Mit einem fetten V2-Cruiser bei einem Harley-Stammtisch zu erscheinen, gilt als standesgemäß. Doch was passiert, wenn man dazu kein US-Bike wählt, sondern eines aus China? Noch dazu eines mit weniger als einem Zehntel des in der Neuen Welt gebräuchlichen Hubraums? Der nicht standesgemäß motorisierte Besucher wird dennoch freundlich empfangen; wegen des Umgebungslärms war niemandem aufgefallen, dass der „Sound“ des 125 Kubikzentimeter kleinen V2 aus der schwarzen 2-in-1-Anlage eher dezent ist. „Bist du mit einer Sportster da?“, war eine mehrfach gestellte Frage. Nicht nur aus 20 Metern Distanz macht das chinesische Leichtkraftrad mit Namen V-Cruise optisch einiges her. So viel sogar, dass sein Fahrer auf freier Landstraße von entgegenkommenden Motorradfahrern gegrüßt wird. Und jetzt auch noch solche Anerkennung beim Harley-Stammtisch!
Harley-Feeling für B196-Führerscheinbesitzer
Es sind wohl weniger die jungen Kerle mit A1-Führerschein, die sich von der neuen Keeway V-Cruise angesprochen fühlen, sondern jene, die ihre B-Lizenz durch die kurze B196-Zusatzausbildung erweitert haben. Außer dem stylischen Aussehen sowie der guten Verarbeitung hilft beim Absatz der günstige Preis: Inklusive der Liefernebenkosten sind knapp unter 5.000,-- Euro nötig, um den überwiegend schwarz lackierten Cruiser fahren zu können. Noch günstiger, aber weniger erwachsen, ist nur die Hyosung GV 125 S Aquila (4.330,-- Euro); sie steht mit 470 Einheiten derzeit zwei Plätze weiter vorn in der Neuzulassungsstatistik.
Keine Scheu vor hohen Drehzahlen
Der 60°-Keeway-V2 ist aktuell einer der wenigen Mini-V2-Motoren auf dem Weltmarkt. Er weist drei Ventile pro Zylinder sowie Wasserkühlung auf und arbeitet erstaunlich vibrationsarm. Selbst 2.000 Umdrehungen jenseits der Nenndrehzahl von 8.500 Touren sind die Vibrationen nicht wirklich grob. Denn eines ist klar: Wer unter Drehzahlscheu leidet, kommt mit dem 164 Kilogramm wiegenden Mini-Cruiser mit der stattlichen Erscheinung nicht voran. Schon an leichten Steigungen ist oft der dritte oder vierte Gang erforderlich, um nicht zu verhungern. Doch das Sechsganggetriebe lässt sich leichtgängig und auch präzise schalten, wenngleich die Schaltwege etwas lang geraten sind. Bei fleißigem Schalten und jubelndem V2 stellt man weder in der Stadt noch im Überlandverkehr ein Verkehrshindernis dar. Wer aber auf verkehrsarmen Straßen entspannt cruisen möchte, kann auch das, denn ab etwa 4.000 Touren nimmt das kleine Triebwerk willig Gas an, solange die Straße eben ist.
Minimaler Verbrauch ermöglicht hohe Reichweiten
Angesichts unserer langen Distanzfahrten im verkehrsarmen Niederbayern, mit vergleichsweise hohem Durchschnittstempo, mit sehr hohen Drehzahlen waren wir erstaunt über die enorme Reichweite und den geringen Verbrauch. Mit einem Durchschnitt von 2,7 Litern pro 100 Kilometer blieben wir einen guten halben Liter unter dem Normverbrauch. Der 15-Liter-Tank ermöglichte in unserem Fall volle 500 Kilometer Reichweite. Die Reserve-Warnung dürfte freilich ein wenig auffälliger arbeiten. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau.
Kleiner Cruiser mit üppiger Reifendimension
Das Fahrwerk passt gut zum kleinen China-Cruiser; man darf natürlich auch nicht Reiseenduro-Komfort erwarten. Die lediglich 4,2 Zentimeter Federweg der beiden hinteren Federbeine können nun mal keine groben Fehler im Straßenbau kompensieren. Die USD-Gabel verrichtet ihren Dienst zufriedenstellend. Durchaus gefällig sind zudem das Einlenkverhalten über den breiten Rohrlenker, die Kurvenpräzision und auch die Haftfähigkeit der chinesischen Reifen; diese Aussage bezieht sich auf trockene Straßen, denn nasse Fahrbahnen gab es in unserem Trockensommer nicht zu bewältigen. Die Reifendimensionen selbst sind für eine 125er üppig und passen gut zum insgesamt wertigen Eindruck der Keeway V-Cruise. Auch die Bremsanlage bietet Grund zur Zufriedenheit: vorne und hinten gibt es je eine gut dosierbare und gut wirksame Scheibenbremse, die leicht zu bedienen ist.
Funktionale Details mit kleinen Hinguckern, ABS fehlt
Nichts zu meckern gibt es weiterhin bei den funktionalen Details wie Schalter, Hebel, das stylische Digital-Rundinstrument oder das LED-Licht vorne und hinten. Einen Hingucker stellen die kreisrunden, recht kleinen Lenkerendenspiegel dar, die unter der Lenkstange montiert sind. Der Blick nach hinten ist aber durch die Fahrer-Unterarme beeinträchtigt und lenkt deshalb stark vom Verkehrsgeschehen ab; unter Sicherheitsaspekten eine fragwürdige Lösung. Gut ist dafür der Sitzkomfort: Der sehr wertig bezogene Fahrersitz ist ordentlich geformt und gepolstert. Lenkergriffe und Fußrasten passen Normalos einwandfrei. Nicht vorhanden ist ein ABS, das für diese Fahrzeugklasse auch nicht vorgeschrieben ist. Sehr wartungsarm zeigt sich der Riemenantrieb zum Hinterrad; auch hier orientiert sich Keeway am großen Vorbild aus Milwaukee, das ja offensichtlich die Gesamtvorlage liefert.