Böse Zungen behaupten, bei Harley-Davidson werkeln vorwiegend Denkmalpfleger. Dass dem keineswegs so ist, wissen wir nicht erst seit der Lancierung der neuen Softail-Modellreihe.
Gewisse Modelle dieser Baureihe sind zwar weiterhin den erfolgreichen Bikes von einst nachempfunden (z. B. Heritage Classic, Deluxe, Street Bob), mit anderen, ganz speziell mit der Fat Bob, signalisiert die US-Marke den Aufbruch in eine neue Ära. Und mit der rundum neuen FXDR 114, dem 10. Modell der aktuellen Softail-Palette, legt die Traditionsmarke diesbezüglich jetzt noch eins drauf.
Anlehnung an die V-Rod
Durch den aggressiven Dragster-Look hebt sich die FXDR 114 auf den ersten Blick von ihren Schwestermodellen ab. Minimale Lampenmaske, tiefe Sitzkuhle und kurzes Heck wecken Erinnerungen an die unlängst aus dem Sortiment gekippte V-Rod, das 2002 lancierte, erste echte H-D-Muscle-Bike, deren wassergekühltes V2-Aggregat in Zusammenarbeit mit Porsche entwickelt wurde. Selbst die unauffällig gezeichneten seitlichen Kühlerverkleidungen sind diesem bisher stärksten Bike der Marke nachempfunden. Ein ganz besonderer Eyecatcher ist zudem der dünne Kunststoff-Spritzschutz, der scheinbar ohne Halterung knapp über den ultrabreiten Hinterreifen zu schweben scheint. Sportliche Akzente setzen zudem der weit abstehende Lufteinlass sowie die kurze 2-in1-Auspuffanlage auf der rechten Seite.
Ausgabe 89/2018 von Motorrad & Reisen als PDF mit folgendem Inhalt:
Motorräder: BMW R 1250 GS, 3.000 Kilometer Tourentest: KTM 1090 Adventure R, BMW R 1250 RT, Harley-Davidson FXDR 114, Benelli Leoncino, Ducati Scrambler Icon
Touren: Motorradkreuzfahrt: An der kroatischen Adriaküste, Deutschland, Tschechien, Polen: Dreiländereck, Ostseeküste, Reisetagebuch:mehr Jakobsweg
Motorräder: BMW R 1250 GS, 3.000 Kilometer Tourentest: KTM 1090 Adventure R, BMW R 1250 RT, Harley-Davidson FXDR 114, Benelli Leoncino, Ducati Scrambler Icon
Touren: Motorradkreuzfahrt: An der kroatischen Adriaküste, Deutschland, Tschechien, Polen: Dreiländereck, Ostseeküste, Reisetagebuch: Jakobsweg<mehr/span>
Preis: 3,90 €
Radikale Sitzposition
Irgendwie ist das Ganze zunächst schon Respekt einflößend, und dieser Eindruck wird mit der ersten Sitzprobe kaum geringer. Die tiefe Sitzkuhle, die bei Powersprints ein Zurückrutschen verhindern soll, und die weit vorne positionierten Lenkerhälften und Fußrasten zwingen dem Fahrer eine gewöhnungsbedürftige, klappmesserartige Haltung auf. Durch die den wettbewerbsmäßigen Drag-Bikes nachempfundene Airbox muss zudem das rechte Bein weit abgespreizt werden. Was vor dem Eiscafé für bewundernde Blicke sorgen mag, ist auf Dauer nicht wirklich bequem. Ganz zu schweigen von der Sitzposition des Hinterbänklers, dessen Utensilien (Sozius-Sitzpolster und -Rasten) nicht im Lieferumfang enthalten sind und bei Bedarf als Option geordert werden müssen. Offensichtlich ist Harley-Davidson nun erstmals ernsthaft bestrebt, das Gewicht nicht ins Uferlose abdriften zu lassen. Die FXDR 114 ist die erste Softail mit Aluschwinge, und dieses Teil soll gegenüber der konventionellen Hinterradführung aus Stahl eine Gewichtsreduktion von 43 Prozent bewirken. Auch der kurze Heckrahmen ist aus Leichtmetall gefertigt. Doch weil sich die Abmagerungskur vorwiegend auf diese Teile beschränkt, stemmt der Dragster im fahrbereiten Zustand dennoch stolze 303 Kilogramm auf die Waage. Damit reiht er sich diesbezüglich im Mittelfeld seiner Softail-Geschwister ein.
Sportliche Fahrwerkskomponenten
Der Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen in Backbone-Bauweise ist weitgehend identisch mit demjenigen der anderen Softails. Die Upside-down-Gabel, die vordere Doppelscheibenbremse (ø 300 mm) und das bequem per Handrad einstellbare hintere Federbein aus der Fat Bob entsprechen dem sportlichen Charakter. Im Gegensatz zum Hinterreifen im Vollfett-Format 240/40-18 fällt die vordere Bereifung mit 120/70-19 weit weniger radikal aus. Den Anspruch als reinrassiger Dragster untermauert Harley-Davidson mit dem 1.868 ccm großen 114er-Milwaukee-Eight, welcher, unterstützt von der großen Airbox und dem kurzen Schalldämpfer, akustisch die passende Soundkulisse abliefert.
Kraftvoller Vortrieb
Solchermaßen aufgepeppt drückt er 160 statt „nur” 155 Newtonmeter Drehmoment auf die Kurbelwelle. Die maximale Leistung von 91 PS erreicht er bereits bei 4.500 U/min. Knapp über Standgas schiebt das Drehmomentmonster die schwere Fuhre kraftvoll an. Am wohlsten fühlt sich der Powertrain im Bereich von 1.300 bis 3.300 U/min. Unterhalb dieser Marke ruckelt er ein wenig und im obersten Bereich legt er nicht mehr gleichermaßen stark an Leistung zu – ganz im Gegensatz zu den Vibrationen. Unterwegs mit rund 2.500 U/min liegt die geladene Flinte schussbereit im Anschlag. Wenn aus dieser Drehzahl die Drosselklappen voll auf Durchzug gestellt werden, geht's wirklich ab wie die sprichwörtliche Kanonenkugel, wobei die kurze Rückenlehne am Sitzpolster nun ihre hilfreiche Funktion untermauert. Weil das Power-Bike ohne Traktionskontrolle auskommen muss, ist permanent eine äußerst gefühlvolle Gashand gefordert. Eine Anti-Hopping-Kupplung ist ein weiteres wünschenswertes Feature, insbesondere wegen des ausgeprägten Motorbremsmoments.
Kurventauglicher Cruiser
Die FXDR 114 kann jedoch nicht nur geradeaus: Trotz stattlichem Gewicht und nicht unbedingt agilitätsfördernder Reifenpaarung kurvt sie überraschend flott, stabil und zielsicher durch lang gezogene Bögen. Selbst engere Wechselkurven meistert sie erstaunlich souverän, mit akzeptablen Lenkimpulsen und Kraftaufwand. Dazu kommt, dass die FXDR mit der größten Schräglagenfreiheit aller Bikes von Harley-Davidson aufwartet. Ein agiles Sportbike ist der Dragster dennoch bei Weitem nicht. In ganz engen Bögen wird die Diskrepanz zwischen monströsem Hinterrad-Gummi und schlankem 120er Vorderreifen spürbar. Um Spitzkehren mit diesem Brocken sauber und flott zu umrunden, muss möglichst weit ausgeholt, vorausgeschaut und der kurveninnere Lenkerstummel permanent kräftig unter Druck gehalten werden. Das Leistungspotential der Bremsen entspricht den Anforderungen des 45-Grad-V2. Die vordere Doppelscheibenanlage spricht sauber an, sie lässt sich gut dosieren und überzeugt mit kraftvoller, progressiver Wirkung.
Zurückhaltende Ausstattung
Dem muskelbepackten Macho-Image entsprechend ist die Ausstattung äußerst minimalistisch. Das winzige Display zeigt alles Notwendige, mehr nicht. Scheinwerfer, Rücklicht und Blinker sind in LED-Lichttechnik ausgeführt. Letztere, wie üblich bei Harley-Davidson, mit automatischer Rückstellung. Motormodi, Traktionskontrolle, Tempomat, Griffheizung – Fehlanzeige. Einzig ABS ist an Bord. Dennoch ist die FXDR 114 die teuerste im aktuellen Softail-Sortiment. 24.595,-- Euro sind für die glänzend schwarze Vivid Black fällig, die Farbversionen kosten 350,-- Euro mehr. Nichtsdestotrotz: Als erstes 2019er-Modell der Marke begeistert die Neue nebst den fahrerischen Qualitäten insbesondere mit ihrem einzigartigen Dragster-Look sowie mit der gewohnt tollen Verarbeitung und Lackierung.