Lange Zeit gab es für den Normalfahrer oder den Führerschein- A2-Inhaber keine Alternative, doch das ist mittlerweile vorbei: Kawasakis Versys-X 300 ist die erste Reiseenduro für das kleine Segment.
Bei den Reiseenduros herrscht seit einigen Jahren der Spruch „Je mehr, desto besser“, auf Amerikanisch klingt das mit „The Bigger, The Better“ noch knackiger. Doch manchem Fahrer ist das alles viel zu viel – zu viel Leistung, zu viel Gewicht, zu viel Drumherum. Lange Zeit gab es für den Normalfahrer oder den Führerschein- A2-Inhaber keine Alternative, doch das ist mittlerweile vorbei: Kawasakis Versys-X 300 ist die erste Reiseenduro für das kleine Segment.
Speziell für Europäer eine höhere Sitzbank
Dabei ist die Maschine ursprünglich nicht für uns gedacht, sondern für Südostasien, wo sie als Big Bike die Kawa-Palette mit anführt. Deshalb bekommt sie für den europäischen Markt eine höhere Sitzbank verpasst. Schon passen Proportionen und Abmessungen auch groß gewachsenen Europäern, sodass sich selbst diese auf ihr gut untergebracht fühlen. Lässige Kniewinkel und ein aufrechter Oberkörper vermitteln sogar richtige Tourentauglichkeit, die von der nicht einstellbaren Scheibe mit erstaunlich gutem Windschutz noch erhöht wird. Sehr lange Etappen werden mit der Versys-X aber die Ausnahme bleiben – die Sitzbank ist für verwöhnte europäische Hinterteile einfach zu hart gepolstert. Für einen innigen Kontakt zum Motorrad ist das indes nicht schlecht, auch die gute Fahrerintegration fördert das Vertrauen in die kleine Grüne.
Kritik muss sich jedoch der Komfort gefallen lassen, denn nicht nur auf pockennarbigem Untergrund agieren Gabel wie Federbein stuckerig und unangenehm hart Das zahlt die Baby-Reiseenduro mit agilem Benehmen zurück, erfrischend handlich, aber keineswegs nervös. Das liegt an der konservativen Auslegung des unkomplizierten, in jeder Hinsicht bewährten Fahrwerkskonzepts: Mittig gibt ein Rückgratrahmen aus Stahl Halt, die beiden Federelemente lassen allenfalls mittellange Federwege zu und die im Endurobereich üblichen Raddimensionen im Format 19 Zoll vorn und 17 Zoll hinten lassen die Kawa Kurven jeglicher Couleur angenehm handlich und lagestabil unter die Räder nehmen. Auch hohes Tempo – auf der Autobahn sind 155 km/h drin – meistert sie ohne Klagen. Kritik muss sich jedoch der Komfort gefallen lassen, denn nicht nur auf pockennarbigem Untergrund agieren Gabel wie Federbein stuckerig und unangenehm hart. Auch gibt es bessere Reifen als die aufgezogenen IRC-Pneus.
Extrakurze Endübersetzung mit unkompliziertem Charakter
Dafür kann der kleine Reihenzweizylinder mit überraschenden Manieren gefallen. Trotz des kleinen Hubraums von 296 Kubikzentimetern rollt der Vierventiler brav im sechsten Gang durchs Dorf und nimmt am Ende flüssig Fahrt auf. Das liegt an der extrakurzen Endübersetzung, die einen unkomplizierten Charakter mit leichtester Fahrbarkeit kombiniert – die ersten drei Gänge braucht es nur zum Anfahren, danach genügen die Stufen vier bis sechs für alle Lebenslagen. Wer engagiert durchs Winkelwerk pflügen möchte, kommt um satte Drehzahlen nicht herum. Bei 40 PS Maximalleistung und 11.500 Touren entwickelt der Zweizylinder seine Kraft sehr gleichförmig, bis 7.000 Touren richtig zaghaft. Darüber legt der Motor spürbar zu. Diese harmlose Charakteristik kann vor allem Neueinsteigern gefallen. Für diese sind auch die sehr zurückhaltend zupackenden Bremsen gemacht, was ganz nebenbei auch im losen Gelände Sinn ergibt. Auf Asphalt wünschen sich Erfahrene aber mehr Biss, so braucht es schon unsensible Handwerkerhände, um das Bosch-ABS zum Eingreifen zu zwingen.
Die im Endurobereich üblichen Raddimensionen lassen die Kawa Kurven angenehm handlich und lagestabil unter die Räder nehmen Zweckmäßig ist das richtige Wort, geht es um die Ausstattung. Die kleine Reiseenduro ist mit einem robusten Gepäckträger und großem 17-Liter-
Spritfass versehen, das Reichweiten weit über 300 Kilometer garantiert. Ein sehr großer Lenkeinschlag erlaubt das Durchwuseln selbst im dichtesten Verkehr, notfalls auch das Wenden auf einspurigen Straßen in einem Zug. Aber klar: Mit besonderen Highlights kann die Versys-X nicht aufwarten. Allerdings braucht sie das auch nicht, denn mit ihrer rundum unkomplizierten Natur rundet sie das Thema Reiseenduro glaubhaft nach unten ab – und das bei 5.795,-- Euro auch noch zu einem reellen Preis.