Wie es im Leben so manches Mal passiert: Das Handy klingelt, man schaut auf das Display und staunt: +352... und ein paar weitere Zahlen. Ein bisschen misstrauisch nehme ich das Gespräch an und erkenne schon nach den ersten Worten, wer da anruft. Es ist Thomas aus Luxemburg, der schon ein paarmal mit uns unterwegs war. Noch während des Gesprächs über Gott und die Welt bringt er mich auf die Idee, Luxemburg einen Besuch abzustatten. Die Wettervorhersage verspricht viel
Sonnenschein bei mäßigen Temperaturen, also ideales Motorradwetter. Kurz entschlossen werden die Motorräder in den Anhänger verladen und schon geht die Reise los. Nach einem Zwischenstopp bei Eisenach erreichen wir Alzingen, wo uns Thomas bereits erwartet. Nach einer freundschaftlichen Umarmung beratschlagen wir dann bei einem Kaffee, was man in Luxemburg mit dem Motorrad so anstellen kann. Das Großherzogtum im Zentrum von West- und Mitteleuropa ist bekanntermaßen nicht besonders groß. Etwas mehr als zweieinhalb Tausend Quadratkilometer. Von den fast 615.000 Einwohnern sind – man lese und staune – fast 48 Prozent Nicht-Luxemburger. Es geht doch offensichtlich. Aber lange Vorrede, kurzer Sinn, wir entscheiden uns in Anbetracht der bevorstehenden Europawahlen für eine grenzenlose Tour durch ein bisschen Luxemburg und die umliegenden drei Länder. Es lohnt sich, die Anzahl der Grenzüberschreitungen mitzuzählen.
Moselabwärts
Am nächsten Morgen treffen wir uns am Tor des Campingplatzes in Alzingen, einem mittelgroßen Ort in der Gemeinde Hesperingen, sechs Kilometer südlich der Stadt Luxemburg. Die Sonne strahlt vom Himmel, doch es ist immer noch frisch. Was hilft gegen niedrige Temperaturen? Natürlich die richtige Kleidung und Bewegung. Also rauf auf die Moppeds und los. Auf den ersten Kilometern lassen wir es langsam angehen, Reifen, Motoren und wir Fahrer wollen erst einmal warm gefahren werden. Hassel, Dalheim und Remich heißen die Orte, die wir auf dem Weg Richtung Osten durchfahren. Remich liegt am westlichen Ufer der Mosel, die hier die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Luxemburg bildet. Und ehe wir uns versehen, sind wir auf der deutschen Seite. Nur die anders gestalteten Ortsschilder verraten uns, dass wir in einem anderen Land sind. Wir fahren ein Stück moselabwärts, ehe wir den schiffbaren Fluss durch drei Länder verlassen, um über die mehr oder weniger sanften Berge entlang der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und dem Saarland zu surfen.
Überquerung der Saar
Auf zum Teil schmalen, aber gut ausgebauten Straßen passieren wir die Orte Kreuzweiler, Dilmar, Südlingen, Dittlingen, Kirf und Freudenburg, ehe wir hinunter zur Saar rollen. Die Saar hat sich ebenso wie die Mosel ihren Weg im Laufe der Jahrhunderte in die Mittelgebirgslandschaft gegraben. Bevor die Saar die Stadt Serrig erreicht, wechseln wir bei der Schiffsschleuse Serrig auf die andere Saarseite. Auch die Saar ist schiffbar und dient als Transportweg vor allem für Massengüter. Auf der B51 unmittelbar am Fluss entlang folgen wir der Saar nun ein Stück flussaufwärts bis nach Mettlach. Mit etwas gemischten Gefühlen fahren wir dabei an einem Hartsteinwerk vorbei, das wie eine offene Wunde an der Flanke des Berges wirkt. Unser Ziel ist die Saarschleife zwischen Mettlach und Besseringen. Der Eisenbahn hat man zwischen diesen beiden Orten einen Tunnel gegraben, die Straße führt über den Berg. Der Fluss aber hat einen Umweg nehmen müssen und dabei ist die sehenswerte Saarschleife entstanden. Die Tourismusindustrie hat sich dies zunutze gemacht und oberhalb der Saarschleife bei Orscholz nicht nur eine riesige Aussichtsplattform, die weithin sichtbar ist, sondern so einiges mehr geschaffen. Dieser Aussichtspunkt zieht naturgemäß tausende Touristen an. Da wir keinen langen Fußmarsch dorthin auf uns nehmen wollten, haben wir einen anderen Weg an die Saarschleife gewählt.
Vielfach-Grenzüberquerung
Von Besseringen aus überqueren wir die Saar und fahren von Schwemlingen aus auf einer schmalen Straße unmittelbar an der Saar entlang, bis es nicht mehr weitergeht. Hier ist es ruhig und idyllisch, eine kleine Personenfähre setzt Wanderer auf die andere Saarseite und im Gastgarten des „Fährhaus Saarschleife“ kann man sich stärken und gleichzeitig den Fluss auf seinem Weg um den Bergrücken mit der Burg Montclair betrachten. Unsere Vierländer-Tour geht weiter. Wir fahren zurück nach Schwemlingen und dann über Büdingen nach Waldwisse. Unsere Navis sagen uns noch vor Waldwisse: Auf Landstraßen generell nur noch 80 km/h. Wir sind in Frankreich angelangt. Über Launstroff und Manderen – das über dem Ort thronende und durchaus geschichtsträchtige Château de Malbrouck haben wir rechts liegen lassen – fahren wir hinunter an die Mosel nach Apach. Nun ist Länderhopping angesagt: Von Apach (Frankreich) nach Perl (Deutschland) ist es nur ein Katzensprung und nach der Überquerung der Moselbrücke sind wir in Schengen (Luxemburg). Kein Schild, keine Grenzpolizei, kein Schlagbaum, nichts hält uns auf. Eben Schengen, die Schengenabkommen, die uns ungehindert von einem Land des Schengenraumes in das andere reisen lassen. Dabei ist Schengen ursprünglich ein kleines Winzerdorf an der Luxemburgischen Weinstraße und hat seine Bekanntheit erst durch die Schengenabkommen erhalten. Ein Europäisches Dokumentationszentrum am Moselufer, ein Platz mit Flaggen und Stelen machen auf die Bedeutung des Ortes aufmerksam.
Die Schengener Abkommen
Bereits am 14. Juni 1985 wurde das erste Schengener Übereinkommen (Schengen I) zwischen den fünf Mitgliedsstaaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande und Luxemburg unterzeichnet. Es sollte vor allem den europäischen Binnenmarkt fördern. Als Ort wählte man das Dreiländereck zwischen den BeNeLux-Staaten sowie Deutschland und Frankreich, genauer gesagt, das Fahrgastschiff „Princesse Marie-Astrid“ auf der Mosel in der Nähe der Ortschaften Schengen (Luxemburg), Perl (Deutschland) und Apach (Frankreich). Die Schengener Abkommen sind also mehr als nur der Wegfall der Personenkontrollen an den jeweiligen Ländergrenzen innerhalb des Schengenraumes, dem alle Staaten der Europäischen Union außer Großbritannien und Irland angehören. Ebenfalls dazu gehören die assoziierten Länder Island, Norwegen und die Schweiz. Der Wegfall der Grenzkontrollen begann am 26. März 1995 mit den Unterzeichnerstaaten des ersten Schengener Übereinkommens sowie Spanien und Portugal. Die anderen Staaten kamen dann nach und nach durch Beitritt zum Abkommen bzw. durch Beitritt zur Europäischen Union hinzu. Aufgrund von besonderen Ereignissen wie der Flüchtlingskrise in Europa im Jahre 2015 wurden Grenzkontrollen in einigen Staaten vorübergehend wieder eingeführt.
Zurück in Frankreich
Wir fahren weiter an der Mosel entlang und sind nur wenige Kilometer weiter wieder in Frankreich angekommen. Bis Berg-sur-Moselle bleiben wir in der Nähe der Mosel, ehe uns die mächtigen Kühltürme des Atomkraftwerks von Cattenom ins Auge stechen. Frankreichs Stromversorgung erfolgt zu einem nicht unerheblichen Teil durch Atomenergie. Die Sicherheit gerade dieses Kraftwerks ist umstritten, da es immer wieder zu Störfällen kommt. Dazu kommt die Lage in unmittelbarer Nähe zum Saarland, zu Luxemburg und Belgien. In flotter Fahrt bringen wir einige Kilometer Distanz zwischen uns und die Atommeiler, rollen nördlich von Thionville (zu Deutsch: Diedenhofen) nach Westen. Hettange-Grande, Angevillers, Aumetz, Fillières und Ville-au-Montois heißen die Ortschaften, die wir auf kleinen Straßen passieren. Der Anblick der Windräder nährt die Hoffnung, dass man auch hier die Zeichen der Zeit erkannt hat, dass man Strom auch mithilfe von Windenergie erzeugen kann. Die Landschaft ist inzwischen hügeliger geworden und wir wechseln die Fahrtrichtung. Es geht nach Norden. Bei Cons-la-Grandville treffen wir auf das kleine Flüsschen Chiers, an dessen Ufer das Château de Cons-la-Grandville mit seinen mächtigen Mauern steht. Das Schloss gilt als eines der schönsten Renaissance-Bauwerke Lothringens, das im 16. Jahrhundert auf der Basis einer Burg aus dem 11. Jahrhundert errichtet wurde. Gleich dahinter, ein bisschen versteckt, liegt die katholische Kirche „Eglise Saint-Hubert“.
Durch Belgien zurück nach Luxemburg
Weiter geht die Fahrt nach Norden. Gleich nach dem Ortsausgang von Gorcy überschreiten bzw. überfahren wir die nächste unsichtbare Grenze, die zwischen Frankreich und Belgien. Auch hier realisieren wir erst in der Ortschaft Baranzy, dass wir in der wallonischen Region sind, genauer gesagt, in der Provinz Luxemburg. Hier wird Wallonisch gesprochen, wie uns Thomas erklärt. Und er meint, dass die „richtigen“ Luxemburger kein Problem damit haben, dass es im Nachbarland eine Provinz mit gleichem Namen gibt. In einer anderen Region Europas gab es da mehr Probleme. Über Willancourt fahren wir auf schmalen Straßen bis nach Meix-le-Tige, wo wir dann Richtung Osten abbiegen. In zügiger Fahrt – in Belgien dürfen wir ja wieder 90 Stundenkilometer fahren – und immer noch auf Nebenstraßen erreichen wir kurz hinter Messancy erneut Luxemburg. Einige Kilometer genießen wir noch die Fahrt durch offene Landschaft, ehe wir bei Mamer auf größere Ansiedlungen treffen.
Obwohl wir an diesem Tag gerne noch einen Abstecher in die Stadt Luxemburg gemacht hätten, um uns dort einige der zahlreichen Sehenswürdigkeiten anzusehen, rät uns Thomas dringend davon ab. Es ist fünf Uhr, „rush hour“! Selbst mit unseren Motorrädern würden wir wegen der vielen Baustellen nur im Stau stehen. Die Sightseeing-Tour sollten wir doch lieber mit öffentlichen Verkehrsmitteln machen, vielleicht am nächsten Tag. Gesagt, getan, aber das ist dann eine neue Geschichte. Auf kürzestem Wege geleitet uns Thomas zurück zum Ausgangspunkt der „grenzenlosen“ Tour von Luxemburg nach Luxemburg. Bei einem Kaffee lassen wir den Tag noch einmal Revue passieren: Eine Tour durch vier Länder ohne Schlagbäume, durch wunderschöne und eindrucksvolle Landschaften, eine Tour, die richtig Spaß gemacht und uns gleichzeitig ein Stück Europa nähergebracht hat. Ach so, habt ihr die Anzahl der Grenzübertritte mitgezählt? Es waren sieben auf einen Streich – also an einem Tag.
Das Großherzogtum Luxemburg als Ausgangspunkt für eine Tour durch vier Länder der Europäischen Union zu wählen, liegt eigentlich nahe, denn Belgien, Frankreich und Deutschland umschließen den kleinsten Staat der EU – sieht man einmal von dem Inselstaat Malta ab. Von Luxemburg aus kann man sich sowohl die Vielfalt der luxemburgischen Landschaft als auch der Nachbarländer erschließen. Dass man auf diesem Routenvorschlag sozusagen „barrierefrei“ von einem Land in das andere wechseln kann, erhöht den Reiz noch einmal mehr.
Das Land Luxemburg hat einen eher ländlichen Charakter. Lediglich die Hauptstadt und die unmittelbar umliegenden Städte bilden das einzige Ballungszentrum des Landes. Die angrenzenden Regionen in den Nachbarländern im Südosten des Landes wiederum sind geprägt von den sich durch die Mittelgebirgslandschaft windenden Flussläufen von Mosel und Saar. Hier finden sich abseits der Hauptverkehrswege kleinere und schmale Nebenstraßen, die sich in einem munteren Auf und Ab kurvenreich so durch die Felder und Wälder schlängeln, dass das Motorradfahrerherz lacht.
Von Norden kommend nutzt man die A1 sowie die A602 und A64, aus südlicher Richtung die A8, von Osten die A6 und A8.
Die Tour kann von April bis Oktober unter die Räder genommen werden.
Die luxemburgische Küche ist einfach und eng mit den geografischen Bedingungen und der ländlichen Lebensweise in der Vergangenheit verbunden. Zwar hat die internationale Küche ebenfalls ihren Einfluss entfaltet, doch die traditionelle und deftige Küche hat wieder ihren Platz auf den Speisekarten gefunden. „Judd mat Gaardevounen“ (Schweinenacken mit Saubohnen) und „Trälpen“ (gebratene Blutwurst) mit Apfelkompott sind nur zwei Beispiele. Dazu gibt es trockene, sortenreine Weißweine von der Luxemburger Mosel.