
Kontroverse Formgespräche dank besonderem Aufreger
KTM-üblich tritt auch die 1290 Super Adventure R im gewohnt markigen Rallye-Look an, den das Designbüro Kiska für sämtliche KTM-Modelle seit Mitte der 1990er-Jahre diktiert. Für 2017 haben sich die Designer einen besonderen Aufreger ausgedacht, der alle neuen 1290er-Modelle zum Mittelpunkt kontroverser Formengespräche macht: Die Leuchteneinheit ist in der Mitte senkrecht geteilt, beherbergt zwei große LED-Leuchtelemente mit flankierenden LED-Tagfahrlichtstreifen und drei weiteren LED-Segmenten im unteren Bereich, die das adaptive Kurvenlicht bereitstellen. Ein zentraler Leichtmetallträger gibt dem Ensemble nicht nur Halt, sondern fungiert zugleich als Kühlkörper. 
Das Zündschloss weicht, ein Transponder kommt
So polarisierend diese Optik schon bei der Vorstellung auf der Mailänder Messe im November letzten Jahres wirkte – aufgesessen merkt man nichts mehr davon.Soll’s dann losgehen, macht sich die nächste Neuerung bemerkbar: Die 1290er hat kein herkömmliches Zündschloss mehr, vielmehr muss der Pilot einen Transponder mit sich führen. Befindet sich der Fahrer in maximal zwei Metern Entfernung, wird zuerst eine Aktivitätstaste gedrückt, anschließend kann der flüssigkeitsgekühlte 75-Grad-V über den Starterknopf angelassen werden. Gegenüber der Vorgängerin hat das Aggregat bei Hubraum, Leistung und Drehmoment kräftig zugelegt: Aus 1.301 Kubikzentimetern Hubraum legt der V trotz Euro-4-Eignung bei 160 PS zehn Pferdchen drauf und liefert 15 Newtonmeter mehr Drehmoment bei einem Maximum von 140 Nm ab. So viel Druck verlangt geradezu nach elektronischen Fesseln, deshalb verfügt die 1290 Super Adventure R über die bekannte Fahrmodus-Technologie der Schwester S mit den Betriebsarten „Sport“, „Street“, „Rain“ und „Off“, hier serienmäßig um das „Offroad-Paket“ ergänzt: Im entsprechenden Modus agiert das Triebwerk mit sanftem Ansprechen bei maximal 100 PS wie im Rain-Betrieb, hinzu kommen auf den Geländebetrieb abgestimmte Voreinstellungen für das ABS und die Traktionskontrolle.

Klassische Speichenräder für die Geländetauglichkeit
Für die gewünschte Geländetauglichkeit haben die Produktmanager der „R“ eine zweckmäßige Ausstattung mit auf den steinigen Weg gegeben, die als wichtigste Zutat klassische Speichenräder in der typischen Enduroreifen-Dimensionierung umfasst. Vorn mit ebenso großem wie schmalem 90/90-21-Zoll-Rad und entsprechendem 150/70-18-Pneu hinten, eine Dimensionierung, die sämtliche Wünsche bei der Bereifung bis hin zu maximal grobstolligen Reifen möglich macht. Von Haus aus ist eine Kontrolleinrichtung an Bord, die bei Druckverlust vor einem platten Reifen warnt. Nicht minder wichtig für unwegsames Terrain sind je 220 Millimeter Federweg, die eine 48er-Gabel und das direkt angelenkte PDS-Zentralfederbein aus dem firmeneigenen Hause WP bereitstellen – beides selbstverständlich komplett einstellbar. Anders als bei dem mit einem semiaktiven Dämpfungssystem versehenen Reisedampfer Super Adventure S darf der Abenteurer hier zur Justage noch selbst Hand anlegen.
Die hohen Ambitionen verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes die nicht einstellbare Sitzhöhe von stolzen 890 Millimetern. Mannsbilder mit Gardemaß sind hier eindeutig im Vorteil, Fahrer unter 170 cm Körpergröße werden sich kaum auf die R trauen. In jedem Falle sollte man sich den Untergrund gut anschauen, bevor man anhält. Daraus resultieren satte 250 Millimeter Bodenfreiheit, mit denen es prima über Stock und Stein geht. Besonders leichtfüßig oder gar leichtgewichtig ist das Offroad-Leistungsmonster aber nicht: Die praxisgerechte Ausstattung mit serienmäßigen selbstverständlich orangefarbenen mächtigen Motorschutzbügeln und Hauptständer, aber auch die etwas schwereren Speichenräder lassen das fahrfertige und vollgetankte Gewicht auf 245 Kilogramm steigen. Kein Spaß, wenn man das Ding aus dem Sand buddeln oder einfach nur aufheben muss. Beim Fahren sieht das glücklicherweise ganz anders aus: Die einteilig und fast stufenlos ausgeführte Sitzbank bietet im Gelände eine sehr gute Bewegungsfreiheit mit sauberem Knieschluss und gutem Kontakt zum Motorrad. Auf den kräftigen Endurorasten ruhen die Stiefel sicher, die breite Lenkstange steuert ein gutes Offroad-Lenkgefühl bei.

Als unerschöpflicher Quell der Offroad-Freude erweist sich der potente 75-Grad-V: Exakt kontrollierbar und trotz Reduzierung der Maximalleistung im Offroad-Modus spricht er sanft an und begeistert mit seinem souveränen Charakter. Niedrige Drehzahlen um 2.000 Touren toleriert er klaglos und dreht sodann fröhlich in höhere Drehzahlregionen, für gewaltigen Druck von unten und schaltfaules Fahren sorgen schon bei 2.500 U/min anliegende 108 Nm. Wer im sandigen Geläuf mehr verlangt, kann dies auf Knopfdruck über die Moduswahl tun: Bei „Street“ geht der mächtige Triebling spürbar spontaner ans Gas und lässt sämtliche 160 Pferdchen galoppieren. Neue Ansaugresonatoren machen die Leistungsentfaltung noch kultivierter und filtern außerdem eventuell eintretendes Wasser aus der Ansaugluft. Mit seinem extrem breiten nutzbaren Drehzahlband und der berechenbaren, sehr linearen Kraftentfaltung erfüllt der Kraftprotz praktisch jeden Fahrerwunsch und macht das Fahren im Gelände leicht – wird der Untergrund weich, hilft ein beherzter Zug am elektronisch übersetzten Kabel und schon stabilisiert sich die Fuhre.

Contis als Erstausstattung
Für die erste Probefahrt in der peruanischen Wüste haben die Österreicher den bewährten Conti TKC 80 aufgezogen, der auf nahezu allen Untergründen mit ausreichender Traktion funktioniert. Selbst auf Asphalt macht der Grobstoller noch eine passable Figur. Hierzulande rollt die Super Adventure R jedoch auf Continental Trail Attack II vom Hof des KTM-Händlers.
Dem Fahrwerk waren keine Schwächen zu entlocken
Geschmeidige Drifts im Sand oder leichte Sprünge an den Geröllabsätzen – das mit härteren Gabelfedern serienmäßig für Gelände konzipierte WP-Fahrwerk macht schon in der Grundabstimmung alles locker mit. Bei mehr Zuladung oder einem schwereren Fahrer ist die Federbeinvorspannung des progressiv wirkenden PDS-Federbeins praktisch per Handrad justierbar. Von den mannigfaltigen Herausforderungen waren nur schnell aufeinanderfolgende harte Wellen von der USD-Gabel nicht so schnell zu verarbeiten, ansonsten ließ sich dem Fahrwerk keine echte Schwachstelle entlocken. Bei steilen Abfahrten im losen Geröll oder auf Sand, die bei fast fünf Zentnern eine echte Aufgabe darstellen, helfen das Offroad-ABS und die ungiftigen Stopper. Während im Offroad-Modus die Antiblockierfunktion am Vorderrad spät nach eigens auf den Geländebetrieb abgestimmten Parametern regelt, lässt sich das Hinterrad blockieren. Allerdings greift der Heckstopper so giftig zu, dass der Motor ohne Kupplungshilfe schnell mal abgewürgt ist. Auf der anderen Seite gestattet die Traktionskontrolle im Offroad-Modus bis zu 100 Prozent Schlupf am Hinterrad für kontrollierte Slides, aber auch für den benötigten Zug am Hinterrad auf sandigen Steilauffahrten.
Bei den weichen Faktoren, also der Ausstattung, hat das Flaggschiff deutlich zugelegt. Allem voran das neue TFT-Farbdisplay, das sich trotz der gnadenlos herabbrennenden Wüstensonne ausgezeichnet ablesen und bedienen lässt. Im Gegensatz zum barocken Menü der Vorgängerin erfolgt die Auswahl der Parameter deutlich logischer, klarer und dadurch schneller – und das bei den gleichen vier Lenkertasten wie bislang. Neu ist das wasserdichte Mobiltelefonfach mit USB-Buchse, das allerdings nicht zur Stromversorgung eines Navis herangezogen werden kann, da es keine Kabeldurchleitung bietet. Alternativ gibt es eine Bordsteckdose unterm Cockpit. Die kleine Verkleidungsscheibe ist nun achtfach per Rändelrad höhenverstellbar wie bei der Super Adventure S, allerdings ist der Windschutz alles andere als gut und die Bedienung sehr schwergängig.
