BMW Motorrad schickt die zweite Generation der R nineT auf die Straße. Sie heißt vorn jetzt R 12 und vertraut voll und ganz auf ihre bekannten Stärken. Gut so.
Kopf aus, Motor an und raus auf die Landstraße – in den nächsten Stunden fahren wir einfach mal Motorrad. Okay, ich gebe es zu: Dieser Satz ist geklaut. Von der ersten bis zur letzten Silbe. Wobei, nee, eher geborgt. Denn der Urheber ist mein Kollege Florian Brings. Er schrieb das Motorrad & Reisen Test-Telegramm über die neue BMW R nineT, die jetzt R 12 nineT heißt, und ließ den Ersteindruck vom Testride in Malaga mit eben diesen Worten enden. „Kopf aus, Motor an und raus auf die Landstraße.“ Was willste mehr als Motorradfahrer?
Mehr als 110.000 R nineT in zehn Jahren
Die Produktverantwortlichen von BMW Motorrad wissen das natürlich auch. Und doch waren sie überrascht, damals anno 2013 und in den Jahren darauf, dass genau dieses schlichte Motorradgrundgefühl so eine Erfolgsgeschichte lostreten kann. Mehr als 110.000 Einheiten haben die Bayern bislang von ihrer „Berlin Built 1.0“-Maschine verkauft. „Ganz ehrlich: Mit so hohen Stückzahlen hat anfangs keiner gerechnet“, sagt Markus Flasch, der neue Leiter von BMW Motorrad. Der Heritage-Hype wurde schlicht unterschätzt von den BMW-Granden, ebenso wie die Liebe des Zweiradvolks zum „alten“ luftgekühlten 1200er-Boxer. Im April 2020 legte BMW Motorrad noch ein Hubraumpfund drauf (oder auch ein bisschen mehr) – und präsentierte on top den Heritage-Cruiser R 18, angetrieben vom größten jemals in Serie gebauten Motorrad-Boxermotor.
1,8 Liter Hubraum dort, knapp 1,2 Liter Hubraum (1.170 ccm) hier – fertig ist die neue Nomenklatur: BMW R 18 und BMW R 12. Letztere tritt bekanntlich in zwei Leistungsstufen an: als 95 PS starke R 12 (70 kW, ab 14.460,-- Euro) im Cruiser-Gewand und als 14 PS stärkere, von uns gefahrene R 12 nineT (80 kW, ab 17.410,-- Euro) im feingeschliffenen Heritage-Look. Beide gibt es auf Wunsch auch als A2-Variante (48 PS/35 kW). Optisch haben der frisch pensionierte Designchef Edgar Heinrich und sein Nachfolger Alexander Buckan ganze Arbeit geleistet: Sie haben der R 12 nineT einen Hauch R 90 S und ein bisschen /5 ins glamourös-schlichte Blechkleid gemixt und ansonsten die klassische Linie mit viel Liebe zum Detail feingeschliffen und modernisiert.
Neue Rahmenkonstruktion, verbesserter Knieschluss
Großen Anteil an den verfeinerten Proportionen haben zwei, drei Konstruktionskniffe. Der komplett neue entwickelte Gitterrohr-Brückenrahmen aus Stahl beispielsweise ist jetzt einteilig ausgeführt (plus Heckrahmen) – vorher war er quasi dreiteilig: zweiteiliger Haupt- plus Heckrahmen. Der neue Hauptrahmen spart Gewicht, weil er auf die bisher notwendige Verschraubung verzichtet. Zudem sorgt das neue Rahmenkonzept für ein aufgeräumteres und damit klassischeres Erscheinungsbild. Die Airbox wanderte unter die Sitzbank, dadurch konnte der Tank etwas kürzer werden. Der Fahrer rückt näher zum Lenker und sitzt insgesamt vorderradorientierter auf dem Motorrad. Durch den im hinteren Bereich schmaler gestalteten Kraftstofftank profitiert er on top von einem verbesserten Knieschluss. Beides zahlt aufs sportliche Fahrgefühl ein. Die Sitzhöhe beträgt moderate 795 mm, die Schrittbogenlänge 1.765 mm.
„Drehmomentkurve von unten aufgefüllt“
Kraftentfaltung und Drehmoment begeistern: Der Motor dreht jetzt kerniger hoch und zeigt dabei beste Manieren. „Wir haben die Drehmomentkurve von unten aufgefüllt“, erklärt Produktmanagerin Carina Höfler. Bedeutet: Der überarbeitete Motor hat richtig Bums – auch und speziell bei niedrigen Drehzahlen. Die Gänge rasten sauber ein, auch wenn der optionale Schaltassistent bei geringen Drehzahlen nur durchschnittlich motiviert wirkt. Soll er sich halt entspannen: Manuelles Kuppeln macht ohnehin großen Spaß auf der R 12 nineT und passt gut zum Temperament des Bikes. Das Handling ist schön direkt und doch entspannt. Alles greift penibel ineinander und ist fein aufeinander abgestimmt. Drei Fahrmodi gibt BMW Motorrad der neuen R 12 nineT mit auf den Weg: Rain, Road und Dynamic. Die R 12 muss sich mit zwei Fahrprogrammen begnügen. Dafür heißen sie wie bei der großen Schwester R 18: Rock ’n’ Roll. Dynamic Traction Control (DTC) und Motor-Schleppmoment-Regelung (MSR) sind bei beiden Modellen serienmäßig an Bord.
Begeisternde Performance
Unterm Strich reißt einem der kernige Old-School-Boxer wie gehabt gehörig die Arme lang – auch wenn sich das Drehmoment auf dem Papier verschlechtert hat: Den bislang 119 Nm bei 6.000 Touren stehen jetzt 115 Nm bei 6.500 Umdrehungen pro Minute gegenüber. Dafür müssen die offiziell ausgewiesenen Newtonmeter jetzt weniger Gewicht nach vorn wuchten: Die vollgetankte BMW R 12 nineT hat zwei Kilogramm abgespeckt auf jetzt 220 kg. Auf den kurvigen Straßen im Hinterland von Malaga ist der vermeintliche Performanceverlust nicht zu spüren. Im Gegenteil: Die neue R 12 nineT rennt wie Bolle – auch ohne nach hohen Drehzahlen zu verlangen. Mehr als 4.500 bis 5.000 Touren muss keiner dem Boxer-Triebwerk abverlangen, um glücklich zu werden. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt amtliche 215 km/h.
Motor-Ikone mit Motorsport-Wurzeln
„Mit der neuen BMW R 12 nineT als Classic Roadster und der R 12 als Classic Cruiser setzen wir nahtlos fort, was 2013 mit der R nineT begann“, sagt Josef Miritsch, Leiter Baureihe Boxer Luft BMW Motorrad. „Insbesondere dank des neuen Rahmenkonzepts gelang ein noch klassischeres und puristischeres Design. Für souveränen Vortrieb sorgt der luft-/ölgekühlte Boxermotor mit neuer Airbox, der seine Wurzeln im legendären Sportboxer der HP 2 Sport aus dem Jahr 2007 hat. Mit seinen vier radial angeordneten Ventilen zählt er zu den absoluten Motoren-Ikonen von BMW.“ Der Verbrauch hält sich angenehm im Rahmen: 5,1 l/100 km gibt BMW offiziell an. 5,3 l/100 km waren es bei der Testfahrt im Kurvenglück Andalusien. Macht bei 16 Liter Tankvolumen rund 300 Kilometer Reichweite.
Die stilprägenden Zylinderkopf- und Ventildeckeldeckel hat BMW Motorrad neu gestaltet – schlichter, aber nicht minder charakteristisch. Gleiches gilt für die Instrumente. Ab Werk fährt die R 12 nineT mit einem klassischen Doppelinstrument vor. Links große, analog anmutende Geschwindigkeitsanzeige mit kleinem LC-Display (Tempo und Kilometer), links Drehzahlmesser plus LC-Display (Fahrmodus und eingelegter Gang). Gönnt man sich dazu aus dem Zubehör noch die neue lenkerfeste, schön knapp geschnittene Lampenverkleidung (815,-- Euro), ist das Glück der Nostalgiker perfekt. Etwas progressiver angehauchte Heritage-Fans können zum knackigen Digital Display (Aufpreis 125,-- Euro) greifen: Es ist schmal wie ein Vorschul-Lineal und sehr reduziert im „Pure Ride Modus“. Tempo, Gang, Fahrmodus – mehr ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Very customized. An der umbaufreundlichen Ausrichtung des Bikes hat sich logischerweise nichts geändert.
Voll einstellbare USD-Telegabel
Bei der R 12 nineT ist die Upside-down-Telegabel (45 mm) wie gehabt voll einstellbar. Die Paralever-Schwinge hinten arbeitet jetzt mit einem schräg angeordneten Federbein und wegabhängiger Dämpfung. Fahrbahnunebenheiten bügelt die R 12 nineT zuverlässig glatt; nichts anderes erwartet man von ihr. Die leistungsstarke Bremsanlage sorgt dank serienmäßigem ABS Pro für sicheres und wohl dosierbares Verzögern auch in Schräglage. Radial montierte 4-Kolben-Monoblock-Bremssättel, Stahlflex-Bremsleitungen, schwimmend gelagerte Bremsscheiben (310 mm) – hier lässt BMW wie üblich nichts anbrennen. Hinten greift bei Bedarf eine Einscheibenbremse mit 265 mm Durchmesser und 2-Kolben-Schwimmsattel ins Fahrgeschehen ein.
Drei Lackierungen zum Start
Zum Verkaufsstart hat sich BMW Motorrad für die neue R 12 nineT drei Lackierungen überlegt. Basisfarbe ist Blackstorm metallic. Für 255,-- Euro Aufpreis trägt der „Rockstar unter den Roadstern“ (O-Ton BMW) San Remo Green metallic; eine Farbe aus dem Automobilbereich der BMW Group. Alternativ gibt es als dritte Variante die Option 719 „Aluminium“ in Aluminium gebürstet/Nachtschwarz uni mit Frästeile-Paket (2.165,-- Euro). Als Sonderausstattung ab Werk lockt das Komfort-Paket (1.010,-- Euro) mit Schaltassistent Pro, Heizgriffen, Temporegelung und Hill Start Control. Kurvenlicht (Headlight Pro) gibt es für faire 205,-- Euro, das schnieke Soloheck mit Rückenpolster und kleinem Staufach kostet 310,-- Euro (Aluminium: 555,-- Euro). Schlauchlose Speichenräder in 17 Zoll lässt sich der BMW-Händler mit 565,-- Euro vergüten, die praktische Smartphone-Halterung Connected Ride Control mit 290,-- Euro.
Reichlich Original-Zubehör
Akrapovic-Endschalldämpfer in Titan (1.060,-- Euro), kurzer Heckabschluss (ab 490,-- Euro), handgebürsteter Alutank (2.015,-- Euro), gefräste Fußrastenanlage (952,-- Euro) – wer mag und es sich leisten kann oder will, schraubt den Preis seiner R 12 nineT locker in die Höhe. Passende Gepäcklösungen gibt es natürlich auch. BMW Motorrad gewährt bis zu 211 kg Zuladung bei Serienausstattung. Das sollte locker reichen für entspannte Roadtrips, erst recht bei der vermutlich bevorzugten Solonutzung auf Reisen. Wer sein Herz an Anbauteile der R 12 verliert, zum Beispiel den formschönen, leicht kantigen Tank, kann sich auch dort bedienen: Die Bikes sind weitgehend modular ausgelegt. Geschwister halt.
Fazit BMW R 12 nineT
Pur, expressiv, individuell – auch die neue „Ninety“ ist natürlich eine Stilikone. Und ein wirklich faszinierendes Bike. Die optische Überarbeitung gefällt mit viel Liebe zum Detail. Charme und Charakter sind in der Heritage-Welt ohnehin gesetzt. Bei den R-12-Geschwistern kommt on top noch der formidable Boxermotor mitsamt der modernen, unaufdringlichen Elektronik. Freuen wir uns schon mal – bei aller Liebe zum Original – auf alle Derivate, die noch kommen werden. Und dann: Kopf aus, Motor an und raus auf die Landstraße.
Gewichtsreduktion vs. Performance bei der BMW R 12 nineT
Also ich find’s ja bemerkenswert, dass BMW bei der neuen R 12 nineT Gewicht sparen konnte, aber ich bin etwas skeptisch, was den angeblichen Performance-Verlust auf dem Papier betrifft. 115 Nm bei höherer Drehzahl statt 119 Nm? Klar, im realen Fahrerlebnis auf kurvigen Straßen mag das nicht so ins Gewicht fallen, aber irgendwie fühlt es sich an, als ob man Kompromisse macht. Sind 2 kg weniger wirklich so ein großer Deal, wenn’s um das reine Fahrgefühl geht? Ich hätte erwartet, dass BMW da noch eins draufsetzt und nicht nur optimiert.