Marschroute fürs Navi: „kurvenreiche Strecke“. Dann mal los. Augen zu beim Tanken und ab durch die Mitte! Der etwas andere Roadtrip durch „Good old Germany“. Fünf Tage Fahrspaß vom Feinsten. In heimischen Gefilden. Das war die Idee, geboren in Pandemiezeiten. Eine Arbeitswoche Moped fahren und dabei ganz viel sehen. Von Deutschland. Nix Spanien, Sardinien oder Schweizer Alpen. Dafür Schleswig, Höxter, Frankenland. Am Start: drei Männer und drei echte Kilometerfresser. Ducati Multistrada V4 S, Harley-Davidson Pan America 1250 Special, Triumph Tiger 1200 Rally Explorer. Richtig dicke, schnelle Dinger. Aber nicht, um damit lotrecht durch die Republik zu pieken, sondern für maximalen Fahrspaß und Komfort an langen Fahrtagen. Denn ohne die geht es nicht, hat man bestenfalls eine Woche Zeit für eine Deutschland-Fahrerlebnis-Tour.
Aus 1.020 mach 1.650 Kilometer. So viel kommt zusammen (oder auch mehr), wenn man die schnellste Strecke (A 7) durch Deutschland vermeidet und sich auferlegt: je kleiner die Straßen, umso besser. Nur im Notfall – zum Beispiel drohender Küchenschluss im Nachtquartier – erlauben wir uns eine schnelle Autobahnetappe. Denn als Großstädter auf Deutschland-Tingeltour lernst du schnell: Ab 21 Uhr bleibt die Küche kalt auf dem Land. Spute sich, wer kann.
Tag 1: Rodenäs – Höxter, 530 km

Startpunkt Grenzwärterhäuschen

Sorry, Elbe, heute haben wir kein Foto für dich
Nächster Etappenpunkt: die Elbfähre bei Glückstadt. Eigentlich. Aber kaum vor Ort, wird klar: Hier geht heute nichts. Die Schlange der wartenden Fahrzeuge windet sich gefühlt 380 Meter weit vom Anleger zurück. Ein Meer von Schaumkronen bedeckt die Elbe. Da liegt kein Segen drauf, wollen wir abends rechtzeitig in Höxter sein. Mindestens 320 Kilometer sind es von hier aus. Grob. Auf unserer „kurvenreichen Strecke“ vermutlich sogar noch mehr. Also ab dafür. Schon am ersten Tag müssen wir schweren Herzens eine Etappe Autobahn einschieben. Der Elbtunnel ist die einzig sinnvolle Anbindung von hier in Richtung Weserbergland. Zeit gutmachen, die uns am Elbstrom verloren ging. Bei Waltershof kehren wir der A 7 wieder den Rücken. Auf der B 3 Richtung Alfeld (Leine), dann bei Eime rechts ab auf die B 240 bis Eschershausen und von dort über Bodenwerder, Köterberg und Eilversen nach Ovenhausen ans Ziel: Hauptstraße 24, Hotel Höxter Am Jakobsweg. Die Strecke bietet herrlich lang gezogene Kurven und idyllische Aussichten.Das neugotische Schloss Marienburg – erbaut von 1858 bis 1869 im Auftrag des blinden Königs Georg V. von Hannover – blickt bei Pattensen übers einstige Welfenland. Rund 80 Jahre lang wurde das Geschenk an Königin Marie exilbedingt nur von zwei aufeinanderfolgenden Castellanen bewohnt. Wieder zeigt sich: Augen auf bei der Berufswahl. Stilvoller wohnte hier sicher niemand, nachdem das Königreich Hannover an Preußen gefallen war.
Feinste Kost für Pilger & Biker

Ausgezeichnete Steaks und andere Speisen – eine schamlose Untertreibung. Küchenchef Jan, jugendliche 23 Jahre alt, hat im Hotel Adlon in Berlin gelernt und sein Können anschließend in der Provinz verfeinert. Jetzt verzaubert er in Höxter Pilger, Radreisende und Biker mit seinen Künsten. Sein gegrilltes Hüftsteak „Café de Paris“ mit frittierten Salbeiblättern und warmer Kräuterbutter-Soße sowie das leicht geräucherte Steak im Whiskey-Taste, „im Rauch serviert“ unter einer Glasglocke, sind eine Offenbarung – optisch wie geschmacklich. Dazu reicht der Maître Bratkartoffeln oder selbst gemachte Kroketten, für die manche vermutlich morden würden. Im Umkreis von 100 Kilometern gibt es nichts Leckereres, rechte Hand geschworen. Höchstens vielleicht das „Höxteraner Beeren-Steak, auf dem Grill zubereitet, auf einem kräftigen Soßenspiegel aus französischem Rotwein und erlesenen Beeren“. Aber nun, auch das ist von Jan.
Insidertipps auf dem Chopper


Tränen an der Zapfsäule
Zu Fuß dauert der Spaß natürlich sehr viel länger als mit dem Motorrad. Auch mag er spaßbefreiter sein (unterstelle ich jetzt einfach mal). Fraglos aber ist es die deutlich günstigere Variante. Unsere Pilgerfahrt durch Deutschland starteten wir in der Hochpreisphase Ende Mai. Bedeutet: 2,20 Euro und mehr pro Liter Super flossen durch die drei Tanks – und die sind groß, speziell bei der Triumph Tiger 1200 Rally Explorer (30 Liter), die nicht nur deshalb deutlich weniger Tankstopps benötigte als die schluckfreudige Ducati. Als am ersten Juni kurzzeitig die Spritpreisbremse griff, hätte ich heulen können vor Glück an der Zapfsäule. Quasi über Nacht fielen die Preise mancherorts auf 1,78 Euro pro Liter. Preiset den Herrn, auch wenn die Entlastung nur von kurzer Dauer war.Tag 2: Höxter – Bebra, 180 km

Coole Kurven, steigende Temperaturen

ein Klacks im Vergleich zu gestern. Aber nun. Irgendwann muss man ja auch mal produzieren auf so einer Tour. Und das kostet Zeit.
Thomas Thrän, Chef des zertifizierten „Superior“-Hotels Sonnenblick in Bebra, empfängt uns abends mit lässigem Bikergruß. Beim Büfett setzt er sich zu uns, unter dem Arm einen großen Stapel Faltpläne. Sein Markenzeichen. Keiner kennst sich so gut aus in der Gegend wie der „Herr der Karten“. „Bei Heyerode führt die Straße mitten durchs alte Forsthaus, müsst ihr euch anschauen, so etwas sieht man nicht alle Tage“, rät er. Dazu die Drachenschlucht hinter Eisenach, natürlich Point Alpha, wo sich einst DDR-Grenzer und US-Beobachter keine Minute aus den Augen ließen. Und, Highlight, die legendäre alte Bergrennstrecke „Am Stock“, die hier gleich um die Ecke ist. „Neu asphaltiert“, raunt Thomas verschworen, „da werdet ihr euren Spaß haben.“ Recht soll er behalten.
Tag 3: Bebra – Wiesenttal, 420 km

Haus-Mauer-Haus-Mauer-Haus … manche Ortsdurchfahrten sind eine einzige Passage durch die Abgeschlossenheit, kein Mensch weit und breit. Löbliche Ausnahme: das idyllische Treffurt-Großburschla im Wartburgkreis.
Alte Wunden

Tag 4: Wiesenthal – Bamberg – Steinenkirch, 230 km
Auch das beste Foto-Equipment macht mal schlapp. Wir benötigen Ersatz in einem Fachgeschäft. Vielleicht war die deutsch-deutsche Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte Point Alpha gestern einfach zu viel für die sensible moderne Digitaltechnik. Bambergs gut sortierte Einzelhandelslandschaft verspricht Abhilfe. Die knapp 78.000 Einwohner zählende Stadt an der Mündung der Flüsse Regnitz und Main erstreckt sich über sieben Hügel. Die zauberhafte Altstadt – in Teilen stammt sie schon aus dem 11. Jahrhundert – wirkt fast wie eine Filmkulisse, so unwirklich mutet das Ensemble kleiner Gassen und bunter Fachwerkhäuser an. Im 11. Jahrhundert begann auch der Bau des Bamberger Doms mit seinen ehrwürdigen vier Türmen und zahllosen Steinskulpturen. Kein Wunder, dass die Stadt weit über die Grenzen Nordbayerns hinaus bekannt ist.Wir gönnen uns die Kurven der B 22 nach Geiselwind, schrubben dann über die herrliche Landstraßenverkettung 2257 (bis Oberscheinfeld), 2421, 2261, 2253, 2256 und erneut die 2253. In Bad Windsheim endet die heutige Reise. Dieses Mal reicht es für ein warmes Essen. Wir speisen und übernachten im Landgasthof Hotel Rössle, Nummer fünf auf unserer Motorrad & Reisen-Hotelliste. Morgen steht der Endspurt an: Sämtliche Wetterapps verheißen bösen Regen in Oberstdorf, erst recht in den kommenden Tagen. Wollen wir das südliche Ende unserer Reise halbwegs trocken erreichen, müssen wir umdisponieren: erst ans Ziel, dann ins sechste Motorrad & Reisen-Hotel. Eigentlich war es andersherum gedacht. Egal: So oder so geht es danach heimwärts.
Tag 5: Steinkirch – Oberstdorf – Seeg, 290 km

Durchfahrt verboten – och nö
Auf rund 500 Kilometern Länge führt sie vorbei an Burgen, Schlössern, Klöstern und Wallfahrtskirchen. Und halt durchs beschauliche Oberdischingen mit seinem „Schwäbischen Pantheon“, der katholischen Pfarrkirche „Zum heiligsten Namen Jesu“ von 1804. Schon schön, aber uns zieht es magisch zum südlichsten Punkt unserer Tour: der Parkplatz Faistenoy an der Birgsauer Straße in Oberstdorf. Kurz dahinter heißt es: Stopp für Normalsterbliche. Roter Kreis, weißer Grund, darauf oben ein stilisiertes Motorrad und unten ein ebensolches Auto. Dieses Schild kennt jeder, die Aussage ist unmissverständlich: Hier geht es nicht weiter für euch. „Anwohner mit Bescheinigung des Marktes Oberstdorf frei“, steht da noch, und „Zufahrt Rappenalptal mit Bescheinigung des Alpenverbandes frei“. Mit beidem können wir nicht dienen. Also endet sie hier, unsere Kilometerfressertour durch Deutschland.
Seitenkoffer und Gepäckrolle darauf anlegte.
Deutschland einig Kurvenland
In den gefühlt mehr als 1000 Kurven, die uns hierhergeführt haben, erwiesen sich alle drei als äußerst langstreckentaugliche Komfortrenner mit ausgezeichneter Sitzposition. Und Deutschland? Zeigte sich von seiner besten Seite. Bis hierhin. Auf dem Weg zum Hotel hat es zwei von uns komplett durchnässt. So richtig nach allen Regeln der Kunst. „Nee, das regnet noch nicht, und wenn nur kurz“, war der allgemeine Tenor. Eine äußerst törichte Annahme und krasse Fehleinschätzung, die Fotograf Peter egal sein konnte: Er war als Einziger komplett wetterfest unterwegs und konnte auf Regenhose und -jacke pfeifen. Aber nun: Eine Nacht im Trockenraum richtet fast alles.Was lernen wir aus der Tour? Deutschland hat unfassbar viele, wirklich großartige Motorradstrecken zu bieten. Den Trip ins Ausland kann man sich fahrdynamisch eigentlich sparen, Autobahnen sowieso, es sei denn, die Küche schließt.
Text: Ralf Bielefeldt, Fotos: Peter Musch
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