KTM pflegt seit nunmehr 30 Jahren seine Naked-Baureihe Duke.
Es begann – aus heutiger Sicht – 1994 noch ziemlich harmlos: Aus 609 Kubikzentimetern schöpfte die einzylindrige 620 Duke von KTM damals 50 PS. 30 Jahre später gibt es nun eine 1390 Super Duke Evo – mit 1.350 ccm, 190 PS und einem Zylinder mehr. Da sich zugleich das fahrfertige Leergewicht aber nur von 168 Kilo auf vergleichsweise bescheidene 212 Kilogramm erhöhte, ist der Ritt auf der Kanonenkugel programmiert.
Wahnsinn auf zwei Rädern
Machen wir’s kurz: Die aus der bisherigen 1290 Super Duke Evo weiterentwickelte 1390er ist der Wahnsinn auf zwei Rädern. Vernunftaspekte für einen Kauf lassen sich nicht ins Feld führen. In dieser Klasse ist die Super Duke allerdings auch nicht allein: BMW hatte bereits vor Jahresfrist mit der M 1000 R (199 Kilo) vorgelegt. Mit 157 kW/210 PS leistet ihr Vierzylinder-Reihenmotor sogar noch 20 Pferdestärken mehr als der Großkolben-V2 von KTM. Auch die Ducati Streetfighter V4 SP2 (1100 ccm, 153 kW/208 PS, 196,5 Kilo) mischt in diesem Extremsegment mit. Da das um 350 bzw. 250 Kubik größere Triebwerk aus Mattighofen über erheblich mehr Kraft (Drehmoment) verfügt, ergibt sich eine gefühlte Patt-Situation.
Testfahrt auf der Rennstrecke
Passend zu KTMs Markenclaim „Ready to Race“ setzten die Österreicher ihre Fahrpräsentation konsequenterweise auf der Rennstrecke „Circuito Almeria“ im Süden Andalusiens an, auch wenn das Bike dafür eigentlich nicht gebaut ist. Aber der Aufenthalt im fahrphysikalischen Grenzbereich ist ohne Gegenverkehr natürlich risikoloser. Auf dem technisch sehr anspruchsvollen Rundkurs brilliert die 1390 Super Duke sowohl in R-Version (ab 21.500,-- Euro, ohne semiaktive Fahrwerkskomponenten) genauso wie die noch höherwertiger ausgestattete und 2.000 Euro teurere Evo-Variante. Erwartungsgemäß zeigt sich, dass die KTM-Entwickler keine Kompromisse eingingen: Kurven- und Hochgeschwindigkeitsstabilität sind untadelig, das Abwinkeln für Kurven erfordert keine nennenswerten Kräfte. Selbst mit den Serienreifen – nagelneu entwickelten Michelin Power GP – fühlt sich noch die letzte Rille bestens verträglich an. Wer die vielen elektronischen Helferlein nicht einfach deaktiviert und allein auf sein Glück setzt, sondern feinfühlig an den Kontrollrädchen zu drehen weiß, wird von den 190 Gäulen nicht in Verlegenheit gebracht. Es ist selbst für erfahrene Motorradfahrer beeindruckend, wie brachial diese KTM selbst aus harmlos scheinenden mittleren Drehzahlen den eingespritzten Kraftstoff in Geschwindigkeit verwandelt.
Brembo und Bosch sorgen für Beherrschbarkeit
Doch nicht nur in puncto Geschwindigkeitszuwachs liegt die 1390er mit an der Spitze: Die Energievernichtung beherrscht sie ebenfalls perfekt und verzögert dank feinsten Brembo-Materials und Bosch-Technologie ebenso brachial. Sogar der maximal vom Fahrer gewünschte Winkel des bei Anbremsdrifts am Kurveneingang ausscherenden Hinterrads lässt sich in mehreren Stufen vorwählen. Die 1390 Super Duke Evo ist insofern nicht nur ein vor 30 Jahren vollkommen unvorstellbares Wunderwerk der Elektronik, sondern auch der Fahrzeugentwickler.
Zu zweit zur Eisdiele? – Lieber mit dem Scooter
Dass für den Fahrer – Damen am Lenker werden vermutlich rar sein – alles fein angerichtet ist, versteht sich von selbst: Die Ergonomie ist vorbildlich, die Bewegungsfreiheit rennstreckentauglich, TFT-Display sowie Einstellungsmenü und dessen Bedienung überzeugen. Ein Notsitz, mit Betonung auf der ersten Silbe, ist vorhanden, Eisdielen-Touren sind also nicht unmöglich, freilich erscheinen sie sinnlos. Nicht ausgeschlossen, dass es für solche Zwecke schon bald einen KTM Scooter gibt.
Fazit KTM 1390 Super Duke R (EVO)
Die KTM 1390 Super Duke ist – egal ob als R oder EVO – ein fantastisches Spielzeug. Ein Superlativ auf Rädern – vollendet, austariert und komplett individualisierbar. Vor dem fraglos im Übermaß vorhandenen Fahrspaß hat das Designstudio Kiska in Salzburg allerdings eine Gewissensprüfung gestellt. Sie lautet: Ist der neue, vollkommen ohne abdeckendes Glas auskommende Scheinwerfer der 1390 Super Duke a) unerträglich hässlich, b) zum aggressiven Motorradcharakter passend oder c) sogar einmalig toll? Wir bleiben die Antwort schuldig, gehören wir doch wegen unserer gesammelten Jahresringe nicht zur Kernzielgruppe. Vor den KTM-Mannen ziehen wir aber natürlich trotzdem mit maximalem Respekt vor dieser fabelhaften Motorradentwicklung den Hut.