M&R-PlusHochalpen – zwischen Himmel und Hölle

Lesezeit ca. 9 Min.
Unsere Motorradgemeinschaft startet aufgeteilt in viele Grüppchen die „frühe“ Hochalpentour im Prinzip in Lörrach, bequem per Autozug beispielsweise von Hamburg aus zu erreichen. Auf gut ausgebauten Straßen geht es erst einmal aus dem Rheintal hinaus in Richtung Süden. Voller Vorfreude gewinnen wir mit jedem Kilometer an Höhe. Über Liestal, wo selbst heute noch Kulturgut der Römer und Hinterlassenschaften aus der Zeit des Mittelalters zu finden sind,
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rollen wir über Waldenburg und Langenthal nach Rüegsauschachen, wo eine erste Pause bei „Blaser Swisslube“ eingelegt wird. Anschließend kurven wir durch weite Täler mit sattem Grün zum „Thuner See“. Mit seiner Länge von 17,5 Kilometern und einer Breite von 3,5 Kilometern präsentiert er sich als der größte See der Schweiz, dessen Wasserfläche komplett in einem Kanton liegt. Von hier aus stellt sich die Natur in atemberaubender Aussicht dar. Besonders die Jungfrau, der dritthöchste Berg der Berner Alpen, ragt zusammen mit Eiger und Mönch majestätisch empor. Bereits 2.500 Jahre vor Christus gab es im heutigen Stadtgebiet von Thun eine erste Siedlung. Der Name der Stadt lässt sich von dem keltischen Wort „donum“ ableiten, was wiederum einen befestigten Ort bezeichnete. Über die Jahrhunderte entwickelte sich aus dieser Siedlung die Stadt zu einem regionalen Marktzentrum im Mittelalter.
Bereits im 19. Jahrhundert erlebte Thun durch das Entstehen des Fremdenverkehrs und die Einrichtung der eidgenössischen Militärschule weiteren Aufschwung. So weit, so gut. Wir verlassen den idyllisch in die umliegenden Berge eingepassten See und biegen nach Westen in das sich mehr und mehr verengende Simmental ab, wo sich die Straße zu unserer Freude förmlich in die Landschaft schmiegt. Kurve reiht sich an Kurve und die Zahl und Länge der Geraden verringert sich deutlich. Wir passieren die Orte Boltigen und Zweisimmen, ehe wir Saanen erreichen, wo für uns der eigentliche Einstieg in die Schweizer Bergwelt beginnt. Ab Saanen touren wir stramm gen Süden, passieren Gstaad und Gsteig, sodass der erste Pass an diesem Tourtag in greifbare Nähe rückt. Gemeint ist der „Col de la Croix“ (1.779 m), der „Les Diablerets“ (1.157 m) mit Vilars oberhalb des Rhône-Tals verbindet. Dabei führt die akkurat ausgebaute Strecke durch die aus Gips aufgebaute und sehr sehenswerte Geländeformation „Greyis de la Croix“. Und dann geht’s bergab. Die Straße windet sich wie Würmer im Ködereimer eines Anglers hinunter nach Bex. Als etwas weniger spektakulär empfindet man dann sicher den Zwischenspurt nach Martigny, wo allerdings schon die nächste Bergpartie wartet. Durch Weinberge, die eine tolle Aussicht bieten, schrauben wir uns zum „Col de la Forclaz“, dessen Scheitel 1.527 Meter höher als der Spiegel der Weltmeere liegt. Stets nach dem Motto „auf und nieder, immer wieder“, schließt sich der „Col des Montets“ (1.461 m) gleich südlich an den „Col de la Forclaz“ an. Beide Pässe zusammen verbinden Martigny mit Chamonix. Während der flotten Abfahrt in den altehrwürdigen Wintersportort eröffnet sich noch ein überwältigender Blick auf ein ganz berühmtes Bergmassiv: „Voila, le Mont Blanc“. Der höchste Gipfel ragt satte 4.810 Meter in den Himmel und damit ist er der höchste Berg Europas. Den bestaunen wir mit seinem gewaltigen Panzer aus Eis noch ziemlich lange, bevor wir uns endlich dem Aprés-Motorrad widmen und der nächste Touren-Tag zum Thema wird.

Der beginnt mit einem ganz großen Fragezeichen, denn zunächst muss erst einmal herausgefunden werden, ob sich die ganz hohen Pässe so früh im Jahr überhaupt schon befahren lassen. Um es vorwegzunehmen, wir haben freie Fahrt und so geht es ziemlich rasch über Saint-Gervais-les-Bains und Megève hinauf zum „Col des Saisies“ (1.633 m), wo sich eine recht hässliche Wintersportstation findet. Schnell weiter! Nun zwirbeln sich alle wieder bergab nach Beaufort. Der hübsche wie ursprüngliche Ort stellt optisch einen markanten Gegensatz zum Saisies dar und liegt zu Füßen des „Cormet de Roselend“. Moderne Investitionen fehlen – abgesehen von einem Stausee – auch hier und so lässt sich das wundervolle Alpenpanorama einfach nur genießen. Wir schalten die Motoren ab, genießen die Stille, die frische Gebirgsluft und allerlei bunte Frühlingsblumen. Fast wehmütig ziehen wir weiter und überqueren die in 1.967 Meter Höhe liegende Passhöhe. Danach reduziert sich die Fahrbahnbreite auf jenen Wert, den man gemeinhin als einspurig bezeichnet. Dazu kommen ungezählte Kurven und Kehren auf der nahezu autofreien Piste. Fast atemlos erreichen wir also Bourg-Saint-Maurice, manche wissen da aber noch nicht, dass der absolute Höhepunkt des Tages wartet und der hat einen Namen: „Col de l’Iseran“! Um diesen Megapass zu erreichen, folgt man zunächst dem „Val d’Isère“. Hätte man einen Höhenmesser, würde der nun stetig steigen, und zwar bis auf 2.770 Meter.
Am Lac du Verny
Am Lac du Verny
Die Berganpartie erlebt man dabei noch auf normaler Straße, alles bestens ausgebaut. Kurz nach dem Scheitel des höchsten überfahrbaren - immer daran denken, der „Bonette“ ist eine nachträglich gebaute Mogelpackung - und wahrscheinlich schönsten Gebirgspasses der Alpen kommt zu landschaftlich höchstem Reiz auch noch eine satte Prise Abenteuer hinzu. Das Teerband schrumpft mal wieder mächtig und schlängelt sich dann durch mächtige Steilwände bergab nach Lanslebourg. Man kommt sich auch richtig klein vor, wenn man zu den Gletschern hinauf schaut und mal wieder erkennen muss, was die Natur so alles fertigbringt. Gegen sie leben geht sowieso nicht, man muss sich mit ihr arrangieren. Sei es drum, war der Puls am „Roselend“ schon stark gestiegen, so erreicht er jetzt natürlich ganz neue Spitzenwerte. Es dauert dann auch im Tal eine ganze Weile, bis sich der Kreislauf wieder normalisiert. Da fahren wir allerdings schon durch das Tal der Arc nach Saint-Michel-de-Maurienne. Aber irgendwie sitzt der Bazillus. Wann kommt der nächste Pass? Die Sucht nach Schräglagen und Höhenluft wird immer stärker, da biegt die ganze Truppe ab und es geht wieder bergan. Gut so und wir stürmen den „Col du Télégraphe“ (1.570 m). Die gut ausgebaute Straße bekam seinen Namen einst von einem Fort auf einem Felsvorsprung in der Nähe des Passes. Um den Galibier zu erreichen, muss erst der Télégraphe bewältigt werden. Die Strecke über den „Col du Galibier“ (2.645 m) gehört wohl zu den absolut schönsten – wenn auch mitunter holprigsten – Straßen der Region. Die fünfthöchste Passstraße der Alpen wurde 1876 erbaut und verbindet die beiden Départements Savoie im Norden und Hautes-Alpes im Süden. Endlich auf der Passhöhe angekommen, müssen wir feststellen, dass die letzte Gipfelpassage noch gesperrt ist.
Col du Glandon
Col du Glandon
Doch auch der im Jahr 2002 wiedereröffnete Tunnel unterhalb der Bergspitze liegt für unseren Geschmack mit 2.556 Metern hoch genug. Die Röhre wird zügig passiert und dann kommt das, was man in den Alpen so oft erlebt: Beim Herausfahren verwöhnt uns die Sonne und beleuchtet die vor uns liegenden Bergwelt des Départements Hautes-Alpes. Nebel und Wolken bleiben also hinter uns, als wir wieder Höhenmeter abbauen und durch die „Gorges de l'Infernet“ (Höllenschlucht) in Richtung „Col du Lautaret“ (2.058 m) kurven. Da dieser Pass für alpine Verhältnisse eine ganz normale Durchgangsstraße ist, die Bourg-d'Oisans und Briançon verbindet, werden Kurven und Kehren weniger, dafür nimmt der Straßenverkehr deutlich zu. Aber was soll’s, betrachten wir das einfach wieder als Kreislaufberuhigungstrecke nach dem letzten Höhenflug, bevor das Tagesziel angesteuert wird. Das hat etwas Finales, denn wir brausen hinauf nach „L’Alpe d’Huez“ in luftigen 1.860 Meter Seehöhe gelegen. Wer sich allerdings vorstellt, auf einen Ort mit blühendem und sprudelndem Leben und Treiben zu treffen, muss sich schnell korrigieren. Wir übernachten – geschuldet der großen Teilnehmerzahl – zwar dort, aber sonst ist der reine Wintersportort fast menschenleer. Im Sommer können sich hier halt Fuchs und Hase täglich und ungestört „Gute Nacht“ sagen. Am nächsten Morgen geben wir unseren Boliden wieder die Sporen und lassen das gastliche „L’Alpe d’Huez“ auf der „Route des Cols“ hinter uns. Wenn man aber schon Pässe wie den Roselend, den Iseran und den Galibier beispielsweise in den Reifen hat, sollte man hier nicht zu viel erwarten. Geniale Schräglagen finden sich dann aber auch bald, und zwar auf dem Downhill zum „Lac du Verney“ und von dort zum „Lac de Grand Maison“ in einer Höhenlage von 1.700 Metern. Nur einige Kilometer weiter biegen wir nach links ab und fahren über den „Col du Glandon“ (1.924 m) zum „Col de la Madeleine“ (1.993 m). Beide Pässe bestechen zwar nicht durch ihre Höhe, begeistern aber dennoch und bringen den Kreislauf abermals ordentlich in Gang. Allerdings beruhigt er sich auf der weiteren Tour dann deutlich, denn hinter Albertville düsen wir zügig weiter Richtung Genf und auf dem Weg dorthin wartet nur noch ein Kurvenrausch am „Col des Aravis“ (1.486 m).

Der letzte Tag der Tour führt ins Jura, ein geologisch junges, daher recht kantig wirkendes Faltengebirge entlang der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz. Das Wort Jura wurde vom keltischen „Jor“ abgeleitet, was so viel wie „Wald“ bedeutet. Auf unserer flotten Fahrt dort wechseln wir ständig zwischen Frankreich und der Schweiz sowie umgekehrt. Gut, dass wir heute grüne Grenzen in Europa haben, sonst wären die Ausweise am Ende des Tages ganz schön abgegrabbelt gewesen. Aber der Reihe nach: Von Genf aus brausen wir zunächst über Gex und „La Cure“ zum „Lac de Joux“ und von dort aus weiter nach Pontarlier. Diese Stadt war im 19. Jahrhundert so etwas wie die Hauptstadt der Absinth-Produktion. Die nahm allerdings 1914 ein jähes Ende, weil Absinth verboten wurde. Erst im Jahre 2011 entstand hier wieder eine Distillerie, die an die alte Tradition anknüpft. Wir können die Wermutspirituose natürlich nicht probieren, denn der Fluss Doubs weist nun den Weg. Mal fließt er ruhig dahin, mal versickern Teile des Wassers und kommen als Karstquelle der Loue bei Ouhans wieder zum Vorschein, dann gräbt er sich tief ins Gebirge. Allein der Blick auf die Karte genügt, um zu erkennen, dass wir nun permanent von einer Schräglage zur nächsten jagen und der innere Kreiselkompass brummt, als Le Locle erreicht wird. Diese Stadt gehört seit 2009 zum Unesco-Welterbe, gilt sie doch als Geburtsstätte der schweizerischen Uhrmacherei. Über Biaufond und Maîche, Saint-Ursanne sowie Delémont, der der Tag neigt sich so langsam dem Ende entgegen, nehmen wir das letzte Stück unseres Weges zurück zum Ausgangspunkt unserer viertägigen Tour in Angriff. Noch einmal macht uns die kurvenreiche Schräglagen-Strecke bis Ferrette munter, bevor wir dann auf gut ausgebauten Straßen in Lörrach stranden – und da ist alles vorbei. Unser großer Tross, rund 180 Zweiradfans der Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag e.V., löst sich Stück für Stück auf, einige fahren mit dem DB-Autozug Richtung Heimat, andere steuern diese auf Achse an. Damit bleibt nur noch zu sagen, dass die französischen Hochalpen – also sozusagen „Zwischen Himmel und Erde“ – mit ihrer imposanten Bergwelt über reichlich Suchtpotenzial verfügen. Hier hilft auch kein Arzt oder Apotheker, denn man (und Frau) muss da einfach wieder hin.
Text: M&R Archiv, Fotos: M&R Archiv


#Alpen#Frankreich#Schweiz#Tour

Tourinfos: Zwischen Himmel und Hölle – Hochalpen

Motorradtour: Frankreich – Französische Alpen, Schweizer Alpen

Motorradtour Zwischen Himmel und Hölle – Hochalpen

Allgemeine Informationen zur Motorradtour
Letzte Aktualisierung: 30.05.23
Die schweizerischen und französischen Hochalpen bestechen vor allem durch wundervolle natürliche Berglandschaften mit ihren Seen und Flüssen, so­wie durch die unzähligen Serpentinen, und kurvige kleine Sträßchen, die über den Col de l’Iseran und viele andere Päs­se führen.

Bücher, Landkarten & Reiseführer

Anreise
Der Start dieser Tour befindet sich in Lörrach.

Reisezeit
Wer diese Tour nachfahren möchte, muss sich auf den Zeitraum von Ende Mai bis Mitte Oktober konzentrieren, da viele Pässe sonst gesperrt sind.


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