
Als vielseitige Allround-Enduro mit ausgeprägten Offroad-Qualitäten nach dem Erfolgsrezept von einst konzipiert, übertreffen die neue CRF1000L Africa Twin und die im vergangenen Jahr nachgelegte Modellvariante Africa Twin Adventure Sports heute mit über 87.000 verkauften Einheiten die Erwartungen der Entwickler bei Weitem.

Nischenmodell zwischen den Groß-Enduros
Maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen hat sicherlich die geschickte Positionierung. Als Nischenmodell zwischen den übermotorisierten Groß-Enduros wie der BMW R1250GS, der KTM 1290 Adventure oder der Ducati Multistrada 1260 und den leichteren und kleineren Zweizylinder-Modellen wie der Yamaha Ténéré 700 oder der KTM 790 Adventure begeistert die Africa Twin insbesondere durch ihre Ausgewogenheit. Bezüglich Leistung herrscht bisher mit 95 PS aus knapp einem Liter Hubraum eher Zurückhaltung. Die Ausstattung ist gut und nicht überladen – zumindest bis heute, denn mit der neuen CRF1100L Africa Twin und dem Schwestermodell Adventure Sports rüstet Honda nun in vielerlei Hinsicht mächtig auf, und das nicht zu knapp.
Erneuerter, leichterer Motor
Obschon die Architektur des Reihenzweizylinders weitgehend unverändert bleibt, sind rund 70 Prozent der Teile neu. Durch längere Hubwege wird der Hubraum um 86 ccm auf nun 1084 ccm erweitert, was eine Steigerung der Spitzenleistung um 7 PS auf neu 102 PS bei 7.500 U/min bewirkt. Der Zylinderkopf mit nur einer Nockenwelle (Unicam), größeren Ein- und Auslassventilen und geänderten Steuerzeiten ist komplett neu. Der Schalldämpfer verfügt über ein variables Abgasregelventil, welches den Sound bei niedrigen Drehzahlen optimiert und im oberen Bereich die Leistung steigert. Die Verwendung leichterer Materialien reduziert das Gewicht von Motor und Getriebe um 2,5 kg, respektive 2,2 kg bei der Version mit Doppelkupplungsgetriebe (DCT). Der neue Motor erfüllt zudem die ab 2020 erforderlichen Euro-5-Abgas-Vorgaben.
Schlankere und leichtere Struktur
Mit dem Ziel, sowohl die Offroad-Tauglichkeit als auch die Allroundeigenschaften im alltäglichen Verkehr zu optimieren, wurde der Doppelschleifenrahmen komplett überarbeitet. Gerade geführte Hauptholme bewirken eine schlankere und leichtere Struktur. Ein verschraubter Aluminium-Hilfsrahmen ersetzt die bisherige integrale Stahlkonstruktion des bisherigen Modells. In Kombination mit der nun ebenfalls aus Alu gefertigten Hinterradschwinge ergibt sich daraus eine Gewichtsreduktion um 2,3 kg. Die Grundabstimmung der 45-mm-Showa-Upside-down-Gabel wurde den unterschiedlichen Ansprüchen der Africa Twin respektive der Adventure Sports angepasst. Gleiches gilt für das ebenfalls voll einstellbare Zentralfederbein mit bequem per Handrad einstellbarer Federvorspannung. Zudem kann die Adventure Sports jetzt neu mit Kreuzspeichenrädern und Schlauchlosreifen auftrumpfen, während die Africa Twin mit konventionellen Stahlspeichenrädern und Stollenreifen bestückt ist. Die Dimensionen der Räder und Reifen sind mit 90/90-21 vorne und 150/70-18 hinten bei beiden identisch.
Souveränes DCT
Mit der neuen 6-Achsen-IMU (Internal Measurement Unit) sind die beiden Africa Twin mit dem modernsten elektronischen Motor- und Chassis-Management aller Honda Motorräder ausgerüstet. Durch die zentral im Rahmen platzierte Sensorbox von Bosch verfügen die beiden nun über ein in mehreren Stufen einstellbares Kurven-ABS. Während die Wheelie-Kontrolle drei unterschiedliche Einstellungsstufen ermöglicht, offeriert die Traktionskontrolle deren sieben. Die beiden Assistenzsysteme können im Gegensatz zum ABS komplett deaktiviert werden. Die neue IMU ermöglicht zudem erweiterte Funktionen des Doppelkupplungsgetriebes (DCT). Das System erkennt nicht bloß die Neigungswinkel von Berg- und Talfahrten, sondern auch jene von Schräglagen und passt dadurch das Schaltprogramm subtil an die entsprechenden Gangwechsel an. In keinem anderen Motorrad funktioniert DCT gleichermaßen souverän. Manuelle Eingriffe erübrigen sich dadurch nahezu gänzlich.
Vielseitige Elektronik
Das farbige Multi Information Display (MID) mit 6,5-Zoll-TFT-Touchscreen ist ein echter Gewinn. Die Infos sind in jeder Situation, also selbst bei starker Sonneneinstrahlung immer gut ablesbar. Der Bildschirm bietet nebst verschiedenen Darstellungs-Layouts, die beispielsweise den unterschiedlichen Modi zugeordnet werden können, auch eine Tag- und Nachtfunktion mit positiver respektive negativer Darstellung. Techno-Freaks werden sich über die Einbindung von Apple Car Play freuen, was die Nutzung des iPhones über den Touchscreen ermöglicht. Über ein im Helm integriertes Bluetooth-Headset kann man somit Anrufe tätigen oder entgegennehmen, Musik hören, Navi-Apps nutzen und vieles mehr. Zum Laden kann das iPhone – und natürlich auch andere Smartphones – über eine USB-Schnittstelle angeschlossen werden. Ein Tempomat zählt bei den 2020er Africa-Twin-Modellen nun ebenso zur weitgehend lückenlosen Serienausstattung wie die Front- und Heckblinker mit Notbremsfunktion, welche andere Verkehrsteilnehmer bei einer allfälligen Vollbremsung warnen. Einen für Motorräder dieses Segments dienlichen Zentralständer gibt es dagegen leider lediglich als Zubehör.
Adventure Sports exklusiv: elektronisches Fahrwerk
Die interessanteste Neuheit ist das elektronische Fahrwerk, welches jedoch lediglich für die Adventure Sports angeboten wird. Das als Electronically Equipped Ride Adjustment (EERA) bezeichnete System von Showa kommt erstmals in einer Reiseenduro zum Einsatz. Im Stillstand wird zunächst die Vorspannung des hinteren Federbeins in einer der vier Stufen von „Fahrer alleine“ bis „Fahrer mit Sozius und Gepäck“ angewählt. Mit der Vorwahl der Fahrmodi verschiebt das System anschließend das Grundsetup des Fahrwerks zum Beispiel von „hart“ im Modus Touring bis „soft“ im Modus Offroad. Dem gewählten Modus entsprechend passt EERA die Dämpfungsraten vorne und hinten wechselnden Bedingungen an und gewährleistet dadurch mehr Komfort und Stabilität. Auf unserer Testfahrt überzeugte das System in unterschiedlichen Situationen.

Welche soll es sein?
War die Adventure Sports mit langen Federwegen, hoher Sitzposition und großer Bodenfreiheit bis anhin das Bike fürs grobe Gelände, ist das jetzt genau umgekehrt. Sitzhöhe und Federwege wurden auf das Niveau der Basisversion reduziert, wodurch sie sich für unterschiedlich große Fahrer empfiehlt, dies zumal nebst dem höhenverstellbaren Standard-Sattel (850/870 mm) optional je eine um 25 mm niedrigere respektive höhere Sitzgelegenheit angeboten wird. Nebst den bereits erwähnten unterschiedlichen Rädern und Reifen sowie der Version mit EERA-Fahrwerk offeriert die Adventure Sports eine hohe und in sechs Positionen um 60 Millimeter verstellbare Windschutzscheibe, größere Handprotektoren sowie einen größeren Motorschutz. Der Tank fasst 24,8 Liter. Das sind 6 Liter mehr als jener der „normalen“ Africa Twin, was selbst beim beherzten Angasen für mindestens 400 km reicht. Fahrbereit wiegt sie 238 kg und somit 12 kg mehr (DVT 248 kg, EERA 240 kg, EERA/DCT 250 kg).Neben der wuchtigen Erscheinung der Adventure Sport im vollen Ornat, ausgestattet mit Koffer, Topcase, Schutzbügel, Scheinwerfer und vielem mehr, erscheint die Basis Africa Twin nahezu fein und zierlich. Und der optische Eindruck täuscht nicht. Abgespeckt und bereift mit grobstolligen Contis lässt sich das 2020er-Modell im Schotter- oder Offroad-Modus mit reduzierter Motorleistung und ausgeschaltetem ABS am Hinterrad souverän und zielsicher über ausgewaschene Feldwege mit Rinnen und Schlaglöcheren steuern. Wer oft im Gelände unterwegs ist, wählt vorzugsweise die Version mit konventionellem Sechsganggetriebe, eventuell in Kombination mit dem optional erhältlichen Quickshifter. Allen anderen empfiehlt sich die DCT-Version. Das Doppelkupplungsgetriebe funktioniert wirklich in allen Situationen hervorragend und kann bei gelegentlichen Abstechern ins Gelände bei Bedarf im manuellen Modus gefahren werden.
