Optisch gehen BMW R 1250 GS und Harley-Davidson Pan America Special das Adventure-Thema unterschiedlich an. Die ehemals
Mit ihrer außergewöhnlichen Front distanziert sich die Pan America optisch von den etablierten Reiseenduros. An ihren Anblick gewöhnen sich die meisten schnell und empfinden ihn als erfrischend anders. Während ich um die Kontrahentinnen schleiche, erwische auch ich mich bei dem Gedanken: „Warum eigentlich nicht? Wer sagt, dass ein Adventure Bike Enduroschnabel oder Rallyoptik braucht?“ Die Front der Pan America greift die Formensprache der Harley-Davidson Road Glide auf und präsentiert sich in natura harmonischer als auf den meisten Fotos. Vor allem wirkt sie klein neben der GS, obwohl sich Fahrzeugabmessungen und Sitzhöhe kaum voneinander unterscheiden. Die liegt bei der BMW je nach Position des Polsters bei 850 oder 870 Millimeter, die der Pan America Special bei 850 oder 874 Millimeter.

Der 13:1 verdichtende Revolution-Max-Motor ist mit natriumgefüllten Auslassventilen, Doppelzündung, hydraulischem Ventilspielausgleich, Motordeckeln aus leichtem Magnesium und einer Trockensumpfschmierung mit drei Ölpumpen ausgestattet. Sie ersparen dem Motor nicht nur die Panschverluste in der Ölwanne, sie erzeugen zudem einen Unterdruck im Kurbelgehäuse, der die innere Reibung reduziert. Wie der 12,5:1 verdichtende Boxer ist auch der V-Twin mit einer Kolbenbodenkühlung ausgestattet. Während sich die BMW mit einer Ausgleichswelle begnügt, lassen bei der Harley zwei Ausgleichswellen gerade noch so viele Vibrationen übrig, dass sich der Motor lebendig anfühlt. Die Spitzenleistung des ausgeklügelten V-Twins fällt üppig aus. Um 16 PS übertrumpft er den Boxer, erreicht seinen Zenit dafür aber 1.000 Touren später. Diese Charakteristiken sind den beiden Motoren auch im Fahrbetrieb anzumerken.
Während die GS bereits knapp über 1.500 U/min Vortrieb generiert, verlangt die Pan America im direkten Vergleich stets 500 zusätzliche Touren, um sauber abzuliefern. Um 15 Newtonmeter übertrumpft der Boxer den V-Twin in Sachen Drehmoment, dessen Maximum zudem 500 Umdrehungen früher erreicht wird. Leistungsplus auf der einen, Drehmomentüberschuss auf der anderen Seite – die Harley wirkt sportlicher, die BMW elastischer. Da beide Adventure Bikes mehr als üppig motorisiert sind, entscheiden die persönlichen Vorlieben für einen der Charaktere, denn unterm Strich bewegen sich beide Motoren auf Augenhöhe. Durch einen Hubzapfenversatz von dreißig Grad zündet der 60-Grad-Harley-Twin übrigens wie ein 90-Grad-V2 – also wie eine Ducati. Im ersten Moment irritiert daher ihr Sound.

Ausgeprägte Offroad-Qualitäten
Die Pan America will aber keine Reinkarnation der Multistrada V2 sein, der Grund für ihre Zündfolge ist eine gefälligere Charakteristik für den Einsatz abseits befestigter Straßen. Aufzudröseln, in welcher Offroad-Sektion die Drehmomententfaltung eines 90-Grad-V2 nun Vorteile gegenüber einem 60-Grad-Twin bietet, würde an dieser Stelle zu weit führen. Gegen den Boxer kann es jedenfalls nicht schaden, sämtliche Register zu ziehen. Immerhin hat die GS ihre Offroadtauglichkeit unzählige Male unter Beweis gestellt. Bereits in unserem Einzeltest brillierte auch die Pan America im Gelände. Vor allem ihre hervorragende Balance bei niedrigen Geschwindigkeiten und das leichtfüßige Handling kann sie ins Feld führen.

Die Eine agil, die Andere souverän
In gewisser Weise sind diese Charaktereigenschaften auf die Straße übertragbar. Die BMW liegt satt in der Kurve, schiebt bullig an und zelebriert den souveränen Auftritt. Die Harley wirkt im Vergleich rassiger, sportlicher und – leichter! Beim direkten Umstieg von der GS auf die Pan America scheint man locker 25 Kilo abzuschütteln und das, obwohl auf dem Papier Gleichstand herrscht. Bei einem Gewicht von 245 Kilogramm startet die Pan America als Basismodell mit konventionellem Fahrwerk. Die von uns getestete Special mit semiaktivem Fahrwerk bringt es auf 258 Kilogramm. Eine GS wiegt in Basisausstattung 249 Kilogramm und gipfelt bei der Adventure mit 268 Kilogramm. Unsere reichhaltig ausgestattete Testmaschine nimmt sich beim Gewicht nichts mit der Pan America Special. Dennoch wirkt die Harley agiler. Ihr Motor klingt lebendig, obwohl er sich bei der Lautstärke angenehm zurückhält, während die BMW gleichmütig und nicht gerade leise vor sich hin brummt. Vor allem beim Anlassen bellt sie kurz und unnötig laut auf.Mit leichtfüßigem Handling wuselt die Harley von Kurve zu Kurve. Die Fahrmodi nehmen dabei direkten Einfluss auf die Fahrwerksabstimmung. Im Landstraßenmodus geben sich die Komponenten ausgewogen und schlucken selbst schlechten Fahrbahnbelag. Im S-Modus erfährt das Ganze eine sportliche Straffung, ohne unnötig hart zu werden. Die fein dosierbare Brembo-Bremsanlage an der Front macht derlei Spielchen gerne mit, während die seidenweich regelnde Traktionskontrolle das Hinterrad im Zaum hält. Von sportlichen Schräglagen lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen, folgt im Kurvenverlauf neutral der anvisierten Linie und kennt kein Aufstellmoment beim Bremsen. Fahrspaß ist das Resultat. Reifer und gesetzter wirkt die BMW.
Die Modi von ESA-Fahrwerk und Motor sind bei ihr nicht miteinander verknüpft. Im Dynamic-Modus geht es hart und ruppig zur Sache, Road wirkt eleganter – das gilt für Motor- und Federelemente gleichermaßen, wobei das Fahrwerk nie wirklich sportlich wird. Unabhängig von den Modi geht die BMW das Tempo der Harley mit. Kaum etwas kann sie aus der Ruhe bringen. Keine zerfurchte Straße, keine Tempowechsel und auch kein Grobmotoriker am Lenker. Sie bremst und fährt jederzeit sicher und dabei sehr, sehr zügig. Wenn du nicht weißt, was du kaufen sollst: Kauf eine GS! Damit machst du nichts falsch. 9.228 Kunden genügte das 2020 als Argument. Ob sie die persönliche Sehnsucht befriedigt, steht auf einem anderen Blatt. Verglichen mit der Pan America wirkt die GS – abgesehen vom lauten Auspuff – beinahe emotionslos.


Tourentauglichkeit
Auf langen Touren kann selbst das eine Tugend sein, denn auch hier leistet sich die GS keine ausgeprägten Schwächen. Ihre Ergonomie fällt gemütlich aus. Locker liegt der Lenker in den Händen. Die breite Front bietet schrankwandähnlichen Windschutz. Trotz stufenlos verstellbarer Scheibe verschont sie den Fahrer allerdings in keiner Stellung vor Turbulenzen im Bereich des Helms. Die Leuchtkraft des BMW-Farbinstruments stellt nach wie vor die Referenz dar. Auch die Bedienung der Lenkerarmaturen gelingt intuitiv und wirft keine Fragen auf. Einzig das klassische BMW-Navi in seinem Halter über dem Cockpit wirkt etwas in die Jahre gekommen. Mit der Option „Connectivity“ hat BMW alternativ eine smartphonebasierte Pfeilnavigation im Angebot.
Die Frage der Navigation löst auch Harley-Davidson über eine Smartphone-App. Die Abbiegeanweisungen können dann ebenfalls als Widget in einer der Kacheln angezeigt werden. Alternativ dient das gesamte Display der Kartendarstellung, während wichtige Informationen wie die Geschwindigkeit am Rand angezeigt werden. Wie bei BMW können Pan-America-Kunden das Kartenmaterial kostenlos auf ihr Smartphone laden und anschließend offline nutzen. So fallen selbst in entlegensten Ländern keine Mobilfunkgebühren an, allerdings muss für die Routenführung das GPS des Smartphones eingeschaltet sein.

Assistenzsysteme: Unterschiedliche Namen, gleiche Funktion
Die übrigen Assistenzsysteme der Testmaschinen unterscheiden sich lediglich in ihren Bezeichnungen, die offenbar jeder Hersteller für sich neu erfinden muss, nicht aber in ihrer Funktion. Beide bieten eine schräglagenabhängige Traktionskontrolle, einen Fahrzeughalteassistenten für das Anfahren am Berg und eine kurvenoptimierte elektronische Bremskraftverteilung mit Antiblockierfunktion – bei BMW teilintegrales ABS genannt.

Kardan oder Kette?
Kommen wir zum großen Aber der Pan America, das bereits anderen GS-Konkurrenten zum Verhängnis wurde: Vor allem Langstreckenfahrer schätzen die Vorteile eines nahezu wartungsfreien Kardanantriebs. Und den hat die Pan America nicht. Wie Honda Africa Twin, Kawasaki Versys, KTM Super Adventure und Suzuki V-Strom setzt auch Harley-Davidson bei der Pan America auf den Sekundärantrieb per Kette. Als Gründe werden die Offroadtauglichkeit und die Möglichkeit, das System am Ende der Welt ohne Werkstatt reparieren zu können, ins Feld geführt.Unsere Frage, ob es die Option geben wird, die Pan America mit Zahnriemenantrieb zu ordern – schließlich besitzen die meisten aller Harley-Modelle einen wartungsarmen Riemen – wird ebenfalls verneint. Ein Zahnriemenantrieb sei für den Geländeeinsatz untauglich, heißt es. Und dort will Harley-Davidson die Pan America nun einmal sehen. Ob die europäische Kundschaft, die fast ausschließlich auf asphaltierten Straßen unterwegs ist, das verstehen wird, bleibt abzuwarten. Die GS hat einen Kardanantrieb und wird dennoch offroad bewegt. Die Yamaha Super Ténéré hatte auch einen – und hat sich trotzdem nicht verkauft. Vielleicht sollte man dem Thema also nicht zu viel Bedeutung zumessen. Ein Hauptständer ist an beiden Maschinen des Vergleichstests serienmäßig vorhanden. Für das Basismodell der Pan America kostet er Aufpreis.
Das Fahren zu zweit und mit Gepäck
Mitfahrer finden auf den Adventure Bikes ausreichend Platz, auf der GS sitzen sie auf langen Strecken bequemer. Das im vorderen Bereich und an den Seiten abgeschrägte Soziuspolster der Pan America bietet unterm Strich weniger Fläche als das gerade geschnittene Polster der GS. Die Gepäckbrücken beider Maschinen mit Soziushaltegriffen und Kofferaufnahmen gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Unsere Test-GS ist mit dem BMW-Vario-Gepäcksystem ausgestattet, deren Koffer sich in der Breite verstellen lassen. Der rechte fasst zwischen 20 und 29 Litern, der linke zwischen 30 und 39 Litern – genug für einen Integralhelm. Das Topcase mit einem Volumen von 25 bis 35 Litern schluckt einen weiteren Helm. Sind die Koffer leer oder nur mit wenig Gepäck beladen, können sie eingefahren werden und schmiegen sich dann schlank an das Heck der GS.Die Kunststoffkoffer der Pan America laufen unter der Bezeichnung „Sport Luggage“. Der rechte Koffer fasst 36 Liter, der linke und das Topcase 40 Liter. Damit liegt ihr Volumen geringfügig über dem Fassungsvermögen der BMW. Auf den cleveren Teleskopmechanismus verzichtet die Harley. Die alternativ erhältlichen Aluminiumkoffer fertigt SW-Motech – sowohl für die GS als auch für die Pan America. Entsprechend gleichen sie sich in Optik und Volumen. Mit 37 Litern (rechts), 45 Litern (links) und 38 Litern (Topcase) schlucken sie mehr Gepäck als die Kunststofflösungen.


Fazit
Mit der etablierten BMW R 1250 GS hat die noch junge Harley-Davidson Pan America Special einen harten Gegner vor sich. Zugleich ist der Herausforderer gut beraten, sich am Marktführer zu orientieren. Immerhin führt die GS Jahr für Jahr die Zulassungsstatistiken an und trifft den Nerv der Kunden zielsicher. Im Vergleich liegen beide Motorräder eng beieinander. Die GS leistet sich keinen Patzer und liefert in sämtlichen Disziplinen zuverlässig ab. Dass die Pan America Special allerdings in der Lage ist, der BMW auf Anhieb so dicht auf die Pelle zu rücken, hätten ihr zu Beginn des ehrgeizigen Projekts die Wenigsten zugetraut. Motor und Fahrwerk liegen bereits jetzt auf Augenhöhe mit der GS. Einzig der fehlende Kardanantrieb schmerzt. In Sachen Cockpit und Ride Height Control ist die Harley der BMW sogar um einen Schritt voraus. Die Pan America ist also eine attraktive Option im Kreis der Reiseenduros – und auf Anhieb eine ernstzunehmende.
- innovative Ride Height Control
- agiles Handling
- tourentaugliche Ergonomie
- leistungsstarker Motor
- unübersichtliche Bedienelemente
- kein Quickshifter
- kein Kardanantrieb
- drehmomentstarker Motor
- souveränes Fahrverhalten
- tourentaugliche Ergonomie
- Kardan
- wirkt im direkten Vergleich schwerer
- Windschild erzeugt Verwirbelungen
- lauter Auspuff