NIU RQi Sport – Leichtkraftrad mit 30 NM Drehmoment und 126 km/h Spitze
Der chinesische Elektropionier NIU bringt nach den erfolgreichen E-Rollern mit dem RQi Sport nun erstmals ein Elektromotorrad als 125er-Äquivalent auf den Markt.
In der Vergangenheit definierten sich viele Elektrovehikel primär über die lokal emissionsfreie Antriebsquelle und verstanden sich erst in zweiter Linie als vollwertige Verkehrsmittel – das tat der Faszination nach einer ersten Kennenlern-, Probier- und Testphase häufig rapide Abbruch. Doch die Hersteller haben gelernt, wie der RQi beweist: Das E-Motorrad sieht nicht nur wie ein richtiges Motorrad der Leichtkraftklasse Le3 aus, es fühlt sich beim Besteigen sogar noch erwachsener an. Hinter dem breiten, nach oben gekröpftem Lenker stellt sich ein aufrechtes Roadsterfeeling ein, mit lässig auf den tiefen Rasten ruhenden Stiefeln und mega entspannten Kniewinkeln neben dem etwas breiten „Tank“. Hier wird kein Sprit gebunkert, es lagern vielmehr zwei mächtige Akkublöcke unter einer großen Klappe, geöffnet vom Transponderschlüssel oder dem zentralen Steuerknopf. Mit je 23 Kilo sind sie eigentlich zu schwer zum möglichen Herausnehmen, dafür bunkern sie 5,1 kWh Energie und versorgen damit den im Rahmen fixierten Elektromotor, der seine Spitzenleistung von gut 10 PS ohne Getriebe direkt über eine Kette ans Hinterrad abgibt.
Lautlose Rakete mit 30 Nm Drehmoment
Über eine Schiebetaste an der rechten Armatur stehen zwei Fahrmodi zur Verfügung, die Ansprechverhalten, Drehmomententfaltung und Spitzentempo elektronisch modulieren. In beiden Modi nimmt die Elektronik die satten 30 Newtonmeter beim Anfahren stark an die Kandare, der NIU setzt sich erstaunlich verhalten in Bewegung. Danach zischt das chinesische E-Mobil mit Verve auf und davon, beschleunigt nahtlos und lässt dem Rest des Verkehrs keine Chance. Weder Lastwechsel noch Vibrationen trüben die Fahrdynamik, lediglich eine minimale Verzögerung beim Umsetzen der Vortriebswünsche ist zu notieren. Bis auf das Surren des E-Motors und leichte Abrollgeräusche von Reifen und Kette dringen keinerlei Geräusche an unbeteiligte Ohren.
Neben dem gewaltigen Durchzug imponiert der RQi mit seiner Höchstgeschwindigkeit: Im Dynamic-Modus liegen echte 101 km/h an, mittels einer Boost-Taste an der Vorderseite der rechten Bedieneinheit ist für 30 Sekunden sogar Tacho 126 drin – für ein 125er-Äquivalent ziemlich beeindruckend. Zu viel Vollgas bedeutet aber auch eine starke Erwärmung von Akku, Motor und Steuerelektronik, deshalb geht der RQi in solchen Momenten erst einmal in die Knie.
TFT-Cockpit, Rangierhilfe und Turboboost
Die Boost-Bereitschaft wird von einer mittigen Anzeige im farbigen TFT-Instrument signalisiert, wie auch die Zeitspanne, die das System benötigt, um erneut boostfähig zu werden. Überhaupt repräsentiert diese Digitalanzeige den modernen Vernetzungsgrad heutiger Fahrzeuge: Über die Verbindung via Handy mit der NIU App lassen sich verschiedene Anzeigelayouts auf den Bildschirm zaubern, ein Kriechgang vor- und rückwärts einlegen oder die Startbereitschaft per Handy-Näherung konfigurieren. Dazu sind zwei im Heck und über dem Scheinwerfer installierte Dashcams abrufbar, die den vorderen und hinteren Verkehr beobachten.
Ausstattung eines Mittelklassemotorrads
Auch die übrige Ausstattung kann sich sehen lassen, mit einstellbaren Hebeln, Tempomat, ABS vorn und hinten, selbstrückstellenden Blinkern und einer Traktionskontrolle. All das kommt dem Fahrerlebnis zugute: Wirkt der mit 186 Kilo nicht gerade leichte NIU beim Rangieren noch schwerfällig, wandelt sich das beim Fahren in die Souveränität eines Mittelklassemotorrads. Bestens dirigierbar über die breite Lenkstange lenkt das E-Rad auf der gewünschten Linie ein, bleibt in Schräglage nachvollziehbar und stabil. Flink wedelt er von einer Ecke in die andere, hier machen sich die hochwertigen Pirelli-Pneus bezahlt, die guten Grip mit klarem Feedback paaren. Top sind auch die Stopper: Im Vorderrad nimmt die Vierkolben-Radialzange von Brembo die Einzelscheibe mächtig in die Mangel, allerdings greift das ABS sehr früh ein und verhindert ein blockierendes Rad.
Gegenüber der herzerfrischenden Dynamik fällt der Komfort ein wenig ab. Üblen Pockenasphalt verdauen die Federelemente nicht gerade sensibel, gerade das hintere Federbein könnte etwas nachgiebiger ans Werk gehen. Dafür sitzt es sich wie erwähnt kommod auch auf langen Strecken, womit die Themen Reichweite und Ladezeiten in den Blick geraten: tatsächlich schafft der RQi knapp 100 Kilometer, legt die letzten 20 davon (ab 15 % Batteriekapazität) aber im E-Save-Modus mit maximal 47 km/h zurück. Sind beide Akkus leer, dauert es laut Hersteller bis zur Vollladung lange 7 Stunden – im Test ging das nur unwesentlich schneller. Das relativiert die famose Fahrvorstellung ein wenig, wie auch die knapp 8.000,-- Euro, die der NIU-Händler für den fahrfrischen RQi verlangt.