Skandinavisches Design. Österreichische Technik. Diese Mischung passt sehr viel besser, als viele anno 2014 vermutet hatten, als Husqvarna Motorcycles mit der Idee um die Ecke kam, ihre alte Straßenrenner-Tradition wieder aufleben zu lassen – mit Motoren aus Mattighofen. Vier Jahre später haben die Alpen-Schweden zur ersten Ausfahrt im mediterran-urbanen Barcelona geladen und den „local heroes” auf ihren Maxi-Scootern und Nippon-Roadstern gleich mal schwer die Köpfe verdreht.
Durchgestylt bis ins letzte Detail
Aufmerksamkeit garantiert
Die Vitpilen 701 fällt auf, positiv, daran gibt es nichts zu deuteln. Gleich an der ersten Ampel verpennt der Suzi-Fahrer neben uns fast die Grünphase, als der Test-Tross an ihm vorbeizieht. Okay, acht dieser Bikes auf einen Streich kriegt man natürlich nicht alle Tage zu sehen. Dann sind auch noch der erste und der letzte Fahrer (die Guides) mit diesem äußerst progressiven (da haben wir es wieder) Schwarzweiß-Helm bestückt, den Husqvarna als „Pilen Helmet” im Zubehörangebot führt, nebst knackiger schwarzer Lederjacke und schwarzgrauer Protektoren-Jeans. Mit klitzekleinen neongelben Details zitiert sie stilsicher den gleichfarbigen Zierrahmen, den Chefdesigner Maxime Thouvenin als grafischen Trenner zwischen die Sitzbank und den Tank der Vitpilen getuscht hat. Das ist schon großes Straßenkino, was da an einem vorbeiprescht. Optisch wie technisch. Tank und Sitzbank bilden quasi eine Einheit. Motorblock und Auspuff-endtopf schmücken sich mit einem matt-kupfer-umbrafarbenem Technikfarbtupfer. Im gleichen Kunstton hebt sich der Tankdeckel vom mattsilbernen Kraftstoffbehälter ab. Überhaupt: der Tank. Allein für dieses avantgardistische Gesamtkunstwerk der Octanzwischenlagerung hat Husqvarnas Look & Style-Abteilung einen Design-Oscar verdient. Superslim und doch ausladend, an der breitesten Stelle flach wie ein Ceranfeld. Rechts und links grinst einen keck die Hackordnungsziffer 701 an. In Kürze steht da alternativ 401. Und dann, wer weiß, vielleicht die 801. „Natürlich bauen wir sukzessiv die Modellpalette aus”, sagt Oliver Göhring, Managing Director Husqvarna Motorcycles. Liegen ja genug Triebwerke herum im Teilelager bei KTM. Aber alles zu seiner Zeit.
Kurze Hebel, puristische Einzelanzeige
Der schneidige Stummellenker versteckt sich bescheiden unter einer breiten Gabelbrücke. Aus der ragen die Stellschrauben der vorderen Federbeine und das Zündschloss wie die Regler einer Lichtorgel. Die Hebel für Bremse und Kupplung sind ultrakurz, aber für Freunde der Zweifingerbedienung haptisch genau richtig.
Das runde Kombiinstrument passt ins puristische Bild, hätte jedoch smarter veranlagt und moderner gestaltet sein können. Aber nun: Die Vitpilen 701 will mit minimalistischem Styling begeistern und eine „aufregendere, ehrlichere und wahrhaftigere Fahrerfahrung” liefern, verkündet die Husqvarna-Website. Da soll und darf es dann auch mal etwas weniger sein. WP Upside-down-Gabel vorn (43 mm), WP-Federbein mit Pro-Lever-Umlenkung hinten, pulverbeschichteter Chrom-Molybdän-Stahl-Gitterrohrrahmen – das Skelett der 701 stammt eins zu eins von der KTM 690 Duke. Damit ist klar: Attacke ist angesagt auf der Vitpilen! Das Trockengewicht liegt zwar neun Kilogramm über dem Duke-Idealmaß (148 kg), aber mit gerade einmal 166 kg – vollgetankt! – schwebt die 701 gefühlt drei Zentimeter über dem Asphalt, leichtfüßig und grazil wie eine Primaballerina. Beim Rangieren denkste, du sitzt auf einem Mokick, so easy und schwerelos lässt sich die Vitpilen einparken – ein Körpermaß von mindestens 1,78 m vorausgesetzt. 830 mm Sitzhöhe sind nichts für die Littbarskis dieser Welt.
75-PS-Einzylinder mit mächtig Dampf
Der Einzylinder-Dampfhammer ist aus der KTM hinlänglich bekannt. Für die Vitpilen haben sie ein anderes Mapping aufgespielt. Jetzt hat das Triebwerk zwei Pferdchen mehr (75 PS) und zwei Newtonmeter weniger (72 Nm). Das ist mehr als ausreichend. Wer es darauf anlegt, bewegt die Vitpilen weitgehend mit dem Vorderrad auf Nasenhöhe. Wheelie-Verweigerer freuen sich über den massiven Vortrieb in Richtung nächster Kurve. Das Vertrauen zum Vorderrad muss man sich allerdings erarbeiten, was schlicht an der stark nach vorn geneigten Sitzhaltung liegt. De facto erledigt das 17-Zoll-Alurad seine Aufgabe ohne Fehl und Tadel. Vermutlich fühlt man sich auf der Svartpilen 401 mit ihrem höheren und breiteren Lenker schneller heimisch. Dazu mehr, sobald die ersten Testbikes des schwarzen Pfeils kommen.
Absolut vorbildlich funktioniert der Schaltautomat, den sie bei Husqvarna „easy shift” nennen. Blitzschnelle, exakte Gangwechsel ohne Kupplung sind im Motorsport seit Langem gesetzt. Das empfiehlt sie auch für Straßenbikes. Selbst bei vergleichsweise niedrigen Drehzahlen kann man die Kupplung getrost vergessen, was auch beim Cruisen in der Stadt von Vorteil ist. Duke-690-Fahrer müssen jetzt ganz tapfer sein: Die fünfte Klaue im Getriebe gibt es für sie nicht. Sie müssen auch künftig konventionell die Gänge wechseln. Oder auf die neue KTM 790 Duke umsteigen. Auch die ist ab Werk mit dem Quickshifter bestückt.
Die Lenkerenden-Spiegel aus dem Zubehörregal
Spiegel wohl Zubehörteil Nummer eins
Die schmale Sitzbank ist knüppelhart, aber nicht unbequem. Selbst Beifahrer hocken einigermaßen gepflegt auf dem schmalen Kissen. Festhalten geht nur am Vordermann. Solo-Biker können das hintere Brötchen im Husqvarna-Zubehörshop durch eine Art Ablage ersetzen. Auf der kann man dann kleines Gepäck befestigen. Zubehörartikel Nummer eins werden garantiert die hübschen runden Lenkerenden-Spiegel. Die Serienrückspiegel wirken wie ein Fremdteil an der stringent durchgestylten Vitpilen 701; unnötig konventionell, ein Helmhalter mit Zusatzfunktion. Viel mehr als das gibt es nicht zu bemängeln. Gut, der Preis ist saftig: 10.195,-- Euro plus Nebenkosten, das ist schon couragiert. Aber dafür fährt man ein exklusives, extravagantes Bike mit ausgereifter Technik, das garantiert nicht an jeder Ecke steht. 800 Einheiten pro Jahr peilen die Schweden vorerst an, plus 400 bis 500 Stück der 401-Geschwister. Blinker, die von selbst wieder ausgehen, wären in dieser Preisklasse natürlich schön, könnte man noch unken. Bike-Puristen wird es zwar nicht stören, dass Husqvarna ihnen diese Arbeit überlässt, aber der hippen Zielgruppe hätten sie mit dem kleinen Automatismus vermutlich einen Gefallen getan. Ganz simpel und progressiv.