Die südfranzösische Departementsstraße D6098 ist südlich von Théoule-sur-Mer eine sehr kurvige, teils sogar richtiggehend winkelige und auch bergige Küstenstraße. Linkerhand glänzt das blitzblaue Meer der Côte d’Azur, rechterhand streben rotbraune Sandsteinfelsen aus sattem Grün heraus himmelwärts. Samstags sorgen unzählige Rennradfahrer für zusätzliches Flair. Auf dem teils narbigen, teils Kanaldeckel verseuchten Geläuf zügig unterwegs zu sein, fällt mit einem Zweirad nicht ganz leicht. Der mit zwei Vorderrädern ausgestattete MP3 310, ein sogenannter Dreirad-Roller, kann hier seine Fahrwerksqualitäten voll ausspielen; sein drittes Rad sorgt nicht nur objektiv für mehr Sicherheit durch ein 50-prozentiges Haftungsplus der Front, sondern auch für ein deutlich besseres Sicherheitsgefühl: Staub von Lkws, die ersten Blätter des beginnenden Herbstes – selbst an diesem sonnigen Tag mit trockener Straßenoberfläche gibt es immer wieder psychologische Störmanöver. Aber eben nicht auf dem MP3.
Zur Zielgruppe gehören seit Anbeginn auch Pkw-Führerscheininhaber
Das einst von Piaggio ersonnene Bauprinzip geht jetzt in sein 19. Jahr. 2006 kam der erste, noch als „Krankenfahrstuhl“ oder gar noch Schlimmeres denunzierte MP3 auf den Markt, quasi das Original. Längst hat der Kniff, dass Pkw-Führerscheininhaber keinen A-Führerschein vorweisen müssen, diverse Nachahmer gefunden. 2011 folgte die mit einer deutlich zierlicheren Karosserie ausgestattete Version Yourban. Zulegen in der Käufergunst konnte diese Ausführung erst, als der Yourban 2019 in „MP3 300“ umbenannt wurde. Insgesamt 50.000 „Small Bodies“, also Yourban und MP3 300, konnte Piaggio mittlerweile in 70 Ländern der Welt absetzen; den Löwenanteil mit gut 240.000 machten die „Wide Bodies“ mit Hubräumen zwischen 400 und 530 Kubikzentimeter aus. Nun geht der 310er an den Start – und schlägt von Anbeginn über die Stränge: Er stellt nämlich einen wirklich großen Fortschritt zum 300er gar. Seinen Vorgänger steckt er förmlich in die Tasche.
Das Hubraumplus sorgt für niedrigere Drehzahlen bei der Leistungsabgabe
Nur weil aus dem 300er ein 310er geworden ist? Weit gefehlt! Der Unterschied zwischen beiden Motoren beträgt nämlich 32 Kubikzentimeter, weil das alte Triebwerk mit 278 Kubik auskommen musste. Als Hubraumplus notieren wir also stolze 11,5 Prozent. Während Alt und Neu sich leistungsmäßig kaum unterscheiden (+ 0,6 PS) und auch das maximale Drehmoment nur um 1,2 Nm zulegt, sinken primär die zugehörigen Drehzahlen. Das führt zu weniger Vibrationen, mehr Geschmeidigkeit des Motorlaufs und einem gesteigerten Durchzug. Man ist, salopp gesagt, souveräner unterwegs. Und das macht sich angesichts der vielen Detailänderungen am Triebwerk – 70 Prozent der Triebwerkskomponenten sollen neu sein, zudem galt es ja aus Euro5 nunmehr Euro5+ zu machen – in weniger aufgeregtem Fahren, mehr Kraftreserven und einem geringeren Verbrauch bemerkbar. Zumindest beim Normverbrauch, nicht aber auf der D6098 mit ihren zahllosen Überholmanövern. Statt 3,1 benötigten wir auf unserer Testfahrt gut vier Liter pro 100 Kilometer. Aufgrund der Erfahrungen mit anderen Piaggio-Modellen wissen wir jedoch, dass man tatsächlich mit dem Normverbrauch auskommen kann. Ergänzend sei bemerkt, dass die Höchstgeschwindigkeit von 120 auf 129 km/h gestiegen ist.
LCD statt TFT und fehlende Blinkerrückstellung
Weitere Änderungen im Zuge der Überarbeitung sind neben dem flinken Keyless-System ein aerodynamisch weiter perfektioniertes Styling, ein mit anderem Schaum befüllter und deshalb bequemerer Sitz, ein besser schützender, getönter Plexi-Windschild, und ein neues LCD-Instrument im Cockpit. Auch wenn der 310er das Einstiegsmodell in Piaggios MP3-Welt darstellt, so wirkt das monochrome Instrument mitten im TFT-Zeitalter doch etwas überholt. Apropos suboptimal: Optimal wäre, wenn Piaggio diesem vorwiegend im Stadtverkehr genutzten Vehikeln eine gute automatische Blinker-Rückstellung spendieren würde.
Verbesserter Fahrkomfort
Sonst ist alles gut: Die Federung federt besser, der Sitz stützt den Fahrer stärker, die Scheibe hält mehr Wind von Brust und Helm weg und senkt den Luftwiderstand. Unverändert gut agieren die ABS-abgesicherten Bremsen, das stufenlose CVT-Getriebe beherrscht den Übersetzungswechsel aus dem Effeff, der elektrohydraulische Verriegelungsmechanismus der Neigetechnik arbeitet perfekt.
Kompakt genug für die Stadt, seriös genug für Überlandfahrten
Klar konkurriert der MP3 310 in erster Linie mit seinen größeren Halbbrüdern mit 400 Kubikzentimetern Hubraum, die ein deutlich größeres Bauvolumen aufweisen, wozu auch ein größerer Windschild gehört, der natürlich noch besser vor Wind und Wetter schützt. Abgesehen davon kann der aerodynamisch wohlgeformte 310er sehr gut punkten: Wir würden ihn einem „Wide Bocy“ trotz geringerer Motorleistung vorziehen, sofern wir nicht regelmäßig im Zweipersonenbetrieb unterwegs sind. Die geringere Masse wie auch die kompakteren Maße sind nämlich ein echtes Argument zugunsten des Kleinen, der mit seinen 226 Kilogramm ja auch kein Winzling ist, sondern ein seriöses urbanes Transportmittel darstellt und auch über Land zu überzeugen vermag.
Preise
Dass der MP3 310 nicht billiger sein kann als sein Vorgänger, versteht jeder. Piaggio scheint vom künftigen Erfolg des Neumodells aber dermaßen überzeugt zu sein, dass man den Preis gleich um elf Prozent erhöht, von 7.300,-- auf 8.100,-- Euro. Nochmals 200,-- Euro mehr kostet die voluminöser – mit Kommunikationsplattform MIA samt Sprachsteuerung – ausgestattete S-Version, die sich in einigen Kleinigkeiten auch optisch vorteilhaft vom Basismodell abhebt und wertiger wirkt. Doch selbst die S-Version unterbietet den direkten Wettbewerber Yamaha Tricity 300, der stärker, geringfügig schwerer und etwas größer daher kommt – preislich um exakt 1.000,-- Euro.