Marco Campelli, MV Agusta
Die
Insolvenz von KTM zieht immer weiterer Kreise, denn sie betrifft auch die zugekauften Marken. Erst zu Beginn des Jahres übernahm die KTM AG mit 50,1 Prozent die Mehrheit bei der Traditionsmarke MV Agusta. Doch wegen ihrer Zahlungsunfähigkeit und das momentan laufende Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung steigt KTM nun bei MV Agusta aus. Damit zieht KTM der Marke aus Varese den Boden unter den Füßen weg.
Von einer Pleite in die nächste
Dabei trat KTM zunächst scheinbar als Retter von MV Agusta auf. Der bisherige Besitzer, der Russe Timur Sardarov, war 2016 in die fast insolvente Firma MV Agusta eingestiegen und hat ein Jahr später die Mehrheit für rund 50 Millionen Dollar übernommen. Nach einigen Restrukturierungsmaßnahmen konnte Sardarov 2022 endlich vermelden, dass MV Agusta sämtliche Schulden der Gläubiger beglichen hatte. Doch der Verkauf der exklusiven, aber teuren Motorräder aus Varese verlief schleppend, die geplanten Umsatzzahlen konnten nicht erreicht werden und die Firma war weit von der Gewinnzone entfernt. Dann trat Stefan Pierer auf den Plan, der sich schon lange eine Sportmarke im Portfolio seiner KTM AG wünschte. Bekanntlich baut KTM nur Ein- und Zweizylinder-Motorräder, eine legendäre Marke mit leistungsstarken Drei- und Vierzylindern kam ihm da gerade Recht.
KTM kauft MV Agusta, obwohl die Insolvenz droht
Im September 2022 verkündeten die beiden Marken ihre Zusammenarbeit, zunächst übernahm KTM 25,1 Prozent an MV Agusta sowie den Vertrieb der italienischen Motorräder in Nordamerika und schließlich weltweit. Ab Oktober 2023 war KTM auch federführend bei der Lieferkette und Einkauf der Italiener. Eigentlich war von KTM geplant, die Mehrheit an MV Agusta erst 2026 zu übernehmen, aber dann ging es doch wesentlich schneller: Im März 2024 erwarb KTM weitere Aktien und besaß schließlich die Mehrheit mit 50,1 Prozent. Zu dem Zeitpunkt wusste die Geschäftsführung in Mattighofen aber bereits, dass sie ein massives finanzielles Problem durch eine irrwitzige Überproduktion hatte: über 100.000 Motorräder standen unverkauft auf Halde (bis November hat sich die Zahl auf 130.000 summiert), teilweise noch von 2023 und sogar 2022 und der Kurs der KTM-AG befand sich im steilen Sinkflug. Eigentlich hätten in Mattighofen alle Alarmglocken schrillen und die Geschäftsführung um CEO Stefan Pierer sofort rigorose Sparmaßnahmen einleiten müssen. Stattdessen kauften sie die Mehrheit an MV Agusta für einen nicht näher genannten Millionenbetrag.
2.000 MV Agusta stehen bei KTM auf Halde
Doch die Zusammenarbeit dauerte nur kurz, am 9. Dezember trafen sich in der Confindustria Varese, nahe beim Werk im Vareser Stadtteil Schiranna, Vertreter der italienischen Gewerkschaften mit Vertretern der KTM AG, die sich zu dem Zeitpunkt bereits in der Insolvenz in Eigenregie befand. Dort gaben die Österreicher bekannt, dass sie MV Agusta nicht mehr als „strategisch wichtigen Vermögenswert“ betrachten. Das bringt MV Agusta und den Minderheitseigner Timur Sardarov in arge Bedrängnis. Zurzeit stehen rund 2.000 MV Agusta in Mattighofen, die nun nach Varese zurückgeholt und dann verkauft werden müssen. Die Zukunft ist noch problematischer, denn auch wenn die Motorräder im Werk in Varese zusammengebaut werden, ist Mattighofen bisher für den Einkauf der Teile bei den Zulieferern zuständig gewesen. Das bedeutet, dass MV Agusta in Varese keine Teile auf Lager hat, um weitere Motorräder zu bauen. Selbst die benötigten Komponenten zu kaufen, ist für MV Agusta nicht so einfach möglich, denn die Zulieferer haben mit KTM noch viele Rechnungen offen und der Sanierungsplan der Österreicher sieht vor, eine Schuldentilgung von nur 30 Prozent zu bieten. Die Zuliefererfirmen werden vermutlich erst wieder liefern, wenn die alten Rechnungen bezahlt worden sind.
Sardarov muss die laufenden Kosten begleichen
Für Sardarov, der 49,9 Prozent der MV Agusta-Aktien hält, wäre der sinnvollste Weg, wieder die Aktienmehrheit bei MV Agusta zu erlangen. So würde er wenigstens seine Handlungsfreiheit wiederbekommen. Doch darüber entscheidet nicht die insolvente Firma KTM, sondern ein Richter in Österreich. Zwar ist Timur Sardarov kein verarmter Mensch, sein Vater ist ein milliardenschwerer, russischer Oligarch, aber auch er muss betriebswirtschaftlich denken. Die Mitarbeiter in Varese wollen ebenso bezahlt werden wie die laufenden Kosten des Werks.
Optimistische Ankündigung von MV Agusta
MV Agusta gibt sich betont optimistisch – schließlich hat man seit der Gründung 1945 schon zahlreiche Besitzer (u. a. Cagiva und Harley-Davidson) erlebt – und will weiter produzieren, mit dem Ziel, nächstes Jahr 3.000 Motorräder zu verkaufen und dabei keine Lagerbestände anzuhäufen. Sie wollen im Zeitraum bis 2027 sogar wachsen, um dann eine dauerhafte Stabilität zu erreichen. In Anbetracht der aktuellen Umstände erscheint das als sehr ambitioniertes Ziel und wäre vermutlich nicht einmal mit einer drastischen Preissenkung bei den Modellen machbar. Allein schon der Vertrieb dürfte erhebliche Probleme bereiten: MV Agustas werden inzwischen oft über KTM-Händler verkauft, doch die fallen nun weg. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass eine andere Firma die Mehrheit an MV Agusta kauft. Solvente Motorradhersteller aus Asien könnten sich vielleicht auch eine legendäre, italienische Marke in ihrem Portfolio vorstellen. Mit QJ (Qianjiang Group) aus China gab es bereits eine enge Zusammenarbeit, bevor KTM einstieg und die Kontakte kappte.
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