Customizing gehört bei Cruisern zum guten Ton. Lenkerendspiegel, aufwendig gefräste Räder, kleine LED-Blinker, Einzelsitzbank – alles schon mal gesehen auf der Menüliste der Individualisierung. Aber Sturzbügel von der Breite eines Bullenfängers? Oder eine Volieren-artige Gitterverkleidung für die linke Seite des Hinterrads? Das ist nach europäischen Maßstäben eher ungewöhnlich – nicht aber nach indischen. Dort müssen die Sturzbügel zur Not auch mal einen streunenden Hund zur Seite schieben. Und die Hinterradverkleidung soll verhindern, dass der Sari der Beifahrerin in die Speichen oder an die Kette gerät. Traditionell gewandete Frauen erklimmen den Soziusplatz in Indien nämlich im Damensitz; Bein über die Sitzbank schwingen ist nicht im knöchellangen Wickelkleid.
Kennzeichen vorn am Motorrad? Pflicht im Linksverkehrland Indien Willkommen in Rajasthan, genau genommen in Jaisalmer, unweit der Grenze zu Pakistan. Royal Enfield hat zum ersten internationalen „Press Ride“ mit der neuen Super Meteor 650 geladen. Erstmals findet so ein Event im Mutterland der indisch-britischen Marke statt. Und das bedeutet: in einer für Europäer fremdartig wirkenden Welt. Zwei-, dreimal am Tag donnern Militärjets über das riesige Wüstenareal. Weite Areale außerhalb der Städte sind Sperrgebiet. „Wenn ihr das Schild ‚Fotografieren verboten’ seht, haltet euch bitte unbedingt daran. Und keine Drohnen“, mahnt Stephen Cain, Royal Enfields PR-Manager für die EMEA-Region (Europa, Mittlerer Osten, Afrika). Deren Einsatz könne ob der Grenznähe ohne große Umwege im Gefängnis enden. Angesichts der 450 Kilometer, die vor uns liegen an zwei Fahrtagen, wäre das ein Riesenjammer.
Motorräder: Kawasaki Ninja ZX-4R – Vierzylinder-Supersportler, Weltweit streng limitiert – Harley-Davidson Anniversary-Modelle, Harley-Davidson Nightster Special 2023, Harley-Davidson Breakout 117 Fahrtests: Suzuki V-Strom 1050 & 1050DE – Adventure-Klassiker, Royal Enfield Super Meteor 650 – Das gewisse Etwas Touren & Reisen: Nordschwarzwald:mehr das unbekannte Zabergäu; Hardalpitour – Von Pavia nach Sanremo Tests & Zubehör: Schuberth S3: Sport-Tourenhelm mit ECE 22.06, Motorradstiefel: TCX Blend 2 WP, Textilhose: Modeka Taran, Marktübersicht: Bluetooth-/Mesh-Kommunikationsgeräte Magazin: Führerscheinrichtlinie – Mit B196 quer durch Europa?, die Yamaha XT 500 Story, Dolomiten – Motorradeldorado vor dem Aus, Motorradvermessung – Krumme Dinger
Preis: 5,90 €
Rückkehr eines legendären Modellnamens
Novum bei Royal Enfield: ein Voll-LED-Scheinwerfer. Im Bundesstaat Rajasthan die absolute Ausnahme Mit der Super Meteor 650 beschert Royal Enfield dem Erfolgsmodell Meteor 350 eine große Schwester. Und belebt einen legendären Namen wieder: Von 1956 bis 1962 gab es die Super Meteor 700. Als erste Enfield knackte sie die Geschwindigkeitsmarke von 161 km/h und hatte ein speziell auf sie zugeschnittenes Gepäckset. Beides kann auch die neue Super Meteor 650 bieten, „das Premiumbike der Marke“, so Marketingchef Adrian Sellers. Piekfeines Finish, Bedienelemente aus Aluminium, dazu ein neues Logo aus alten Tagen am Tropfentank und erstmals bei Royal Enfield Voll-LED-Scheinwerfer und Gussräder. „Wir haben unser ganzes Herz in dieses Bike gesteckt – und sehr viel Feinarbeit. Es ist ein Motorrad von Motorradfahrern für Motorradfahrer“, schwärmt Siddhartha Lal, Managing Director von Konzernmutter Eicher Motors Ltd. und Kopf von Royal Enfield.
Der charismatische Lockenkopf und designierte Konzernerbe begleitet den zweiten Fahrtag, selbstverständlich komplett in hauseigener Fahrermontur. Das gut aufgestellte Zubehörgeschäft – „Genuine Motorcycle Accessory Business“, kurz GMA – ist ein weiterer Baustein des Erfolgs. Mit mehr als einer Million Bikes pro Jahr ist Royal Enfield der größte Hersteller motorisierter Zweiräder über 250 Kubikzentimeter. „The Sid“ hat sichtlich Freude an seinem jüngsten Baby. Man glaubt ihm die Begeisterung. Biker lügen nicht.
Neuer Super Cruiser? Royal Enfield Super Meteor 650 im Test
Neuer Premiumanspruch von Royal Enfield Royal Enfield strebt ins Premiumsegment. Klingt komisch? Nicht, wenn man die Super Meteor 650 gefahren ist. Der neue Cruiser verbindet lässiges Gleiten mit dem guten Gefühl, ein wirklich schönes und sauber verarbeitetes Motorrad zu bewegen. Eines, das es in der umkämpften Mittelklasse so bislang nicht gab. Und jede Wette: Diese Royal Enfield wird neue Kunden für die Marke begeistern. Der britisch-indische Volumenhersteller hat in den vergangenen Jahren mächtig dazugelernt – und steht wie kein anderer Motorradbauer für eine entspannte Art des Fahrens. Satter Sound, schöne Optik, geringe Tankkosten – Royal Enfield mischt britische Coolness mit indischer Gelassenheit. Das Ergebnis ist ein klares Bekenntnis zu zeitlosen Motorrädern. Die nächsten hat Siddarthas Mannschaft bereits in der Pipeline. „Da kommt noch einiges in nächster Zeit“, raunen indische Kollegen, die erste Erlkönigbilder sahen. Größerer Motor für Scram und Himalayan, ein weiterer Cruiser. Royal Enfield will es wissen.
Vertraute Instrumente: Die kleine Turn-by-Turn-Navigation mausert sich zum Markenzeichen von Royal Enfield Technisch fährt der neue Cruiser für Royal-Enfield-Verhältnisse viel Neues auf, wobei moderne Assistenzsysteme nach wie vor nicht zu haben sind. Wozu auch bei bislang maximal 48 PS? Einzige Ausnahme: die bereits von Scram 411, HNTR 350 & Co. bekannte Turn-by-Turn-Navigation per Zusatzinstrument und App. Hardwareseitig sind unter anderem Rahmen, Schwinge, Abgasanlage neu sowie Ein- und Auslass des Twin-Motors. Eine größere Airbox sorgt im Verbund mit den beiden verchromten Auspuffrohren für einen charakteristischen Sound. Sonor, bassig, souverän. Vielleicht nicht ganz so tief und dumpf, wie mancher vermuten würde bei einem Cruiser. Aber nun, wir sprechen von 648 ccm Hubraum. Das passt.
Der 650er-Twin-Motor war von zentraler Bedeutung für den weltweiten Erfolg der Interceptor und der Continental GT, und wir sind zuversichtlich, dass diese Plattform in einem neuen Cruiser-Avatar auf der ganzen Welt neue Zielgruppen für Royal Enfield erschließen wird.“B. Govindarajan, CEO von Royal Enfield
Entspannter Twin-Fahrspaß
Schön anzusehen und schön zu fahren: Der Twin-Motor von Royal Enfield begeistert bereits in den Modellen Interceptor und Continental GT Aufsteigen, losfahren, irgendwann anhalten, so lautet die Devise. Entspannter Fahrspaß mit hohem Entschleunigungsfaktor. Dem Parallel-Twin bescheinigt das Datenblatt 47 PS (34,6 kW) bei 7.250 Touren. Das bedeutet eine minimale Abweichung zu Interceptor und Continental GT (48 PS/34,9 kW bei 7.150 U/min). Das maximale Drehmoment beträgt 52 Nm bei 5.650 Touren. Damit liegt es 500 Umdrehungen später an als bei den sportlicher ausgelegten Classic Twins, ohne das Temperament spürbar zu zügeln.
Die Super Meteor kommt schön von unten raus. Den Schaltzeitpunkt kündigt sie akustisch an; einen Drehzahlmesser gibt es nicht. Für indische Verhältnisse ist der 650er-Cruiser ein echter Racer. Sie beschleunigt satt und mühelos auf Tempo 100 und dann entspannt weiter. Ausgefahren haben wir die maximal 164 km/h schnelle Super Meteor in Indien nicht: Richtgeschwindigkeit auf den Überlandstraßen ist 70 km/h. Und das ist auch gut so bei den abenteuerlichen Verkehrsverhältnissen.
Griffe mit Schriftzug, schlichte Bedienelemente für Licht, Blinker und – in Indien unverzichtbar – Hupe Freundlich interpretiert, fallen sie in die Kategorie „turbulent“. Regeln scheint es nicht zu geben. Autos, Kühe, Busse, Lastwagen, Traktoren, Tuk-Tuks und Motoräder mit kleinem Hubraum teilen sich einträchtig die Fahrbahn. Die Hupe löst das Vorfahrtsthema. Und falls nicht, weicht der Kleinere besser aus. Der Größere tut es nämlich nicht. „Lasst euch einfach treiben. Schwimmt mit dem Strom. Genießt es. Aber fahrt um Gottes Willen nicht wie in Europa. Der Asphalt ist echt Mist. Null Grip“, steckt uns PR-Chef Cain bei der Abfahrt. Also lieber nicht hart bremsen. Na denn.
Niedrige Sitzhöhe, großer Radstand
Die Super Meteor 650 sieht zeitlos und erwachsen aus – trotz ihrer kompakten Abmessungen: Länge 2.260 mm, Radstand 1.500 mm Niedrige Sitzhöhe (740 mm), größter Radstand der Marke (1.500 mm), breiter Lenker, breiter Fender, nach vorn verlagerte Fußrasten mit serienmäßiger Schaltwippe – die Proportionen und die Fahrerergonomie der Super Meteor überzeugen. Ab Schuhgröße 44 muss man sich mit der massiven Schaltwippe arrangieren. Sie hat eine vergleichsweise große Fläche. Die trifft man anfangs auch mal aus Versehen und schaltet unbeabsichtigt runter. Gewöhnungssache. Der Federweg der Upside-down-Gabel (43 mm Durchmesser) misst 120 mm, hinten geben die Stereofederbeine bei Bedarf um 101 mm nach. Die Federvorspannung ist einstellbar. Davon sollte man Gebrauch machen, falls man mehr als 85 kg wiegt: In der eher sportlichen Werkskonfiguration hauen einem die Nickeligkeiten indischer Straßen sonst direkt ins Kreuz. Speziell die in jeder Ortschaft lauernden Temposchwellen sind eine Prüfung für Mensch und Maschine. 241 Kilogramm bringt die Super Meteor vollgetankt auf die Straße. Ein vertretbares Gewicht für einen „Real Steel“-Cruiser, der nach einer gewissen Schwere verlangt. Die Super Meteor ist ein handliches, gut austariertes Bike, mit dem jeder Fahrer auf Anhieb problemlos klarkommen sollte, so er nach vorn versetzte Fußrasten mag. Die recht üppig dimensionierte hintere Bremsscheibe (300 mm) zeigt, dass Royal Enfield auch auf den US-Markt schielt mit der Super Meteor 650. Dort wie in Indien bevorzugen Cruiser-Fahrer bekanntlich das Verzögern per Hinterradbremse. Auf indischem Asphalt hat diese Bremstaktik zudem etwas Lebensbejahendes. Der teils übel rutschige Asphalt erfordert trotz Zweikanal-ABS gute Nerven. Vorn sorgt eine Bremsscheibe mit 320 mm Durchmesser für Verzögerung (Meteor 350: 300 mm vorn, 270 mm hinten).
Mit einem Tank rund 350 km Reichweite
Klassische Tropfenform: formschöner Tank mit Aludeckel. Neu aufgelegt: das historische Logo 15,7 Liter Tankinhalt verhelfen der Super Meteor 650 rechnerisch zu 350 Kilometern Reichweite (4,5 l/100 km), beim niedrigen Durchschnittstempo in Indien sicher auch zu mehr. Zum Vergleich: Die Interceptor 650 liegt bei 4,2 l/100 km. Der Tank der „kleinen“ Meteor 350 schluckt etwas weniger Sprit (15 Liter) und trägt das Bike gut 500 km weit übers Land. „Der 650er-Twin-Motor war von zentraler Bedeutung für den weltweiten Erfolg der Interceptor und der Continental GT, und wir sind zuversichtlich, dass diese Plattform in einem neuen Cruiser-Avatar auf der ganzen Welt neue Zielgruppen für Royal Enfield erschließen wird“, sagt B. Govindarajan, CEO von Royal Enfield. Die Super Meteor sei der Archetyp eines Cruisers, schwärmt auch Mark Wells, Royal Enfield Chief of Design. „Unser Ziel war es, ein Motorrad zu erschaffen, welches das Wesen der britischen Cruiser einfängt. Der Sonne entgegen und nie das Gefühl haben, unterwegs Zeit zu verlieren, darum geht es. Die Designsprache ist von den Stilen der 1950er-Jahre beeinflusst, einschließlich unserer eigenen Motorräder, aber mit dem zeitgenössischen gewissen Etwas.“ Die eigene Heritage wird immer bedeutender für Motorradmarken. Und Royal Enfield, 1901 gegründet, gehört hier zu den Granden des Marktes.
Zwei Versionen zum Kampfpreis
Neben der Super Meteor 650 präsentiert Royal Enfield auch eine Reisevariante, die Super Meteor 650 Tourer (links) Zwei Versionen gehen an den Start: Die Super Meteor 650 mit zweiteiliger Sitzbank gibt es in den Uni-Farben Astral Black, Astral Blue, Astral Green sowie im bildschönen Interstellar Green (mit Goldlinierung) und Interstellar Grey. Die Reisevariante Super Meteor 650 Tourer kommt in den Zweifarbkombinationen Celestial Red und Celestial Blue, jeweils mit weißen Akzenten. Der Lenker ist hier höher und neigt sich weiter zum Fahrer. Dazu gibt es eine endlos lange Komfortsitzbank mit Sissy-Bar, breitere Fußrasten und einen transparenten Windschild, der gern etwas höher sein dürfte; der Fahrtwind zupft ab Körpergröße 1,70 Meter merklich an der Helmabrisskante. Maßgeschneidert: der formschöne Koffersatz (35 Liter). Plus Topcase (28 Liter) werden insgesamt 63 Liter Stauraum daraus. Nicht die Welt, aber plus Gepäckrolle sicher ausreichend für die allermeisten Soloreisenden. Angaben zur Zuladung oder zum zulässigen Gesamtgewicht macht Royal Enfield bislang nicht. Fest steht: Anvisierter Verkaufsstart in Europa ist ab März 2023. Kampfpreis für die Standardversion in Uni-Lackierung: 7.890,-- Euro (UVP). Die Interstellar-Varianten kosten 200,-- Euro mehr. Den Tourer gibt es ab 8.390,-- Euro.
Das 19-Zoll-Vorderrad hätte mehr Kurven verdient, als die indischen Highways hergaben Wie sich die Super Meteor 650 in Kurven schlägt, müssen Tests in unseren Breitengraden zeigen. Auf den indischen Highways ging es fast nur geradeaus. Der Langstreckenkomfort beim Tourer ist bei größeren Etappen besser: Die Komfortsitzbank ist dicker und lässt den Fahrer 10 mm höher über den Asphalt gleiten. Zur Not finden auch locker drei Personen darauf Platz – in Indien durchaus normal. Wer lieber allein reist, kann das Soziuskissen durch eine flache Alu-Gepäckbrücke ersetzen. Stilistisch hat die Super Meteor 650 dann was von der Triumph Bonneville Bobber. Eine feine Referenz.
Fazit
Dieses Bike ist heiß. Genau wie der Preis. Royal Enfield macht mit der Super Meteor 650 sehr viel richtig. Der neue Cruiser verbindet lässiges Gleiten mit dem guten Gefühl, ein wirklich schönes und sauber verarbeitetes Motorrad zu bewegen. Eines, das es in der umkämpften Mittelklasse so bislang nicht gab. Klar, es gibt schnellere und leistungsstärkere Motorräder in diesem Preissegment. Aber garantiert keine, die besser entschleunigen.