Fangen wir – absolut ungewöhnlich – mit dem Fazit an: Wir sind uns ziemlich sicher, dass die eben erst auf Gran Canaria für den ersten Ein-Tages-Fahrtest zur Verfügung gestellte KTM 790 Duke am Ende der Saison 2018 in der Zulassungshitparade des Industrieverbandes Motorrad einen Platz in den Top Five belegen wird. Vor ihr werden nach unserer Einschätzung lediglich die BMW R 1200 GS (inklusive Adventure), die frisch überarbeitete Yamaha MT-07 und die erst in ihre zweite Saison gehende Kawasaki Z650 liegen; die beiden letztgenannten sind mit unter 7.000,-- Euro freilich in einer deutlich niedrigeren Preisklasse angesiedelt als die 9.790,-- Euro kostende 790 Duke. Die ist, gemessen an ihrer aufsehenerregenden Vollausstattung, freilich fast schon als Preiswunder anzusehen und zudem „made in Mattighofen“.
Familiäres Design
Wie es aussieht, haben die Österreicher bei ihrer Mittelklasse-Naked alles richtig gemacht. Doch zurück zum Anfang: Beim Drumherumgehen wirkt die 790er zierlich. Ihr an ein Insekt erinnernder LED-Scheinwerfer polarisiert, ganz wie von Kiska Design gewünscht. Man muss ihn nicht mögen, aber man kann an der Midsize-Duke dennoch Gefallen finden, denn die Sitzprobe sagt spontan „Ja! Sofort losfahren!“, egal ob mit gerade mal 1,70 Metern Körpergröße oder mit 1,90. Der schwarze, konifizierte Rohrlenker weist die ideale Breite und Kröpfung auf, das Verhältnis von Sitz, Rasten und Lenkergriffen werten wir (1,78 m, also Otto Normalmaß) als ideal getroffen. Auch das Spiegelbild überzeugt.
Anlassen. Der Reihen-Zweier mit einem Hubzapfenversatz von 75 Grad geriert sich akustisch als gefühlter V2-Motor. KTM bezeichnet ihn als den kompaktesten Zweizylinder seiner Klasse und unser Gefühl sagt, das könnte tatsächlich so sein. Mit einer Maximalleistung von 105 PS bei 9.000 Umdrehungen steht er sehr gut im Futter. Das maximale Drehmoment von 87 Newtonmetern liegt zwar erst tausend Umdrehungen unter Nenndrehzahl an, doch es zeigt sich schon bald, dass dies keinen wahrnehmbaren Nachteil bedeutet: Zwischen 5.500 und 9.500 Touren stehen mindestens 76 Nm zur Verfügung, sodass reichlich Druck im Kessel garantiert ist. Kommt man von ganz unten, beispielsweise mit 2.000 Umdrehungen im zweiten Gang aus einer Kehre, lässt sich die leichte Delle in der Drehmomentkurve zwischen 4.000 und 5.000 Touren erspüren, doch Verdruss darüber mochte angesichts der Drehfreude wie der Laufkultur des Triebwerks noch nicht mal ansatzweise aufkommen.
Um es klar zu sagen: Ein herrlicher Motor, zudem ausreichend sparsam. Wir zweifeln nicht, dass er sich mit 4,5 Litern begnügt, wenn man nicht allzu oft in den Hooligan-Modus abdriftet, wie sich das auf den fast schon orgiastischen Kurvenstrecken Gran Canarias mitunter nicht vermeiden ließ. Dass das Sound-Engineering ebenso gelungen ist, wie das Design des gebürsteten Edelstahl-Endtopfs sei nur der Vollständigkeit halber angefügt. Die „Skalpell“-Aussage von KTM ist natürlich nicht auf den Motor, sondern aufs Fahrverhalten gemünzt. Es überzeugt auch ohne diffizile Einstellmöglichkeiten an USD-Gabel und Federbein, beides von der Hausmarke WP bezogen und vorzüglich abgestimmt. Egal ob enge Kurven, weite Bögen, welliger Untergrund oder Flickenteppiche: Die 790 bleibt unerschütterlich auf Kurs, federt gut und dämpft gelassen, lässt sich sehr leicht einlenken und pfeilt exakt so durch verzwickte Kurvenkombinationen, wie ihr Fahrer sich das denkt. Dabei ist sie, man muss es wiederholen, mehr als nur ausreichend komfortabel.
Auch für weniger erfahrene Piloten geeignet
Dass sich die 790 Duke so einfach fahren lässt, liegt an ihrer Zugänglichkeit: Sie macht es nach unserer Einschätzung auch weniger erfahrenen Piloten leicht, mit ihr zurechtzukommen, und für Experten gibt es kaum ein Bike, auf dem sie schneller ihren Wohlfühl-Level erreichen. Wir haben ihre gute Fahrstabilität auf der Autobahn (freilich nur bis maximal 180 km/h) genauso zu schätzen gewusst wie auf einem kleinen Rennkurs, der verschärftes Angasen zugelassen hat. Die radial angeschlagene Frontbremse dürfte für ein breites Fahrerspektrum sehr gut handhabbar sein, Experten würden sie sich noch ein wenig bissiger wünschen. Aber es müssen ja schließlich auch noch Möglichkeiten für eine spätere R-Version bleiben …
Zur einfachen Zugänglichkeit gehört im Falle der 790 Duke ein ausgefeiltes Elektronik-Paket, das serienmäßig eingebaut wird: Das umfasst ein Kurven-ABS, das Supermoto-ABS, die dynamische Traktionskontrolle, mehrere gut nutzbare Fahrmodi, die Motorschleppmoment-Regelung, den sehr guten Zweiwege-Quickshifter, die Anti-Hopping-Kupplung und allerlei mehr. Selbst eine Launch-Control hat KTM integriert. Angenehmerweise sind die Eingriffe der Assistenzsysteme selbst bei engagiertem Fahren kaum spürbar; auch hier haben die KTM-Entwickler ausgezeichnete Arbeit geleistet. Zudem ist das mit 189 Kilogramm niedrige Gewicht ein echter Pluspunkt.
Optionen für ein Facelift werden offengehalten
Mit der 790 Duke will KTM offenbar einen breiten Kreis von Fahrerinnen und Fahrern ansprechen: Mittels einer Zubehörsitzbank sinkt die Serien-Sitzhöhe bei Bedarf von 825 auf 805 Millimeter, ein Tieferlegungs-Kit macht sogar 785 Millimeter möglich. Auch eine leistungsreduzierte 95-PS-Version ist lieferbar, die sich dann beim Händler problemlos auf A2-Niveau bringen lässt. In einem einzigen Punkt ruft die KTM 790 Duke unser Unverständnis hervor: Warum nur haben ihr die Entwickler angesichts der geballten Elektronik-Ausstattung nicht auch einen Warnblinker sowie selbstrückstellende Blinker mitgegeben? Klar, man braucht beides nicht zwingend zum Fahren. Aber einen Sicherheitsvorteil stellen beide Dinge dennoch dar. Mittlerweile wissen wir, dass das dafür nötige Elektronik-Modul nicht eingebaut ist. Dieser Sachverhalt bietet den Mannen um Entwicklungschef Gerald Matschl immerhin die Chance, bei der irgendwann fälligen ersten Modellüberarbeitung tätig zu werden. Ein Wort noch zum Cockpit: Auch die recht einfache Bedienbarkeit des im TFT-Display integrierten Bordcomputers trägt zur leichten Zugänglichkeit der 790 Duke bei. Die Menüstruktur ist mittlerweile auf einem guten Niveau angelangt, die Ablesbarkeit des Displays selbst gut, weil es übersichtlich und nicht überfrachtet ist. Natürlich ist auch die Connectivity-Möglichkeit (Smartphone-Integration) gegeben. Aus unserer Sicht überflüssigerweise: Denn wir kennen kaum ein anderes Motorrad, das unsere Sinne so sehr – positiv! – beansprucht hat wie die KTM 790 Duke.