Schlammig? Ich stutzte: „Äh, wie jetzt, schlammig?“ Und Jochen so, der alte GS-Trophy-Held, ganz trocken: „Wir versuchen es mal
Portugal ist echt ein Stück weit weg von Deutschland. Rund dreieinhalb Flugstunden ab HH, mit dem Auto oder Motorrad ist man locker zwei bis drei Tage unterwegs, selbst wenn man sich ranhält. Also Flieger. Unseren Fuhrpark organisieren wir über Ducati und Nissan: zwei rote Scrambler Desert Sled – leicht, hochbeinig, drehmomentstark – und einen kupferfarbenen Navara Pick-up mit riesiger Ladefläche. Den steuert meistens unser dritter Mann: Fotograf Peter Musch.
„Männer, ich würde wahnsinnig gern mitkommen“, gesteht Hugo Ramos. Er und Filipe Elias sind Touratechs Statthalter in Lissabon. Ihr bestens bestückter Klamotten- und Zubehör-Shop samt Werkstatt thront schnieke über dem Hafen. Für so einen Ausblick bei der Arbeit würden manche täglich im Morgengrauen erscheinen, ohne Überstunden zu notieren.

„Das Problem ist, dass sich die Tracks immer mal wieder ändern können“, sagt Filipe. Starkregen, Erdrutsche, Sperrungen auf den Verbindungsetappen. „Wenn du dich abseits klassischer Straßen bewegst, bleibt es halt spannend“, grinst er. Uns signalisiert der Haudegen grünes Licht: „Gerade gestern kamen drei Engländer zurück, alles gut unterwegs.“ Dann los!
Einziger Zwischenstopp auf dem Weg nach Braganca, dem Start der ACT Portugal: Nazaré. Der weltberühmte Surfspot, wo jährlich tollkühne Profis nach neuen Weltrekorden im Wellenreiten trachten. Mehr als 24 Meter hoch türmen sich die Giganto-Wellen des Atlantiks hier auf. Ein aberwitziges Spektakel, dem wir vielleicht ein bisschen zu viel Zeit widmen. Der Blick auf die Uhr offenbart: Bis wir in Braganca aufschlagen, wird es stockdunkle Nacht sein, auch wenn die Autobahn gen Norden sehr gut ausgebaut und nahezu leer ist. Das einzige, was uns regelmäßig ausbremst, sind die Mautstellen. Und die übersichtliche Reichweite bei flotter Fahrt: Alle 200 km möchte die Desert Sled etwas zu trinken haben.

Fahrtag 1: Von Braganca nach Torre de Moncorvo, 180 km, 55 % Offroad
Braganca ist malerisch. Der ideale Ort, um die Tour zu starten, nicht nur geografisch. Stattlich thront die Burg über der Stadt, kleine Kopfsteinpflastergässchen führen aus der „Cidadela“ (Oberstadt) runter ins ummauerte Stadtgebiet. Cafés reihen sich an Bars und Boutiquen. Mittendrin – wie in fast allen Städten auf der ACT – komplett zerbröselte Ruinen. Eingeschlagene Fenster, schief im Rahmen baumelnde Türen, sprießende Biotope in den Fensterrahmen und Regenrinnen. Zwei Häuser weiter stehen feinst restaurierte Mittelalterbauten mit Optikern oder Schuhgeschäften.Ein paar Kilometer hinter der Stadtgrenze biegen wir ab in einen unscheinbaren Kiesweg. Das ist er also, der „Einstieg“ in den ACT Portugal! Von jetzt an geht es abwechselnd über Schotterpisten, schmale Trampelpfade, steile felsige Trassen und asphaltierte Verbindungsetappen. „Expertenlevel: easy/medium“, urteilt Adventure-Spezialist Touratech auf seiner Website. Passt. Auch unser 190 PS starker Nissan Navara kommt wie erwartet problemlos mit den Offroad-Passagen klar. Ihn mitzunehmen, war eine weise Entscheidung: Ohne Gepäck am Heck reist es sich sehr viel angenehmer durchs Hinterland. Myriaden blühender Zistrosen verwandeln die Landschaft in ein gelb-weißes Farbenmeer. Bei schönstem Sonnenschein passieren wir das Flüsschen Sabor. Finger-rein-Test – Baden ist noch nicht, bannig kalt, das Wasser. Die Häuseransammlungen und Dörfchen, die wir ab und an passieren, haben teilweise nicht mal Namen.
Hier und da schrecken wir eine dösende Meute Köter auf. Wüst kläffend wollen uns die Vierbeiner klarmachen, wir hätten hier nichts verloren. Pah!
Fahrtag 2: Von Torre de Moncorvo nach Vale do Rossim, 255 km, 50 % Offroad
Portugal ist das Land der Brücken. Flüsse, Schluchten, Gleise – irgendwo geht es immer rüber. Unser zweiter Tagestrip führt uns durchs Tal des Douro in den Nationalpark Vale do Rossim. 75 km mehr als gestern stehen heute auf dem Programm. Fahrerisch ist es gefühlt etwas anspruchsvoller. Es liegt ziemlich viel Geröll auf den Offroad-Passagen, teils ist das Geläuf übel felsig und von tiefen Furchen zerfressen. Jochen macht den Tourguide: Auf seinem Handy läuft die Touratech-App, die mit einer dicken blauen Linie auf der Navigationskarte anzeigt, wo es langgeht. Bewegt sich unser Positionspfeil abseits davon, haben wir die falsche Abzweigung genommen. Eigentlich ganz einfach. An manchen Gabelungen und Wegpunkten dauert es etwas länger, den richtigen Abzweig zu bestimmen. Aber hey, wir haben ja Zeit: Fünf Fahrtage sind angesetzt, keine Hektik.
Der Weg ins Eco Resort, für das unser heutiges Hotelvoucher gilt, führt über die Berge der Serra da Estrela und Serra da Gardunha. Auf den Gipfeln säuseln die Rotoren der Windanlagen. Einen Flügel hat es zerlegt, warum auch immer. Sein Glasfaserskelett rottet hinter Buschwerk würdelos vor sich hin. Wie Klauen pflügen die übrigen Rotoren weiter durch die vorbeischleichenden Wolken. Ein mystischer Ort. Wie das aus Jurten bestandene Eco Resort in der Serra da Estrela. Letzten Herbst wäre es fast den Waldbränden zum Opfer gefallen, die weite Teile dieser Region in schwarze Erde verwandelt haben. In letzter Sekunde konnten die Flammen aufgehalten werden.

Fahrtag 3: Von Vale do Rossim nach Alamal, 235 km, 40 % Offroad
Nur 40 Prozent Offroad heute? Nö, das machen wir anders. Das gute an der ACT-Route ist, man kann sie auch mal problemlos verlassen und entweder mehr Strecke auf der Straße einbauen, um Zeit zu sparen, oder eben mehr Zeit abseits der vorgeschlagenen Pfade zu verbringen. So wie wir heute.Die Abfahrt aus dem Eco Resort ist rasant, auch wenn die Straßen schlecht sind. Man muss es ja auch mal krachen lassen, ähm, wenn weit und breit niemand anderes unterwegs ist. Gegenverkehr ist hier so selten wie Polarlichter über Portugal. Und die Desert Sled geht einfach zu gut, um immer nur gesittet damit zu fahren. Portugals Polizei hat zudem Wichtigeres zu tun, als sich um unsere Trampelpfade zu kümmern. Wobei: Bergstraßen kann er ja auch, der Portugiese. Grandiose Kurven reihen sich kilometerweit aneinander. Kurz keimt in mir der Gedanke, wir sollten nur noch Asphaltrouten wählen. Aber darum geht es hier ja nicht.
Tankstopp im Nirgendwo. Futter wäre jetzt schön, aber Restaurants gibt es hier nicht. Dafür bietet die Auslage der Tanke das Nationalgericht der Kneipen und schnellen Gastronomie feil: Toasta Mista. Zwei fingerdicke Scheiben Brot mit knackiger Kruste, dazwischen Berge von geschmolzenem Käse und mehrere Lagen Kochschinken. Macht knapp drei Euro. Abends gibt es dazu das obligatorische nationale Kaltgetränk. Drei Flaschen Bier kosten 2,40 Euro, 23 Prozent Mehrwertsteuer inklusive. Die Reisespeisekarte steht.

Fahrtag 4: Von Alamal nach Moura, 285 km, 40 % Offroad
Heute ist Badetag. Was. Für. Pfützen! Ach was, Krater! Tümpel! Jochens Ducati ist locker bis zur Radnabe weg, die Bugwelle des Nissan schwappt gepflegt bis zur Motorhaube. Crazy shit! Nach der fünften Tauchfahrt sinkt die Hemmschwelle, dass da vielleicht doch irgendwo ein Findling in der schlammbraunen Brühe lauert. Was für eine Gaudi!Wo kein Wasser steht, wird es mühsam. Die Natur wuchert wild dieser Tage. Teilweise müssen wir anhalten und dornige Äste zur Seite drücken, damit der Nissan passieren kann, ohne sich den Lack bis aufs nackte Blech runterzuraspeln. Mopeds und Auto werden heute mächtig durchgerüttelt. Die Landschaft wechselt merklich beim Übergang von Nord- nach Südportugal. Es wird flacher, ebener, weidelandiger. Wir stehen erstmals vor einem geschlossenen Tor. Kein massives, ein simpler Wildzaun mit Holzpfosten, auch kein Schloss oder Verbotsschild. Trotzdem fragen wir uns unwillkürlich: Dürfen wir..? Einfach so? Geht es wirklich da weiter?

machen die beiden ihren heiligen Nachmittagsspaziergang. „Einmal die Woche muss das sein, wir brauchen ja auch mal Zeit für uns“, grinst Inhacia.

Fahrtag 5: Von Moura nach Cacela Velha, 245 km, 65 % Offroad
Letzter Tag, unfassbar, schon? Als hätten sie sich den Höhepunkt für heute aufgespart, schickt uns der ACT Portugal heute über grandiose Bergstraßen und durch unfassbar schöne, teils dramatische Landstriche. Höhepunkt: die seit über 50 Jahren stillgelegte Mine von São Domingo. Eine Alienlandschaft, die in allen Farben dieser Welt schillert. Und wo man gar nicht so genau wissen will, was für Chemikalien hier einst verwendet worden sind beim Kupfer-Erz-Abbau. So ein bisschen treibt uns der Ehrgeiz, zur Kirche in Cacela Velha zu kommen. Der berühmte Aussichtspunkt markiert das Ende der Reise. Heute ist das Dorf ein kleines Museum, früher war der Weiler an der Küste der Algarve ein gefürchtetes Piratennest. 
Rund 1.250 Kilometer misst der Track, hält man sich sklavisch an die Route. Wählte man die direkte Strecke von Braganca nach Cacela Velho, wären es 787 km, Fahrzeit laut Google Maps 10:21 Stunden. Mit Anfahrt ab Lissabon und Rückweg über die Küste haben wir rund 2.200 Kilometer abgerissen in einer Woche. Jeder einzelne war es wert.

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