Wenn Berliner eine Tour ins Umland starten, so trifft man sich oftmals an der Spinnerbrücke, dem ultimativen Motorradtreff in Berlin. Aber es gibt natürlich auch noch andere Möglichkeiten und Orte, sich zu einer Tour zu verabreden und zu sammeln. Dobbrikow zum Beispiel, nicht so komfortabel wie der Kiosk an der Spanischen Allee, aber durch das „Café – Die Scheune“ als beliebter Motorradtreffpunkt mit leckeren Speisen und einem heißen Kaffee auch ein
guter Ausgangspunkt für die Tour. Dort haben wir uns zu einem kleinen Familienausflug per Motorrad getroffen, der uns von Berlin aus durch das südwestliche Brandenburg bis nach Sachsen-Anhalt führen soll.
Im Land der Frühaufsteher
Nach dem obligatorischen Pott Kaffee starten wir die Motoren und los geht die Fahrt durchs Brandenburger Land. Auf Nebenstraßen rollen wir, naja sagen wir lieber, schwingen wir in zügigem Tempo durch die leichten Kurven Richtung Süden. Über Nettgendorf, Zülichendorf, vorbei an Kemnitz und Treuenbrietzen, durch kleine Orte wie Bardenitz und Klausdorf führt uns TomTom auf der sorgfältig geplanten Route bis nach Niedergörsdorf. Von dort aus geht es dann in einem leichten Zickzackkurs nach Südwesten. Gelb leuchtende Rapsfelder säumen unseren Weg durch die brandenburgische Landschaft. Immer wieder ragen hohe Windräder aus den Feldern und Wiesen. Der leichte Wind lässt die riesigen Rotoren nur langsam drehen. Wir haben inzwischen die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt unbemerkt überschritten – hier auf den schmalen Straßen findet man keine großen Hinweisschilder mit der Aufschrift „Willkommen im Land der Frühaufsteher – Sachsen-Anhalt“.
Die Lutherstadt Wittenberg
Weiter geht die Fahrt durch kleine Dörfer mit den typischen Bauernhöfen und dem Dorfteich in der Mitte. Eine kleine Dorfkirche darf natürlich auch nicht fehlen. Nur die Zahl der Dorfgasthöfe hat stark abgenommen. Nach etwas mehr als fünfzig Kilometern erreichen wir den Stadtrand von Wittenberg, genauer gesagt: der Lutherstadt Wittenberg, wie es seit 1938 offiziell und amtlich heißt. Um sich hier nicht in einem geschichtlichen Exkurs zu verlieren – die Historie der Stadt würde hier genug Stoff dafür liefern – nur ein paar kurze Anmerkungen, bevor wir uns die Stadt und ihre geschichtsträchtigen Gebäude anschauen. Ausgrabungen lassen auf eine Besiedlung bereits vor 10.000 Jahren vermuten. Erste urkundliche Erwähnungen datieren aus dem 12. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert erlangte Wittenberg ihre herausragende Bedeutung als Zentrum politischer und kulturhistorischer Entwicklungen. Erwähnt sei hier insbesondere das Leben und Wirken Martin Luthers sowie des Theologen und Philosophen Philipp Melanchthon. Sowohl der Dreißigjährige Krieg als auch die Befreiungskriege Anfang des 19. Jahrhunderts hinterließen ihre Spuren.
Unser erster Anlaufpunkt in der Lutherstadt hat – wie könnte es anders sein – natürlich etwas mit dem Reformator zu tun. Durch das Eingangsportal des als Erweiterungsbau der Universität entstandenen Augusteums gelangen wir in einen Innenhof und schauen unmittelbar auf das ehemalige Wohnhaus Martin Luthers. Hier befindet sich heute das reformationsgeschichtliche Museum mit seiner umfangreichen Sammlung von Bildern, Schriften und anderen Exponaten aus dieser Zeit. Im Innenhof steht auch ein Denkmal, das an Luthers Ehefrau Katharina von Bora erinnert. Geht man vom Augusteum die Collegienstraße hinunter Richtung Schlosskirche, so reiht sich auch hier ein historisches Gebäude an das andere. Melanchthonhaus, die Universität „Leucorea“ Wittenberg, die Stadtkirche, der Marktplatz mit Brunnen und Luther-Denkmal, das Rathaus, das Cranachhaus und schließlich der Schlossplatz mit der Schlosskirche. Natürlich ist die Nachbildung der Thesentüre an der Schlosskirche ein Anziehungspunkt für Touristen, also auch für uns. Aber auch der Besuch des in gleißendes Sonnenlicht getauchten Schlossinnenhofs beeindruckt.
Unsere Stippvisite in der historischen Altstadt von Wittenberg ist jedoch nicht der einzige Anlaufpunkt für uns. Sabine – als glühender Fan des Malers Friedensreich Hundertwasser – führt uns zum Luther-Melanchthon-Gymnasium, das gegen Ende des vorigen Jahrtausends nach Ideen und dem Konzept des Künstlers umgebaut wurde. Nach so viel Sightseeing ist aber wieder Motorradfahren angesagt.
Martin Luther
Mit dem Namen Martin Luther verbindet sich eine grundlegende Veränderung der Christlichen Kirche im Mittelalter. Luther hatte die Fehlentwicklungen in der damaligen christlichen Kirche erkannt und wollte die Kirche entsprechend seiner Überzeugung vom Wesen des christlichen Glaubens in seiner ursprünglichen Form wiederherstellen d. h. sie reformieren. Eine Spaltung der Kirche, wie sie dann durch die Bildung von evangelisch-lutherischen Kirchen und in der Folge weiteren protestantischen Konfessionen entstand, entsprach nicht seiner Absicht. Betrachtet man seinen Lebenslauf, so erkennt man die Ursprünge seiner Überzeugungen und die Standhaftigkeit in seinem späteren Handeln.
Luther wurde in Eisleben geboren, absolvierte die Stadtschule in Mansfeld und schließlich ein Jahr die Domschule in Magdeburg, ehe er die Pfarrschule in Eisenach besuchte. 1501 begann er sein Studium an der Universität in Erfurt und schloss dort seine akademische Grundausbildung – wie es damals Usus war – mit dem Magister artium ab. Nachdem er dem Wunsch seines Vaters folgend zunächst ein Jurastudium begann, trat Luther im Juli 1505 durch ein abgelegtes Gelübde, während eines schweren Gewitters, in das Kloster der Augustiner Eremiten in Erfurt ein. Von 1507 bis 1511 widmete sich Luther dem Theologiestudium. Nach seiner Romreise übernahm er nunmehr Tätigkeiten in Wittenberg, sowohl im Kloster als auch als Dozent für Bibelauslegung an der Universität. Die Frage, wann er das Prinzip der Gerechtigkeit Gottes und damit ein neues Verständnis der Bibel entdeckte, ist in der Lutherforschung umstritten. Daraus folgte schließlich seine Kritik am Ablasshandel, durch den sich die Gläubigen von ihren Sünden freikaufen konnten. Seine Kritik gipfelte schließlich in den 95 Thesen zum Ablasshandel, die schon vor dem Anschlag an der Türe der Wittenberger Schlosskirche am 31. Oktober 1517 unter den Gelehrten kursierten und diskutiert wurden. Das öffentliche Echo auf die Thesen war groß und bewirkte, dass der Ablasshandel zurückging. Im April 1518 konnte Luther seine Theologie in der Heidelberger Disputation vor der Augustinerkongregation erläutern. Ebenfalls 1518 fanden das Verfahren der römischen Kurie sowie die Anhörung in Augsburg statt, 1521 dann die Anhörung vor dem Reichstag zu Worms, wo er seine Thesen widerrufen sollte, was er jedoch nicht tat. Kirchenbann und Reichsacht waren die Folge der Verfahren gegen Luther und seine Theologie. Im Auftrag des Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen wurde Luther entführt und auf die Eisenacher Wartburg verbracht. Dort übersetzte er die Bibel ins Deutsche, die in ihren überarbeiteten Neuauflagen auch heute noch von den Protestanten verwendet wird. 1524 gab Luther sein Leben als Mönch auf und heiratete 1525 Katharina von Bora, eine ehemalige Zisterzienserin. Nach dem Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530 erfolgte schließlich die Duldung des protestantischen Glaubens durch Kaiser Karl. Von da an arbeitete Luther nur noch als Seelsorger und Publizist. Am 18. Februar 1546 verstarb Martin Luther in Eisleben.
UNESCO-Weltkulturerbe – Park am Wörlitzer See
Auf schnellstem Wege fahren wir aus der Stadt über die Elbe und erreichen schon nach wenigen Kilometern Wörlitz. Es ist Zeit für eine kleine Mittagspause, einschließlich der damit verbundenen Stärkung. Ein mächtiges Eis mit Sahne oder eine Waffel mit heißen Kirschen und Sahne im Schatten von Bäumen
dürfen es schon sein. Erst danach kommen der kleine Verdauungsspaziergang zum Wörlitzer Schloss und eine Fahrt mit dem Motorrad durch den Park, soweit es die Parkordnung erlaubt. Der Park am Wörlitzer See – ein Seitenarm der Elbe – wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Landschafts-park nach englischem Vorbild angelegt. Schon damals konnte er von den Untertanen besichtigt werden. Seit 2000 ist er als Bestandteil des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches in das Verzeichnis des UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.
Natürlich reicht die wenige Zeit, die uns zur Verfügung steht, nicht aus, der Intention des Landschaftsparks, nämlich der Erbauung und der Erholung der Besucher zu dienen, gerecht zu werden, doch wir gewinnen immerhin einen Eindruck von der Schönheit dieser Parkanlage.
Untrennbare Verbundenheit – Dessau und das Bauhaus
Ehe wir den Rückweg Richtung Berlin antreten, statten wir dem nahen Dessau noch einen Besuch ab. Im Jahre 1213 wurde Dessau erstmals urkundlich erwähnt. An der Kreuzung von Handelsstraßen an Elbe und Mulde entstanden, entwickelte sich Dessau zur Handelsniederlassung. Dem wirtschaftlichen Aufschwung setzte der Dreißigjährige Krieg auch hier ein Ende.
Im 19. Jahrhundert setzte dann die Industrialisierung ein. Beispiele hierfür sind die Berlin-Anhaltinische Maschinenfabrik AG, die Dessauer Waggonfabrik und im 20. Jahrhundert die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke. Natürlich muss auch das Bauhaus-Areal erwähnt werden, denn die Stadt und der Bauhausstil sind untrennbar miteinander verbunden. Der Name Dessau steht allerdings nicht mehr alleine. Seit der Gebietsreform im Juli 2007 ist die Stadt Roßlau hinzugekommen, auf der anderen Seite der Elbe. Auf unserem Weg zurück statten wir der an der B187 stehenden Wasserburg Roßlau einen kurzen Besuch ab. Auf der L120 geht es dann über Mühlstedt, Thießen und Hundeluft – die Landluft war auch hier frei von Industrieabgasen – Richtung Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg. In Wiesenburg legen wir noch einmal einen Stopp ein und gönnen uns nach einem Blick über den wunderschönen Schlosspark noch eine Tasse Kaffee. Bad Belzig, Brück, Linthe und Kemnitz sind die nächsten Stationen auf dem Weg zurück zu unserem Ausgangspunkt in Dobbrikow. Bevor sich dann unsere Weg trennen und jeder nach Hause fährt, tauschen wir noch einmal unsere Meinungen über den Tag aus: Auch in Brandenburg und Sachsen-Anhalt kann man wunderschön Motorrad fahren. Es gibt zwar nicht so viele Kurven wie in den Alpen, aber auch hier haben Landschaft, Parks und historische Altstädte ihren Reiz.
Das Bauhaus in Dessau
Das Bauhaus verbindet man automatisch mit der Stadt Dessau, obwohl die Hochschule für Gestaltung von Walter Gropius im Jahre 1919 in Weimar gegründet wurde. 1924 musste die Hochschule Weimar aus politischen Gründen verlassen werden. Obwohl auch andere Städte für das Bauhaus Interesse gezeigt hatten, entschied man sich für Dessau als neuen Standort. Schon 1926 konnte das von Walter Gropius entworfene Hochschulgebäude eröffnet werden. Ziel des Bauhauses war es, das Leben, die Gesellschaft und
den Alltag neu zu denken und alte Zöpfe über Bord zu werfen. So wurde Dessau zu einer Bildungsstätte, in der sich insbesondere junge Menschen aus aller Welt in Kunst und Handwerk verwirklichen konnten. Neben Architektur wurden auch andere Wissenschaften in die Lehre aufgenommen und so entstand der Bauhausstil, der nicht nur die Architektur in den Mittelpunkt stellte, sondern auch Gegenstände des Alltags wie Stahlrohrmöbel oder sogar Aschenbecher neu gestaltete.
Weithin sichtbare Zeichen sind natürlich die Gebäude der Hochschule in Dessau, die Meisterhäuser, das Ateliergebäude, aber auch die Siedlung Dessau-Törten und das Arbeitsamt. 1932 wurde die Hochschule auf Beschluss der Stadtversammlung, in der die Nationalsozialisten die Mehrheit hatten, geschlossen. Im Jahre 1976 wurde das Bauhausgebäude durch die DDR denkmalgerecht rekonstruiert. Nach der Wende wurde 1994 die Stiftung Bauhaus Dessau gegründet, die das Bauhauserbe in Gestalt der Gebäude, der Sammlung von Gegenständen und Dokumenten erforscht und erhält. Seit 1996 gehören die Bauhausstätten in Weimar und Dessau zumUNESCO-Weltkulturerbe.
Eine Tour durch den Fläming, den durch die Eiszeiten gebildeten Höhenzug südwestlich Berlins, hat ihren besonderen Reiz. Die historisch gewachsene Kulturlandschaft einerseits und die kulturhistorisch bedeutsamen Städte wie Wittenberg und Dessau-Roßlau andererseits, laden zu einer interessanten Motorradtour ein.
Zahlreiche Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen sind in Berlin und Potsdam und deren Umfeld verfügbar.
Ausgangspunkt und gleichzeitig Endpunkt dieser Tour ist der kleine Ort Dobbrikow im Südwesten von Berlin. Dobbrikow erreicht man von Dresden über die A9 bzw. über die A10, dem südlichen Berliner Ring.
Da das Klima in Brandenburg relativ mild ist, lässt sich die Tour während der gesamten Motorradsaison fahren. Wir empfehlen jedoch den Zeitraum zwischen März und Oktober.
Im Fläming kann man einige Spezialitäten finden, die die Flamen während der Besiedlung im 12. und 13. Jahrhundert mitgebracht hatten. Der Klemmkuchen, ein waffelartiger Kuchen, ist die vielleicht bekannteste Spezialität. Im Raum Wittenberg ist der Speckkuchen weit verbreitet. Weitere Beispiele sind das Wittenberger Kuckucksbier, ein dunkles Bier, die Wittenberger Quarkkrempel oder das Lutherbrot.