöglicht einen theoretischen Radius von gut 350 Kilometern. Der Durchschnittsverbrauch gemäß WMTC beträgt 3,6 l/100 km. Das ist nichts für einen Maxi-Scooter mit 59 PS und 69 Nm, wenn ihr mich fragt. Der Bordrechner weist bei der Ankunft im Großraum Hamburg einen Verbrauch von 4,3 l/100 km aus. Damit kann ich für meinen Teil leben.
In Rodin'scher Denker-Pose von Frankfurt nach Hamburg
Lediglich über den Windschild müssen wir reden: optisch perfekt eingepasst ins Gesamtbild, was das Design betrifft, aber für Fahrer mit 1,78-Meter-Maß auf Langstrecken vermutlich nur als Regenschutz tauglich (wie gesagt, die Sonne schien). Der Fahrtwind nämlich knastert ab circa 100 km/h unbarmherzig darüber hinweg und daran vorbei und trifft so was von direkt auf den Helm, dass es einen schier in die Verzweiflung treibt, weist das BAB-Entfernungsschild noch 321 Kilometer bis Hamburg aus.
Einzige Lösung außer Schleichfahrt: Kopf runter, Rumpf zusammenfalten, linken Ellenbogen aufs Knie, unterer Helmrand auf die geöffnete Handfläche, damit der obere Rand des Pinlock-Visiers nicht permanent den Blick verzerrt – und durchhalten. Das Vorbild dieser Pose, "Der Denker" von August Rodin, hat so gut 140 Jahre überdauert. Da müssen ein paar Stunden ja wohl mal drin sein. Der Zubehörhandel wird es richten.